Herr Kollege! Mit Ihrer bemerkenswerten Einleitung haben Sie den Eindruck erweckt, als ob der Forschungsreaktor am Wannsee und die havarierten Reaktoren in Fukushima besonders viel gemeinsam hätten.
Können Sie mir erläutern, was Sie zu diesem Vergleich bringt und welchen Eindruck Sie damit vermitteln wollen – als ob Berlin vielleicht ein Atomkraftwerk hat? Irgendwie verstehe ich das nicht. Entweder ist das Populismus, oder ich habe es noch nicht verstanden. Können Sie es mir erklären?
Diese Sonderüberprüfung, diesen Stresstest, haben Sie ja aufgrund der Ereignisse in Fukushima – wie gesagt, auch mit den Stimmen der SPD – damals beschlossen. Ich habe hier auch von Herrn Buchholz, der gleich reden wird, eine Pressemitteilung, die er damals aufgesetzt hat. Darin wird auch auf Fukushima Bezug genommen. Das heißt, es ist vielleicht Populismus, aber dann nicht nur von mir.
Noch einmal die Frage: Wollen wir überhaupt einen Nuklearreaktor im Vorgarten einer 3,5-Millionen-Stadt? –
Wir sind, glaube ich, die einzige Partei, die eine klare Beschlusslage dazu hat, auch wenn sich die Grünen jetzt von unserem Positionspapier haben inspirieren lassen.
Ich war am Montag vor Ort und habe noch einmal mit den Leuten geredet. Das war ganz gut, dass es vertagt wurde, denn so hatte ich diese Chance. Selbst der Betreiber sagt, dass der Reaktor nur bis maximal 2025 überhaupt noch wissenschaftlich relevant ist. Reaktorforschung fand ja seit den 70er-Jahren in Deutschland überhaupt nicht mehr statt. Das Thema ist eigentlich auch durch. Wir wissen alle, dass es mit der Reaktortechnik vorbei ist. Der Reaktor dort dient der Neutronengewinnung für die wissenschaftliche Forschung. Die Charité, die auch am Standort Nuklearmedizin durchführt, hängt nicht von diesem Reaktor ab. Die benutzen eine Protonenquelle. Die ist extra und erzeugt keinen Atommüll. Die Benutzung einer kleinen Spallationsquelle wurde dort übrigens schon modellhaft erprobt. Man ist also schon auf dem Weg dahin, alles umstellen zu können. Das HZB hat bekanntlich auch Erfahrung mit Beschleunigertechnologie. Sie betreiben auch das BESSY II in Adlershof.
Der Stresstest wurde nach Aktenlage durchgeführt. Das ist also wie beim TÜV. Sie gehen mit Ihrem Fahrzeugschein und Ihrem Servicescheckheft dorthin, und dann bekommen Sie die TÜV-Plakette oder auch nicht – zumal sich die Helmholtz-Gesellschaft an der Stelle das Scheckheft selbst ausgestellt hat. Wir haben laut dem Gutachten, über das wir hier reden, keine garantierte Sicherheit bei Flugzeugabstürzen. Die Flugrouten, die jetzt gerade beschlossen worden sind, führen nicht direkt über den Reaktor, sind aber zumindest sehr nah daran, und zwar sowohl in Richtung Osten als auch in Richtung Westen.
Na ja! Wenn ich mir die Karte anschaue, sieht es zumindest stark danach aus. – Wenn wir das Gutachten ernst nehmen und ein Überflugverbot an der Stelle durchsetzen wollten, dann müssten wir die Flugroutendiskussion noch mal neu aufrollen. – Lustig in dem Zusammenhang ist auch, dass der neue, schöne Flughafen den Namen BER hat – der Reaktor BER II.
Gezielte Angriffe, auch wenn kein Flugzeug abstürzt, sind dennoch möglich, und man könnte dort einen SuperGAU durch ein tragbares Waffensystem auslösen. Leute wollten sogar, dass ich darüber nicht rede, aber ich möchte damit keinem Terroristen irgendwelche Handlungsempfehlungen geben, sondern nur auf die Möglichkeit und die dadurch entstehende Gefahr hinweisen.
Zuletzt stellt sich noch die Frage, wie wir mit dem Restrisiko umgehen, das auch die Betreiberin selbst einräumt. Welches Risiko wollen wir zulassen, mit dem wir poten
ziell unsere Stadt zumindest teilweise unbewohnbar machen? Wir diskutieren über Autobahnen und Stadtschlösser, aber das ist eigentlich alles egal, wenn man diese Stadt nicht mehr betreten kann. Was für ein Risiko sind wir bereit einzugehen? 1 : 20 000 vielleicht? Das klingt wenig, ist so hoch wie vier Richtige im Lotto. Da bekommen Sie 170 Euro. Ich würde mir Gedanken machen, ob es das wert ist.
Wir haben bei einem Nuklearreaktor – egal, ob es ein Kraftwerk ist oder nicht, Herr Oberg! – immer eine erhöhte Strahlung. Bisher wurde es abgelehnt, einen Krebskataster zur Untersuchung der Gefährdung der Anwohner einzurichten. Ich bekomme Briefe von Bürgern, die an Krebs erkrankt sind und in der Gegend wohnen. Besteht da ein Zusammenhang? – Wir wissen es nicht, weil es nicht erforscht wird.
Ich muss leider gleich zum Schluss kommen. Was machen jetzt? – Wir haben dort die Chance – alle gemeinsam –, eine wesentlich modernere und flexiblere Anlage zu erhalten. Wir haben jetzt anderthalb Jahre diesen Reaktor nicht zur Verfügung gehabt. Es sind deshalb keine Flüsse über die Ufer getreten. Wir könnten noch ein paar Jahre weiterhin darauf verzichten und uns dieses nuklearen Risikos erwehren, und wir haben dann die Grundlage, die nächsten Jahrzehnte hier in Berlin Forschung auf Weltniveau zu machen – mit einer modernen Anlage, die auf Beschleunigertechnologie beruht. Das ist auch mein Vorschlag. Ich weiß, dass jetzt dazu auch andere Meinungen kommen, aber wir können gern weiter darüber reden. – Vielen Dank!
Danke, Herr Kollege Kowalewski! – Meine Damen und Herren Kollegen! Noch einmal mein Appell: Es ist ein hoher Geräuschpegel hier, und ich bitte herzlich darum, dass die Damen und Herren, die sich zwingend unterhalten müssen, das nicht hier im Saal zu tun, damit die Aufmerksamkeit dem Redner gilt.
Für die SPD-Fraktion hat nun Kollege Buchholz das Wort, und er hat jetzt die ungeteilte Aufmerksamkeit des Hauses. – Bitte, Herr Kollege!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen, meine Herren! Herr Kollege Kowalewski! Der Forschungsreaktor Wannsee ist ein sehr ernstes Thema, ich muss aber gestehen, dass ich angesichts dessen, was Sie hier gerade
als Rede gehalten haben, ein bisschen Angst vor dem Risiko habe, wenn Sie irgendwann ernsthaft politische Verantwortung in der Stadt übernehmen wollten, denn da sind Sie eher ein Restrisiko mit dem, was Sie hier über wichtige Einrichtungen in der Stadt sagen.
Kollege Kowalewski! Wir haben uns in der letzten Legislaturperiode sehr intensiv und wirklich auch fundiert mit dem Thema beschäftigt, und es hat einen Grund, dass im Juni 2011 drei Parteien – SPD, Linke, Grüne; Sie haben es angesprochen – zusammen diesen Auftrag an den Senat gegeben haben. Ich zitiere nur die Überschrift:
Zeitnahe, vollständige und ergebnisoffene Sonderüberprüfung des Berliner. Forschungsreaktors vor der Wiederaufnahme des Betriebs!
Das war der Auftrag, und mit Verlaub: Wir haben sowohl den ausführlichen Bericht des TÜV Rheinland als auch die zusammenfassende Stellungnahme des Senats bekommen. Da müssen Sie schon eingestehen, dass das, was wir als Parlament gefordert haben, hier auch ausgeführt wurde. Es gibt immer noch Restfragen und auch ein Restrisiko. Darauf komme ich gleich. Da haben Sie recht. Aber zu sagen, es wäre hier nichts erfüllt von dem, was das Berliner Parlament in seiner Mehrheit beschlossen hat, das geht deutlich zu weit.
Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen?
Herr Kollege Buchholz! Da Sie gerade so schön den Titel des Beschluss vorgelesen haben – nämlich ergebnisoffen zu prüfen –, frage ich Sie: Würden Sie mir denn zustimmen, dass es wenig ergebnisoffen ist, wenn man die Prüfer, die für den Reaktor schon ewig die Genehmigung erteilen, beauftragt, erneut diese Sonderprüfung zu machen? Fehlt nicht die Ergebnisoffenheit, wenn man nicht auch andere Gutachter hinzuzieht?
Zunächst einmal: Genehmigungen stellt nicht der TÜV Rheinland aus – das wissen Sie, Kollege Schäfer! –, sondern die atomrechtliche Aufsichtsbehörde bei der Umweltverwaltung hier im Land Berlin. Da sitzt Herr Gaebler! Das sollten Sie wissen.
Das ist nicht der TÜV Rheinland. Der gibt eine Empfehlung, ein Fachgutachten, ab, und das wird dann von der Verwaltung noch mal sehr verantwortungsbewusst gelesen und bewertet, und erst dann wird entschieden, was genehmigt wird und was nicht. Das ist also die Reihenfolge.
Und mit Verlaub, Sie wissen auch, welchen Zeitdruck wir alle nach Fukushima hatten und dass wir diesen Bericht auch möglichst zügig haben wollten, bevor nämlich wieder etwas angefahren wird. Deswegen gab es auch die Entscheidung aus der Verwaltung heraus, den erfahrenen, bisherigen Gutachter zu nehmen, denn der kennt die Anlage und muss sich nicht komplett neu einlesen und sehen, was dort steht und wie es funktioniert. Man kann gern noch mal über andere Sachen reden, aber Sie müssen zugestehen, dass es unter dem Zeitdruck, den wir alle zusammen im Juni letzten Jahres aufgemacht haben – auch als Parlament –, durchaus sinnvoll war, das so zu entscheiden.
Kollege Schäfer! Sie können das ja anders sehen, aber trotzdem: Da muss man sich als Parlament – Herr Kowalewski und die Vertreter der anderen Parteien – auch ehrlich machen. In Steglitz-Zehlendorf ruft die Partei Die Linke – Basisorganisation – die Evakuierungszone Wannsee aus und macht die Leute mit Einladungen verrückt. Dann höre ich, dass bei den Grünen offensichtlich zwischen den Wissenschaftspolitikern und Umweltpolitikern gar nicht entschieden ist, ob man zum Forschungsreaktor steht oder nicht dazu steht.
Herr Kowalewski! Sie haben völlig zu Recht gefragt: Wann kommt die Spallationsquelle, also eine wirklich neutrale Neutronenquelle? – Nicht vor dem Jahr 2025! Es ist eine politische Entscheidung, ob wir sagen, wir können mit den Restrisiken leben, die dieser Forschungsreaktor jetzt noch hat. Ja oder nein? Wenn Sie nur sagen, Sie hätten ein paar Briefe bekommen und seien einmal vor Ort gewesen, so glauben Sie mir bitte, dass das Thema an der Stelle ein bisschen vielschichtiger ist! Ich bin durch die Atomgeschehnisse um Tschernobyl politisch aktiv geworden – 1986 und die Folgen. Glauben sie mir, ich prüfe das sehr intensiv, wenn ich solche Vorlagen bekommen! Das meine ich ganz ehrlich, und deswegen enttäuscht es mich etwas, wenn Sie heute sagen: Oh! Wir haben auch ein Thema entdeckt, und wir wissen jetzt schon alles besser. Er muss erst mal für 15 Jahre sofort geschlossen oder gar nicht mehr geöffnet werden. – Das
ist dann aber auch eine endgültige Aussage, dass man zukünftig keine Forschung in Berlin haben will.
Aber wir wollen in den beiden Fachausschüssen, an die wir diesen Antrag überweisen, auch noch einmal mit einer Anhörung sehen, ob dem auch unter Gesichtspunkten dessen, was an – –