Protocol of the Session on May 9, 2019

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Schrader das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben im Haus schon einen Antrag zum finalen Todesschuss von der CDU beraten und auch von der AfD-Fraktion. Man könnte also meinen, wir hätten unsere Positionen

dazu schon ausführlich ausgetauscht. Jetzt ist die FDP auch noch aufgewacht und hat einen Antrag vorgelegt. Aber gut, es ist ein ernstes, wichtiges Thema, da können wir hier gerne noch mal die Argumente austauschen. Aus unserer Sicht gibt es vor allem drei Gründe, warum wir so eine Regelung nicht brauchen und nicht wollen.

Erstens gab es in der Vergangenheit überhaupt keine Fälle, bei denen die hier vorgeschlagene Regelung Auswirkungen gehabt hätte. Mir ist aus den letzten Jahren in Berlin kein einziger Fall bekannt, in dem eine Polizistin oder ein Polizist wegen eines tödlichen Schusses verurteilt wurde oder anderweitig in rechtliche Schwierigkeiten geraten ist.

[Marc Vallendar (AfD): Darum geht es doch gar nicht!]

Ich frage mich deshalb wirklich, ob dieses Problem des gezielten Todesschusses überhaupt eine praktische oder nur eine theoretische Relevanz hat. Die Fallkonstellationen, die dafür immer angebracht werden, kommen jedenfalls in der Praxis bislang nicht vor.

Herr Kollege! Gestatten Sie Zwischenfragen? Ich hätte eine von Herrn Luthe und eine vom Kollegen Dregger.

Ich würde jetzt lieber erst mal zusammenhängend weiterreden. – Danke!

[Zurufe von der CDU und der FDP]

Ich komme mal zum zweiten Grund. Ich bin auch der Meinung, dass es keine Regelungslücke gibt.

[Marc Vallendar (AfD): Das ist eine Mindermeinung! – Zuruf von Oliver Friederici (CDU)]

Das Unmittelbarer-Zwang-Gesetz und auch die Rechtfertigungstatbestände des Strafgesetzbuches, also Notwehr, Nothilfe, rechtfertigender Notstand, bieten genug Rechtssicherheit für die handelnden Beamtinnen und Beamten. Kollege Zimmermann hat es auch ausgeführt, im Grunde ist die rechtliche Situation vorher und nachher, was die Auswirkungen betrifft, die gleiche. Wie gesagt, es ist schwer vorstellbar: In welcher Konstellation soll denn ein tödlicher Schuss durch die Polizei angemessen und notwendig sein, wenn er gerade nicht unter die Kategorie der Notwehr oder des Notstandes fällt? Da fällt mir keine ein.

[Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Auch das Beispiel Bataclan, das hier angeführt wurde, da kann ich auch sagen: Wo soll denn bitte dort keine unmittelbare Bedrohung bestanden haben? – Natürlich bestand sie dort, Herr Luthe!

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

(Burkard Dregger)

Deshalb, wenn wir so eine Befugnis machen, wird sie im besten Fall vollkommen wirkungslos sein, weil sie einfach nicht angewandt wird. Im schlechten Fall – und das führt mich zum dritten Punkt – droht aber die Gefahr, dass so eine Regelung die Hemmschwelle beim Schusswaffengebrauch senkt, und das werden wir nicht zulassen.

[Karsten Woldeit (AfD): Och! – Marcel Luthe (FDP): So ein Unsinn! – Paul Fresdorf (FDP): Schämen Sie sich!]

Und da hilft es auch nicht, wenn, wie in Ihrem Antrag, liebe FDP-Fraktion, der Innensenator den Todesschuss anordnen soll. Das finde ich auch etwas schräg. Sie räumen ihm ja noch die Möglichkeit ein, das zu delegieren. Das würde er natürlich tun, denn ein Innensenator ist kein Polizeiführer, er ist kein Einsatzleiter, sondern er ist für die politische Führung da. Es wäre also etwas, was der Innensenator ohnehin nicht machen würde. Wir halten diese Befugnis für falsch.

Richtig ist, dass man mehr für Beamte tun kann, die – aus welchen Gründen auch immer – von der Schusswaffe Gebrauch machen und einen Schuss auf Menschen abgegeben haben. Da läuft standardmäßig erst mal ein Ermittlungsverfahren. Ich finde schon, da sollte jeder die Möglichkeit haben, dann mithilfe eines Rechtsbeistandes alle Möglichkeiten der Verteidigung zu nutzen und dafür auch nicht in Vorkasse zu gehen. Deshalb unterstützen wir gerne die Verbesserung des Rechtsschutzes für Polizeibeamte, die die Schusswaffe eingesetzt haben. Da können wir sofort eine Regelung finden.

Ansonsten lassen Sie uns unser Gehirnschmalz doch lieber darauf verwenden, dass Situationen mit Schusswaffengebrauch erst gar nicht entstehen! Wenn man sich die Fälle von tödlichen Schüssen in den letzten Jahren anschaut, dann stellt man fest, es waren ganz überwiegend keine Schwerkriminellen oder Terroristen. Das waren ganz überwiegend psychisch kranke Menschen, die aus irgendwelchen Gründen aggressiv oder gefährlich waren.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte das jetzt zu Ende führen! – Wenn wir auf diesem Gebiet Handlungsbedarf haben, dann beim Umgang der Polizei mit psychisch kranken Menschen. Da kann eine bessere Ausbildung hilfreich sein. Da kann ein verstärktes Einsatztraining hilfreich sein. Vielleicht kann man auch erreichen, dass in der einen oder anderen Situation, wo es nicht um Sekunden geht, dann psychologische Hilfe schneller vor Ort ist. Auch da ist, glaube ich, noch Luft nach oben. Ich finde, da müssen wir uns doch die Frage stellen, nicht nur, was passiert, wenn Gefahr für Leib und Leben bereits konkret ist, bereits im Gange ist,

sondern was wir tun können, um das Entstehen solcher Situationen von vornherein zu vermeiden. Das ist die Aufgabe, die wir uns hier geben müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Jörg Stroedter (SPD) und Benedikt Lux (GRÜNE)]

Dann hat für eine Zwischenbemerkung der Abgeordnete Luthe das Wort.

Lieber Kollege Schrader! Ich glaube, es wäre ganz gut, wenn sie das den Kollegen Taş hätten machen lassen. Der hat zumindest von der Hauptbedrohungslage in diesen Situationen was verstanden, nämlich von dem Thema des Terrorismus, lieber Kollege Schrader!

Wenn Sie sagen, Sie können sich keine Anwendungssituation vorstellen, gleichzeitig der Innensenator Ihrer Koalition selbst das Beispiel Bataclan zu Recht anführt, dann haben Sie da bereits die Anwendungssituation.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Eine solche Situation mögen Sie sich nicht vorstellen können, die Berliner Polizei trainiert aber genau für eine solche Situation.

[Karsten Woldeit (AfD): Die haben doch keine Ahnung von Polizeiarbeit!]

Sie konnten sich auch den Terroranschlag vom Breitscheidplatz nicht vorstellen. Auch der wurde bittere Realität in dieser Stadt. Und auch dort mussten wir darunter leiden, dass wir auf Terrorismus nicht ausreichend vorbereitet waren. Das müssen wir abstellen.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): So ein Unsinn! Absoluter Unsinn!]

Ich danke Ihnen, Herr Albers, mal wieder für Ihre Stichwortgabe. Absoluter Unsinn war in der Tat das, was ich dann noch aus Ihrer Mauerschützenpartei zu den schießwütigen Polizeibeamten hören musste.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt!]

Sie befürchten also, dass Polizeibeamte irgendwen anders erschießen, einfach mal so.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ich weiß, warum Ihre Fraktion so eine Last mit Ihnen hat!]

Das zeigt neben einem bemerkenswerten Bild, das Sie von unseren Ordnungsbehörden haben, vor allem, dass Sie von der Praxis der Anwendung des finalen Rettungsschusses überhaupt keine Ahnung haben.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

(Niklas Schrader)

Der finale Rettungsschuss, dort, wo er angeordnet wird, wird angeordnet, und zwar in der Regel durch den zuständigen Polizeiführer Schwerstkriminalität, der ein Bild der Lage hat, ein Beamter des höheren Dienstes ist, nach eindringlicher Prüfung und Abwägung der verfassungsrechtlichen Güter, die gegeneinander abzuwägen sind. In der jetzigen Situation muten Sie das allerdings, sage ich noch mal, dem Beamten des mittleren Dienstes beim Präzisionsschützenkommando zu. Das ist unverantwortlich.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Deshalb – noch einmal – brauchen wir diese rechtliche Regelung, und da muss man, lieber Herr Zimmermann, auch ehrlich sein und den Antrag vollständig wiedergeben. Der Innensenator oder ein von ihm zu bestimmender zuständiger Dritter.

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Ein kluger Innensenator, so steht es in unserem Antrag, nimmt dafür den Polizeiführer Schwerstkriminalität.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Nee!]

Ein Innensenator von den Grünen zum Beispiel nähme sich selbst dafür

[Zurufe von FDP]

und würde beschließen, dass lieber das Opfer erschossen wird als der Täter. Das halten wir für falsch.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]