Protocol of the Session on November 30, 2017

lfd. Nr. 20:

Medizin ist online – Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/0627

In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP. Für die FDP hat der Herr Abgeordnete Kluckert das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Debatten über Digitalisierung im Gesundheitswesen sind bekanntermaßen nicht gerade die spannendsten in einem Parlament – und schon gar nicht um diese Uhrzeit. Ich hätte mir vorstellen können, wenn einige hier die Begriffe „telemedizinische Verfahren“, „elektronische Patientenakte“ oder „digitale Krankenkassenkarte“ hören, gehen sie lieber Kaffee trinken. Deshalb bin ich Ihnen dankbar, dass Sie hier so lange ausharren.

[Beifall bei der FDP]

Wir Liberale wollen diese Debatte dennoch führen, weil uns die Gesundheit der Berlinerinnen und Berliner am Herzen liegt. Wir glauben, dass Berlin bei Weitem nicht das Potenzial ausschöpft, das die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu bieten hat. Die Digitalisierung bestimmt heute bereits unser Leben. Wer von uns hätte vor zehn Jahren gedacht, dass das Smartphone eine so breite gesellschaftliche Akzeptanz findet, wie es heute der Fall ist. Das Handy wurde im Laufe der Jahre immer mehr zu einem Computer und zu einem Allzweckinstrument für unsere Lebensgestaltung. Wir können damit Autos im Stadtgebiet finden und sofort mieten, Bahnfahrkarten und Flugtickets kaufen, Banküberweisungen tätigen, shoppen gehen und auch Informationen zeitnah überall aus der Welt in Echtzeit abrufen. Und übrigens, meine Damen und Herren von der AfD, wo wir bei dem Thema unnütze Anträge gewesen sind: Man kann auch mit dem Handy in 30 Sekunden feststellen, wo öffentlich zugängliche Defibrillatoren hängen. Sie könnten das einmal ausprobieren, einfach mal bei Google eingeben.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der AfD]

Umso verwunderlicher ist es, dass die digitale Welt die Medizinwelt bisher kaum erreicht hat, und das, obwohl die Gesundheit unser wichtigstes Gut ist. Ich könnte Ihnen hier etliche Beispiele nennen, wo die Digitalisierung im Berliner Gesundheitswesen gar nicht oder zu wenig genutzt wird, zum Beispiel beim Austausch von Röntgenbildern zwischen Krankenhäusern und ambulanten Ärzten. Man glaubt es kaum, aber ich habe die Erfahrung vor kurzem gemacht, als eine Freundin von mir sich am Sonntag den Fuß verstaucht hat, dieser erst im Krankenhaus geröntgt werden musste und sie am Montag damit zum Orthopäden gehen sollte. Der Orthopäde hatte aber die Röntgenbilder nicht und es war nicht möglich, diese zwischen dem Orthopäden und dem Krankenhaus digital auszutauschen, sodass sie erst einmal wieder zum Krankenhaus humpeln, die Röntgenbilder abholen, zum Orthopäden zurückhumpeln musste, um sich dort behandeln zu lassen. Das ist nicht patientenfreundlich, das ist Steinzeitmedizin.

[Beifall bei der FDP]

Apps, die die Blutgruppe, Vorerkrankungen oder aktuelle Medikamenteneinnahmen speichern und noch vor dem Eintreffen im Krankenhaus diese Daten übermitteln könnten, scheitern daran, dass es keine Lesegeräte gibt, die darauf zugreifen können. In Österreich übrigens kann man seine digitale Patientenakte heute schon mit dem Handy einsehen, in Deutschland plant das Bundesgesundheitsministerium, die digitale Patientenakte 2019 einzuführen. Da sehen Sie, wie sehr wir zurückhängen.

[Beifall bei der FDP – Holger Krestel (FDP): Österreich vorne!]

Sicherlich, man könnte sich bei dem Thema entspannt zurücklehnen und das alles auf den Bund abwälzen und sagen, es handele sich um eine bundespolitische Aufgabe. Jedoch, das Geheimnis voranzukommen und anzufangen, ist, einfach loszulegen. Wer den Anfang nicht wagt, wird irgendwann von der Vergangenheit eingeholt werden. Jetzt ist es Zeit, in Berlin anzufangen. Wir sind nämlich schon weit der Zeit hinterher.

[Beifall bei der FDP]

Berlin ist in fast allen Bereichen das Schlusslicht der Nation. Egal, ob im Bildungssystem, beim Wohnungsbau, beim Pro-Kopf-Einkommen und dem traurigsten Beispiel, dem Flughafenbau. Was wir als Opposition Ihnen hier anbieten, ist die einmalige Chance, dass Berlin wenigstens in einem Bereich einmal eine Vorreiterrolle einnimmt.

[Beifall bei der FDP]

Wir haben in Berlin mit großen Forschungseinrichtungen und den Start-up-Unternehmen und etwas politischem Willen die Möglichkeit, die Stadt zum Vorreiter in der digitalen Gesundheit zu machen. Eines ist uns Liberalen bei diesem Thema ganz wichtig – deshalb will ich es hier auch noch einmal erwähnen –: Bei all den Chancen, die die Digitalisierung im Gesundheitswesen bietet, dürfen

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

der Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte natürlich niemals vergessen werden.

[Beifall bei der FDP]

Frau Kolat! Sie sehen, wir haben mit uns die Chance, Berlin in die Zukunft zu führen. Ich glaube, mit dem Ausschuss zusammen – ich finde die Arbeit im Gesundheitsausschuss immer sehr positiv, weil wir dort frei von diesen Parteigrenzen immer an der Sache und zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger arbeiten – haben Sie eine tolle Gelegenheit, mit uns zu diskutieren und zu überlegen, wie wir die Digitalisierung im Land stärken können. Wir sind da an Ihrer Seite.

[Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Herr Abgeordnete Isenberg das Wort. – Bitte schön!

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Kluckert! Ihr Antrag ist falsch. Nicht die Medizin ist online. Online sind einige Beschäftigte, online sind einige Patientinnen und Patienten, und das Zentrum des Gesundheitswesens in Berlin ist nicht die Digitalisierung, sondern es sind immer noch die Menschen, die für Menschen da sind, die helfen, heilen, Patienten behandeln und sich um diese individuell kümmern und dann ggf. eine Technik nutzen, die auch sinnstiftend ist. Weil wir den Mensch in den Mittelpunkt stellen, tun wir alles, dieses zu stärken.

[Beifall von Raed Saleh (SPD)]

Sie sehen beispielsweise am Antrag für die Abschaffung der sachgrundlosen Beschäftigung eine Voraussetzung dafür, dass wir ein humanes Gesundheitswesen haben, in dem auch Digitalisierungsstrategien greifen können. Das ist ein Erfolg dieser Koalition.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Sie sehen den neuen Charité-Vertrag, der der Charité ganz wesentliche neue Gelder gibt, um Treiber bei neuen Entwicklungen sein zu können – ein weiterer Erfolg dieser Koalition, als Rahmen und Leitplanke einer zukünftigen Digitalisierungsstrategie.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Wir sehen bei den Investitionen in die Krankenhäuser, dass die Menschen, die dort arbeiten und unter Umständen Digitalisierung nutzen sollen, bessere Arbeitsbedingungen haben, weil wir zusätzlich zu dem substanziellen Aufbau, den der Senat bei den Haushaltsberatungen vorgelegt hat, in den parlamentarischen Beratungen im De

zember beschließen werden, dass wir noch einmal 20 Millionen Euro drauflegen, damit der Mensch im Mittelpunkt steht, damit es nicht länger durch die Dächer durchregnet, damit neue Krankenhäuser, beispielsweise der neue Kopfbau in Neukölln, die Digitalisierung überhaupt nutzen können.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Was bringt eine neue App, wenn ein Kurzschluss entsteht, weil ein Generator ausfällt? Was bringt eine neue App, wenn das Regenwasser die Patientenzimmer überflutet und diese nicht genutzt werden können? Diese Koalition schafft mit dem zukünftigen Haushalt die Grundlagen einer Digitalisierungsstrategie des Gesundheitswesens in Berlin.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich darf Ihnen, liebe Kollegen von der FDP, sagen, Sie sind nicht auf der Höhe der Zeit. Sie haben lange Zeit in Berlin nicht im Parlament mitgewirkt, insofern verstehe ich ja, dass Sie Falsches fordern. Sie sagen, der Senat werde aufgefordert, mit der aktiven Umsetzung der Telemedizin im Gesundheitswesen in Berlin zu beginnen. Sie scheinen nicht gesehen zu haben, was wir getan haben. Fakt ist, wir haben längst damit begonnen, während Sie außerhalb des Parlaments in der Opposition geruht haben und sich auf Bundesebene einer Gestaltungsverantwortung verweigern.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fresdorf?

Keine Zwischenfragen! – Mit der aktiven Umsetzung haben wir bereits begonnen. Wir haben ein Cluster Gesundheitswirtschaft, da gibt es eine Querschnittsdimension Telematik. Das ist eine Grundlage dessen, was wir auch für die neuen Anwendungen, die wir brauchen, erarbeiten. Das Land Berlin ist kontinuierlich aktiv, auch in den Beratungen mit den Krankenkassen auf Bundesebene, dass diese neuen Hilfe- und Gesundheits-Apps einen Nutzen für den Verbraucher haben, dass nicht jeder Müll bezahlt wird, dass aber auch die neuen Start-ups eine Chance bekommen, am GKV-Markt teilzunehmen, und dass unter Wahrung des Datenschutzes gerade von den Krankenkassen ein neues Handlungsfeld für einen seriösen Marktplatz im Gesundheitswesen aufgebaut wird. Der Mensch aber steht im Mittelpunkt, das ist unsere zentrale Botschaft. Ihren Antrag werden wir ablehnen und durch einen wesentlich ausdifferenzierten besseren Antrag ersetzen. – Herzlichen Dank!

(Florian Kluckert)

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Die Fraktion der FDP hat eine Kurzintervention angemeldet. – Herr Abgeordneter Kluckert, Sie haben das Wort!

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Oh Gott! Wir wollten es doch im Ausschuss diskutieren!]

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Das kann man so nicht stehenlassen. Sie tun gerade so, also ob die FDP das Personal abschaffen möchte, nur weil sie die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreibt. Das ist völliger Quatsch.

[Beifall bei der FDP]

Wer hat denn die letzten 20 Jahre regiert und dafür gesorgt, dass wir so einen Personalnotstand in den Krankenhäusern haben? – Das waren Sie doch! Das waren doch nicht wir!

[Beifall bei der FDP – Paul Fresdorf (FDP): Genau! So ist es! – Holger Krestel (FDP): Bravo!]

Wir wollen damit das Personal natürlich nicht einsparen. Wir wollen das Personal entlasten. Wir wollen eine Gesundheitspolitik machen, die schneller bei denjenigen ist, die krank sind. Was Sie hier sagen, ist fernab jeder Realität.

[Beifall bei der FDP]

Herr Isenberg! Sie haben die Chance zu erwidern, bitte schön!

Herr Kluckert! Wie gesagt, Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass der Senat schon begonnen hat, die Digitalisierung voranzubringen. Schauen Sie auf das Unfallkrankenhaus Berlin, was es dort für tolle Telematik-Anwendungen beispielsweise im Bereich der Schlaganfallversorgung gibt! Gucken Sie, was es an der Charité schon an guten Programmen im Bereich der Kardiologie gibt! Schauen Sie sich die Vivantes-Einrichtungen an! Sie sagen, der Senat solle beginnen. Wir haben schon längst begonnen, während Sie noch nicht einmal im Parlament gewesen sind. Lernen Sie erst einmal, wo der Status quo ist,

[Lachen von Holger Krestel (FDP)]

und lassen uns dann gemeinsame Anträge formulieren! – Herzlichen Dank!