Protocol of the Session on May 23, 2019

Und wir erwarten selbstverständlich, dass Seehofer endlich seine Blockade aufgibt und uns das tun lässt, wozu wir uns bereit erklärt haben, nämlich Menschen zu retten, statt sie an Europas Grenzen sterben zu lassen. Wir können uns doch gar nicht genug bedanken für die Arbeit der zivilen Seenotrettung von Sea-Watch und Seebrücke. Sie zu kriminalisieren, ist eine Schande.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Und die Menschen, die im Mittelmeer andere Menschen vor dem Ertrinken retten, die retten auch den menschlichen Anstand und die Seele Europas.

[Zurufe von der AfD]

Viele Menschen in Europa verfolgen mit Interesse, wie Mieterinnen und Mieter sich in unserer Stadt gegen steigende Mieten wehren. Immobilienspekulation, spekulativ

getriebene Mietsteigerungen sind natürlich kein exklusives Berliner Problem.

[Holger Krestel (FDP): Baut doch endlich Wohnungen! – Stefan Franz Kerker (AfD): Ihr seid doch in der Regierungsverantwortung!]

Das alles hat auch damit zu tun, wie die Europäische Union heute verfasst ist.

[Zuruf von der AfD: Das hat mit den offenen Grenzen zu tun!]

Es ist das Ergebnis einer Politik, die europaweit auf die Deregulierung der Märkte gesetzt hat und die aus der Finanzmarktkrise nicht wirklich gelernt hat.

[Heiko Melzer (CDU): Sie wissen selbst nicht, was Sie da vortragen!]

Frau Bentele! Herr Dregger! Da kommt nach dem Asylrecht wieder der 70-jährige Geburtstag des Grundgesetzes ins Spiel, denn die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren weit weniger marktgläubig als die Konstrukteure des europäischen Binnenmarkts. Ich finde zwar, dass es dem Grundgesetz noch an einigem mangelt, insbesondere an sozialen Grundrechten, aber einen wichtigen Grundsatz kennt das Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

[Beifall bei der LINKEN]

Das heißt, Eigentümer dürfen eben nicht einfach alles machen, was sie wollen.

[Georg Pazderski (AfD): So ein Quatsch! Das hat er aus der DDR übernommen. – Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Das Grundgesetz sieht vor, dass der Staat eingreifen kann oder soll, wo durch den Gebrauch des Eigentums das Wohl der Allgemeinheit verletzt wird, und das Grundgesetz nennt dafür auch Instrumente, zum Beispiel Artikel 14 und 15.

[Georg Pazderski (AfD): Die Linken aus dem Westen sind die schlimmsten!]

Die Debatte über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hat uns in den vergangenen Wochen

[Frank-Christian Hansel (AfD): Hat Berlin massiv geschadet!]

einen tiefen Einblick in das Verfassungs- und Demokratieverständnis in einigen Teilen unserer Gesellschaft gewährt.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Genau! – Weitere Zurufe von der AfD und der FDP]

Da geht es zuweilen skurril zu. Die Chefin des BBU schrieb uns sogar, dass der Artikel 15 zwar im Grundgesetz steht, aber in Berlin nicht gilt. Teile des Grundgesetzes sollen in Berlin nicht gelten? Ist Berlin wieder eine

selbstständige politische Einheit? Haben wir irgendetwas verpasst?

[Zurufe von der CDU, der AfD und der FDP]

Die FDP will ganz auf Nummer sicher gehen und den Artikel kurzerhand abschaffen. Na, da hätte ich mir schon ein bisschen mehr Verfassungstreue gewünscht, Herr Czaja.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Ja, verschiedene Verfassungsgüter müssen in einer rechtsstaatlichen Demokratie immer wieder miteinander abgewogen werden.

[Zuruf von der AfD]

Aber Artikel 14 und 15 stehen als Grundrechte in der Verfassung. Das ist ja nicht Pillepalle.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und die Instrumente zu ihrer Durchsetzung stehen aus konkreter historischer Erfahrung und nicht ohne Grund im Grundgesetz, und das ist auch gut so.

CDU und FDP müssen selbst wissen, ob die Rosinenpickerei beim Grundgesetz oder beim gemeinsamen Europa ihre Glaubwürdigkeit erhöht.

[Sibylle Meister (FDP): Was haben Sie denn getan? – Dr. Robbin Juhnke (CDU): Lächerlich!]

Der Wert des Bekenntnisses zur Verfassung im Ganzen zeigt sich eben oft im konkreten Umgang mit den Einzelnormen.

[Zurufe von der CDU, der AfD und der FDP]

Weder Europa noch das Grundgesetz müssen mit Pathos besungen werden. Wir müssen damit ernsthaft arbeiten.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Der gemeinsame Markt braucht Regulierung. Europa braucht eine soziale Säule. Wir brauchen gemeinsame Steuer-, Sozial- und Umweltstandards und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte.

[Unruhe]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um ein bisschen mehr Ruhe.

Ich komme zum Schluss. – Freiheitsrechte brauchen zum Geburtstag keine folgenlosen Bekenntnisse, sie müssen durchgesetzt und verteidigt werden.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Meine Damen und Herren draußen an den Endgeräten! Sie hören wahrscheinlich diese ganze Pöbelei von der rechten Seite nicht. Deswegen möchte ich Sie doch ganz herzlich bitten, am kommenden Sonntag wählen Sie bitte proeuropäisch,

[Lachen bei der AfD – Zurufe von der AfD]

wählen Sie demokratisch,

[Lachen bei der AfD und der FDP – Stefan Franz Kerker (AfD): Nie wieder Kommunismus!]

am besten wählen Sie links, auf jeden Fall bitte links von der Mitte! Das ist aktuell und auch künftig der beste Schutz für die Verfassung. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD]

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Förster das Wort.

[Danny Freymark (CDU): Herr Förster muss jetzt klarstellen! – Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Man überlegt ja manchmal, ob man auf den Beitrag eines Vorredners eingehen soll oder nicht. Bei einer Aktuellen Stunde bin ich normalerweise geneigt, dass ich mich an die großen Linien halte und nicht darauf eingehe. Aber ich hätte nicht gedacht, dass der Beitrag, bis jetzt, der am meisten an der Realität vorbeigeht und am meisten auch Wahlkampfrede war, leider Ihrer war, Herr Wolf, und das finde ich dann durchaus bedauerlich, wie Sie sich hier gerade positioniert haben.