Wir können dem nicht zustimmen, weil ich mir schlichtweg nicht vorstellen kann, dass wir eine Impfpflicht durchsetzen können. Ich kann mir das im Bereich der Schulpflicht, wo wir das ja auch tun, völlig zu Recht tun, sehr gut vorstellen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie Polizisten ins Haus stürmen – Herr Dr. Albers hat das als Ausschussvorsitzender im Ausschuss so schön beschrieben –, wie wir das Kind von den Eltern abholen und eine Zwangsimpfung durchführen.
Wie setzen wir das um? Ich glaube, dass das nicht funktioniert, und ich kann mir diese Szenen auch nicht vorstellen. Aus diesem Grund sind wir in der Sache sehr wohl für eine Impfpflicht, aber in Bezug auf den konkreten Antrag können wir uns nicht vorstellen, wie es umsetzbar ist, und deswegen werden wir uns da enthalten. – Danke!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen, meine Herren! Werter Herr Kluckert! Ich habe gelesen, dass Sie der Gesundheitsexperte Ihrer Fraktion sind. Wenn das so ist, dann frage ich mich schon, warum Sie nicht verhindern konnten, dass Ihre Fraktion uns hier zum zweiten Mal einen Antrag vorlegt, der handwerklicher Murks und epidemiologischer Unsinn ist.
Handwerklich ist er Murks, weil Sie zum Beispiel in Ihrer Begründung explizit auch eine Pflichtimpfung für Tetanus fordern. Tetanus ist nun mal keine ansteckende Erkrankung – weshalb und mit welcher medizinischen Begründung wollen Sie denn dann einen Impfzwang für Tetanus durchsetzen? Und dann Kinderlähmung, Polio, die Sie anführen: Gerade Polio ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie es ohne Impfzwang geht; die Krankheit gilt in der Bundesrepublik seit vielen Jahren als ausgerottet –
ohne Impfpflicht, durch kluge Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit. Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist bitter, so hieß das in den Sechzigerjahren.
Epidemiologisch ist Ihr Antrag Unsinn, weil wir uns nicht um die drei Prozent der notorischen Impfverweigerer kümmern müssen, an denen Sie sich ständig abarbeiten – die fallen epidemiologisch nämlich gar nicht wirklich ins Gewicht –, sondern weil wir uns darauf konzentrieren müssen, dass alle die, die impfwillig sind, auch tatsächlich geimpft werden. Die hohe Durchimpfungsrate von über 97 Prozent bei der Masern-Erstimpfung hier in Berlin, die Sie beim Robert-Koch-Institut erfragen können, belegt doch, dass die Impfbereitschaft auch ohne Androhung von Bußgeldern ausreichend hoch ist. Hier verweigert sich niemand.
Allerdings besteht eine Differenz zur Durchimpfungsrate bei der Zweitimpfung. Die liegt, wenn auch knapp, immer noch unter den erforderlichen 95 Prozent, die die Weltgesundheitsorganisation voraussetzt, um die Masern endgültig zu besiegen – und das ist das Problem, und hier haben wir einen Handlungsbedarf! Wir haben es also nicht mit ideologischen Impfverweigerern zu tun, sonst wäre die Rate der Erstimpfungen nicht so hoch, sondern hier mögen die Versäumnisse vielfältige Gründe haben, und hier muss unser System der Vorsorgeuntersuchungen einfach noch besser greifen. Hier sind die Haus- und Kinderärzte in der Verantwortung, die sich Zeit zu nehmen haben, aufklärerisch und mit Geduld auf die Sinnhaftigkeit einer Impfung hinzuweisen.
Sie fordern eine verbindliche Rechtsverordnung, die das Impfen bis zum sechsten Lebensjahr verpflichtend regeln soll. Warum schreiben Sie nicht einfach ganz konkret auf, was in dieser Rechtsverordnung drinstehen soll, und wie, mit welchem Instrumentarium, Sie diese verbindliche Rechtsverordnung dann durchsetzen wollen? Sie hatten fünf Minuten Zeit, das zu tun, und haben kein Wort dazu gesagt – weil Sie nicht wirklich eine Idee haben. Die Spiegelstriche, die da in Ihrem Antrag auftauchen, werden Ihren eigenen Forderungen nicht gerecht, und nur nebenbei bemerkt: Von den 30 Masernerkrankungen, die wir im Jahr 2018 in Berlin hatten, kamen nur neun aus der Altersgruppe der bis Sechsjährigen. Alle anderen waren deutlich älter, und denen kommen Sie mit Ihrem Antrag überhaupt nicht bei.
Mir fehlt jedes Verständnis für Impfgegner, es gibt kein überzeugendes Argument gegen das Impfen – übrigens auch nicht Ihre vermeintliche Impfunverträglichkeit, die müssten Sie mir fachlich bei anderer Gelegenheit noch mal erläutern. Lassen Sie sich und Ihre Kinder einfach impfen, dann sind Sie geschützt, und dann brauchen Sie auch nicht ständig über den Impfzwang für andere zu räsonieren. – Danke!
Werte Frau Präsidentin! Werte Kollegen Abgeordnete! Geschätzte Gäste auf der Zuschauertribüne – ein, zwei sind noch da. Die FDP-Fraktion lässt heute tatsächlich hier im Plenum einen Antrag beraten mit dem hehren Ziel einer besseren und umfassenderen Fürsorgepflicht seitens des Staates für die Kleinsten unserer Gesellschaft.
Es geht mal wieder um das für einige doch emotionale Thema der Impfpflicht. Genau diese wollen die Freien Demokraten, die vermeintlich Liberalen hier im Haus, für Säuglinge und Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr einführen.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die Debatte vor ziemlich genau zwei Jahren, als das Thema im Zusammenhang mit steigenden Masernfallzahlen schon einmal intensiv diskutiert wurde. Zudem war es meine erste Rede hier im Abgeordnetenhaus, und die bleibt einem selbstverständlich ganz gut im Gedächtnis. Damals stand ich einer etwaigen Gesetzesverschärfung durchaus aufgeschlossen gegenüber und habe deshalb vom Senat die Durchimpfungsraten – aufgeschlüsselt nach den einzelnen Bezirken und Ortsteilen – erfragt, um zunächst herauszufinden, wo der Anteil der Impfverweigerer denn besonders hoch ist. Wie zu erwarten, war der Prenzlauer Berg ganz weit vorne mit dabei.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich persönlich es für unverantwortlich halte, seine Kinder nicht zu impfen. Die Möglichkeit des Impfens – und damit die Vermeidung von Krankheiten bis hin zu deren Ausrottung – stellt einen Meilenstein des medizinischen Fortschritts dar und ist wahrlich ein Segen für die Menschheit. Stellvertretend für viele weitere Krankheiten mit katastrophalen Folgen, es wurde auch schon angeführt, sei hier die Poliomyelitis, kurz Polio, also die spinale Kinderlähmung erwähnt, die dank der Schutzimpfung in weiten Teilen dieser Welt nicht mehr auftritt. Daher muss es natürlich die Aufgabe eines jedes Staates sein, seine Bürger aktiv von den Vorteilen des Impfens zu überzeugen und die Frage zu beantworten, was grundsätzlich höher zu bewerten ist: das Recht des Einzelnen auf körperliche Unversehrtheit oder das Gemeinwohl.
Die Erfahrung in Deutschland zeigt bislang, dass mit regelmäßigen, öffentlichkeitswirksamen Werbekampagnen ganz passable Erfolge erreicht werden konnten, was die Durchimpfungsraten betrifft. Warum soll das Abgeordnetenhaus hier nicht auch einmal mit gutem Beispiel vorangehen und etwa einen wiederkehrenden Aktionstag zum Thema Impfen ins Leben rufen? – Der bereits existente Impfbus der Charité würde sich hierfür sicher hervorragend eignen.
Nun aber zum Antrag: Sehr geehrter Herr Kollege Kluckert! Erst in der letzten Ausschusssitzung wurden Ihnen die aktuellen Zahlen dargelegt. – Das wurde schon angeführt. Ja, es gibt eine kleine Impflücke, die es zu schließen gilt. So weit sind wir uns hoffentlich alle einig. Ob es aber angesichts der Ausgangslage von über 95 Prozent bei der Erstimmunisierung im Falle von Masern, Mumps und Röteln verhältnismäßig ist, gleich einen Impfzwang zu implementieren, will sich mir nicht so recht erschließen, zumal die Fallzahlen bei Masern in Berlin zuletzt glücklicherweise deutlich rückläufig waren.
Gleichwohl hat der Bundesgesetzgeber für einen GAU bereits vorgesorgt und den Landesregierungen die Möglichkeit der Einführung einer Impfpflicht – quasi im Schnellverfahren – an die Hand gegeben. Wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Ausbreitung zu rechnen ist, dann darf insoweit auch heute schon das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt werden. Das ist alles nachzulesen im § 20 Abs. 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes.
Ich komme zum Schluss: Ihr Antrag ist sicher gut gemeint. Deshalb wird sich meine Fraktion bei der folgenden Abstimmung auch enthalten. Eine Gesetzesverschärfung ist unserer Meinung nach aus gegenwärtiger Sicht aber einfach nicht notwendig. Natürlich kann sich das ändern, denn sollten etwa die Durchimpfungsraten fortlaufend wider Erwarten in den kommenden Jahren – das heißt über fünf, sechs Jahre hinweg – in den Keller gehen und auch öffentliche Kampagnen keine Wirkung mehr entfalten, dann ist die Situation selbstverständlich neu zu bewerten.
Deshalb gilt es, die Entwicklung der Impfraten weiter genau im Auge zu behalten, um rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Wir als AfD-Fraktion werden die übermittelten Impfdaten regelmäßig auswerten und gegebenenfalls mit konstruktiven Vorschlägen unsere Schlüsse daraus ziehen. Darauf können sich die Berliner verlassen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Pieroth-Manelli das Wort. – Bitte schön!
Es wundert mich wirklich sehr, dass gerade Sie hier eine derartige Regelungswut an den Tag legen, die die Selbstbestimmungsrechte von Berliner Eltern und Kindern doch erheblich einschränken soll. Um gleich eines vorwegzunehmen: Wir als Grüne sind auch für Impfungen. Was wir aber ablehnen, ist die Impfpflicht – und das aus gutem Grund. Ich halte es hier wiederum mit meiner Kollegin Kahlefeld: Wir müssen heute wohl nicht alles nur dreimal sagen, sondern dreißigmal.
Unsere Antwort auf das Erfordernis von Impfungen bei Babys und Kindern ist eine unvoreingenommene und umfassende Aufklärung. Deswegen setzen wir dort auf eine zielgruppenspezifische Beratung im Rahmen der
U-Untersuchungen. Um den Herdenschutz zu erreichen, müssen auch Erwachsene ihren Impfstatus überprüfen und – wenn nötig – an fehlende Impfungen erinnert werden.
Sie erinnern sich sicher auch; Kollege Albers hat auf eine andere Kampagne hingewiesen: Deutschland sucht den Impfpass! – Der Impfstatus gehört leider zu den LowInterest-Themen. Genau aus diesem Grund werden wir weiter daran arbeiten, aufzuklären, zu beraten und Informationen zu liefern.
Vielfach wurde hier darauf hingewiesen: Die Impfbereitschaft in Deutschland ist grundsätzlich hoch. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung liegt sie bei über 90 Prozent. Wenn wir dann noch einmal genauer Berlin anschauen, liegen hier sämtliche Impfquoten über dem Durchschnitt. Zoomen wir noch ein bisschen in die Bezirke hinein: Dort, also innerhalb von Berlin, variieren die Impfquoten zwar, aber, wie gesagt, alles auf sehr hohem Niveau. Von einer Impfmüdigkeit der Berliner Eltern kann nicht die Rede sein. Das lassen sich die Eltern und wir uns auch nicht weiter einreden.
Sie aber stellen mit Ihrem Antrag die Fürsorge und den Schutz der Kinder in Abrede. – Das geht nicht mit den Berliner Eltern, das geht nicht mit dieser Koalition und auch nicht mit uns.
Eine Impfpflicht bei Kindern einzuführen, ist die falsche Antwort. Unsere Antwort ist: Wir müssen den öffentlichen Gesundheitsdienst in den Bezirken weiter stärken, damit wir eine noch bessere Impfquote – gerade auch in Hinblick auf die zweite Impfung – erreichen. Hierbei bedarf es, wenn nötig, auch einer wiederholten Ansprache, sei es durch Kinderärztinnen und -ärzte, durch Ärztinnen und Ärzte, durch Kitas, Schulen und das Gesundheitsamt.
Liebe FDP! Was hilft eine staatliche Impfpflicht, wenn die Impfungen dann nicht zwangsweise durchgesetzt werden? – Ein Bußgeld allein erhöht doch nicht die Impfquote. Noch etwas: Ich will mir gar nicht ausmalen, was für unschöne Situationen dadurch entstehen könnten, dass zwangsweise Kinder geimpft würden. Haben Sie denn gar nicht darüber nachgedacht, was das für Folgen für die Kinder und die gesamte Familie haben kann?
Wir kennen Sie als FDP doch deutlich kreativer. Besinnen Sie sich doch einmal auf das Recht auf Selbstbestimmung! – Wir als Koalition kümmern uns weiterhin um Beratung, Information und Prävention – und damit um tatsächlichen Kinderschutz.
Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Zu dem Antrag auf Drucksache 18/0770 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die FDP, bei Enthaltung von CDU und AfD – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der FDP. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Das sind die Fraktion der CDU, die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist der Antrag abgelehnt.