Protocol of the Session on November 29, 2018

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zitiert habe ich aus dem Buch von Dieter Puhl „Glück und Leid am Bahnhof Zoo“. Dieter Puhl berichtet uns täglich über das soziale Netzwerk oder im direkten Gespräch von der schwierigen Situation von Menschen ohne Wohnung, von Obdachlosen, von Schicksalen und holt sie aus der Anonymität heraus. Ja, er mit seinem Team, aber auch sehr viele in der Wohnungslosenhilfe bei den vielen Trägern machen eine wunderbare Arbeit und helfen den Menschen tagtäglich. Und dafür möchte ich an dieser Stelle mit Ihnen gemeinsam einmal danken.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wohnungslosigkeit ist eine der sozialen Fragen unserer Zeit. Eine bezahlbare Wohnung zu haben, ist eine Frage unserer Zeit. Wohnungslosigkeit hat sich leider in den letzten Jahren verändert. Ich selbst und wahrscheinlich einige von Ihnen auch sind regelmäßig in verschiedenen Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Ich besuche oft die Bahnhofsmission am Zoo, und der Wandel der Nutzergruppen ist sichtbar. Mittlerweile, das kann man auch positiv sagen, sind es internationale Begegnungszentren geworden. Kamen früher die klassischen Berliner Obdachlosen hierher – oft suchtkrank oder psychisch beeinträchtigt, oft ausgelöst durch Lebenskrisen und nicht immer in der Lage, zurück in eine bürgerliche Existenz zu gehen, es hieß oder heißt oft: Sie sind durch das Raster gefallen –, kommen heute Menschen, die zwar eine bürgerliche Existenz haben, aber ohne Wohnung sind. Und diese Menschen wollen nur eines: unbedingt die Wohnung behalten oder wieder eine bekommen, um ihre bürgerliche Existenz, ihre Würde, ihre Lebensweise, ihr Umfeld nicht zu verlieren und es zu sichern.

(Präsident Ralf Wieland)

Das sind z. B. die Rentnerin, die nach jahrelanger Arbeit mit ihrer kleinen Rente die alte Wohnung, in der sie immer gewohnt hatte, nicht mehr bezahlen konnte, oder da ist die alleinerziehende Mutter, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen kann und sich eines Tages nicht mehr traut, die Briefe zu öffnen vor lauter Angst, dass eines Tages der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht und räumt. Oder da ist ein junger Mann, dem eines Tages eine Eigenbedarfskündigung ins Haus fliegt. Aus seinem Viertel, von seinen Freunden will er aber nicht weg. Also, schläft er erst mal auf einer Couch bei einer Freundin, bei einem Freund. Es wird sich schon etwas finden, denkt er sich, und eines Tages ist auch die Couch bei Freunden verloren.

Solche Menschen sind nicht durch irgendein Raster gefallen, sondern sie sind oft aus ihrer Wohnung geflogen, weil sie die Miete nicht bezahlen konnten und keine neue bezahlbare Wohnung mehr gefunden haben. Das trifft nicht immer nur den obdachlosen Mann, sondern auch immer mehr Frauen und auch Familien mit Kindern. Kein Mensch gehört auf die Straße und schon gar nicht Familien oder Kinder.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Die Gefahr von Wohnungslosigkeit ist leider in der Mitte der Gesellschaft in Berlin angekommen, gewissermaßen von den gesellschaftlichen Rändern zurück ins Zentrum, und das ist beängstigend, ja katastrophal. Deswegen, auch weil Berlin wächst, müssen wir hier genau gegensteuern. Viele Menschen aus Osteuropa kommen auch seit der EU-Freizügigkeit zu uns nach Berlin, und oft können sie auch nicht mehr zurück. Warum, fragt man sich. Am häufigsten ist es so, dass diese Menschen hier ihren Job verloren haben oder wie bei der Mall of Berlin um ihren Lohn geprellt wurden und anschließend hier strandeten. Es gibt auch Suchtkranke oder Menschen in sozial schwierigen Lagen, die vor zu harten Repressionen in ihren Herkunftsländern fliehen oder einfach vor dem kalten Winter Schutz bei uns suchen.

Wir haben eine gute soziale Infrastruktur und eine gerade mit dem laufenden Doppelhaushalt ausgebaute Wohnungslosenhilfe, aber bei dem Wachstumstempo der Stadt müssen auch wir hier auf das Tempo drücken, um den Bedarf zu decken. Gut sichtbar wird das in der Kältehilfe. Noch nie war die Kältehilfe so groß aufgestellt wie in diesem Jahr, und noch nie hat sie so früh begonnen wie in diesem Jahr. Schon im Oktober ist sie mit

407 Notübernachtungsplätzen für Obdachlose ans Netz gegangen. Seit November gibt es 826 Schlafplätze. Im Dezember wird das noch mal deutlich aufgestockt. Die Busse der Stadtmission und vom Roten Kreuz fahren Hilfebedürftige zu den Einrichtungen, und die Kältehilfe endet das erste Mal erst am 30. April. Ich bin ganz froh, dass meiner Initiative, es bis April zu verlängern und

schon im Oktober zu beginnen, nachgegangen wurde. Perspektivisch glaube ich, dass wir auch die Ganzjahresangebote deutlich ausbauen werden müssen.

Hinzu kommt, dass es auch spezielle interkulturelle und mehrsprachige Angebote gibt, und für die, die aus den Nachbarstaaten kommen, brauchen wir noch mehr Unterstützung der Herkunftsländer. Bisher gibt es nur Unterstützung aus Polen mit dem Projekt „Barka“. Es wäre schön, wenn auf der europäischen Ebene noch stärker miteinander gearbeitet werden könnte und die zuständigen Heimatländer ihre Staatsangehörigen hier in Berlin unterstützen könnten.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN]

Der Applaus setzt auch Zeichen. – Dazu gehört auch, dass wir, sicherlich auf freiwilliger Basis, ein Ticket für die Heimreise anbieten, aber hier darf auf jeden Fall kein Zwang geboten sein.

Wir haben in Berlin die Situation, dass die Kombination aus knappem bezahlbaren Wohnraum, einem Mietrecht, das aus meiner Sicht zu wenig sozial ist und noch sozialer gestaltet werden müsste, und Armutssituationen dazu führt, dass immer mehr Menschen Angst vor Wohnungslosigkeit haben, aber auch in die getrieben werden. Deswegen ist Prävention so wichtig. Deswegen müssen wir in einer Stadt wie Berlin, wo 85 Prozent der Menschen zur Miete wohnen, sehr deutlich sehr viel stärker auf Prävention achten, und das ist auch ein erklärtes Ziel dieser Koalition.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wenn der Mietmarkt weiterhin nur nach dem knallharten Prinzip von Angebot und Nachfrage funktioniert, dann trifft es eben oft die schwächeren Berliner und Berlinerinnen bis ins Mark. Wenn die Immobiliengesellschaften spekulieren und Wohnungen leerstehen lassen, dann fehlen diese an anderer Stelle für Menschen, die auf sie angewiesen sind.

[Burkard Dregger (CDU): Sie müssen mehr bauen!]

Wenn Mietern nach zwei Monaten Mietrückstand gekündigt werden darf – ich finde das absolut unsozial, muss ich an der Stelle mal sagen –, findet der Betroffene eben nicht so schnell eine Wohnung. Welcher Vermieter nimmt schon einen Mietsäumer, wenn er 50 andere Bewerber und Bewerberinnen hat? Wenn einem Hartz-IVBezieher wegen versäumter Termine die Wohnkosten sanktioniert werden und ihm daraufhin gekündigt wird, dann hat Hartz IV nicht zu einer Verbesserung seiner Lebenslage geführt, sondern zu einer knallharten Verschlechterung.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und ja – wenn zu wenige bezahlbare Wohnungen gebaut werden, dann werden eben die Probleme auch virulenter. Deswegen sind der beste Schutz vor Wohnungslosigkeit ein starkes soziales Mietrecht, für das wir uns einsetzen, und die Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum.

[Burkard Dregger (CDU): Wohnungsbau, nicht nur reden!]

Auch das ist erklärtes Ziel dieser Koalition, und wir handeln dort.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Frau Kollegin, ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gläser von der AfD-Fraktion zulassen?

Aktuell nicht, vielen Dank! – Dazu bedarf es aus meiner Sicht eben auch Änderungen auf Bundesebene und entschlossenen Handelns auf Landesebene. Deswegen müssen insbesondere die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Wohnen sowie für Soziales, aber auch die Bezirke Hand in Hand gehen bei der Unterbringung von wohnungslosen Menschen und eben auch bei der Prävention.

Deshalb geht diese Koalition auch mit einer ganzheitlichen Strategie daran. Wir haben den Bund aufgefordert, das Mietrecht sozialer zu gestalten. Wir fordern ein Ende von Share-Deals, und wir werden voraussichtlich eine Bundesratsinitiative zum Stopp von Sanktionen bei den Wohnkosten starten.

Berlins Regierender Bürgermeister hat mit dem solidarischen Grundeinkommen einen guten Vorschlag zur Zukunft des Sozialstaats gemacht. Wir haben den Milieuschutz ausgeweitet, die Kappungsgrenzen verschärft, dem Zweckentfremdungsverbotsgesetz Zähne gegeben, und die Zahl der städtischen Wohnungen erhöht sich täglich.

[Burkard Dregger (CDU): Mehr bauen!]

Zudem haben wir das kooperative Baulandmodell auch verschärft. Nur – was bringen die besten Beschlüsse,

[Maik Penn (CDU): Wenn nicht gebaut wird! – Zuruf von Sibylle Meister (FDP)]

wenn die Bezirke dies zum Teil nicht umsetzen können. Deswegen ist es auch wichtig, die Bezirke hier zu stärken, und auch da handelt diese Koalition.

Leider gibt es in Berlin bisher keine einheitlichen Standards für alle Bezirke zu Qualität und Anzahl der Unterkünfte, Tagesstätten und Beratungen. Jeder Bezirk macht es doch irgendwie auf seine Art, und das macht es eben

oft für den Senat nicht einfach. Gibt es in Reinickendorf zum Beispiel keine Tagesstätte mehr, verfährt man nach dem Motto „Na, dann gehen Sie woanders hin!“, oder bringt Steglitz-Zehlendorf nicht genügend Menschen unter, dann haben die anderen Bezirke entsprechend mehr Verantwortung zu wuppen.

Viele Wohnungslose wohnen eben quer über die Bezirke und über die Stadt verteilt, und die Unterbringung nach ASOG ohne sozialarbeiterische Unterstützung kann auf Dauer den Betroffenen nicht helfen, und es ist auch sozialpolitisch nicht haltbar.

Erinnern wir uns doch noch mal an die Situation letztes Jahr, die dazu geführt hat, dass es endlich eine gesamtstädtische Perspektive gibt. Es war unser Innensenator Geisel, der entschlossen handelte, der klarmachte, dass Hilfe und Ordnung sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern nur miteinander gehen. Er gründete die Taskforce Obdachlosigkeit, die sich des Problems gesamtstädtisch annahm.

Nun werden wir hier mit der Strategiekonferenz, die schon zwei erfolgreiche Treffen hatte, und mit den Leitlinien zur Wohnungslosenpolitik draufsatteln und auch ein gutes Angebot machen, um Menschen aus der Obdachlosigkeit herauszubringen.

Zum Schluss – ich gehe auf den FDP-Antrag hier nicht mehr ein, den werden wir aber sicherlich ausgiebig in den Ausschüssen behandeln – möchte ich noch eines sagen: Ja, Berlin braucht eine Gesamtstrategie, und Berlin handelt schon in dieser Richtung. Deswegen braucht es aus meiner Sicht auch nicht diesen FDP-Antrag. Denn zuallererst müssen wir eben die Prävention stärken und zuallererst auch weiterhin bauen. Bauen – das tun wir, und Berlin hat eine lange Geschichte, es hat viele Krisen bewältigt: die Luftbrücke, die Teilung, die harte Zeit des Sparens nach der Wiedervereinigung.

Frau Kollegin, ich darf Sie bitten, zum Ende zu kommen!

Ich bin beim letzten Satz. – Jetzt ist der ungebändigte Wohnungsmarkt zu bändigen, mit mehr, schnellerem und zielgerichtetem Bauen und bezahlbarem Wohnraum mit gesetzlichen Regelungen,

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

notfalls bis hin zur Beschlagnahme, wenn es der Allgemeinheit dient. Diese Koalition handelt, es ist eine gute Koalition für Berlin, wir drehen an den richtigen Stellschrauben, damit Berlin

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

sozialer, nachhaltiger, solidarischer und eben menschlicher wird – für alle Menschen in dieser Stadt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Penn das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot-Grün, eines muss ich Ihnen lassen: Sie sind schon verdammt mutig. In der vergangenen Plenarsitzung hatten wir in der Aktuellen Stunde das Thema „Erneuter Rückgang beim Wohnungsbau“. Und ich gebe offen zu, ich hatte für die heutige Plenarsitzung die Erwartungshaltung, dass Sie aus baupolitischen Gründen, aus sozialpolitischen Gründen eine Aktuelle Stunde anmelden zum Thema: Wie schaffen wir mehr Wohnraum?

[Beifall bei der CDU und der AfD – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Das wäre nicht die einzige, aber die beste Antwort auf Wohnungslosigkeit in dieser Stadt. Stattdessen melden Sie eine Aktuelle Stunde zu einem rein sozialpolitischen Thema an: „Wohnungslosenhilfe stärken!“. – Also gut. Reden wir über Wohnungslose, reden wir über Obdachlose, reden wir über Wohnungsbau, in diesem Kontext über Probleme und Problemlösungen, reden wir über die sozialen Herausforderungen in unserer Stadt.

Jahr für Jahr hat Berlin Zehntausende neue Bewohner zu verzeichnen. Der Wohnungsbau kommt jedoch nicht annähernd hinterher. Der Kollege Gräff hat in der vergangenen Plenarsitzung einige Vergleichszahlen genannt. Die Anzahl der Baugenehmigungen in Frankfurt am Main ist 2017 um 32,8 Prozent angestiegen,