Protocol of the Session on May 18, 2017

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/0330

hierzu:

Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/0330-1

Ich habe den Antrag der Koalitionsfraktionen vorab an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung überwiesen und darf ihre nachträgliche Zustimmung feststellen.

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Für die Fraktion hat der Abgeordnete Herr Walter das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Dank einer Studie des Deutschen Jugendinstituts in München liegen uns seit Ende des vergangenen Jahres zum ersten Mal genaue Erkenntnisse über die Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans-, inter- und queeren Jugendlichen vor. Alle, die wie ich gehofft hatten, dass queere Jugendliche heute mit mehr Akzeptanz und Respekt aufwachsen als vor zehn, 20 oder 30 Jahren, wurden bitter enttäuscht. Das Ergebnis ist erschreckend: Über 80 Prozent der lesbischen und schwulen Jugendlichen berichten von Ausgrenzung, von verbalen und körperlichen Angriffen. Bei transgeschlechtlichen Jugendlichen sind es sogar 96 Prozent. Diskriminierungserfahrungen gehören ganz offensichtlich zum Alltag und umfassen alle Lebensbereiche – die eigene Familie, die Schule, den Ausbildungsort, die Freizeit.

Ich finde diesen Zustand in höchstem Maße unerträglich, und wenn wir heute darüber sprechen, ein berlinweites, queeres Jugendzentrum auf den Weg zu bringen, dann ist auch dies ein Signal an alle queeren Jugendlichen in unserer Stadt: Wir dulden es nicht, wenn ihr auf dem Schulhof beleidigt, beim Sport ausgegrenzt oder in der Ausbildung schikaniert werdet. Wir stehen an eurer Seite und lassen euch nicht allein.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Denn Diskriminierung und Ausgrenzung haben unmittelbare Auswirkungen auf die psychosoziale Entwicklung der Jugendlichen. Das Suizidrisiko ist signifikant erhöht,

und wir wissen auch aus US-amerikanischen Studien, dass queere Jugendliche überproportional von Wohnungslosigkeit betroffen sind.

Es gibt in unserer Stadt einige Projekte, die sich in ganz besonderer Weise für queere Jugendliche einsetzen, die sie in ihrem Coming-Out unterstützen und sie beraten, die an Schulen gehen, Aufklärungsarbeit leisten und für Respekt werben. Dazu gehören Initiativen wie der LSVD, „KomBi“, „ABqueer“ und das Jugendnetzwerk Lambda. Sie setzen sich mit voller Energie und aus voller Überzeug für Akzeptanz ein, und dies zumeist mit eingeschränkten personellen Ressourcen und ehrenamtlich. Heute ist auch der richtige Zeitpunkt, ihnen von dieser Stelle aus und von Herzen für diese ach so wichtige Arbeit zu danken.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wenn wir heute ideell den ersten Baustein für ein queeres Jugendzentrum legen, dann geht etwas in Erfüllung, für das sich gerade viele dieser Aktivisten und Aktivistinnen und auch wir alle seit Jahren hartnäckig eingesetzt haben.

An das zu erstellende Konzept haben wir natürlich umfangreiche Wünsche und Erwartungen. Das erste queere Jugendzentrum für Berlin soll ein diskriminierungsfreier Rückzugs- und Schutzraum sein. Es soll LSBTTIQJugendliche empowern und in ihrem Coming-Out unterstützen, intersektional und inklusiv. Und es soll ein Ort für die Selbstorganisation von Jugendlichen sein, wo Jugendliche Jugendliche beraten und unterstützen – Peer to Peer.

Wir wissen aber, dass gerade in einer Zeit, wo von Rechtsaußen die grundlegenden Rechte von Lesben, Schwulen und Trans-Menschen wieder infrage gestellt werden,

[Ah! von der AfD]

es mehr als nur ein berlinweites Jugendzentrum braucht, um die geschätzten mehr als 30 000 queeren Jugendlichen in unserer Stadt zu erreichen. Es gilt daher, weiterhin die Schulaufklärung zu stärken und queere Belange in den bestehenden Regelangeboten der Jugendbildung, Jugendberatung und Jugendhilfe weiter zu verstetigen. Wir sind da ganz klar als Koalition. Schulen und Jugendeinrichtungen müssen zu Orten des Respektes und der Anerkennung werden. Davon profitieren am Ende nicht nur queere, sondern alle Berliner Jugendlichen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Florian Dörstelmann (SPD)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der CDU hat jetzt der Abgeordnete Herr Simon das Wort. – Bitte schön!

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

Herzlichen Dank! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag „Konzept für ein Jugendzentrum für LSBTTIQ*-Jugendliche auf den Weg bringen“ wurde vorab an den Rechtsausschuss überwiesen. Die Präsidentin hat es eben erwähnt. Richtigerweise wurde bei der gestrigen Debatte – der Rechtsausschuss hat gestern getagt – darauf hingewiesen, dass Sie aus den Koalitionsreihen wohl zu lange mit dem Formulieren dieses Antrages gewartet haben, wenn es für Sie so wichtig war, dass dieser Antrag am 17. Mai diskutiert wird, wobei – so stelle ich jedenfalls fest – Sie beim Formulieren nicht so richtig viel Kreativität haben walten lassen, denn auch dieser Antrag ist wie der Antrag zum Jugendfördergesetz, den wir im April hier im Plenum diskutiert hatten, im Prinzip nichts anderes als eine Wiedergabe von Teilen des Koalitionsvertrages. Nun ist es ja ganz interessant, wenn die Koalition einen Koalitionsvertrag schließt und dann hinterher den Senat regelmäßig anhand von Anträgen hier im Haus auffordert, sich an den Koalitionsvertrag zu halten und diesen umzusetzen, aber es ist, wie gesagt, nicht so furchtbar kreativ.

Wir als CDU-Fraktion freuen uns jedenfalls, dass die Fehler aus der rot-roten Regierungszeit von 2001 bis 2011 offenbar wirklich der Vergangenheit angehören, denn ich erinnere daran, dass damals in dieser Zeit in Berlin 160 Jugendfreizeiteinrichtungen geschlossen worden sind. Das geht so nicht. Wir hoffen, dass das vorbei ist, und wir hoffen, dass dieser Antrag dazu führt, dass wir am Ende dieser Wahlperiode mehr und nicht weniger Jugendfreizeiteinrichtungen in Berlin haben werden.

Inhaltlich sind wir nicht ganz sicher. Wir fanden, dass gestern im Rechtsausschuss der Kollege Luthe zum Teil sehr gute Argumente zu der Frage genannt hat, ob der vorgeschlagene Weg, ein Jugendzentrum für eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen auf den Weg zu bringen, der richtige ist. Wir meinen – und da schließen wir uns Ihrer Intention an –, dass es in Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen Treffpunkte für Jugendliche aus der Gruppe der von Ihnen als LSBTTIQ –Sternchen –Jugendliche bezeichneten Gruppe geben muss. Sie müssen aber auch normaler Teil der Besucher von Jugendfreizeiteinrichtungen in den Bezirken bleiben, weil wir nicht wollen, dass sie aus den Jugendfreizeiteinrichtungen verschwinden und sich zurückziehen.

[Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Richtig, ja! – Deshalb sind wir etwas skeptisch, ob der von Ihnen vorgeschlagene Weg der Königsweg sein kann. Er ist einer, der zum Erfolg führen kann. Jedenfalls bietet er – wie mein Vorredner auch gesagt und völlig zu Recht herausgestellt hat – einen Schutzraum. Das ist positiv. Was wir eben nicht wollen, ist, dass das dazu führt, dass woanders niemand mehr auftaucht.

Dann haben wir heute noch einen Änderungsantrag, der diskutiert wird. Dazu möchte ich schon einmal sagen, dass ich das sehr gut finde, wie schnell die FDP hier einen Änderungsantrag auf den Weg gebracht hat und dass wir jedenfalls heute schon sagen können – auch ohne unsere internen Gremien zu befassen –, dass der zumindest der Punkt 5 in die richtige Richtung geht. Ich freue mich auf die weitere Beratung im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Abgeordnete Frau Kühnemann das Wort. – Bitte schön! – Ich bitte, die Nebengeräusche und die Nebengespräche abzustellen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun kann man uns vielleicht den Vorwurf machen, dass wir den Antrag nicht so schnell auf den Weg gebracht haben. Es ist doch aber allemal lohnend und ist doch allemal wichtig, am Internationalen Tag gegen Trans- und Homophobie im Rechtsausschuss diese Debatte

[Zuruf von Sven Rissmann (CDU)]

über dieses queere Jugendzentrum zu führen.

[Zuruf von Sven Rissmann (CDU)]

Dass die Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans-, inter- und queeren Jugendlichen schwierig ist, –

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Das hat sie genauso gesagt! – Frank-Christian Hansel (AfD): Kann man das mal unterbinden?]

Möchten Sie sich draußen unterhalten, oder darf ich weiter fortfahren? – Diskriminierungserfahrungen für sie zum Alltag gehören und es ein vielfach höheres Suizidrisiko im Vergleich zu ihren heterosexuellen Altersgenossen gibt, hat Herr Walter bereits ausgeführt.

Natürlich gibt es auch in unseren Jugendfreizeitstätten Angebote. Natürlich gibt es ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, die für die Jugendlichen ein offenes Ohr haben. Ich möchte Ihnen aber trotzdem auch noch einmal aus jugendpolitischer Sicht erläutern, warum wir einen solchen Raum für Jugendliche schaffen müssen. Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz haben junge Menschen ein Recht auf Förderung ihrer Entwicklung, auf Erziehung zu eigenverantwortlichen, gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Der Auftrag liegt darin, junge Menschen in ihrer

individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen, das heißt auch die Vermeidung bzw. der Abbau von Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentitäten oder der sexuellen Identität und den damit verbundenen gesellschaftlichen Benachteiligungen.

Der Berliner Senat und auch die Träger der Jugendhilfe sind in den letzten Jahren nicht untätig geblieben. Bisher wurden aber vor allem Angebote zur Beratungs-, Bildungs- und Aufklärungsarbeit gemacht. Ich bin an dieser Stelle – Herr Walter hat es auch gesagt – dankbar für das große ehrenamtliche Engagement, das es in diesem Feld gibt. Die geförderten Maßnahmen reichen aber leider nicht aus, um Lebenssituationen und den Belangen der Jugendlichen gerecht zu werden. Ich verweise an dieser Stelle übrigens noch einmal zu Recht – Sie haben es mit den Jugendeinrichtungen, die gestrichen wurden, angesprochen – auf die Wichtigkeit des Jugendfördergesetzes. Kein Jugendlicher darf ausgegrenzt werden. Die Betroffenen benötigen konkrete Unterstützung, qualifizierte Ansprechpartner und Vertrauenspersonen, die sie bei ihrem Coming-out beraten und Anlaufstellen für Freizeitangebote, bei denen sie Gleichaltrige treffen und kennenlernen können.

Ich möchte noch einmal betonen – Herr Walter hat den Peer-to-Peer-Ansatz angesprochen –: In einer solchen komplizierten Situation, wenn man merkt, dass die geschlechtliche Orientierung oder die geschlechtliche Identität anders ist, braucht man den Austausch mit Gleichaltrigen und ein Umfeld, das einem signalisiert: Du bist so richtig, wie du bist.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wild, Frau Kühnemann?

Ich würde gern zum Ende kommen. – Die Koalition macht mit dem Antrag für ein queeres Jugendzentrum heute einen konkreten Vorschlag, um die Situation von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans-, inter- und queeren Jugendlichen zu verbessern. Ich würde mich sehr freuen, wenn er eine breite Unterstützung fände und dieses Haus den Jugendlichen zeigen würde: Wir lassen euch nicht allein. Wir sind an eurer Seite. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der AfD hat jetzt der Abgeordnete Herr Hansel das Wort. – Bitte schön!

Danke, Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete und Kollegen! Die AfD unterschreibt den letzten Absatz in der Antragsbegründung, wonach schwul-lesbische und transsexuelle Jugendliche in Berlin selbstbestimmt, angst- und diskriminierungsfrei aufwachsen und leben können sollen. Das ist selbstverständlich.

[Beifall bei der AfD]

In der Tat ist dies eine Aufgabe für unsere Stadtgesellschaft insgesamt. Die AfD steht, wie hoffentlich alle hier im Raum, gegen jede Form von Diskriminierung.

[Anne Helm (LINKE): Ha, ha, ha! – Zuruf von den GRÜNEN: Seit wann denn?]

Bei anderer Gelegenheit hatte ich schon dargelegt, dass wir, wenn wir vor dem Hintergrund der demografischen Krise zur zukünftigen Sicherstellung der Sozialkassen eine andere Familienpolitik befürworten, nämlich eine Familienpolitik, die diesen Namen verdient. Aber damit richten wir uns nicht gegen gleichgeschlechtliche Lebensweisen.

Niemand will das Rad der rechtlichen Gleichstellung wieder zurückdrehen, auch wenn das immer wieder gern im Rahmen der – ich sage es jetzt einmal deutlich – komplett gescheiterten Anti-AfD-Kampagne gegen uns ins Feld geführt wird.

[Beifall bei der AfD]