Sehr geehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 9. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Vormittag haben die Verfassungsorgane mit einem bewegenden Staatsakt der Opfer der rechtsextremistischen Mordanschläge gedacht und sich zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern unserer Republik in einer Schweigeminute vor den Opfern verneigt. Als Präsident dieses Hauses habe ich stellvertretend für alle Abgeordneten daran teilgenommen.
Mit der heutigen Schweigeminute, zu der die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände bundesweit aufgerufen haben, ist der großen Empörung und Trauer Ausdruck verliehen worden, die die Menschen in Deutschland umtreibt, denn die feigen Mordanschläge der Neonazis sind auch ein Angriff auf unsere Gesellschaft. Dass es überhaupt möglich war, dass Rechtsextremisten in Deutschland über viele Jahre hinweg unbehelligt ein terroristisches Netzwerk aufbauen konnten, zeigt, wie unverzichtbar breit angelegte staatliche und private Aktivitäten gegen jede Form von Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus sind. Es kann gar nicht oft genug auf Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass – überall da, wo er sich zeigt – hingewiesen werden, sei es am Arbeitsplatz, sei es im Sportverein oder sei es in der Politik. Es ist vorderste Aufgabe der zivilen Gesellschaft, antidemokratische Einstellungen an den Pranger zu stellen und klar und deutlich als Bedrohung zu benennen. Es ist wichtig, dass wir den Opfern und ihren Angehörigen unsere Solidarität versichern, und es ist wichtig, verlorengegangenes Vertrauen in unseren Rechtsstaat zurückzugewinnen. Die scheinbare Bedeutungslosigkeit rechter Parteien in unserem Land darf uns nicht dazu verleiten, die Gefahr, die von ihnen ausgeht, zu unterschätzen. Sie sind nur die sichtbaren Spitzen der „braunen Eisberge“.
Das aktuellste Beispiel für Diskriminierung und Fremdenhass in unserer Stadt sind die Drohbriefe gegen muslimische Gemeinden. Die Sehitlik-Moschee erhielt ein anonymes Schreiben, in dem alle Muslime aufgefordert wurden, binnen sechs Monaten Deutschland zu verlassen, und auch mit Erschießung gedroht wird. Das größte islamische Gotteshaus in Berlin war bereits vier Mal Ziel von Brandanschlägen. Wir werden es nicht zulassen, dass wieder Terror und Angst in unserer Gesellschaft Einzug halten. Deshalb sage ich: Wer die Menschenwürde mit Füßen tritt, den muss die ganze Härte unserer Gesetze treffen. In einer gemeinsamen Resolution aller im Hause vertretenen Fraktionen haben wir bereits am 24. November letzten Jahres die rechtsextremistischen Morde und
Gewalttaten durch die sogenannte „Zwickauer Zelle“ auf das Schärfste verurteilt. Diese gemeinsame Haltung der hier im Haus vertretenen demokratischen Parteien wollen wir auch heute sichtbar machen.
Die Frau Bundeskanzlerin hat heute bei den Angehörigen der Opfer dafür um Verzeihung gebeten, dass uns die Hintergründe der Morde zu lange verborgen blieben, manche Angehörige sogar unter Verdacht gerieten und wir die Angehörigen in ihrem Leid allein ließen. Dieser Bitte um Verzeihung schließen wir uns an. Die Fraktionen des Hauses haben sich darauf verständigt, dass wir uns mit einer Gedenkminute zu Beginn der heutigen Sitzung an dem bundesweiten Gedenken beteiligen. Ich bitte Sie deshalb, sich von Ihren Plätzen zu erheben.
Sehr geehrte Damen und Herren! Am Dienstag hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen neuen parlamentarischen Geschäftsführer gewählt, und ich gratuliere dem Abgeordneten Benedikt Lux zu dieser Wahl. – Herzlichen Glückwunsch! Viel Erfolg und auf gute Zusammenarbeit!
Dem bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer Heiko Thomas danke ich für die gute Zusammenarbeit in der Vergangenheit.
Ich begrüße als neuen Staatssekretär für die Senatsverwaltung für Finanzen Herrn Klaus Feiler. – Herzlich willkommen in unserem Haus!
Dann habe ich Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
1. Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „BVG muss ihrer Verantwortung gerecht werden: Berlin braucht einen funktionierenden ÖPNV“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „BVG muss ihrer Verantwortung gerecht werden: Berlin braucht einen funktionierenden ÖPNV“,
3. Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Vertrauenskrise überwinden – Chance für neue politische Kultur auch für Berlin nutzen“,
4. Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „SPD-Jobwunder: Mindestlohn verkünden, Niedriglohn durchsetzen“,
5. Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Der Letzte macht das Licht aus – Kultursterben in Pankow“.
Zur Begründung der Aktualität erteile ich zunächst einem Mitglied der Fraktion der SPD das Wort. Es spricht Herr Kollege Heinemann. – Bitte schön!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Und lassen Sie mich als Verdi-Mitglied noch einen weiteren Gruß aussprechen: Liebe Kolleginnen und Kollegen der BVG! Auch vielen Dank an Sie, dass Sie sich an dieser Gedenkminute für die Opfer rechtsextremer Gewalt beteiligt und vor einer Stunde gestoppt haben!
Wenn, wie am vergangenen Samstag, fast sämtliche Busse und Bahnen – 10 U-Bahnen und 22 Tramlinien der BVG – mehr als 15 Stunden stillstehen und davon die meisten Berlinerinnen und Berliner betroffen sind, wenn die Beschäftigten der BVG dabei mit einem Warnstreik für ihre Rechte kämpfen, dann ist für die Koalitionsfraktionen von SPD und CDU klar: Wir müssen in einer Aktuellen Stunde darüber sprechen, dass die BVG ihren Auftrag erfüllen muss. Die Stadt braucht neben anderen Lebensadern einen funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr – das erwarten die 2,5 Millionen Fahrgäste, die sich täglich auf einen guten Nahverkehr verlassen.
Wir werden heute über ein landeseigenes Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge sprechen, und dies ist keine Selbstverständlichkeit. In vielen anderen Städten in Deutschland und Europa wird der öffentliche Nahverkehr nicht mehr in Eigenregie betrieben. Ich bin froh, dass wir die BVG haben. Ich danke ausdrücklich dem Regierenden Bürgermeister, der sich stets zur BVG bekennt.
Für die Koalition ist die BVG ein starkes öffentliches Unternehmen, das gute Leistungen für die Berlinerinnen und Berliner erbringt, gute Arbeits- und Ausbildungsplätze bereitstellt und einen Mehrwert für die ganze Stadt schafft. Dies ist gerade auch angesichts der Krise bei der S-Bahn sichtbar. Es bleibt dabei: Die Koalition lehnt die Privatisierung der BVG ab. Nichtsdestotrotz muss sie aber auch betriebswirtschaftlich erfolgreich werden. Deshalb unternimmt der SPD-geführte Senat alles, dass die BVG weiter saniert wird und als Landesunternehmen erhalten bleibt. Als Haushälter nenne ich Ihnen noch eine Zahl: Das Land Berlin gibt derzeit rund 350 Millionen Euro Zuweisungen jährlich an die BVG.
Zurück zum Tarifkonflikt! Gemeinsam sollten wir heute an die Vertragsparteien in dem aktuellen Tarifkonflikt appellieren, einen guten Kompromiss zu finden, der die Interessen des Unternehmens und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer berücksichtigt. Es ist unstrittig, dass sich die hervorragenden Leistungen der fast 11 000 Beschäftigten der BVG nicht nur in der Unternehmensbilanz
wiederfinden, sondern auch in den Geldbeuteln der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bemerkbar machen müssen. Es ist ein gutes Zeichen, dass aktuell wieder verhandelt wird und es erst einmal nicht zu weiteren Warnstreiks kommen soll. Wir brauchen eine Lösung am Verhandlungstisch und keine Wiederholung der Ereignisse der Tarifauseinandersetzung 2008. Dabei kann auch eine Schlichtung hilfreich sein.
Nicht nur der Streik und weiterhin drohende Arbeitsniederlegungen sind in aller Munde, sondern auch die Nachricht von dieser Woche, dass der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg im August die Fahrpreise anheben will. Dies beschäftigt die Berlinerinnen und Berliner, auch darüber sollten wir heute sprechen. Wir wissen, dass die Fahrgäste und ihre Verbände eine Erhöhung gerade auch vor dem Hintergrund der S-Bahnkrise kritisch sehen. Allerdings müssen wir auch feststellen, dass die Wunschliste an die BVG – gerade auch von uns und den anderen Interessengruppen – lang ist. Gestiegene Betriebskosten und angemessene Lohnsteigerungen sind auch nicht von der Hand zu weisen. Viele wollen nach wie vor weitere Berlinerinnen und Berliner dafür gewinnen, dauerhaft auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Auch dies muss in der aktuellen Diskussion berücksichtigt werden. Das Thema „Berlin braucht einen funktionierenden ÖPNV“ ist deshalb für die Koalitionsfraktionen angesichts des BVG-Streiks und der Diskussion um Fahrpreiserhöhungen ganz klar der Gesprächsstoff in dieser Woche, der die Berlinerinnen und Berliner beschäftigt. Diesem Thema für die Aktuelle Stunde sollten sich auch die Oppositionsfraktionen anschließen.
Zum Schluss kann ich mir eine Bemerkung zur Themenwahl der anderen Fraktionen nicht verkneifen. Besonders bemerkenswert ist der Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen für die heutige Aktuelle Stunde. Er lautet: „Vertrauenskrise überwinden – Chance für eine neue politische Kultur auch für Berlin nutzen“.
Ich lese das noch einmal vor: „Vertrauenskrise überwinden – Chance für eine neue politische Kultur auch für Berlin nutzen“. Liebe Grüne! Bei Ihrem Vorschlag und Ihrer Überschrift fallen mir spontan die jüngsten fraktionsinternen Spannungen mangels Vertrauen und politischer Kultur in Ihren eigenen Reihen ein; ich denke dabei nicht an ein Thema für die Aktuelle Stunde. Denken Sie über Ihren Vorschlag noch einmal nach!
Ich komme zum Ende. – Lassen Sie uns gemeinsam über die aktuellen Fragen zum ÖPNV und zur BVG debattieren! Das interessiert die Berlinerinnen und Berliner. Sie wollen klare, ehrliche und nachvollziehbare Antworten zur BVG und keinen Populismus. Dafür steht die SPDgeführte Koalition. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Berliner CDU-Fraktion beantragt heute – ebenso wie die SPD – als Thema für die Aktuelle Stunde, dass wir uns mit der Zukunft des öffentlichen Berliner Nahverkehrs und hier mit der Zukunft des größten deutschen Nahverkehrsunternehmens, den Berliner Verkehrsbetrieben – BVG –, beschäftigen. Wir wollen die Chancen und Möglichkeiten dieses für Berlin verkehrsbestimmenden Unternehmens mit Ihnen erörtern.
Die BVG, die nach der Wende aus der Fusion von zwei Unternehmen entstand, hat erfolgreich erreicht, das Verkehrssystem sehr schnell, effizient und nachhaltig zu vereinen. Damit hat auch die BVG einen wesentlichen Beitrag zum Zusammenwachsen unserer Stadt nach 1989 geleistet.
Mit diesem Thema wollen wir die Wertschätzung der Regierungskoalition und der Fraktionen aus SPD und CDU für die BVG zum Ausdruck bringen und über die geleistete Arbeit der Unternehmensleitung und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reden. Wir müssen aber auch über unsere Sorgen reden, dass allzu heftig geführte Arbeitskampfmaßnahmen immer zulasten der Menschen in Berlin, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und immer auch zulasten des Unternehmens gehen. Die Koalition beantragt das Thema BVG auch deshalb, weil diese BVG erhebliches geleistet hat und erhebliches leisten muss – mit Effizienz, Fleiß und um selbst unabhängiger, unternehmerischer zu werden, um Schulden abzubauen, Fahrpläne und Fahrzeuge zu beschleunigen und um weniger Geld vom Staat zu empfangen. Es ist mir wichtig, dies noch einmal zu sagen: Die Koalition steht für Haushaltsdisziplin, Schuldenabbau und für die Verantwortung für die nächsten Generationen. Das betrifft natürlich auch die BVG.
Die BVG stellt sich aktuell sehr schwierigen Situationen. Die Energiepreise steigen, die Betriebskosten steigen, die Investitionen und Instandhaltungskosten steigen, auch die Löhne steigen. Seit Jahren gibt es S-Bahnkrisen, die die
BVG ausgleicht, seit Jahren wird mehr Verkehr angeboten. Für die Eröffnung des neuen Großflughafens BER steht die BVG vor neuen Herausforderungen. Aktuell haben wir Arbeitskampfmaßnahmen und den Wunsch nach Fahrpreisanhebungen zu betrachten. Dies begründet den Anspruch der Koalition aus SPD und CDU, hier und heute über die Zukunft der BVG zu reden.
Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass sich die verantwortungsbewusst handelnde Berliner Senatskoalition gerade und ganz bewusst zu Beginn der neuen Legislaturperiode dieses Themas annimmt. Die Menschen in Berlin und Brandenburg und auch das Unternehmen sollen wissen, dass CDU und SPD die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und die Förderung der BVG sehr ernst nehmen.
Daher bitte ich Sie – gerade auch an die Adresse der Grünen gerichtet –, uns nicht in Selbstreflexion mit Themen zu überschütten. Vielmehr bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Koalitionsthema in der heutigen Aktuellen Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses.