Protocol of the Session on January 28, 2016

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Und es ist nicht ohne Grund, dass im Land Berlin rund 50 Sport- und Turnhallen gerade belegt sind, wo niemand sagt, dass das eine gute Lösung ist. Übrigens sagt auch niemand – bevor diese Behauptung aufgestellt wird –, dass es schön wäre, wenn bis zu tausend Menschen in einer großen Halle untergebracht werden müssen. Das ist kein erstrebenswerter Zustand; es ist nicht wünschenswert, und es ist auch nicht schön für die Menschen dort. Aber es ist die Frage: Haben wir tatsächlich Alternativen?

[Zuruf von der LINKEN: Ja!]

Und, meine Damen und Herren von den Grünen, von den Linken und von den Piraten, Sie müssen sich eine Frage stellen lassen: Sind Sie bereit, verantwortliche Politik für dieses Land Berlin und für die Menschen, die als geflüchtete Menschen ankommen, zu unterstützen? – Das ist die große Frage, die Sie mal beantworten müssen!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Sie machen sich hier einen schlanken Fuß auf Kosten von geflüchteten Menschen, und das muss man auch mal klar benennen, und ich werde das jetzt tun!

[Udo Wolf (LINKE): Das ist eine Frechheit!]

Nehmen wir doch mal die Stadträte von den Grünen und von den Linken in den Bezirken: Und siehe da – wenn ich dort nachfrage, wenn ich dort anrufe, sagen sie: Herr Buchholz! Wir haben aber keine Unterkünfte mehr in unserem Bezirk! – Ja, da gibt es keine Unterkünfte mehr;

die finden auch die Stadträte von Grünen und Linken nicht!

[Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN]

Es ist scheinheilig, zu behaupten, es gäbe noch unglaublich viele freie Unterkünfte in der Stadt. Das ist wirklich unverfroren!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Herr Kollege Buchholz! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! Er kann danach gerne eine Intervention machen!

[Zuruf von der LINKEN]

Ich komme gleich noch zu Fehlinformationen! Das ist auch interessant bei diesem Thema, Kollege! – Schauen wir uns doch mal den Duktus an, den jetzt die Linken und die Piraten wählen! Nehmen wir mal die Kollegin Kapek, die gerade gesprochen hat, das Stichwort „menschenunwürdig“. – Ich glaube, es gibt tatsächlich Unterkünfte, die man als menschenunwürdig bezeichnen muss, Frau Kapek, und wir haben beide Glück, dass wir das noch nicht persönlich erleben mussten.

[Antje Kapek (GRÜNE): Waren Sie schon einmal dort?]

Aber Sie müssten sich mal eins fragen: Haben Sie sich eigentlich mal in Kreuzberg – Sie kommen doch aus Kreuzberg – die Gerhart-Hauptmann-Schule und den Oranienplatz angeschaut, als das noch geduldete Flüchtlingsunterkünfte und Aktionszentren für Flüchtlinge waren? Das war ein echter Graus!

[Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN) – Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt bitte ich doch, wieder ein bisschen Ruhe einkehren zu lassen! Danke schön!

Schauen wir uns doch mal die Linkspartei an!

[Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]

Zur Wahrheit zurückkehren? Sehr gerne, Kollege Doering! Wenn Ihre Fraktion und Parteivertreter der Linken sagen, es würden Gettos in der Stadt geschaffen, dann wird mir übel, muss ich Ihnen sagen, wenn Sie solche Begrifflichkeiten als Linkspartei verwenden!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Und ich habe hier – schauen Sie sich das an! – einen Aufkleber der Linksfraktion, weil ich mir gestern im Ausschuss anhören musste, ich würde mir das ausdenken, Die Linke würde von Gettos reden. – Historisch ist dieser Begriff für eins ganz klar belegt: dass Menschen eingesperrt werden und sich nicht in der Stadt oder irgendwo bewegen können. – Das ist genau das Gegenteil von dem, was Flüchtlinge in der Stadt hier können! Das müssen Sie auch mal fairerweise sagen!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von der LINKEN]

Und ich sage Ihnen auch ganz klar: Auch die Behauptungen, die in dem Flugblatt der Initiatoren der 100-ProzentTempelhof-Initiative aufgestellt werden, könnte ich einzeln alle widerlegen. Es ist ziemlich traurig, dass Menschen, die sich auf 740 000 Berlinerinnen und Berliner berufen, die für einen Volksentscheid gestimmt haben, meinen, sie könnten mit Desinformation die Stadtdebatte bestimmen. Ich will gern erläutern, warum das falsche Behauptungen sind: Dort steht, wir würden hier abnicken und schnell durchwinken. – Das Gegenteil ist der Fall: Der Gesetzentwurf des Senats stammt von Mitte November 2015. Wir haben zweieinhalb Monate intensiv in mehreren Fachausschüssen dieses Abgeordnetenhauses beraten.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Es gab eine große Bürgerversammlung am 7. Dezember 2015; da habe ich selbst auf dem Podium gesessen – Sie nicht, Kollege Albers! – Dann gab es ein Fachgespräch bei der Senatsverwaltung und vor einer Woche die große Bürgerversammlung. Und dann zu behaupten, es hätte keine öffentliche Diskussion gegeben, es wäre hier etwas durchgewinkt worden, ist schlichtweg Desinformation!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Es bleibt dabei: Mit dem heute vorgelegten Gesetzentwurf, der sich mit den Änderungen deutlich davon unterscheidet, was der Senat ursprünglich als Optionsflächen vorgesehen hatte – das sollte man hier auch mal anerkennen –, geht es um die Flächen, die kurzfristig genutzt werden können, die erschlossen sind.

Erstens: die große, grüne Freifläche des Tempelhofer Feldes bleibt geschützt. Zweitens: Es ist befristet für drei Jahre möglich, mobile Flüchtlingsunterkünfte auf befestigten Randflächen zu errichten – kein einziger Grashalm auf dem Tempelhofer Feld wird dafür angetastet. Drittens: Es entstehen gerade dadurch, dass es lockerer gemacht werden kann, neue Freiräume an den Randflächen und in der Mitte, um eben Integrationsprojekte, um Sport, um Spiel, um auch Bildungsangebote zu machen. – Wir finden, das ist ein guter Ansatz, weil es nämlich die Situation auf dem Tempelhofer Feld in den Hangars und auf dem Vorfeld entschärft. Und viertens: Hier wird nichts durchgewinkt. Sonst würde es nämlich gar keinen anderen Antrag geben. Sie beziehen sich ja immer auf irgendwelche Ursprungsvorlagen, die gar nicht zur

Debatte stehen heute. Das ist schon sehr traurig. Ich möchte Sie noch mal auffordern: Die Situation ist nicht nur eine ganz wichtige, sondern eine entscheidende für das Land Berlin im Augenblick. Wie gehen wir alle zusammen als Berliner Abgeordnetenhaus damit um, dass so viele geflüchtete Menschen in der Stadt ankommen? – Sie können sich hier nicht hasenfüßig ins Feld schlagen – und das meine ich wörtlich: ins Feld schlagen. Sie müssen hier verantwortliche Politik machen, die sagt: Ja! Es gibt Herausforderungen, die sind vielleicht mal größer als eine einzelne Fraktion oder eine einzelne Partei. – Erkennen Sie das an, damit wir das zusammen als Land, als Bezirke und als Berliner Abgeordnetenhaus vernünftig in dieser Stadt umsetzen können! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Lederer das Wort. – Bitte schön!

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE) – Weitere Zurufe]

Einen kleinen Moment noch, Herr Lederer! – Herr Kollege Esser! Können wir fortfahren?

[Joachim Esser (GRÜNE): Ja!]

Danke! – Bitte schön, Herr Kollege!

[Zurufe]

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Hauptstadt des wahrscheinlich reichsten Landes Europas hungern Menschen. Sie hungern, weil die Leistungsstelle des LAGeSo nicht in der Lage ist, die ihnen zustehenden Leistungen auszuzahlen. Sie hungern, weil sie trotz mehrfachen Vorsprechens keine Chance haben, auf den Sozialstaat zu treffen, dessen Aufgabe und grundgesetzliche Verpflichtung es ist, jedem Menschen das Existenzminimum zu sichern. Sie verlassen morgens um sechs ihre Unterkunft mit einem Termin und kommen um 20 Uhr zurück in die Gemeinschaftsunterkunft – ohne Geld, aber mit einem neuen Termin. Und das wiederholt sich Tag für Tag.

Der zuständige Senator schließt das überhaupt erst mal aus, dass das sein kann, obgleich Helferinnen und Helfer mit diesem Problem jetzt schon seit einiger Zeit konfrontiert sind. Und es war ja auch nicht so schwer zu kombinieren: In dem Maß, in dem die Registrierung der Menschen voranschreitet, kommt auf die Leistungsabteilung mehr Arbeit zu – das war doch absehbar, dass da mehr Menschen kommen würden!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Später, am gleichen Tag noch, wird die Senatsverwaltung mitteilen: Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Situation in der zentralen Leistungsstelle beim LAGeSo ergriffen! – Wieder Rechtfertigungs-, Überforderungs- und Krisenrhetorik, wieder hektische und planlose Ankündigungen; und während die Verwaltung in Krisenrunden sitzt, packen die Berlinerinnen und Berliner an und schaffen kistenweise Lebensmittel in die Flüchtlingsunterkünfte. – Das alles kennen wir nun zu Genüge. Eine Regierungserklärung, vier Aktuelle Stunden zum Thema im zurückliegenden Halbjahr hier im Parlament, viele Beteuerungen, immer wieder – vermeintlich – neue Befreiungsschläge, und immer noch kein Übergang zu einer geplanten, strategischen Problembewältigung, um die Herausforderungen zu identifizieren, zu priorisieren und sorgfältig abzuarbeiten.

Dass es gelungen ist, mit dem LAGeSo mal einige Wochen nicht bundesweit Schlagzeilen zu machen, ist kein Indiz für Besserung, und dass dort bisher nichts Schlimmeres passiert ist, ist gewiss nicht das Verdienst dieses Senats. Wer regelmäßig mit Helferinnen und Helfern und mit den engagierten Hauptamtlichen in den Unterkünften spricht, weiß: Es klemmt nach wie vor an allen Ecken und Enden. Was nützt eine Hotline für die Heimbetreiber, wenn für Sozialarbeitende und Sozialbetreuende vor Bürokratie kaum Zeit für geflüchtete Menschen bleibt, für die banalsten Probleme aber keine Landesbehörde erreichbar ist, Kosten durch Improvisieren entstehen, weil der Senat versagt und sich niemand zur Kostenübernahme bekennt?

Kompensationslösungen für das Behördenversagen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft scheitern am bürokratischen Moloch. Mit den angekündigten Sofortmaßnahmen wie Barauszahlung vor Ort sollen den Hauptamtlichen und Helfern in den Unterkünften auch noch Zusatzaufgaben aufgebürdet werden.

Grotesk wird es dann, wenn die Heimaufsicht kommt und moniert, dass die Unterbringung nicht den Standards entspreche – wobei wir es eigentlich gut finden, dass sie das tut. Nur: Die Verantwortung dafür liegt oft nicht beim Betreiber, sondern beim Auftraggeber der Heimaufsicht. Das ist der gleiche Senat, dessen Heimaufsicht die Einhaltung der Bestimmungen prüft, der ihre Erfüllung aber unmöglich macht. Natürlich gibt es viel zu wenige Kontrollen der Standards, aber auch darüber, was von dem Geld, wenn das LAGeSo dann einmal zahlt, tatsächlich in den Einrichtungen bei den Geflüchteten ankommt.

Es bleibt der Eindruck bestehen, dass nach wie vor die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut, dass niemand einen Überblick hat, wo die Probleme liegen, aber unglaublich viele verschiedene Zuständige vor sich hin wurschteln, um den Laden halbwegs am Laufen zu

(Daniel Buchholz)

halten. Ich kann Ihnen schon jetzt prognostizieren: Je mehr Anerkennungsentscheidungen zum Flüchtlingsstatus das BAMF fällt, je mehr Geflüchtete aus der Zuständigkeit des LAGeSo fallen, desto mehr werden die Probleme zu den Bezirken hinüberwandern, die dann vom Senat im Stich gelassen, aber verantwortlich gemacht werden, erneut überfordert zu sein, nicht, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können, weil Sie, der Senat, noch nicht einmal die eigenen Herausforderungen stemmen kann, geschweige denn schon jetzt den Bezirken vorausschauend die Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen, die sie dringend brauchen werden – personell, finanziell, durch Planung und Aufbau einer Infrastruktur zur Beherbergung der Menschen, bereits jetzt und nicht erst dann, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Ich muss an der Stelle einmal sagen, Herr Kollege Buchholz, die Stadträtinnen und Stadträte der Linken, die ich kenne, lösen die Probleme in den Unterkünften vor Ort,