Protocol of the Session on January 28, 2016

Ich muss an der Stelle einmal sagen, Herr Kollege Buchholz, die Stadträtinnen und Stadträte der Linken, die ich kenne, lösen die Probleme in den Unterkünften vor Ort,

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Oh! bei der SPD]

die sind nachts dort und fassen mit an. Von den Helferinnen und Helfern höre ich in Bezug auf die Bezirke keine Klagen, ob Kitagutschein oder sonst irgendetwas, das läuft. Die Probleme gibt es immer an der Schnittstelle zum Senat und zum LAGeSo.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die Leidtragenden sind die Geflüchteten. Im Regen stehen erneut die Freiwilligen. Die Freiwilligen werden weitermachen, sie werden ihre Arbeit machen, bis ihnen die Kraft ausgeht, bis sie nicht mehr können. Dann werden sich die Herren Henkel und Czaja hinstellen und sagen: Wir haben es ja schon immer gewusst. Das ist halt einfach nicht zu schaffen. – Als zuständiger Senator trägt Mario Czaja dafür die Verantwortung, dass die Dinge besser laufen. Trotz vollmundiger Ankündigungen laufen sie aber immer noch nicht besser.

Das fortgesetzte Versagen, dieses Totalversagen der Gewährleistung der grundlegenden Daseinsvorsorge, ist natürlich eine Schande für Berlin. Da haben sämtliche Pressekommentatoren recht.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Michael Schäfer (GRÜNE)]

Was uns als Linke aber besonders auf die Palme bringt, ist diese sich selbst erfüllende Prophezeiung, die Sie mit diesem Totalversagen bewirken, dieses Wir-schaffen-dasnicht, dieses Das-ist-alles-zu-viel-für uns. Sie, die Sie Geflüchtete pauschal für lernbedürftig in Sachen Grundgesetz halten, sollten sich zumindest an eine Norm der

Verfassung erinnern und gebunden fühlen: Artikel 1 GG, der von der Menschenwürde spricht, die unantastbar ist.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Zwei Großprojekte sind für Sie die eierlegende Wollmilchsau, die Erfolgsgeschichte, die Lösung aller Probleme: das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten und die angedachte Kleinstadt für Geflüchtete am ehemaligen Flughafen Tempelhof. Das Erste ist schnell abgehandelt. Sie wollen heute ein Landesamt durch Gesetz errichten, für das es weder ein Konzept, noch eine Personalplanung, noch eine Zeit- und Finanzplanung gibt. Lediglich elf Führungskräfte sind etatisiert.

Während SPD und CDU Eurozeichen in den Augen haben und virtuell schon einmal die Einnahmen kommender Haushaltsjahre für Wahlkampfgeschenke raushauen, fehlt es bezüglich der Untersetzung des dringend abzuhandelnden Pflichtprogramms in jeder Hinsicht an fiskalischer Fantasie. Wer hat Ihnen eigentlich eingeredet, die Erfindung neuer Behörden würde auch nur ein Problem lösen?

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das bringt doch nur neues Chaos. Als wir während der Haushaltsberatungen vorgeschlagen haben, entsprechende Vorsorge zu treffen, fand die Koalition das völlig unnötig. Kann man so Politik machen? – Ihre Koalition hat die Frage beantwortet, Herr Buchholz. Das ist Ihr Modus von Politik: Einwände werden beiseite gewischt, Sie hangeln sich von Notbehelf zu Notbehelf, von Provisorium zu Provisorium, von Krisenlösung zu Krisenlösung. Auf diese Weise lassen sich im Krisenmodus noch manche alte Rechnungen begleichen. Sie nutzen die selbst herbeigeführten Krisenzustände, um dann Notstandsrhetorik zu pflegen und en passant das eine oder andere Anliegen mit abzuräumen, das Ihnen schon lange am Herzen liegt.

Stichwort: Tempelhof-Gesetz, Ihre Planungen zur Massenunterkunft in und um die Hangars am früheren Flughafen. Mit dem von Senator Geisel im November langatmig als „alternativlos“ begründetem Gesetzentwurf hat der heute zu verhandelnde Änderungsantrag der Koalition nicht mehr so viel zu tun. Der Senat ändert seine Pläne von Woche zu Woche und der jeweils aktuelle Stand ist „alternativlos“. Die Fragen bleiben aber die gleichen: Was soll dort eigentlich gebaut werden? Weitere Unterkünfte? Hält der Senat an seinem Plan fest, dort wirklich 7 000 Menschen unterzubringen? Der Gesetzentwurf schließt das nicht nur nicht aus, er legt es geradezu nahe. Aber in den Hangars herrschen nach wie vor erbärmliche Zustände. Ihr Management in allen Fragen lässt das Schlimmste befürchten. Dafür bekommen Sie unsere Zustimmung auf keinen Fall.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir bleiben dabei: Massenunterkünfte führen zur Ausgrenzung und Stigmatisierung und sind eine integrationspolitische Vollkatastrophe. Das sagen übrigens nicht nur wir und die Geflüchteten-Initiativen, selbst Eberhard Diepgen, Brigitte Fehrle und viele andere betonen das geradezu beschwörend. Eigentlich ist das eine Binsenweisheit. Nehmen Sie das doch endlich ernst! Die heutigen Fehler werden sich auf Jahre und Jahrzehnte rächen.

Noch immer warten wir auf eine planmäßige Ertüchtigung von Immobilien in Landes- und Bundesbesitz. „Architekten für Architekten“ hat nun erneut eine lange Liste von Liegenschaften unter der Überschrift „Endlich den Leerstand für Geflüchtete nutzen –Beispiele“ ins Netz gestellt. – Herr Buchholz! Ich kann sie Ihnen nachher gern geben.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Bereits vor einem halben Jahr hat mein Genosse Udo Wolf hier im Haus an die Adresse des Regierenden Bürgermeisters die Aufforderung gerichtet, die Krisenrhetorik endlich durch gründliche Arbeit an nachhaltigen Lösungen zu ersetzen. Offenbar ist aber der Unwille oder die Unfähigkeit zur Ertüchtigung des Immobilienbestandes größer als die Bereitschaft zur Beschäftigung von Volksgesetzen und direkter Demokratie, zur Absenkung von Standards, zur Zentralisierung, zu Groß- und Massenlösungen, zur Durchsetzung von Bauvorhaben der Immobilienlobby gegen nicht nur unberechtigte Einwände einer engagierten und gewinnbaren Bürgerschaft. Haus der Statistik, Bundesamt für Risikobewertung, Gaswerksiedlung Lichtenberg, Berlinovo-Appartements, ich könnte unendlich fortsetzen.

Mit keinem Satz – Herr Müller, Herr Geisel, Herr Gaebler – haben Sie sich bisher mit unseren Vorschlägen auseinandergesetzt, haben Sie deutlich gemacht, dass Sie ernsthaft gewillt sind, das zu tun, was der Regierende Bürgermeister hier selbst betont hat: Es darf keine Tabus geben. – Ich dachte immer, das bedeute, es müssten alle denkbaren Möglichkeiten geprüft und angefasst werden.

Es ist inzwischen nicht einfach nur ein Casus Czaja. Das Versagen bei der Hilfe für Geflüchtete offenbart das gesamte Dilemma dieses Senats, dieser Koalition. Hektischer Aktionismus ersetzt planvolles Handeln. Das Schlimmste ist, dass noch weitere acht Monate ins Land gehen werden, bis zumindest die Chance besteht, diesem Trauerspiel ein Ende zu bereiten. Meine einzige Bitte ist: Tragen Sie dieses Trauerspiel nicht auf dem Rücken derjenigen aus, die es am allerwenigsten verdient haben: die Geflüchteten und die Helfenden!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Evers das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Es ist heute schon viel dazu gesagt und viel wiederholt worden, vor welcher Herausforderung wir in dieser Stadt momentan Tag für Tag stehen, und wer alles seinen Beitrag dazu leistet, sie zu bewältigen. Wir haben von den 80 000 Menschen gesprochen, die Berlin im vergangenen Jahr als Flüchtlinge aufgenommen hat. Wir haben von den über 40 000 gesprochen, die aktuell in den Unterkünften des Landes untergebracht sind, und wir haben von den ganz enormen Leistungen gesprochen, die damit verbunden sind.

Für diese Leistungen will ich zuallererst Dank sagen. Ich will denen Dank sagen, die ihren ehrenamtlichen Beitrag leisten, ich will Dank sagen denjenigen, die in den Berliner Verwaltungen unter wirklich schwierigsten Rahmenbedingungen dazu beitragen, diesen historischen Ausnahmezustand zu bewältigen, und auch auf die Gefahr hin, dass mich das hier einsam macht – zumindest im Kreis der Redner –, will ich auch dem zuständigen Senator Dank sagen.

[Beifall bei der CDU]

Ich für meinen Teil habe Respekt davor, wie Mario Czaja nicht nur unter hohem Druck, sondern auch mit Hochdruck daran arbeitet, diese Krise, die vor allem eine Berliner Verwaltungskrise ist, Schritt für Schritt zu lösen. Angesichts der Art und Weise, wie über zehn Jahre gerade auch das LAGeSo von Rot-Rot buchstäblich kaputtgespart wurde,

[Udo Wolf (LINKE): Genau! Genau! Daran hat es gelegen1]

gehört sein Job in diesen Tagen wirklich zu den schwersten in der Republik.

[Beifall bei der CDU]

Ich bin verdammt noch einmal froh, dass er sich dabei nicht beirren lässt – nicht vom medialen Dauerfeuer, nicht von Querschüssen aus egal welcher Richtung,

[Udo Wolf (LINKE): Sie haben anderthalb Jahre nicht regiert!]

nicht von der üblen Polemik der Opposition, deren bisherigen Tiefpunkt wir nicht heute erlebt haben –

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Herr Evers! Was ist das für eine Rede?]

das war bisher geradezu handzahm –, sondern der gestern erreicht wurde. Zu den gestrigen Geschehnissen haben Sie kaum etwas gesagt, es verdient aber eine Würdigung, was wir da Unglaubliches erlebt haben.

(Dr. Klaus Lederer)

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Denn, liebe Frau Kollegin Pop: Ich weiß nicht, was mich gestern früh trauriger gestimmt hat – die ersten Hinweise in sozialen Netzwerken darauf, dass ein Flüchtling mit Grippesymptomen im Umfeld des LAGeSo verstorben sein soll, oder das fast zeitgleich einsetzende zynische Halali, mit dem die apokalyptischen Reiter der Opposition losbrachen, diese Hexenjäger von Linken, Piraten und Grünen, die ohne jedes Zögern, ohne mal seriöse Sachverhaltsaufklärung zu betreiben,

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das ist eine Unverschämtheit!]

zu Felde gezogen sind.

[Beifall bei der CDU – Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Was haben wir gestern alles von Ihnen gehört: Rücktritt jetzt! Er ist nicht schuldig, aber verantwortlich! Wir haben es alle kommen sehen! Blut an den Händen von Czaja und Henkel! – Unsäglich!

[Beifall bei der CDU]

Liebe Frau Pop! Das war selbst einer Viertelspitzenkandidatin unwürdig, was wir gestern erlebt haben!

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kowalewski?

Nein, die Fragen haben wir ja im Laufe des gestrigen Tages beantwortet bekommen.

[Zurufe von den GRÜNEN]

Dass dieser Todesfall sich als digitale Märchenstunde herausgestellt hat, darüber sind wir hoffentlich gemeinsam froh. Ich bin froh, dass Sie alle Ihre Reden in der Nacht zu heute noch einmal haben umschreiben müssen, denn keine billige Parole war Ihnen zu schade, das gestern auszuschlachten.

[Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Unverschämtheit!]

Ich hoffe, es war Ihnen eine Lehre, künftig genauer hinzusehen, nicht sofort in jede Hysterie zu verfallen und zu einer sachlichen politischen Auseinandersetzung miteinander in diesem Haus zurückzukehren,