Protocol of the Session on May 26, 2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 82. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und darf Sie, unsere Gäste, unsere Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreter recht herzlich begrüßen.

Ich habe zunächst wieder Geschäftliches mitzuteilen: Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Masterplan Integration und Sicherheit“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Masterplan Integration und Sicherheit“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Berlin braucht einen Politikwechsel für Integration anstatt rot-schwarzer Masterpläne“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Kein Zurück in den Berliner Bausumpf. Berlin braucht einen Kodex für den Umgang mit Parteispenden“

− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Berlin braucht einen Politikwechsel für Integration anstatt rot-schwarzer Masterpläne“

Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat auf die Behandlung des Antrags der Piratenfraktion – Berlin braucht einen Politikwechsel – verständigt, sodass ich dieses Thema gleich für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde.

Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um eine entsprechende Mitteilung.

Dann möchte ich Ihnen bekanntgeben, dass ich Frau Dr. Birgit Reiter – sie ist anwesend – zur neuen Leiterin der Abteilung III – Plenar- und Ausschussdienst – ernannt habe.

[Allgemeiner Beifall]

Auf gute Zusammenarbeit!

Wir kommen zur

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Berlin braucht einen Politikwechsel für Integration anstatt rot-schwarzer Masterpläne“

(auf Antrag der Piratenfraktion)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Piratenfraktion. – Herr Kollege Reinhardt, bitte schön! Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Am Dienstag hat der Senat den sogenannten Masterplan Integration und Sicherheit beschlossen, sieben Stationen der Ankunft für Neuankommende auf 84 Seiten. Beim Lesen des Papiers entsteht der Eindruck, als hätte jede Verwaltung mal ein paar Maßnahmen, die entweder schon laufen oder die man vorher nicht in den Haushaltsentwurf reingekriegt hat, reinschreiben dürfen und als versuchten der Senat und McKinsey, es allen Beteiligen recht zu machen und alle Wünsche mit aufzunehmen. Aber zur Bewertung des Papiers stellen sich eigentlich die Fragen: Wo kommt es her? Was bedeutet es für die Betroffenen konkret? Lässt es sich mit dem bisherigen Handeln in Einklang bringen?

Es scheint mittlerweile üblich zu sein, dass, wenn ein Regierender Bürgermeister irgendetwas zur Chefsache erklärt, erst mal eine mittlere oder größere Katastrophe passiert. So war es auch diesmal. Statt um Inhalte ging es erstmal wochen- und monatelang darum: Wer hat welche eigene Klientel oder Genossen bedient? Wer wollte wem was zuschustern und hat dabei welche Ausschreibungsregeln verletzt oder nicht verletzt? – Das hat sich letztendlich alles als etwas weniger wild herausgestellt, als es schien, aber wichtig wäre es, sich die zwei Motivationen anzugucken, die hinter dem Papier standen.

Das Erste: ein tiefes gegenseitiges Misstrauen zwischen den beiden Parteien, laut Berichten im letzten November, Dezember kurz vor Koalitionsbruch, was den Regierenden Bürgermeister dazu gebracht hat zu sagen, er müsse sich um den gesamten Bereich Integration und Unterbringung persönlich kümmern, und das Ganze im Zweifel am Koalitionspartner vorbei. Sicherlich ist das besser, als gar nichts zu tun, das kann man so sehen, aber es wirft die Frage auf: Wer soll noch Vertrauen in den für die Unterbringung Zuständigen und in den Senat insgesamt haben, wenn sogar der eigene Koalitionspartner ihm so offen das Misstrauen erklärt?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Zum Zweiten stand hinter dem sogenannten Masterplan auch der Wunsch, dem Bund mehr Geld für Unterbringung und andere Leistungen aus den Rippen zu leiern, indem man diesen Maßnahmenplan mit Preisschildern, Etiketten, versieht und nach oben hin vorlegt. Das ist ein nachvollziehbarer Wunsch, mehr Geld vom Bund. Darüber sind sich hier immer alle einig. Nur waren das Gespräch am 22. April und auch die danach gelaufenen

Gespräche bislang nicht erfolgreich. Die 390 Millionen Euro, die laut Pressemitteilung des Senats in diesem Masterplan stehen, sind auch Gelder vom Bund, die sind schon eingeplant. Eine Gegenfinanzierung über den Haushalt gibt es noch nicht, das hat uns Staatssekretär Feiler gestern im Hauptausschuss so erklärt. Dann muss man so ehrlich sein zu sagen, dass die Absicht, den Bund als Mitfinanzier einzuspannen, bislang noch nicht erfolgreich war und dass ein Großteil der Maßnahmen nicht gegenfinanziert ist. Das gehört zur Ehrlichkeit dazu.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Dann zur Einordnung: Das bringt uns nämlich zur Frage, was das viel diskutierte, kürzlich beschlossene und demnächst dem Parlament zugeleitete, aber nicht gegenfinanzierte Papier konkret bedeutet, gerade für die Betroffenen. Eine Verbindlichkeit im juristischen Sinne kann man aus diesem sogenannten Masterplan nicht ableiten. Es hat keinen Gesetzes- und auch keinen Weisungscharakter. Eine moralische Verbindlichkeit für die nächste Regierung kann es nicht haben. Die Parteien haben eigene Wahlprogramme, in denen auch ganz andere Dinge stehen, und nach der Wahl wird es aller Voraussicht nach Koalitionsverhandlungen geben, in denen wiederum andere Dinge beschlossen werden. Was die frühere Regierung macht, wird nicht der Maßstab des Handelns der nächsten sein.

Insofern bleibt letztendlich ein in weiten Teilen gut klingendes Papier, das für die nächste Regierung nicht gilt, auf der Zielgeraden dieser Legislaturperiode. Das entspricht ungefähr dem vorherigen Papier, dem Vorläufer, das im September verabschiedet wurde, das sogenannte Senatskonzept zur Unterbringung. Von dem ist letztendlich auch nicht viel übrig geblieben, außer dass das ThFGesetz im Januar geändert wurde, was nicht für Zufriedenheit gesorgt hat.

Aber zur Einordnung des Masterplans ist die Frage wichtig: Was geschah eigentlich in den letzten viereinhalb Jahren? Ist der sogenannte Masterplan die konsequente Weiterentwicklung der bisherigen Politik, oder steht er in einem deutlichen Widerspruch dazu?

Ich bringe ein paar Beispiele, Beteiligungen: Auf Seite 26 des sogenannten Masterplans werden uns Bewohnerräte in den Unterkünften und im Quartiersmanagement versprochen, inklusive Flüchtlingsfürsprecher. Das klingt großartig, das klingt wie ein Wunschtraum, nur die Frage ist: Wer soll diesem Senat glauben, dass das jemals Wirklichkeit wird? Man hätte das schon längst angehen können. Über das Thema Beteiligung und Unterkünfte haben wir schon vielfach diskutiert. Um zu erkennen, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn die Betroffenen eingebunden werden, muss man nicht erst eine Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus haben. Das ist selbstverständlich klar. Dazu braucht man keinen Masterplan.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Der Senat hat keinen guten Leumund, wenn es um die Beteiligung und das Einhalten von Versprechen geht.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich erinnere an die Refugees, die Geflüchteten vom Oranienplatz. Man hätte sie damals als Vorzeichen kommender Migrationsbewegungen verstehen, sich mit ihnen und ihren Bedürfnissen auseinandersetzen und für die Zukunft lernen können. Stattdessen wurden sie nur als Gefahr und Bedrohung gesehen, die möglichst schnell aus der Öffentlichkeit verschwinden muss – was dann auch geschah. Die Anerkennung wurde ihnen verweigert, und die Menschen wurden sich selbst überlassen. Einige der Besetzer und Besetzerinnen vom Oranienplatz leben nach wie vor in Unterkünften, die ihnen die Berliner Kirchen bereitstellen. Andere wurden in die Obdachlosigkeit gedrängt. Auf den deutschen Staat hofft von ihnen keiner mehr.

Beispiel zwei: Qualitätsstandards in den Unterkünften. Der Masterplan verspricht permanente Qualitätssicherung, Gewaltschutz für besonders Schutzbedürftige und anonyme Beschwerdemöglichkeiten. – Großartig! Das fordern wir seit Jahren. Nur wann soll das kommen, und warum wurde es nicht schon längst eingeführt? Es ist doch klar, dass die Qualität leidet und uns die Betreiber auf der Nase herumtanzen, wenn Standards nicht kontrolliert werden. Es ist auch klar, dass die Geflüchteten die besten Ansprechpartner für Probleme sind. Auch dazu braucht man keinen Masterplan. – Seit Jahren lässt der Senat die Betreiber unkontrolliert werkeln. Mittlerweile gibt es zwar stichpunktartige Kontrollen, aber dabei wird immer noch nicht mit den Geflüchteten gesprochen. Es gibt nicht einmal mehr Verträge, häufig auch keine Hausordnung und keine verbindlichen Standards. Betreiber setzen Geflüchtete willkürlich auf die Straße, geben Helferinitiativen Hausverbot – wie der Akzente-Sozial UG in Kreuzberg –, und der Senat schaut stumm zu. Bis März sollte ein Konzept vorgelegt werden, das Beschwerde- und Einspruchsmöglichkeiten für Geflüchtete und Ehrenamtliche bietet. Darauf warten wir immer noch. – Am Wochenende wurde endlich einmal einem Skandalbetreiber gekündigt. Unter den Geflüchteten soll es danach zu regelrechten Jubelstürmen gekommen sein, weil er so verrufen war. Er ist aber eben nur einer von vielen: die PeWoBe und die GIERSO sind weiter im Geschäft. – Man braucht keinen Masterplan, um zu sehen, dass es hier Probleme gibt, die man lösen muss.

[Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Beispiel drei: der Vergabeprozess für die Flüchtlingsunterkünfte. Auf S. 26 des Masterplans werden transparente Vergaben versprochen. – Nur wer soll Ihnen das glauben? 2013 haben wir schon kritisiert, dass es Direktvergaben und Verträge per Handschlag gibt. Die Vergabe ist völlig

undurchschaubar, unterliegt auch politischer Einflussnahme und ist enorm korruptionsanfällig. Im Zuge der Flüchtlingsunterbringung der zurückliegenden Jahre gab es wiederholt sogenannte freihändige Vergaben, bei denen unter Verweis auf Zeitdruck fragwürdige Aufträge ohne Vergabeverfahren direkt an Dritte vergeben worden sind. Neben den Vergaben für die Unterkünfte gab es unter anderem die Blumenhalle auf dem Tempelhofer Feld – das musste angeblich ganz schnell gehen und ohne konkreten Plan für die Nutzung – oder auch den Auftrag an McKinsey, wo bis heute unklar ist, worin genau die Leistungen dieser sogenannten Beratungsfirma bestanden haben, und wo sich der Senat konsequent gegen eine parlamentarische Aufklärung hinsichtlich der Auftragsvergabe stellt.

Die Kritik hinsichtlich der Vergabeverfahren wurde mittlerweile von der Innenrevision des LAGeSo, von externen Wirtschaftsprüfern, von Betriebsprüfern und vom Landesrechnungshof bestätigt. Im Februar wurde sogar ein Referatsleiter in Untersuchungshaft genommen, weil er 123 000 Euro angenommen haben soll. – Was hat sich seitdem verändert? – Es gibt immer noch keine Ausschreibungen, und mittlerweile weiß man nicht einmal mehr, ob das LAGeSo oder der Landeskoordinierungsstab, das LKF, die Vergabe macht. Anstatt diese Probleme zu lösen, wird jetzt im laufenden Prozess ein neues Flüchtlingsamt gegründet – was mittlerweile übrigens schon fast so oft verschoben wurde wie die Eröffnung des Flughafens. Ich frage Sie: Ist ein Flüchtlingsamt nicht schon schlimm genug? Wer soll Ihnen abnehmen, dass dadurch etwas besser wird?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

So spiegelt dieser sogenannte Masterplan die Zerrissenheit wider, die wir in den letzten Jahren im Bereich Integration insgesamt erlebt haben: zwei Parteien die die Chancen ausgeschlagen haben, Neuankommende als Bereicherung und Chance zu begreifen, Notwendiges jahrelang aufgeschoben und keine weitreichenden Konzepte entwickelt haben. Natürlich werden auch die Wünsche der Union, die in allen Geflüchteten entweder eine Belastung oder eine Gefahr sieht, mit in den Masterplan aufgenommen, inklusive Zwangswertevermittlung für die angeblich Zivilisationsunerfahrenen und eine Erhöhung der Abschiebezahlen, an denen man sich – ich zitiere den Regierenden Bürgermeister – besoffen redet. Das Ergebnis ist ein Wunschpapier, das man nicht wirklich als Konzept begreifen kann, denn es fehlen der Zeitplan, die Finanzierung, die Verbindlichkeit, das Vertrauen in den Willen und die Kompetenz dieses Senats, das umzusetzen, und die Gewissheit, ob der nächste Senat daran überhaupt noch ein Interesse haben wird. Kurzum: Lösen Sie lieber die offensichtlichen Probleme, statt ein Traumpapier zu veröffentlichen, das ein paar existierende Maßnahmen beschreibt und ansonsten im Ungefähren bleibt!

Aber an die Lösung dieser Probleme in dieser Legislaturperiode glaubt keiner mehr.

[Beifall bei den PIRATEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Lehmann das Wort. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! – Kollege Reinhardt, Sie haben nun alles Mögliche in den Suppentopf geworfen und versucht, kräftig umzurühren. Ich werde versuchen, mich auf das Wesentliche und den Masterplan zu konzentrieren.

[Beifall bei der SPD – Udo Wolf (LINKE): Der Masterplan ist der Suppentopf! – Martin Delius (PIRATEN): Oder die Salatschüssel!]

Am Dienstag beschloss der Senat auf Vorlage der Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Frau Dilek Kolat, den Masterplan Integration und Sicherheit.

[Martin Delius (PIRATEN): So weit, so richtig!]

Zahlreiche Gespräche fanden in der letzten Zeit zwischen den Senatsverwaltungen, den Bezirken und den Akteuren der Berliner Stadtgesellschaft statt. An der anschließenden Dialogkonferenz im April im Roten Rathaus nahmen sogar über 500 diskussionsfreudige Berlinerinnen und Berliner teil. Viele Stellungnahmen wurden in dieser Zeit von den zuständigen Senatsverwaltungen in die nun beschlossene Version aufgenommen. Der Prozess der Erarbeitung des Masterplans in Berlin verdeutlicht, dass der Senat das Thema Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht, bei der alle mitzunehmen und einzubeziehen sind. Politik und Stadtgesellschaft arbeiten an dieser Stelle zusammen, um die Integrationsaufgabe in Berlin gemeinsam meistern zu können.

[Martin Delius (PIRATEN): 5 Euro ins Phrasenschwein, bitte!]

Hier ist ein offener Prozess, ein transparentes, gemeinsames Verfahren gelungen, an dessen Ende ein Masterplan steht, auf den wir durchaus stolz sein können.