Im Maneo-Report 2016, der uns am Mittwoch übergeben wurde – ich war auch dabei –, wurden erneut Fälle von Diskriminierungserfahrungen, Pöbeleien und Gewalt aufgeführt, die zeigen, dass trotz vielfacher gesellschaftlicher Verbesserungen von rechtlichen Rahmenbedingungen hier in Deutschland und auch hier in Berlin nicht alles zum Besten steht.
Die Koalition will, dass der Senat ein Konzept für ein queeres Jugendzentrum für Jugendliche erstellt. Gegen die Forderung, ein Konzept zu erstellen, ist an sich erst einmal überhaupt nichts einzuwenden. Und so einfach wollen wir es uns auch nicht machen, es erneut als typischen Ausfluss rot-rot-grüner Klientelpolitik in Bausch und Bogen vom Tisch zu wischen, denn wenn es richtig ist, dass die hier angesprochenen Jugendlichen staatliche Rückzugs- oder Schutzräume brauchen, ähnlich wie aufgrund häuslicher Gewalt auch Frauen Frauenhäuser als Schutzräume brauchen, kann man und muss man sich darüber selbstverständlich unterhalten.
Da es sich aber um öffentliche Mittel handelt, die am Ende der Steuerzahler und niemand anderes sonst, trägt, muss einem solchen Konzept allerdings eine valide
Bedarfsanalyse zugrunde liegen, die im Einzelnen abzuklären hat, ob ein Jugendzentrum heute in Zeiten von virtuellen Austauschmöglichkeiten, in Chatrooms und was es da alles gibt, den hier angenommenen Bedarf wirklich zielgerichtet abdeckt oder abdecken kann, was in einem Jugendzentrum selbst dann passieren, also welche Art von Freizeitgestaltung dort sinnvoll angeboten werden kann und soll.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Wenn Sie auch für die Akzeptanz von queeren Jugendlichen sind, will ich Sie gern fragen, warum Sie die ach-so-wichtige Arbeit an den Schulen zur Aufklärung, zur Unterstützung von Vielfalt, als Frühsexualisierung denunzieren und die kategorisch ablehnen.
Das erkläre ich Ihnen an anderer Stelle. Das hat aber mit dieser Geschichte hier nichts zu tun. – Es muss sich schon um eine extrem attraktive Einrichtung handeln, wenn sie in Konkurrenz zu so vielen anderen Möglichkeiten der freiwilligen Freizeitgestaltung besteht und eben nicht nur dazu dienen soll, die eine oder andere Sozialarbeiterstelle mehr zu schaffen, wo wir dann wieder bei der Klientelpolitik wären.
Aber so leicht wollten wir es uns auch nicht machen. Insofern stimmen wir dem Änderungsantrag der Kollegen der Freien Demokraten zu, der in etwa dem entspricht, was ich hier zum Ausdruck bringen will. So leicht wollen wir es aber auch Ihnen, liebe Kollegen der Koalition, nicht machen. Hier fehlt es auch an entsprechenden Hinweisen im Änderungsantrag der FDP. Ich finde es bemerkenswert, dass auch im Maneo-Report 2016 nicht verschwiegen wird, wenn auch nicht explizit als großes Problem gesondert benannt, dass es in Berlin faktisch zunehmend homophobe Übergriffe diverser Migrantengruppen gibt, die einerseits ohne die zu schnelle EU-Erweiterung Richtung Südosteuropa und zum Zweiten ohne die
Refugees-welcome-Politik nicht in diesem Umfang zu uns gekommen wären und hier – leugnen lässt sich das nicht mehr – einschlägig werden.
Darum schließe ich mit der hier wieder notwendigen Bemerkung: Eine effektive, präventive Politik zur Vermeidung von Gewalt gegen schwule, lesbische und queere Personen wird nur und nur dann wirklich gelingen und nachhaltig greifen, wenn den Aspekten importierter Homophobie ebenfalls vollumfänglich Rechnung getragen und die Frage offen und rückhaltlos diskutiert wird, was wir dagegen tun können.
Also ja, wo es hilfreich ist, machen wir mit, wenn es gegen Diskriminierung geht, die wir alle nicht wollen – gar keine Frage –, aber immer auch mit dem Blick genau dahin, wo diese Diskriminierungen auch, wenn auch nicht ausschließlich, herkommen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Herr Hansel! Importierte – ich sag jetzt mal – Homo- und Transfeindlichkeit, denn um -phobie kann es sich nicht handeln, es geht ja nicht um Angst wie vor Spinnen, sondern das Phänomen, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben, ist Feindlichkeit. Die wird im Übrigen auch durch Ihre Partei propagiert. Ich erinnere an den Beginn dieser Legislaturperiode und die Äußerungen eines Mitglieds Ihrer Partei, hier im Haus, der gesagt hat, Leute wie ich seien genetisch degeneriert. Die Auseinandersetzung hat so stattgefunden, dass er die Fraktion verlassen hat. Ihrer Partei gehört er nach wie vor an.
Ich weiß nicht, wie die Auseinandersetzung gelaufen ist mit den Abgeordneten Ihrer Partei im Landtag von Sachsen-Anhalt, die finden, dass Menschen wie ich eingesperrt gehören.
Nein! – Herr Simon! Sie wundern sich darüber, dass die Koalition den Koalitionsvertrag umsetzt. Das kann ich nach den Erfahrungen der letzten Legislaturperiode verstehen. Wir wollen das aber tun, und deshalb ist der Antrag, dieses Konzept für ein Jugendzentrum für Lesben, Schwule, bi-, trans- und intersexuelle Jugendliche und Jugendliche, die sich als queer verstehen, auf den Weg zu bringen, genau der richtige erste Schritt. Zur Begründung ist hier schon etwas gesagt worden. Ich will dem einen Moment hinzufügen. Wir wissen seit 1999 durch eine Studie des Berliner Senats, „Sie liebt sie, er liebt ihn“ ist der Titel, dass das Suizidrisiko unter Jugendlichen, die lesbisch, bisexuell, schwul, von der heterosexuellen Norm abweichend sind, vier bis sechs Mal so hoch ist wie bei anderen Jugendlichen. Und wenn Sie eine sinnliche Erfahrung haben wollen, was das konkret heißt, dann bitte ich Sie einfach: Googeln Sie die Worte „Felix, schwul, Abschiedsbrief“, und Sie werden den Abschiedsbrief eines Jugendlichen finden, der mit 17 den Freitod gewählt hat, weil er sich weder in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Schule noch sonst irgendwo aufgehoben gefühlt und keinerlei Unterstützung gefunden hat.
Aufgabe eines solchen Jugendzentrums ist es, den Jugendlichen ein positives Selbstbild zu vermitteln, und zwar von Jugendlichen selbst und nicht von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern. Das ist dieser Peer-to-PeerAnsatz. Ich denke, seit 1999 wissen wir das, 2017 ist es an der Zeit, sich endlich an die Umsetzung dieser Arbeit zu machen.
Und zur FDP sei mir eine kurze Bemerkung gestattet. Sie wollen eine Bestandsaufnahme. Stellen Sie eine Schriftliche Anfrage! – Zweitens: Sie wollen Schulpsychologen schaffen. Nun ja, Sie haben sicherlich mitbekommen: In Berlin gibt es seit 2009 die ISV. Die Arbeit an den Schulen ist da für uns wichtig, die Sensibilisierung. Da geht es übrigens nicht nur an Psychologen. Wenn Sie den Abschiedsbrief von Felix lesen, dann werden Sie merken: Sein Vater hat ihn nämlich zum Psychologen geschickt. Genau darum geht es gerade nicht, sondern es geht darum, ein Gefühl zu schaffen, dass die Leute angenommen sind. Deshalb brauchen wir das Jugendzentrum. Und Sie fordern weiterhin soziale Netzwerke, private Chats. Ich sage Ihnen: Sicher kann das ein erster Schritt sein. Aber nichts ist so wertvoll wie das persönliche Gespräch mit jemandem, dem ich in die Augen schauen kann, mit dem ich mich auch über Gesten verständigen kann und nicht
Vielen Dank auch für den fünften Punkt. Auch der wird uns beschäftigen, nämlich tatsächlich Intersektionalität – Herr Walter hat darauf hingewiesen – und auch verschiedene Kulturen in solche Arbeit einzubinden – aber ja! Die Arbeit am Konzept für dieses Jugendzentrum muss jetzt beginnen, und dafür steht diese Koalition. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen! Warum lieben wir Berlin? – Berlin verkörpert wie keine andere Stadt das Lebensgefühl der Freiheit, der Selbstbestimmung und der kulturellen Vielfalt. Berlin ist für viele Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft, ihrer Religion und ihrer sexuellen Identität Heimat und sicherer Hafen zugleich. Leider beweisen zahlreiche schreckliche Vorfälle im Alltagsleben in Berlin aber auch, dass unsere Stadt nicht frei von Diskriminierung und Ausgrenzung ist. Der gestrige internationale Tag gegen Trans- und Homophobie hat allen wieder vor Augen geführt, wie weit und wie steinig der Weg zu einer wirklichen Gleichberechtigung in dieser Stadt ist. Allein 291 Straftaten mit homophobem Hintergrund im vergangenen Jahr sind eine alarmierende Zahl. Schwul, lesbisch, hetero- oder bisexuell, inter- oder transsexuell, transgender – das dürfen keine Kategorien sein, das darf kein Stigma sein; das darf kein Ausgrenzungsgrund sein.
Formen gesellschaftlicher Ausgrenzung sind besonders schlimm für Jugendliche, die sich in der Frühphase ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität befinden. Orientierungslosigkeit, Hilflosigkeit, ein Gefühl des Alleinseins und massive Zweifel an sich selbst sind die Gründe, warum das Suizidrisiko von Lesben und Schwulen zwischen 12 und 25 Jahren vier bis sieben Mal höher ist als das von heterosexuellen Altersgenossen. Man erlebt Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt in der Familie, dem Bekanntenkreis, in der Schule, im Betrieb oder im Sportverein. Der Ansatz des Senats, die Belange junger Queers zu unterstützen, ist daher absolut begrüßenswert und ein wichtiger Schritt. – Ja, Sie dürfen ruhig applaudieren!
Nach Auffassung der Freien Demokraten ist ein zentrales Jugendzentrum aber der falsche Weg. Eine Beratungsstelle, wie es sich der Senat vorstellt, bedeutet nichts anderes als Stigmatisierung. Berlin verfügt bereits über eine Vielzahl an Hilfsangeboten im gesamten Stadtgebiet. Vielmehr müssen wir schauen, ob diese Angebote die jungen Menschen überhaupt erreichen und praktische Lebenshilfe vermitteln. Wir fordern als Fraktion der Freien Demokraten eine höhere Anzahl von Schulpsychologen und Schulpsychologinnen, die unabhängig vom Anliegen als Ansprechpartner für alle Jugendlichen fungieren. Hier haben wir eine unterschiedliche Auffassung, das wird aber in den Ausschüssen noch, denke ich, dann konstruktiv diskutiert werden können.
Anstatt über räumliche Anlaufstellen nachzudenken, sollten wir ein bisschen auch die Chance der Digitalisierung nutzen, sollten wir anonyme Onlineberatungsstellen stärken. Zugleich müssen wir weiter am gesellschaftlichen Klima in unserer Stadt arbeiten. Toleranz und Verständnis ist harte Überzeugungsarbeit. Hier sind alle Fraktionen in der Verantwortung, aktiv dieses Ansinnen zu stärken.
Und schließlich muss das Thema auch im interkulturellen Dialog angesprochen werden. Wir hatten das eben gerade angesprochen. Selbst der Berliner Lesben- und Schwulenverband weist noch immer auf die Abschottung großer Moscheevereine hin.
Wir lehnen daher den Antrag der Regierungskoalition ab und haben dazu einen entsprechenden Änderungsantrag eingebracht, für den ich hier um Unterstützung werbe. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass wir zu einer wirklichen Gleichberechtigung kommen und queere Jugendliche frei von Diskriminierung und frei und ohne Ausgrenzung jedes Jugendzentrum in dieser Stadt besuchen können, da die sexuelle Identität in der Zukunft keine Rolle mehr spielen soll. – Vielen Dank!
Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt liegen nicht vor. Der Überweisung des Antrags der Koalitionsfraktionen an den Rechtsausschuss haben Sie bereits eingangs zugestimmt. Nun wird die zusätzliche Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Zu dem Änderungsantrag der Fraktion der FDP wird die Überweisung federführend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung