Protocol of the Session on January 25, 2018

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich erst einmal eine Vorbemerkung machen. Man kann über die Frage des finalen Todesschusses juristisch dis

(Sven Kohlmeier)

kutieren. Es ist eine ziemlich heikle Frage, unter welchen Voraussetzungen die Polizei auf Menschen schießen und auch tödlich auf Menschen schießen darf. Aber dieser Antrag der AfD-Fraktion zeigt, dass eben nicht nur der Inhalt, sondern auch der Antragsteller für die Diskussion eine Rolle spielt. Für mich ist eines völlig klar: Eine Partei, aus der heraus der Schießbefehl an Grenzen gefordert wird,

[Georg Pazderski (AfD): Hören Sie mal!]

eine Partei, die die Grenzen mit Waffengewalt sichern will,

[Georg Pazderski (AfD): So was Einfältiges!]

die ist für mich keine Gesprächspartnerin in dieser Frage.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Peinlich ist das – Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist völlig irrsinnig, was Sie hier bringen!]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Woldeit von der AfD?

Nein! Das habe ich gerade deutlich gemacht, welche Gesprächspartner es für mich in dieser Frage gibt.

[Georg Pazderski (AfD): Sie wollen doch gar nicht diskutieren, weil Sie das nicht können!]

Ich diskutiere die Frage gern. Ich nehme zum Antrag Stellung.

Es gibt für mich vor allem zwei Gründe, warum wir eine solche Regelung nicht brauchen und nicht wollen. Erstens gab es in der Vergangenheit eigentlich keine Fälle, in denen die hier vorgeschlagene Änderung Auswirkungen gehabt hätte. Mir ist aus den letzten Jahren kein Fall aus Berlin bekannt, in dem eine Polizistin oder ein Polizist wegen eines tödlichen Schusses verurteilt worden ist. Ich frage mich deshalb wirklich, ob das Problem des gezielten Todesschusses eine praktische Relevanz hat oder eben nur eine theoretische.

Die denkbaren Fallkonstellationen kommen in der Praxis jedenfalls bislang nicht vor. Das führt mich zum zweiten Grund. Ich bin auch der Meinung, dass es keine Regelungslücke gibt. Das UZwG und die Rechtfertigungstatbestände des Strafgesetzbuches, Notwehr und Nothilfe oder der rechtfertigende Notstand, bieten genug Rechtssicherheit für die rechtmäßig handelnden Beamtinnen und Beamten. Wie gesagt, es ist schwer vorstellbar, in welcher Konstellation ein tödlicher Schuss durch die Polizei angemessen und notwendig sein soll, wenn er dann nicht unter die Kategorie der Notwehr oder des Notstands fällt.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Deshalb sehe ich auf der anderen Seite durchaus die Gefahr einer solchen Regelung, wenn wir sie in ein Berliner Gesetz schreiben, nämlich die Gefahr, dass sie sich in der Praxis als eine Senkung der Hemmschwelle bei dem Gebrauch von Schusswaffen auswirkt. Das können wir nun wirklich nicht gebrauchen.

[Georg Pazderski (AfD): Was unterstellen Sie den Polizeibeamten, dass sie verantwortungslos handeln?]

Deshalb lassen Sie uns lieber unser Gehirnschmalz darauf verwenden, wie wir erreichen können, dass Polizeibeamte erst gar nicht in Situationen kommen, in denen sie ihre Waffe verwenden müssen, dass diese Situationen erst gar nicht entstehen. Daran müssen wir viel setzen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Damit ist allen mehr geholfen als mit einer solchen Regelung, wie sie hier von dieser schießwütigen Partei gefordert wird. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Luthe das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schrader! Üblicherweise schätze ich Ihre Beiträge sehr, weil sie mit Fachkompetenz gespickt und durchdacht sind.

[Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Aber das, was Sie hier gerade gemacht haben, kann ich in vielen Punkten tatsächlich nicht nachvollziehen. Fangen wir an! Sie haben gesagt, Sie kennen keinen Fall, in dem ein Polizeibeamter wegen eines solchen Sachverhalts verurteilt worden ist. Wenn Sie mal den Computer aufmachen und nach dem 31. Dezember 2008 in Schönfließ googeln, werden Sie feststellen, dass ein Berliner Polizeibeamter genau wegen dieses Sachverhalts und wegen der fehlenden rechtlichen Grundlage verurteilt worden ist,

[Benedikt Lux (GRÜNE): Nein! Das wäre auch mit der neuen Grundlage so gewesen!]

daraufhin aus dem Dienst entfernt wurde und sich mit Suizidgedanken getragen hat. In vielen anderen Fällen – wir haben die gesamte Taserdiskussion in diesem Zusammenhang bereits geführt – werden die Berliner Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten im Moment ebenfalls allein gelassen von diesem Senat und auch von uns als Gesetzgeber.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

(Niklas Schrader)

Die §§ 32 und 34 StGB, Herr Kollege Dregger, sind allenfalls eine Hilfskrücke. Gerade wenn ich mir anschaue, dass Ihre Partei in den letzten fünf Jahren Verantwortung für die Polizeibeamten übernommen hat, dann wäre es an Ihnen gewesen, eine solche Regelung zu schaffen. Das haben Sie aber ebenfalls nicht getan.

Und was die Gesamtverantwortung an dieser Stelle angeht, ist es im Moment so, dass Sie den einzelnen Polizeibeamten allein lassen, dass es heißt: Komm, mach doch mal! –, genau wie Herr Staatssekretär Akmann stolz von zwei Tasereinsätzen berichtet hat, die ebenfalls ohne rechtliche Grundlage erfolgt sind und deshalb – meines Erachtens nach wie vor – strafbar sein dürften.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Unfug!]

§ 34 StGB als Regelnorm zu benutzen – Herr Kollege Lux, das sollten auch Sie wissen –, ist ungeeignet.

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Wir brauchen eine gesetzliche Grundlage, und die fehlt.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlüsselburg?

Vielen Dank, Herr Kollege Luthe! – Ich möchte noch mal kurz auf das von Ihnen genannte Beispiel in Schönfließ eingehen. Ist Ihnen bekannt, dass es sich bei diesem Vorgang um einen sogenannten Exzess gehandelt hat und dass aus diesem Grunde eine Verurteilung stattgefunden hat, gerade weil es ein Exzess war?

Ist Ihnen bekannt, dass das Wiederaufnahmeverfahren anhängig ist? – Ich denke, nicht. Ist Ihnen weiterhin bekannt, dass der Justiziar der Berliner Polizei dem Polizeibeamten seinerzeit erklärt hat, es sei alles in Ordnung, er müsse sich keine Gedanken machen, denn § 34 StGB sei die rechtliche Grundlage, weil er im Irrtum – nämlich in dem Irrtum, dass der Täter zurücksetzt und noch einmal seinen Kollegen überfährt – geschossen hat? Diesen Sachverhalt sollten wir noch mal in aller Ruhe beleuchten, denn er ist hochinteressant. Er zeigt aber eines: Wir brauchen eine klare gesetzliche Grundlage und eben nicht die Frage: Notwehrexzess – ja oder nein?

[Beifall bei der FDP und der AfD – Benedikt Lux (GRÜNE): Das ist doch eine Tatsachenfrage, keine Rechtsfrage!]

Lieber Kollege Lux! Möchten Sie eine Zwischenfrage stellen?

[Benedikt Lux (GRÜNE): Nein! – Gunnar Lindemann (AfD): Dann Ruhe!]

Okay! Vielen Dank! – Es sollte – und da bin ich wiederum bei Ihnen, Herr Schrader – die absolute Ausnahmesituation sein, dass ein Polizeibeamter in Berlin tödlich schießen muss. Gleichzeitig können wir aber feststellen, dass sich die Situation in den letzten Jahren an vielen Stellen verändert hat, dass sich die Bedrohungslage in dieser Stadt verändert hat, dass sich die Gewalttätigkeit auch gerade im Bereich der organisierten Kriminalität in dieser Stadt verändert hat und dass es deshalb durchaus solche Fälle geben kann. Insofern müssen wir im Innenausschuss in der Tat darüber diskutieren, ob wir das grundsätzlich wollen und was die rechtliche Grundlage sein kann, wenn wir sagen, dass wir es wollen.

Abschließend eine Bemerkung! Da Sie, Kollege Schrader – und da komme ich noch mal auf die historischen Tatsachen von Frau Kittler – gerade so ausführlich über Schießbefehle gesprochen haben, muss ich sagen, dass ich das ich das von einem Vertreter Ihrer Partei, deren Vorläuferorganisation 1 613 Mauertote zu verantworten hat, nicht erwartet hätte. Dafür sollten Sie sich schämen! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Bravo! von der AfD und der FDP – Frank-Christian Hansel (AfD): Da sollte die SPD mitklatschen, aber ihr seid ja sowieso mit in der Suppe! – Zurufe von Sebastian Schlüsselburg (LINKE) und Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Für die Grünen hat jetzt der Kollege Lux das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein berechtigtes Anliegen, über mehr Sicherheit für die Berlinerinnen und Berliner zu reden und auch über mehr Rechtssicherheit für unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Es geht hier um die Kernfrage, wann der Staat erlauben darf, Menschenleben zu nehmen. Das ist natürlich immer wieder ein wichtiger Anlass zu diskutieren. Ich hätte mir auch gewünscht, dass dieser Umstand, hier nimmt man gezielt ein Menschenleben, in Ihrem Antrag zumindest erwähnt worden wäre, zumindest in der Gesetzesbegründung, hier die Grund- und Bürgerrechte der Menschen in diesem Land ernst zu nehmen und erst dann die staatliche Operation, die staatliche Polizei zu normieren.

(Marcel Luthe)

Wer sich das Berliner Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges anschaut, Herr Kollege Schrader – hier habe ich eine andere Auffassung als Sie –,

[Gunnar Lindemann (AfD): Hört, hört!]

der wird sehen, dass die Eingriffsschwellen für den Schusswaffengebrauch äußerst gering und überaus veraltet sind. Sie finden in § 12 die Möglichkeit des Schusswaffengebrauchs zum Anhalten flüchtender Verdächtiger einer Straftat, während der Polizeibeamte unter den subjektiven Tatbestand subsumieren muss: Ist das ein Verbrechen oder nicht? – Höchst veraltet!