Protocol of the Session on April 28, 2016

Und persönlich bin ich enttäuscht, weil Sie mir in der Vergangenheit immer wieder versichert haben, dass Sie den Antrag des Parlaments umsetzen und ein SMSModul schaffen werden. Und ja, ich habe es Ihnen geglaubt, weil Ihnen eine gewisse IT-Affinität nachgesagt wird.

Was bleibt? – Ein Justizsenator, der den Parlamentsauftrag seit drei Jahren nicht umsetzt! Ich glaube, dass eine ordentliche Berichterstattung auch Ihnen und Ihrer Argumentation geholfen hätte, weil Sie möglicherweise hätten darlegen können, dass die Funkzellenabfrage notwendig ist. Sie haben sich stattdessen dafür entschieden, den Parlamentsauftrag zu ignorieren, zu verzögern und nicht zu bearbeiten. Dass dieser Antrag hier heute von den Piraten vorliegt, ist Bewertung Ihrer Arbeit als Justizsenator genug. Wir werden den Antrag ablehnen, da wir nicht glauben, dass Sie mit einer erneuten Beschlussfassung den Auftrag des Parlaments umsetzen – traurig, aber wahr. – Herzlichen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt dem Kollegen Dr. Behrendt das Wort.

[Steffen Zillich (LINKE): Man könnte den Antrag auch als Missbilligungsantrag sehen! – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Das könnte man!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Justizsenator! Ich kann mich dem Vorredner anschließen. Der Vorredner hat recht, was Ihre Amtsführung angeht. Der Vorredner hat recht, was die Missachtung der Parlamentsbeschlüsse angeht. Der Vorredner hat recht, was Ihr Engagement angeht, Parlamentsbeschlüsse nicht umzusetzen.

Das Thema beschäftigt uns dank der Piraten schon die ganze Legislaturperiode. Und Sie und Ihre Verwaltung glänzen mit Wenigtun bis Nichtstun. Die Berichte mussten wir Ihnen aus der Nase ziehen. Das war ein ausgesprochen ärgerlicher Vorgang. Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert, haben darauf hingewiesen, dass sie unzureichend sind. Dann wurde es langsam besser, aber auch verwirrend. Die Anlagen für den heutigen Bericht sind nachgeliefert worden. Darin steht, es habe Funkzellenerhebungen von 22 Millionen Daten gegeben – da kann sich jeder im Raum ausrechnen, wie häufig er selbst vorgekommen sein dürft, jedenfalls statistisch, es geht nur um Berlin. In einem älteren Bericht steht etwas von 49 Millionen Daten, das sind mehr als doppelt so viele. Wir werden das wahrscheinlich im Ausschuss beraten, was denn nun stimmt. Aber ich muss Sie darauf hinweisen, Herr Justizsenator: Sie haben hier jederzeit Rederecht, und es wäre angezeigt, dass Sie sich hier mal zu Wort melden und zu diesem Vorgang Stellung nehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Zu den Fakten: Nicht nur der Parlamentsbeschluss schreibt vor, dass hier ein Benachrichtigungstool einzurichten ist, sondern die Strafprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland schreibt vor, dass die Betroffenen einer Funkzellenabfrage im Nachhinein zu informieren sind.

[Anja Schillhaneck (GRÜNE): Ach was!]

In § 101a Abs. 6, das ist vor Kurzem geändert worden, aber da steht jetzt drin:

Die Beteiligten der betroffenen Telekommunikation sind von der Erhebung der Verkehrsdaten nach § 100g zu benachrichtigen.

Die Ausnahmevorschrift, die dann in § 100 Abs. 4 steht:

Zudem kann die Benachrichtigung einer … Person, gegen die sich die Maßnahme nicht gerichtet hat,

das sind fast alle, die da erfasst werden –

unterbleiben, wenn diese von der Maßnahme nur unerheblich betroffen wurde und anzunehmen ist, dass sie kein Interesse an einer Benachrichtigung hat.

Die Staatsanwaltschaft in Berlin geht nun davon aus, dass niemand ein Interesse an dieser Benachrichtigung hat, und macht es konsequent nicht. Die Staatsanwaltschaft hat noch niemanden, der von einer Funkzellenabfrage im Land Berlin betroffen wurde, informiert, obwohl die Strafprozessordnung der Bundesrepublik das vorschreibt. Das habe ich hier an dieser Stelle schon mehrfach als rechtswidriges Verhalten kritisiert, weil man schlichtweg nicht unterstellen kann, dass niemand – wir haben eine sehr kritische Öffentlichkeit in Berlin, das ist bekannt, Stichwort: Snowden-Debatte und anderes – Interesse daran hat. Diese Unterstellung geht fehl, und damit ist

(Sven Kohlmeier)

das, was die Berliner Staatsanwaltschaft in Sachen Funkzellenabfrage macht, immer noch rechtswidrig. Die Debatte ging ja los mit einem Bericht des Datenschutzbeauftragten, der der Staatsanwaltschaft die Leviten gelesen hat. Das ist länger als drei, vier Jahre her. Ich fürchte, dass da wenig Abhilfe passiert ist.

Herr Senator! Sie tragen die politische Verantwortung dafür, dass sich die Berliner Staatsanwaltschaft an Recht und Gesetz hält. Das ist eine weisungsgebundene Behörde. Da können Sie sich auch nicht mit richterlicher Unabhängigkeit rausreden, wie Sie das bei den Gerichten so gerne machen, sondern Sie tragen persönlich die politische Verantwortung dafür, dass hier nach Recht und Gesetz verfahren wird. Wir haben erhebliche Anhaltspunkte, dass das fortgesetzt nicht passiert. Das ist das Problem. Und das beschreiben die Piraten hier mit diesem Antrag goldrichtig. Es ist langsam an der Zeit, dass hier etwas passiert.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Jetzt rufen Sie wahrscheinlich den Generalstaatsanwalt an. Offenbar hat Herr Heilmann jetzt den Generalstaatsanwalt angerufen und hat um Abhilfe gebeten. Das finde ich eine gute Idee, aber das ist vielleicht jetzt in der laufenden Plenarsitzung ein bisschen sehr spät, die Generalstaatsanwaltschaft darauf hinzuweisen. Vielleicht haben Sie sich ja auch gemeldet, um hier endlich einmal dazu Stellung zu nehmen.

[Lars Oberg (SPD): Vielleicht hat er in seinem Wahlkreis angerufen! Er hat ja auch einen!]

Mir bleibt nur noch, an alle zu appellieren. Den einen Beschluss, um den es hier heute geht, haben wir ja einstimmig bei Enthaltung der Linken hier gefasst. Wenn wir uns ernst nehmen als Parlamentarier, dann sollten wir uns alle dafür einsetzen, dass Parlamentsbeschlüsse von der Exekutive eingehalten und beachtet werden.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Lars Oberg (SPD)]

Denn sonst könnten wir uns das ganze Verfahren, das wir hier machen, mit umfangreichen Beratungen und allen möglichen Ausschüssen, wilde Rederunden pro und contra und Abstimmungen, sparen, wenn wir nicht einmal dieses Selbstverständnis als Parlamentarier hier gemeinsam teilen, dass die Beschlüsse vom Senat – natürlich gibt es keine rechtliche, sondern nur eine politische Bindung, das wissen wir auch, aber diese politische Bindung sollte ausreichen – eingehalten werden und diese Bindung wirkt. Denn sonst, werte Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir uns nicht darüber zu wundern, wenn wir das hier durchgehen lassen, dass die Verwaltung auch in anderen Bereichen macht, was sie für richtig hält und sich einen feuchten Kehricht um die Beschlüsse des Parlaments kümmert.

[Zuruf von Heidi Kosche (GRÜNE)]

Das ist nun wirklich eine problematische Entwicklung, der Einhalt zu gebieten ist. Herr Senator! Das ist jetzt schon mehr als Rot, was das Parlament Ihnen hier gezeigt hat, und nun muss endlich mal etwas anderes passieren in diesem Bereich. Vielleicht kommen Sie ja noch zur Einkehr. Aber ich kann Ihnen sagen: Wir werden bei diesem Thema nicht locker lassen. Die womöglich bestehende Hoffnung, dass das Thema mit dem Auszug der Piraten hier erledigt ist, diese Hoffnung kann ich heute schon zerstören. Wir werden da dranbleiben. Es geht hier um die Bürgerrechte von Millionen Berlinerinnen und Berlinern, die hier zu wahren sind. Dafür sind wir ins Parlament gewählt worden. Dafür werden wir uns weiter einsetzen, komme, was da wolle. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Einen kleinen Moment bitte ich jetzt um Geduld, weil Herr Senator Heilmann um das Wort gebeten hat.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Hört, hört! – Canan Bayram (GRÜNE): Mensch, der Anruf!]

Der Senat hat jederzeit das Rederecht, also erteile ich ihm das Wort.

[Zuruf: Jetzt?]

Ja, jetzt. Einen Moment noch.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Er kann ja auch als Abgeordneter reden! – Senator Mario Czaja: Jetzt will die Opposition gar nicht, dass er redet!]

Es kommt jetzt gleich dazu, dass Herr Senator Heilmann nach der Rederunde das Wort ergreift. Das halte ich persönlich auch für die beste Lösung. Es geht jetzt erst einmal weiter in der Rederunde, und ich erteile der Kollegin Seibeld das Wort. – Bitte schön!

[Senator Mario Czaja: Die Opposition weiß auch nicht, was sie will! – Dr. Manuela Schmidt (LINKE): Was heißt hier „auch“?]

Meine Damen und Herren! Ich dachte, der Senat darf immer reden, jedenfalls steht das seit 20 Jahren so in der Geschäftsordnung. Aber offenbar haben wir heute

[Christopher Lauer (PIRATEN): Karneval!]

neue Sitten hier in diesem Haus.

Dass der Kollege Lauer in der Disziplin des Angebens besonders gut ist und es deswegen auf die ganze Stadt

(Dirk Behrendt)

übertragen möchte, ist nicht überraschend. Herr Kollege Lauer! Ich bedauere es zum ersten Mal, dass Sie nicht die Gelegenheit haben, uns in Regierungsverantwortung zu zeigen, wie es eigentlich gehen könnte. Darauf wäre ich tatsächlich gespannt gewesen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Bald in der roten Ampel!]

Aber das werden wir vermutlich nicht erleben.

[Zuruf von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Die Funkzellenabfrage hat sich – und darüber bestand im Rechtsausschuss, jedenfalls mehrheitlich, Einigkeit – als ein wesentliches Mittel der Strafverfolgung herausgestellt, mit dem in den letzten Monaten und Jahren schwerwiegende Straftaten aufgeklärt werden konnten. Auch der Eindruck, den die Piratenfraktion an dieser Stelle suggerieren möchte, dass ein ganz überwiegender Anteil der Strafverfahren mit Funkzellenabfrage bearbeitet wird, ist nicht zutreffend. Es gibt im Land Berlin im Jahr 500 000 Strafverfahren. Davon werden lediglich 500, also 0,1 Prozent, über diese Methode bearbeitet.

[Claudio Jupe (CDU): Hört, hört!]

Darüber hinaus muss man bei der Bewertung der Schwere des Grundrechtseingriffs berücksichtigen, dass es sich hier um anonymisierte und nicht individualisierte Funkzellenabfragen handelt. Eine Individualisierung einer Person ist immer erst dann möglich, wenn weitere Tatsachen hinzukommen, was bedeutet, dass der Grundrechtseingriff für den unbeteiligten Einzelnen sehr gering ist.

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Genau vor diesem Hintergrund ist auch die Frage nach dem Interesse des einzelnen Bürgers an einer Information zu beurteilen. Natürlich ist dabei auch abzuwägen, inwiefern eine Information der Betroffenen, sei es per SMS oder per Veröffentlichung im Internet, möglich ist. Ein solches Informationssystem muss verschiedene Kriterien erfüllen. So muss zum einen verhindert werden, dass kriminelle Kreise darüber Informationen über die Ermittlungen ziehen können. Zweitens ist darauf zu achten, dass durch eine Veröffentlichung im Internet der Eingriff in Grundrechte für die Betroffenen nicht noch weiter verstärkt wird. Drittens ist zu klären, welche Anfechtungsmöglichkeiten für die Betroffenen bestehen und welche Anforderungen an die Form der Benachrichtigung zu stellen sind.