Jahr für Jahr hat Berlin Zehntausende neue Bewohner zu verzeichnen. Der Wohnungsbau kommt jedoch nicht annähernd hinterher. Der Kollege Gräff hat in der vergangenen Plenarsitzung einige Vergleichszahlen genannt. Die Anzahl der Baugenehmigungen in Frankfurt am Main ist 2017 um 32,8 Prozent angestiegen,
[Steffen Zillich (LINKE): Wir haben doch gesehen, dass die falsch waren, die Zahlen! – Zuruf von Carola Bluhm (LINKE)]
die in München um 39,5 Prozent. Dagegen haben wir in Berlin einen Rückgang von 5,6 Prozent zu verzeichnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ein Skandal – baupolitisch, wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch.
Nun brüstet sich die Bausenatorin mit im Jahr 2017 fertiggestellten Wohnungen. – Frau Senatorin Lompscher! Was haben Sie eigentlich mit Baugenehmigungen aus den Jahren 2014, 2015 und 2016 zu tun, die 2017 zu Fertigstellungen von Wohnungen führten?
Wozu führt die zunehmende Wohnungsknappheit? Eben auch zu steigenden Mieten und Wohnungslosigkeit. Ich räume an der Stelle offen ein, ich war in Mathematik keine Leuchte. Aber aus dem Studium der Fächer VWL und BWL ist eines hängengeblieben: Ist die Nachfrage groß und das Angebot gering, steigt der Preis – in dem Fall der Mietpreis.
Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot-Grün: Stellen Sie endlich der erhöhten Nachfrage ein größeres Angebot entgegen, das heißt: bauen, bauen und nochmals bauen.
Wo Schatten ist, ist auch Licht – und umgekehrt. Daher mein ausdrücklicher Dank und mein Lob für die Bemühungen der Sozialsenatorin Frau Breitenbach. Die Hilfen für Obdachlose, für Wohnungslose und für die Kältehilfe wurden ausgebaut, die Mittel wurden sowohl in dieser Legislaturperiode als auch in der vorangegangenen unter dem Senator Czaja und unserem Staatssekretär Gerstle deutlich erhöht. Ein Dank insoweit an Herrn Czaja, Herrn Gerstle, Frau Breitenbach und Herrn Fischer, und natürlich an uns hier im Hause als Haushaltsgesetzgeber, für diese positive Entwicklung!
Eines ist jedoch auch klar: Immer mehr Mittel in den Sozialbereich zu investieren, löst die eigentlichen Probleme nicht. Wir müssen Ursachen bekämpfen und nicht nur Symptome. – Frau Senatorin Breitenbach! Sie haben sich mit zwei Strategiekonferenzen aufgemacht, an Lösungen zu arbeiten. Es ist gut und richtig, alle Akteure an einen Tisch zu bekommen. Schlecht ist allerdings, dass sowohl die Bausenatorin als auch die Gesundheitssenatorin dies bisher nicht zur Chefsache gemacht und an diesen Wohnungslosenkonferenzen nicht teilgenommen haben. Und wo war eigentlich der Regierende Bürgermeister, um die Senatsarbeit ressortübergreifend zu koordinieren? Für Talkshows zum solidarischen Grundeinkommen hat es gereicht, für kraftvolles Eintreten für Wohnungslose und Obdachlose hingegen nicht,
übrigens auch schon zu Ihrer Zeit als Bausenator nicht. – Herr Müller, lassen Sie Frau Breitenbach nicht wie Herrn Czaja im Regen stehen, vor allem aber nicht die Betroffenen!
Es gibt weitere generelle Fragen nach zwei Jahren RotRot-Grün. Warum gibt es immer noch keine Obdachlosenstatistik? – Nur Schätzzahlen! Warum gibt es keine fachliche Steuerung und Finanzierung von Tagesstätten,
zentral durch den Senat für diese gesamtstädtische Aufgabe? Warum werden Tausende Plätze, freie Plätze, in Flüchtlingseinrichtungen nicht für Wohnungslose und Obdachlose genutzt? Ja, es gibt rechtliche Hürden, mit Blick auf das Baurecht. Sie reden sonst so schnell von Beschlagnahmungen, Frau Radziwill hat das in ihrem Wortbeitrag auch gerade getan. Ich kann niemandem in dieser Stadt erklären, dass es einen großen Leerstand in der Größenordnung von Tausenden Plätzen in Flüchtlingseinrichtungen gibt, dem Wohnungsnot und große Obdachlosigkeit gegenüberstehen. Tun Sie das Notwendige!
Was schildern uns die Berliner Wohlfahrtsverbände? Die Wohnungslosenhilfe ist ohne deutlich verstärkten Wohnungsbau nicht denkbar. Die Bezirke stoßen immer wieder an Grenzen, hier bedarf es größerer personeller Unterstützung durch den Senat. An Fachstellen für Wohnungslosenhilfe muss dringend zielstrebig weitergearbeitet werden.
Das Thema Trägerwohnungen ist weiterhin brisant, da die Gewerbemietverträge von Trägern zunehmend von Kündigung bedroht sind. Das Thema der EU
Obdachlosigkeit wurde bisher unzureichend angegangen. Und ich meine hier nicht die EU-Freizügigkeit, wie es Frau Breitenbach immer verkürzt anführt, sondern die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit – ein entscheidender Unterschied. In diesem Zusammenhang Fragen an den Senat: Wo bleibt die Bundesratsinitiative des Landes Berlin? Was wurde bisher mit dem SPD-Bundesaußenminister und dem SPD-Bundessozialminister hierzu vereinbart?
Ich habe meinen Wahlkreis in Treptow-Köpenick. Wiederholt sprechen mich Mitarbeiter des Bezirksamts und auch ein Unternehmer an, kurz zusammengefasst, vereinfacht dargestellt: Das Sozialamt hat Plätze für Wohnungslosenhilfe in Auftrag gegeben, die wurden von einem Unternehmer geschaffen, doch werden diese nicht vollständig abgenommen mit der Begründung: „Es wird kein Bedarf gesehen“ –, so der Sozialstadtrat der Linken aus Treptow-Köpenick. Ich konnte dies erst gar nicht glauben und habe deshalb eine Schriftliche Anfrage an den Senat gestellt, wie es sich denn darstelle und bewertet werde. In der Antwort hieß es: Nein, diese Bewertung, diese Darstellung treffe so nicht zu. – Mir liegt allerdings ein Schreiben vor, unterschrieben vom Sozialstadtrat aus Treptow-Köpenick, in dem es heißt:
Ernsthaft? Kein Bedarf, bei steigenden Zahlen im Bereich der Wohnungslosenhilfe dieser Stadt? – Weitere Punkte in der Antwort des Senats sind unwahr. Es wird von mir eine erneute Anfrage geben. Bitte nehmen Sie sich dessen an, Frau Sozialsenatorin!
Im Rahmen der Aktuellen Stunde behandeln wir heute auch einen FDP-Antrag. Die Grundidee dieses Antrags unterstützen wir selbstverständlich. Richtig ist hierbei auch, den Fokus auf Wohnungsbau und Prävention zu legen. Auch begrüßen wir die Forderung nach zusätzlichen Trägerwohnungen, gerade unter Inpflichtnahme der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Es gibt allerdings in diesem Antrag einige Schwachstellen. Beispielsweise ist die Rede von einem landesweiten Gesamtkonzept. Da muss man schon einmal nachfragen, welchen Inhalts. Etwas konkreter wäre an dieser Stelle gut. Wenig anfangen kann ich mit der Aussage: Das Wohngeld muss gerechter verteilt werden. – Da ist meine Frage: An welcher Stelle wird das Wohngeld aus sozialpolitischer Sicht aktuell ungerecht verteilt? – Also: Insgesamt gute Ansätze, aber auch schwammige bis unklare Punkte. Insofern werden wir uns zu diesem Antrag enthalten.
Zum Schluss möchte ich für die CDU-Fraktion, aber auch ganz persönlich, Dank sagen an alle Helferinnen und Helfer aus dem Bereich der Wohnungslosen- und Obdachlosenhilfe, an die Hauptamtlichen, vor allem aber an die Ehrenamtlichen gerichtet. Ehrenamtliches Engagement kann ergänzen, aber niemals ersetzen. Lassen Sie uns gemeinsam nicht nur Symptome, sondern auch Ursachen bekämpfen – auf allen Ebenen: in den Bezirken, auf Senats- und auf Bundesebene. Die CDU-Fraktion wird hierzu ihren Beitrag leisten. – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich zwei Punkte vornewegstellen, die mir wirklich wichtig sind. Als Erstes möchte ich den vielen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern der Wohnungslosenhilfe danken. Diese Männer und Frauen zeigen uns, was es braucht in dieser Stadt, nämlich Menschlichkeit, Wärme, Zuwendung und Zivilcourage.
Vielen, vielen Dank für die Arbeit, die Sie Tag und Nacht für wohnungslose Menschen in dieser Stadt leisten! Ihre Arbeit – und da spreche ich hoffentlich im Namen des ganzen Hauses – verdient höchste Achtung und Anerkennung.
[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]
Und ein zweiter Punkt ist mir sehr wichtig: Bitte lassen Sie uns heute eine zielorientierte Diskussion führen. Das, was in den letzten Tagen in den sozialen Netzwerken geschrieben wurde, ist an Menschenverachtung kaum noch zu überbieten. Wir sprechen hier nämlich von Menschen! Es geht um Menschen, die Teil unserer Gesellschaft sind, Menschen, die unsere Unterstützung brauchen und nicht unseren Hochmut und erst recht nicht unsere Verachtung.
Also lassen Sie uns bitte die Diskussion um die Wohnungslosenpolitik in dieser Stadt nicht auf dem Rücken der Schwächsten unserer Gesellschaft führen, sondern sach- und lösungsorientiert.
Kommen wir zur Sache: Seit Jahren war es im Bereich Wohnungslosenpolitik sehr ruhig. Außer im Bereich der Kältehilfe fand keine öffentliche Diskussion über den Bereich der wohnungslosen Menschen statt. Die aktuell geltenden Leitlinien – es wurde schon angesprochen – werden nächstes Jahr 20 Jahre alt. Seit dem Amtsantritt von Senatorin Elke Breitenbach, Staatssekretär Alexander Fischer und ihrem Team ging in Berlin ein Ruck durch die Wohnungslosenpolitik. Bereits im Jahr 2017 zeigte sich das in der Kältehilfe. Von ca. 630 Plätzen im Jahr 2016 gab es eine Steigerung auf 1 000 Plätze im Jahr 2017, aktuell sind es 1 200 Plätze. Noch wichtiger aber war die Einberufung der 1. Strategiekonferenz Wohnungslosenhilfe im Januar dieses Jahres. Zum ersten Mal wurde in dieser Stadt wirklich ein breiter Dialog über das Thema Wohnungslosigkeit gestartet. Hier wurde gezeigt, wie es gehen kann, wenn man es denn will. Es wurden alle an einen Tisch geholt: die Verwaltungen, und zwar alle, die Vereine und Verbände, die sich jeden Tag in dieser Stadt für wohnungslose Menschen einsetzen, und auch – das finde ich besonders wichtig – die Betroffenen. Hier wurde also nicht über wohnungslose Menschen gesprochen, sondern mit ihnen. In den Arbeitsgruppen, die regelmäßig tagten, wurde offen über alle Möglichkeiten diskutiert. Ja, man kann, man muss diskutieren. Man muss ausgetretene Pfade verlassen und auch mal das Unmögliche denken. Man muss Ideen und Vorstellungen diskutieren und Lösungen finden und sie dann auch angehen – und das im Sinne der Menschen und nicht mit Blick auf etwaige Erwähnung in der Presse oder persönlicher Profilierung, egal auf welcher politischen oder privaten Ebene.
Und nein, es sind nicht alle Probleme gelöst, auch nicht mit der 2. Strategiekonferenz im Oktober. Aber es gibt gute Ansätze und auch erste Schritte, die gegangen werden. Dazu gehört ganz sicher die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für die Kältehilfe. Diese Koordinierungs
stelle hat sich das ganze Jahr um die Organisation der Kältehilfeplätze gekümmert. Dadurch waren wir tatsächlich in der Lage, bereits im Oktober mit ca. 400 Plätzen zu starten. Hier muss ich aber auch sagen, dass es ja wohl nicht das Ziel sein kann, die Kältehilfe als Parallelstruktur auf das ganze Jahr auszuweiten, das heißt, die Notversorgung der Kältehilfe zur Regel zu machen. Dazu gehört auch das Projekt „Housing First“. Das ist quasi ein Paradigmenwechsel im Bereich der Wohnungslosenpolitik. Hier geht es nicht darum, Menschen „wohnfähig“ zu machen, nein, hier geht es darum, Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, denn erst dann hat dieser Mensch auch den Nerv dafür, sich mit Ämtern, Krankenkassen auseinanderzusetzen, also den Weg ins Regelsystem zu finden.
Es geht hier aber auch, wie in vielen anderen Bereichen, um bezahlbaren Wohnraum. Das zeigt auch die Zahl von 37 000 ordnungsrechtlich untergebrachten Menschen in der Stadt. Es geht um steigende Mieten, es geht um Verdrängung. In diesem Bereich ist Prävention ein wichtiges Thema. Auch hier war R2G nicht untätig. Mit der Überarbeitung der AV Wohnen haben wir dafür gesorgt, dass 85 000 Menschen ihre Miete wieder bezahlt bekommen und damit die Gefahr der Wohnungslosigkeit abgewendet wurde. Um hier auch noch mal einige Veränderungen der AV Wohnen aufzuführen: Für Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit Bedrohte ist bei Neuanmietung eines Wohnraums eine Überschreitung der Richtwerte von 20 Prozent möglich. Es wurden weitere Härtefallbestände eingeführt, so zum Beispiel bei der Pflege naher Angehöriger bzw. bei eigener Pflegebedürftigkeit, Behinderung oder Erkrankung. Auch im Präventionsbereich sind bereits Gelder eingestellt. Ich nenne hier nur mal ein paar Punkte: Es gibt die unabhängige Sozialberatung in den Bezirken, um Menschen vor Verlust von Wohnungen zu bewahren. Es gibt die Energieschuldenberatung bei der Verbraucherzentrale, damit niemandem in der Stadt der Strom abgestellt oder wegen Energieschulden gekündigt wird.
Und wir werden den Mietrechtsschutz für Transferleistungsbeziehende verbessern. Das sind alles wichtige Punkte, um Menschen vor Wohnraumverlust zu schützen und sie in ihren Wohnungen zu halten.
Ich will es noch einmal sagen: Es sind längst nicht alle Probleme gelöst. Es gibt noch sehr viel Arbeit. Aber es geht eben nur mit kleinen Schritten zum Ziel. Das verspricht weniger Schlagzeilen, ist oft mühsam, eignet sich nicht für Facebook oder Twitter, aber jeder noch so kleine Schritt ist ein Schritt voran. Unser Ziel muss immer
Ein weiterer Schritt auf diesem Weg ist es, belastbare Zahlen zu bekommen. Eine der neuen Arbeitsgruppen der Strategiekonferenz hat sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt. Das Ergebnis ist, dass im ersten Halbjahr 2019 Zahlen erfasst werden sollen. Das ist etwas, das seit Jahren von Aktiven in der Wohnungslosenhilfe gefordert wurde. Aufgrund der ausführlichen Diskussion mit allen Beteiligten gibt es jetzt einen Weg, der auch gegangen wird.