Protocol of the Session on September 8, 2016

Innovative soziale und ökologische Ideen wie der fahrscheinlose ÖPNV, mehrstufige Partizipationsverfahren oder das Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe, das als Grundeinkommen erprobt werden muss, das sind Themen, die wir in diese Gesellschaft und auch in dieses Parlament tragen. Aber dazu braucht es Mut, und man muss diese Themen auch ernsthaft diskutieren wollen. Das passiert eben nicht, wenn es nicht einen gibt, der das anstößt, auch hier im Parlament. Das wollen wir

weiter bewirken und tun, so wie wir es beispielsweise beim Datenschutz, bei der Transparenz in allen Bereichen oder beim E-Government-Gesetz getan haben. Wir haben jetzt eins, auch wenn es etwas spät kommt und spät greifen wird. Wir hätten es viel früher haben können. Sie haben es kurz von knapp noch hingezimmert. Und es ist natürlich nicht ausfinanziert. Aber ich behaupte, dass es ohne Piraten gar kein E-Government-Gesetz für Berlin gegeben hätte.

[Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Der Kollege Weiß, bei dem ich mich hier besonders bedanken möchte, hat dies auch entscheidend vorangetrieben.

Apropos Bürgerbeteiligung und Partizipationsverfahren: Auch das hat der Senat von uns gelernt, ja lernen müssen, damit er nicht erst durch einen Volksentscheid wie dem zum Tempelhofer Feld vom hohen Ross geworfen wird. Er hat daraus gelernt – beim Radentscheid weiß man es noch nicht so genau –, aber bei der Entwicklung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms hat er ein Beteiligungsverfahren auf mehreren Ebenen, auch online, durchgeführt. Und siehe da: Die Vorschläge aus der interessierten wie qualifizierten Stadtgesellschaft wurden, wenn sie zielführend waren, mit in diesen Plan aufgenommen. Das war ein guter Schritt. Das weckte Hoffnung bei den Akteurinnen und Akteuren. Und jetzt ist das vom Senat einstimmig verabschiedete Klimaschutzprogramm im Umweltausschuss doch noch an den Koalitionsfraktionen gescheitert. Ja, da gehören immer zwei dazu, auch wenn der eine dem anderen den Schwarzen Peter zuschiebt, liebe CDU. Den Klimaschutz für unsere Stadt und unsere Kindeskinder wegen ein paar Tempo30-Zonen als Ganzes scheitern zu lassen, das ist nicht konservativ, das ist einfach unverantwortlich.

[Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Das ist ein – wenn auch nicht in seinen direkten Auswirkungen so doch eigentlich politiktheoretisch – viel größerer Fehler als der Weiterbau der A 100, der eingemottet gehört. Ich weiß, dass eure umwelt- und stadtentwicklungspolitischen Sprecher das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm eigentlich gar nicht in der Form beschädigen wollten, es eigentlich anders umsetzen wollten, aber es gibt auch bei euch leider öfter mal Leute, die sich dann fachübergreifend zuständig fühlen, es eigentlich aber gar nicht sind. Das ist ja schade, dass es dann daran scheitern muss. Niemand versteht, warum da keine Lösung möglich war, wie in vielen anderen Gesetzesinitiativen auch, wo wir uns eigentlich hätten einig werden können – und das, obwohl euch auch hier an dieser Stelle eine Einigung sicherlich gut zu Gesicht gestanden hätte. Mehr noch, ihr hättet es auch noch als Erfolg verkaufen können. Da hätten wir euch ja beigepflichtet. Aber ihr müsst ja das ganze Verfahren, das dann so kurz vor dem Abschluss steht, eben kurz vor knapp mit dem Arsch wieder einreißen.

[Lars Oberg (SPD): Wer ist „ihr“?]

Aber ihr habt ja anscheinend genug Erfolge zu verkaufen, allem voran ein funktionierender Hauptstadtflughafen BER, eine zügig handelnde Verwaltung, eine kostengünstige Staatsoper oder die vielen preiswerten Wohnungen innerhalb des S-Bahnrings, die es nicht gibt. Ja, das steht auch auf einigen Plakaten, die ich lese: „Berlin bleibt bezahlbar“. Das ist doch und das kann doch nur Sarkasmus sein.

[Beifall von Alexander Spies (PIRATEN)]

Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, würde ich tippen, „Die Partei“ stünde dahinter, aber anscheinend ist das Realität. Damit aber Berliner Wohnungen wieder erschwinglich werden, brauchen wir zum Beispiel realitätsbezogene Mietrichtwerte bei der AV Wohnen, was mehr Subjekt- anstatt Objektförderung und den Stopp des Ausverkaufs der Stadt durch die Beendigung des Verkaufs von Landes- und Bundesliegenschaften an private Investoren heißt. Doch erst gestern wieder, im Hauptausschuss geschehen – wie mir zu Ohren kam –, galt das auch für das letzte Filetgrundstück – An der Mole, Rummelsburger Bucht – nicht. Es wurde verscherbelt. Da war sie wieder, die viel gerühmte Liegenschaftspolitik! – Ja, wo bleibt sie eigentlich? Wir reden immer davon, aber wann greift sie denn endlich?

Natürlich brauchen wir genossenschaftliches und alternatives, selbstbestimmtes Wohnen, weil es oft die einzige Möglichkeit ist, einigermaßen erschwinglich wohnen zu können. Wir brauchen Instandbesetzungen von Häusern, weil der Leerstand in Berlin viel größer ist, als es in den offiziellen Zahlen ausgewiesen ist. Das ist ja das Paradoxe: Es gibt Wohnungen, und überall stehen Spekulationsobjekte leer, sogar an Hauptverkehrsachsen wie der Warschauer Straße oder der Danziger Straße. Oder die Wohnungen rotten vor sich hin, um teuer abgerissen und wieder aufgebaut zu werden. Es ist zum Kotzen!

[Unruhe – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich weiß nicht, ob dieses Wort unparlamentarisch war. Es ist eigentlich etwas ganz Normales, wenn es einem nicht so besonders gut geht. – Bauindustrielle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen inklusive Spekulantenrendite mit anschließender Miethai-Verfütterung: So nennt man das!

Wir werden aber auch keine Ruhe geben, in Zukunft noch mehr Transparenz zu fordern. Ja, auch wenn einige, die hier sind, das nicht mehr oder immer noch nicht begreifen können: Aber wer soll das denn bei Rot-Rot-Grün aus der Opposition heraus machen? – Die CDU oder diese NordCSU mit Rallyestreifen? Das ist doch lächerlich! Wie wichtig Transparenz und Whistleblowing in der Bundesrepublik insgesamt sind, insbesondere aber in der Baupolitik in Berlin, in der Sozialpolitik, bei den Jobcentern und sogar in der Kulturpolitik – und das nicht nur bei der Staatsoper –, das sollte eigentlich jedem klar sein. Auch

die Entscheidung bei der Volksbühne hätte viele Verunsicherungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermeiden können, wenn ihnen gegenüber die Prozesse vorher transparent gemacht oder die Menschen zumindest in dem Prozess weiter mit eingebunden worden wären, als es an dieser Stelle der Fall war. Eigentlich war das Versprechen hierzu da. Wie diese Entscheidungsfindung abläuft und warum diese so getroffen wird, das ist es, wo die Menschen mitgenommen werden wollen, und das muss einfach viel mehr passieren.

Beim Humboldt-Forum dann das Gleiche: Im Hinterzimmer des Senats wurde das Konzept kurzerhand gekippt und die Neubespielung der Berliner Ausstellungsflächen angekündigt. Was uns damals im Kulturausschuss als vorläufiges Alternativkonzept präsentiert wurde, mutet dann eher wie eine Collage aus Textbausteinen und bunten Bildchen an als eine wirklich innovative Alternative. Aber gut, auch das geschenkt. Vielleicht hätten wir an der Stelle andere Fehler gemacht. Man muss ja auch selbstkritisch sein und es versuchen. Man muss das Wirken des Kultursenators und Regierenden Bürgermeisters auch mal in der Summe betrachten. Vielleicht hat man dann auch ein anderes Bild.

Aber große Koalition ist und bleibt Mist! Ja, ihr wisst, wie das ist: Wer es vergisst, wird gedisst.

[Heiterkeit bei den PIRATEN – Beifall von Sven Kohlmeier (SPD)]

Aufmüpfige im Parlament dagegen braucht es umso mehr, es braucht diese konstruktiv. Wir als Piraten bieten an, dass wir es trotz aller Eskalation letztlich immer wieder tun und auch getan haben, um Denkanstöße zu geben. Dass diese konstruktive Kritik zukünftig durch rabiates Wutbürgertum ersetzt wird, kann eigentlich niemand wollen, außer jene selbst – das dachte ich immer. Aber das Problem ist leider viel größer und erreicht unglaubliche bis zu 20 Prozent in den Bundesländern. Ja, schon bald die eigenen Verwandten sind da infiltriert.

[Zurufe: Was?]

So schlimm wird es in Berlin hoffentlich nicht werden. Aber wir müssen schauen, woher das kommt. Und das sage ich jetzt, weil ich die Befürchtung habe, dass mich mein geliebtes Berlin diesmal enttäuschen wird, anstatt mich zu versöhnen, und eben nicht gerecht wählt – also, nach tatsächlich politischer und programmatischer Leistung und Inhalt. Aber das war vielleicht auch noch nie so und wird schwerlich so werden. Es liegt an uns allen, das zu ändern und das Vertrauen in der Gesellschaft zurückzugewinnen. Wir Piraten zumindest werden als gute Demokraten weiter dafür kämpfen, dass Berlin tolerant, weltoffen und innovativ bleibt, und dafür, „dit“ Berlin Berlin bleibt.

Abschließend möchte ich mich noch bei allen Berlinerinnen und Berlinern bedanken, dass sie uns diese Legislaturperiode ermöglicht haben und uns vielleicht auch noch

eine zweite schenken und uns darin unterstützt haben, genauso wie unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Fraktionen im Abgeordnetenhaus und auch überall dort, wo wir aufgetreten sind. Wir werden es in zehn Tagen wissen und es hoffentlich schaffen, dass es einen schönen Überraschungserfolg auch für die Piraten geben wird und dennoch alle demokratischen Parteien gestärkt aus diesem Wahlkampf hervorgehen werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Burgunde Grosse (SPD) und Alex Lubawinski (SPD)]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Jetzt hat das Wort der Regierende Bürgermeister Michael Müller. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir kurz vor dem Wahltag eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Berlin vor der Wahl“ haben, dann ist klar, dass es auch um Wahlkampf und um Wahlkampfrhetorik geht und dass selbstverständlich auch die Regierung von der Opposition kritisiert wird. Aber ich muss zugeben: Offensichtlich werde ich mich nie daran gewöhnen, dass einige doch sehr ins Scheitern verliebt sind und immer nur das Schlechte und Negative darstellen wollen und Berlin so darstellen, als ob wir in dieser Stadt auf dem letzten Loch pfeifen.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Deshalb frage ich auch noch mal ganz direkt: Frau Pop! Herr Lederer! Sie wollen doch Verantwortung tragen. Sie wollen doch regieren. Und da kann man doch Erfolge, die es in den letzten Jahren in dieser Stadt auch gegeben hat, nicht einfach leugnen. Man muss doch irgendwann auch lernen, dass aus einer gesamtstädtischen Sicht Verantwortung zu tragen ist und Entscheidungen zu treffen sind.

Frau Pop! Es war wunderbar, wie Herr Graf auf das reagiert hat, was Sie zum Thema BER gesagt haben. Wie stellen Sie es sich denn praktisch vor? Wie stellen Sie sich denn Wirtschafts- und Finanzpolitik, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Internationalität vor, wenn Sie sagen, das sei jetzt zu beenden, kein weiterer Euro für den BER? Das ist unverantwortliche Politik, die Sie hier formuliert haben.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Das ist Klientelpolitik, und damit kann man nicht eine Vier-Millionen-Stadt regieren.

Auch da noch einmal die Frage an Herrn Lederer – ich kann mir das nicht verkneifen –: Ich lese von den Benimmregeln für zukünftige Regierungsarbeit, die die Linksfraktion über die Zeitung veröffentlicht hat, und

dass Herr Lederer selbstverständlich Machtspielchen kritisiert, die es natürlich nur in dieser Koalition gibt und sonst nirgendwo in der Politik. Er spricht von Demut und Respekt den Wählerinnen und Wählern gegenüber. Und was lese ich als Erstes ganz konkret von Ihnen? – Ihre Bewerbung als Kultursenator!

[Beifall bei der SPD – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Das stimmt überhaupt nicht!]

Und dann sagen Sie: Wenn es nicht klappt mit der Kultur, ist das nicht so schlimm. Ich bin auch noch Jurist und kann Wissenschaft. – Das ist keine Demut vor den Wählerinnen und Wählern! Das sind Machtspielchen, ohne die Wahl abzuwarten!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Nein, es bleibt dabei: Es ist in den letzten Jahren viel erreicht worden, und alle hier wissen auch, dass ich nicht zu denen gehöre, die sagen: Alles ist gut, und nichts kann man verbessern. Selbstverständlich kann man vieles verbessern! Aber wir sind weit davon entfernt, so, wie es oft dargestellt wird, eine Failed City zu sein, eine Stadt, in der die grundlegenden Dinge für die Bürgerinnen und Bürger nicht funktionieren.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Na ja!]

Es ist so, dass wir ein Wachstum in allen entscheidenden Feldern haben, einen Lohnzuwachs, der überdurchschnittlich ist. Wir haben einen Arbeitsplatzzuwachs, der überdurchschnittlich ist. Es ist so, dass mit 40 000 Menschen, die im letzten Jahr zu uns gekommen sind, über 50 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Und wir haben ein Bevölkerungswachstum, das für diese Stadt gut ist. Und da kommen Menschen nicht von irgendwoher aus der Welt. Ja, sie kommen tatsächlich aus der ganzen Welt, aber sie kommen auch aus Bayern und BadenWürttemberg, wo Sie mir ständig erzählen, dass da alles besser ist. Die Leute kommen hierher, weil sie wissen, dass es eine lebenswerte Stadt ist, die Zukunftsperspektiven für die eigene Familie, gute Arbeitsplätze in der Kultur, in der Wissenschaft eröffnet, dass es eine lebens- und liebenswerte Stadt ist.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Und wir haben auch viel erreicht – es ist mir wichtig, auch das immer wieder zu betonen – für das Zusammenleben, für ein gutes Zusammenleben in unserer Stadt, für das Zusammenwachsen in unserer Stadt – im Übrigen auch durch die zehn Jahre Rot-Rot, ich will das ganz deutlich sagen. Den Ost-West-Konflikt, die Konfrontation, gibt es in unserer Stadt so nicht mehr, die Stadthälften sind wirklich zusammengewachsen. Menschen, die über die letzten Jahrzehnte in vielen Migrationswellen in unsere Stadt gekommen sind, leben gut und friedlich, gleichberechtigt in unserer Stadt zusammen. Auch das macht sich nicht von allein, sondern ist das Ergebnis von aktiver Politik, die dieses Zusammenleben organisiert hat.

(Philipp Magalski)

Und dass wir die Finanzen in Ordnung gebracht haben – auch da staune ich immer darüber, warum man sich, aus Sicht der Linksfraktion, von eigenen Erfolgen so distanziert. Der finanzpolitische Mentalitätswechsel nach 2001 war wichtig. Es gab sehr viele Menschen in dieser Stadt, die gesagt haben: Endlich gibt es eine Politik, die aus dieser Verschuldungsfalle raus will.

[Zurufe von der LINKEN]

Und was lese ich jetzt von Ihnen? – Dass alles von allen versprochen wird.

[Udo Wolf (LINKE): Quatsch!]

Nein! Wir müssen weiterhin auf einem guten, serösen Finanzpfad bleiben. Sie wollen jede Woche eine neue Gesellschaft gründen, die da und da und da investiert. Das sind Schattenhaushalte.

[Zuruf von Dr. Manuela Schmidt (LINKE)]

Das wird es mit mir nicht geben, um es mal ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von der LINKEN – Steffen Zillich (LINKE): Warum haben Sie denn einen Schattenhaushalt bei der BVG gegründet, wenn das so des Teufels ist?]