Protocol of the Session on July 6, 2017

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Aber Ihr Antrag – vor allem in seinen langen Begründungen – zielt ja auf das Thema Kultur, und er zielt auf das Thema Leitkultur. Gut, reden wir darüber! Sie wollen in den Erziehungszielen verankern, dass man in Schule lernt, die eigene Kultur als Grundlage der eigenen Identität zu wahren – insbesondere natürlich die des deutschen Volkes – und gegen andere Einflüsse zu schützen. Sie stellen sich Kultur offenbar wie ein Stück Land vor, das man abzäunen kann, auf das man sich stellen kann und wo man dann jeden, der an den Zaun kommt, anschreien kann: Meins, nicht deins! – Und das in einer Schule, wo die kulturelle Vielfalt immer größer wird! Wie soll das funktionieren? Jeder pflegt sein Stück Land und wehe, es überschreitet jemand die Grenzen? Da steht dann:

(Regina Kittler)

Achtung, Identitätsverletzung! – Das ist ein Apartheidsystem, das Sie für die Schulen vorschreiben wollen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Jetzt mal ernsthaft: Kultur ist etwas Wichtiges, und Kultur ist etwas Lebendiges. Das ist nämlich die Art und Weise, wie wir uns in dieser Welt bewegen und wie wir sie uns aneignen, und das hat sehr viel mit unserer Umwelt zu tun und ändert sich nun mal fortlaufend. Das lässt sich nicht festschreiben, so sehr Sie sich das wünschen. Es ist auch nicht so, dass man das einfach von seinen Vorfahren erbt wie das berühmte Stück Land.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Doch!]

Identität entsteht dadurch, dass man von Sachen geprägt wird und sich dann entscheidet, ob man sie in seinem Leben übernimmt oder ob man sie ablehnt, und Schule ist genau dazu da, solche Prozesse zu ermöglichen.

Das gelingt nicht immer, und es gibt Veränderungen in der Welt, die den Leuten Angst machen. Deswegen ist vor ein paar Jahren diese Debatte über Leitkultur aufgekommen. Reden wir gern auch darüber! Sie schreiben ja, dass es Ihnen eigentlich darum geht. Ich habe in all den Jahren, in denen diese Debatte nun geführt wird, noch keine einzige überzeugende Beschreibung einer Leitkultur gehört. Das Einzige, worauf sich alle Beteiligten in den Debatten immer haben einigen können, sind Sprache und Grundgesetz, und um das zu vermitteln, braucht es ja wohl kaum eine Novelle des Schulgesetzes.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Buchholz von der AfD-Fraktion?

Nein, danke! – Natürlich besteht Kultur noch aus mehr Elementen als Sprache und Grundgesetz, aber was genau soll das sein, was uns alle ausmacht, die wir hier zusammen leben müssen, und was wir alle wissen? Sie schreiben: Kultur ist eng verbunden mit der Kenntnis von Geschichte und tieferer Vergangenheit. – Die deutsche Geschichte ist für alle Zeit die Geschichte des großen Kulturbruchs, der das Selbstverständnis zumindest der Nachkriegsgeneration und von uns hier geprägt hat, nämlich des Holocaust. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben versucht, eine Grundlage zu schaffen, die unsere politische Kultur definiert und einen Werterahmen abbildet, der Lehren aus dem Holocaust zieht. Kernelemente dieses Grundgesetzes sind das Grundrecht auf Asyl und die Menschenwürde, die für jeden Menschen und nicht nur für jeden Deutschen gilt.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Das bestreitet kein Mensch!]

Das Asylrecht können per definitionem überhaupt nur Menschen beanspruchen, die hier noch keinen Aufenthaltsstatus haben, sondern Schutzsuchende sind –

[Frank-Christian Hansel (AfD): Und die nicht über Drittstaaten kommen!]

und nicht etwa „illegale Migranten“ – ich zitiere weiter –, deren „Fremdinteressen“ der deutsche Staat nicht wahrnehmen dürfe. Sie haben von der politischen Kultur dieses Landes einfach nichts verstanden, denn deutsche Regierungen sind verpflichtet, die Interessen des deutschen Volkes zu wahren. Asylrecht und Minderheitenrechte sind im Interesse der deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger,

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

weil sie nämlich einen Wertekonsens abbilden und die Humanität dieser Gesellschaft bewahren – als eine bewusste Lehre aus dem, was das deutsche Volk in seiner Geschichte, im Dritten Reich, verbrochen hat. Deshalb ist die deutsche Regierung auch verpflichtet, Asylrecht und Menschenwürde zu wahren, nicht als „Fremdinteresse“, sondern als unser ureigenes Interesse.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Aber nicht die offenen Grenzen!]

Wenn es übrigens etwas gibt, was mich persönlich stolz sein lässt auf mein Land, dann ist es die Tatsache, dass wir in der Lage waren, Lehren aus diesem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte zu ziehen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Da sich dieser Antrag nicht im Mindesten für die Schule und für das Schulgesetz interessiert und Ihre Bildungspolitiker daran auch offensichtlich nicht beteiligt waren, lohnt es sich auch nicht, ihn noch woanders zu diskutieren. Wir lehnen ihn gern sofort ab.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Canan Bayram (GRÜNE): Ja, sofort! Ist das ein Antrag, oder kann das weg?]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Antrag auf Sofortabstimmung liegt mir auch nicht vor.

(Bettina Jarasch)

[Canan Bayram (GRÜNE): Schade eigentlich! – Weitere Zurufe]

Doch? War das jetzt der Antrag auf sofortige Abstimmung?

[Torsten Schneider (SPD): Wir beantragen das! – Canan Bayram (GRÜNE): Ja, machen wir! – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Dann bitte ich jetzt ein Stück weit um Aufmerksamkeit, weil zunächst die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und mitberatend an den Ausschuss für Integration, Arbeit und Soziales empfohlen wurde. Ich lasse jetzt darüber abstimmen, und bei einer Ablehnung können wir sofort über den Antrag abstimmen. – Wer also der Überweisung zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die AfD-Fraktion. Wer lehnt die Überweisung ab? – Das sind alle anderen Fraktionen.

Damit komme ich zur Sofortabstimmung über den Antrag. Wer dem Antrag der AfD-Fraktion – Drucksache 18/0415 – zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete. Wer lehnt diesen Antrag ab? – Das sind alle anderen Fraktionen. Damit ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Fraktion der FDP

Tagesordnungspunkt 41

Funktionierende Stadt: Standesamtsbetrieb sofort stabilisieren

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/0431

In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP. – Frau Abgeordnete Dr. Jasper-Winter! Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Berlin ist eine attraktive, tolle, wachsende Stadt, aber leider in einigen Kernaufgaben keine funktionierende Stadt. Wenn ich die Bilder der letzten Monate aus meinem Heimatbezirk Mitte sehe, wo Menschen morgens um 4 Uhr Schlange vor dem Standesamt stehen, um einen Termin zu bekommen – oder auch nicht zu bekommen –, muss ich feststellen: Hier funktioniert grundlegend etwas nicht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es sind Mütter mit Neugeborenen dort auf den Gängen gewesen, um eine Geburtsurkunde für ihr Kind zu be

kommen, eine Urkunde, mit der man überhaupt erst sein Kind krankenversichern oder wichtige Gelder wie Elterngeld und Kindergeld beantragen kann. Ein Freund von mir, der Vater geworden ist, sagte mir gestern noch, im Virchow-Klinikum würde den Eltern erzählt, eine Geburtsurkunde für ihr Kind bekämen sie erst nach mindestens zwölf Wochen. Das bei einer Leistung, die essentiell eine Staatsaufgabe ist!

In Pankow wartet beispielsweise ein Witwe sechs Wochen auf die Sterbeurkunde ihres Mannes. Erst dann kann sie wichtige Verträge kündigen oder die Versicherung für die Bestattungskosten in Anspruch nehmen. Paare wollen hier in Berlin heiraten – und das ist wunderbar –, aber sie bekommen keinen Termin. Ich finde, dass das ein Zustand ist, der für uns in Berlin als Hauptstadt unwürdig ist und der für viele Bürgerinnen und Bürger finanziell existenziell ist. Das können wir so auf Dauer nicht akzeptieren.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Hildegard Bentele (CDU) und Anne Helm (LINKE)]

Nicht nur das Standesamt Mitte und das Standesamt Pankow sind überlastet, sondern auch die anderen Ämter arbeiten an der Belastungsgrenze oder darüber hinaus. Der Senat hat jetzt bei den Bürgerämtern scheinbar die Situation einigermaßen in den Griff bekommen, aber überhaupt nicht vorausschauend gearbeitet und die Standesämter vernachlässigt. Typisch Berliner Politik! Man hangelt sich von einer Baustelle zur nächsten und hat nicht den Blick für das Ganze.

Deshalb ist auch klar: Eine aktuelle Umfrage in Berlin hat herausgefunden, dass neun von zehn Berlinerinnen und Berlinern den Service der Ämter als Zumutung empfinden. Ich empfinde es als Zumutung, dass sich bei den Standesämtern trotz erheblicher öffentlicher Diskussionen in den letzten Monaten fast nichts verbessert hat. Meine Geduld in Mitte, die Geduld der Freien Demokraten mit dem Senat sind erschöpft. Wir verlangen, dass sofort etwas passiert.

[Beifall bei der FDP]

Deshalb schlagen wir Ihnen auch die aufgeführten Sofortmaßnahmen vor, vor allem mehr Personal. Wir tun das auch aus folgendem Grund: Ich habe mich riesig gefreut, dass der Bundestag am letzten Freitag beschlossen hat, nun die Ehe für alle gelten zu lassen. Das ist ein Grund zum Feiern nach langem Warten der Betroffenen. Lassen Sie uns jetzt die Berliner Standesämter fit dafür machen, dass diese Paare, die nun endlich heiraten können, hierauf nicht auch noch endlos warten müssen. Lassen Sie uns die Standesämter schnell fitmachen!

[Beifall bei der FDP]

Eine weitere Maßnahme, die eigentlich in Berlin, angekommen im Zeitalter der Digitalisierung, selbstverständlich werden sollte, ist, dass man sich online einen Termin

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)