Protocol of the Session on January 28, 2016

Ihr Vorschlag, nun das Probejahr abzuschaffen, scheint zu beweisen, dass Ihnen dieser gesellschaftliche Konsens, den wir gemeinsam geschaffen haben, auf den wir eigentlich stolz sein könnten, fremd geworden ist. Denn wenn die Entscheidung, auf welche Schule ein Kind geht und auf welchem Weg es in Richtung gemeinsames Ziel geht, allein von der Wahlentscheidung nach der 6. Klasse abhängt, dann werden ISS und Gymnasium nicht nur gleichwertig sein müssen, sie werden auch gleichartig sein müssen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Oberg?

Nein, ich führe aus und bin auch für Bemerkungen danach sehr zu haben, später. – Es läuft letztendlich also darauf hinaus, dass es nur noch einen Schultyp geben würde, dann allerdings mit zwei Namen, eine ISS und ein Gymnasium, die dann sehr gleich wären. Das kann man wollen, muss man aber nicht. Ich schlage vor, dass wir Ihre Idee an den beiden Erfolgskriterien unserer gemeinsamen Reform messen, nämlich an der Frage: Schafft die Abschaffung des Probejahrs zusätzlich Chancen? Macht dadurch ein Kind mehr MSA oder Abitur? Das ist die

erste Frage. Die zweite Frage, die sich stellt, ist: Erhöht dieser Schritt die Akzeptanz der Schulstruktur in Berlin? – Ich glaube, beide Fragen muss man mit Nein beantworten, denn kein Kind mehr würde Abitur machen, kein Kind würde erfolgreicher zum MSA gehen, nur weil es auf jeden Fall auf dem Gymnasium bleibt.

[Beifall von Stefanie Remlinger (GRÜNE) – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Sie haben eben wieder etwas gesagt, was mir jedes Mal wehtut, weil Sie damit eigentlich Ihre eigene Idee in den Staub treten. Wenn Sie nämlich sagen, dass ein Kind vom Gymnasium an die ISS abgeschoben wird, dann tun Sie so, als ob die ISS eine Art minderwertige Schule wäre, eine Art Strafkolonie für Kinder zweiter Klasse.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Hildegard Bentele (CDU)]

So war die Sekundarschule nicht gedacht, und so haben wir sie gemeinsam auch nicht gebaut.

Zur zweiten Frage: Würde die Abschaffung des Probejahres die gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen? – Ich glaube, wir wissen gemeinsam, dass das nicht der Fall wäre. Wir können aber keine Bildungsreform machen, die nicht von einer gesellschaftlichen Akzeptanz getragen wird, weil die Auseinandersetzungen um ideologische Gräben herum viel mehr schaden als eine fachliche und nüchterne Auseinandersetzung. Deshalb lehnen wir Ihren Antrag ab. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir vor genau fünf Jahren das auch noch gemeinsam so gesehen hätten, und zwar mit genau diesen Argumenten. Vielleicht kommt die Zeit in gar nicht allzu ferner Zukunft, in der das wieder so sein wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Oberg! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Remlinger. – Bitte!

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vorab die Bemerkung: Herr Oberg! Selten war ich so einig mit Ihnen wie heute bei dieser Rede.

[Oliver Friederici (CDU): Ergebenheitsadresse!]

Ich will trotzdem sagen: Mich beschäftigt eine gewisse Panik, die im Moment in der Politik umzugehen scheint, auch in der Bildungspolitik. Ich habe das Gefühl, viele von uns sind mehr damit beschäftigt, nach ihrem eigenen Profil zu suchen, nach klaren, plakativen Forderungen und Botschaften, und weniger nach unseren Kindern wie die vielen Menschen, die sich um ihre Erziehung, Förderung und Bildung kümmern. Was dabei herauskommt, ist die Gymnasialpartei auf der einen Seite, die Ge

(Lars Oberg)

meinschaftsschulpartei auf der anderen Seite, und die Kostenlos- und Billigpartei liegt in der Mitte. Sie dürfen glauben, dass ich mir manchmal wünsche, meine Forderungen plakativer, einfacher und boulevardverträglicher formulieren zu können.

Wenn mich diese Versuchung überkommt, schaue ich im Zweifel in das Wahlprogramm meiner schönen Partei, und dann weiß ich auch, warum ich diese Partei und den Bildungsbereich der Partei so liebe.

[Zuruf von der SPD]

Denn Sie haben nach der Schulstrukturreform, die wir als Grüne damals mit angestoßen und unterstützt haben, als oberste Überschrift für diese Wahlperiode mit auf den Weg gegeben: Schulkonsens für Qualität. – Wir sind der Meinung, Schulen brauchen – und das stimmt nach wie vor für uns – jetzt vor allem Zeit und die nötigen Ressourcen, um sich zu konsolidieren und Reformen auszugestalten. Wir Grünen wollen die Schulen bei diesem Prozess begleiten und unterstützen, immer mit dem Ziel einer besseren Förderung von Kindern und Jugendlichen unter Beteiligung von Eltern und Schülerinnen und Schülern.

Jetzt geht es darum, Qualität an Schulen zu sichern und Freude am Lernen und Eigenaktivität der Schülerinnen und Schüler zu fördern.

[Steffen Zillich (LINKE): Genau! Durchs Probejahr!]

Ich nehme das Ziel ernst zu überlegen, wie wir gute Schulen für alle Kinder und die Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingungen schaffen und in Einklang bringen können, wie wir es schaffen, inklusiv zu beschulen, optimal individuell zu fördern, und zwar wirklich alle, sogar die, die wir gemeinhin hochbegabt nennen.

[Steffen Zillich (LINKE): Durchs Probejahr!]

Herr Zillich! Ich erkläre es Ihnen noch. Hören Sie einfach noch einen kleinen Moment zu! – Wenn ich das tue, komme ich zu ganz anderen Stellschrauben bzw. einer ganz anderen Prioritätensetzung als Sie. Es ist dabei überhaupt kein Geheimnis, dass wir als Grüne keine Freunde des Probejahrs sind, um hier keine Zweifel aufkommen zu lassen, was übrigens für uns noch lange nicht das Gleiche ist wie eine überfallartige ersatzlose Abschaffung.

[Regina Kittler (LINKE): Oh! Überfall!]

Wir haben aus unserer Sicht ein gesamtes System verantwortungsvoll zu steuern. Die Stellschrauben, zu denen ich komme, wenn ich über Zielerreichung nachdenke, sind ganz eindeutig andere. Es geht aus unserer Sicht um die Stärkung der Grundschulen. Gemeinsam mit den Kitas legen sie die Basis für erfolgreiche Lernprozesse in jeder Hinsicht, eben auch für die Frage der Chancengleichheit im Bildungssystem. Deshalb muss endlich

Schluss sein mit der Schlechterstellung der Grundschulen, der geringeren Wertschätzung der Grundschullehrkräfte, mit dem Prinzip: Je kleiner die Kinder, desto anspruchsloser die Angebote.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Wenn wir das Ziel teilen – ich glaube, dass wir die gleichen Ziele haben –, sollten wir die Bildungsverwaltung bei der Einführung des neuen Rahmenlehrplans unterstützen samt Unterfütterung der Notengebung durch das Niveaustufenkonzept, weil das helfen wird, die Vergleichbarkeit bzw. die Aussagekraft, was eine Note wert ist, zu erhöhen und klarer herauszuarbeiten, was Kinder am Ende der Grundschulzeit können sollten.

Wir sollten uns endlich ernsthaft der Frage der Lehrerarbeit zuwenden. Wir sind davon überzeugt, dass wir von dem Bild wegmüssen, Lehrkraft zu sein, hieße allein, einzelnen Klassen in einzelnen Fächern gegenüberzustehen. Nein, Lehrerin/Lehrer zu sein, bringt heute ein wesentlich komplexeres Anforderungsprofil mit sich, gerade im Moment mit all den Akteuren und Herausforderungen. Dieses auszufüllen, sollten wir ihnen ermöglichen. Wir sollten ihnen z. B. Kooperationen, Zusammenarbeit ermöglichen. Deshalb wollen wir den Pädagoginnen und Pädagogen dafür mehr Zeit geben, Teamzeit, und übrigens auch eine Entgeltordnung.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zillich?

Nein, danke! – Mir fiele noch mehr ein, aber mein Punkt ist: Wir sollten über Qualität reden

[Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

und darüber, wie man es allen Beteiligten tatsächlich ermöglicht, binnendifferenziert und individuell fördernd zu arbeiten, wie wir das immer so einfach verlangen. Ich bitte alle, die dieses Ziel teilen, den Weg dahin nicht durch Zwang, Überrumpelung oder Moralisierung von oben herab zu verordnen. Ich will beweisen, dass es richtig ist, dass es nicht nur in Skandinavien, sondern auch in Deutschland möglich, besser und leistungsfähiger ist, sich der Vielfalt zu stellen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wissen Sie, wer für mich die Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter sind, ob wir recht haben und auf dem richtigen Weg sind?

[Torsten Schneider (SPD): Die 40 000, die jedes Jahr neu nach Berlin kommen! Die Menschen!]

Das sind für mich zuerst die Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, all die Beschäftigten rund um das System Schule, die das umsetzen müssen.

[Regina Kittler (LINKE): Nicht die Kinder?]

Und es sind schließlich und endlich und vor allem die Schülerinnen und Schüler, die Eltern und Familien, die mit ihrer Schulwahlentscheidung abstimmen. Das meinen wir, wenn wir sagen: Schulkonsens durch Qualität. Und dabei bleiben wir. Ihren Antrag, liebe Linke, finde ich in diesem Zusammenhang einfach nicht hilfreich. Deshalb werden wir uns enthalten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Remlinger! – Für die CDUFraktion erteile ich jetzt der Kollegin Bentele das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die völlig unzureichende Argumentationslage der Linken ist durch die Ausschussbefassung, bei der sogar eine Anhörung durchgeführt wurde, um keinen Deut besser geworden. Beim Probejahr handelt es sich um ein notwendiges Korrektiv des Elternwillens, um Kinder vor Überforderung zu schützen, was allgemein als sinnvoll und im Vergleich zu den Regeln in allen anderen Bundesländern auch als human anerkannt wird.

Frau Remlinger! Sie haben Qualität angemahnt. Die Koalition hat in dieser Legislaturperiode auf unsere Initiative das Probejahr mit einem verpflichtenden Beratungsgespräch ab einem Schnitt von 3,0 sowie mit erheblichen Investitionen in das Gymnasialpersonal in Klasse 7, um eine gezielte Förderung sicherzustellen, abgepuffert und damit die Weichen dafür gestellt, dass noch mehr Schüler als bisher – die Umsteigerzahlen gehen ja auch zurück – das Probejahr erfolgreich bestehen.

Wer einen Wechsel von der Gymnasialklasse 7 in die Klasse 8 der ISS in einem Schulsystem mit zwei gleichwertigen Säulen als Drama oder Skandal darstellt – da gebe ich Herrn Oberg recht –, der hat das Zweisäulensystem nicht begriffen oder nicht verstanden, dass ein Probejahr eben ein Probejahr ist.

[Lachen von Regina Kittler (LINKE)]

Mögliche Härten rühren auch eher daher, dass man sich bei einem Wechsel nach Klasse 7 aufgrund der insgesamt sehr vollen Schulen ISS oft nicht mehr aussuchen kann. Das führt uns aber nur zurück zu dem Punkt, dass man sich die Schulwahl in Klasse 6 eben sehr gut überlegen sollte. Dafür haben wir die Beratungsgespräche, teils

auch Tests und die in Zukunft besser mit Personal ausgestatteten siebten Gymnasialklassen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kittler?

[Regina Kittler (LINKE): Haben Sie Angst davor oder was?]