Wir brauchen in Europa zwingend eine einheitliche europäische Asylpolitik. Wir brauchen gemeinsame Registrierungszentren. Wir brauchen eine faire Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union. Es ist wichtig, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs baldmöglichst auf eine Liste sicherer Herkunftsländer einigen. Und wir müssen auch die konsequente Bekämpfung von Schleuserkriminalität weiter vorantreiben.
Selten seit der Entstehung der Europäischen Union, Kollege Saleh, hat das Wort Solidarität eine größere Bedeutung gehabt als momentan. Wenn wir diese Solidarität bei der Aufnahme von Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen, nicht umgesetzt bekommen, laufen wir Gefahr, dass der Gründungsgedanke dieser Union, von Frieden, Freiheit und Demokratien, verlorengeht. Das droht aber, wenn nur einige EU-Länder die gesamte Last bei der Aufnahme der Menschen schultern, während sich andere aus der Verantwortung ziehen.
Berlin hat viele Herausforderungen in seiner Geschichte erlebt. Berlin stand auch immer für die Überwindung von Gräben und für das Bauen von Brücken. Und diese Brücken bauen wir mit einer Politik der Humanität und der Rechtsstaatlichkeit. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ein Wechselbad der Gefühle, brennende Flüchtlingsunterkünfte, der Mob von Heidenau, die Nazis in MarzahnHellersdorf, Schlagzeilen, die vor kriminellen Ausländern warnen, die katastrophalen Zustände vor dem LAGeSo, und auf der anderen Seite das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger, die Proteste gegen Nazis in Heidenau, in Marzahn-Hellersdorf, in allen Teilen der Republik. Die Kanzlerin sagt, wir schaffen das, und der Boulevard macht Aufklärung gegen rassistische Vorurteile. Widersprüche – Katastrophen-, Krisenrhetorik, und dann wieder Gemeinsamkeit der Demokraten, Verantwortungs- und Solidaritätsbekundungen.
Wir sollten nicht so tun, als würden wir alle am gleichen Strang ziehen, insbesondere dann nicht, wenn es noch nicht mal in Ihrer Koalition klappt. Wir sind uns hier in einer Sache einig: Wir danken all denjenigen, die den Flüchtlingen helfen, den Menschen, die den Zuständigen praktisch zeigen, was Anständige tun können.
Gäbe es das aufopferungsvolle ehrenamtliche Engagement der vielen, vielen Freiwilligen, die diese beschämenden Bilder vor dem LAGeSo und in Heidenau nicht ertragen haben, gäbe es diese bürgerschaftliche Willkommenskultur nicht, es sähe hier ganz finster aus.
Diese Menschen, die Tag für Tag dem überlasteten Personal des LAGeSo helfen, die den Flüchtlingen über den Tag helfen, die haben etwas geschafft, was Bundesregierung und Senat nicht geschafft haben: unbürokratisch schnell Hilfe zu leisten und ehrliche Willkommenskultur zu leben. Dafür gebührt ihnen Dank und die allerhöchste Hochachtung.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Warum tut sich der Staat dieses Landes so schwer, eine Zahl von Menschen von weniger als 1 Prozent seiner Bevölkerung anständig aufzunehmen und zu versorgen? Bei aller Überraschung, dass es doch mehr Menschen trotz Abschottung und Festung Europa bis hierher schaffen: Warum schafft das so große Probleme? Warum ist es möglich, binnen weniger Wochen Milliardensummen zu
mobilisieren für die Bankenrettung, aber über ein Jahr lang keine Vorsorge zur Aufnahme von Flüchtlingen zu treffen?
Ist diese Krisen- und Überforderungsrhetorik, die wir gerade erleben, für einen Staat, der auf Kosten der europäischen Peripherie einen Haushaltsüberschuss aktuell von 21 Milliarden Euro erzielt hat, ist das nicht ein wenig unangemessen?
Tun Sie nicht so, als wäre die Situation quasi über Nacht entstanden! Am 25. November 2012 hatten wir hier eine Aktuelle Stunde zum Thema. Das war nach der Eröffnung der ersten Notunterkunft in Berlin. Am 10. April 2014 hat Klaus Wowereit eine Regierungserklärung zum Thema Flüchtlinge abgegeben. Da hat er gesagt, dass die Aufnahme von Flüchtlingen uns alle angeht. Und er hat gesagt, wir brauchen neue Unterkünfte. Und er hat gesagt, es ginge um eine grundsätzliche Haltung und darum, ob wir in der Stadt zum gemeinsamen solidarischen Handeln bereit sind. Und Herr Czaja, Herr Müller, weil Sie eben nicht gehandelt haben, haben wir Ihnen im Dezember letzten Jahres ein flüchtlingspolitisches Konzept erarbeitet – die Opposition. Die O-Platz-Flüchtlinge waren für Sie aus den Augen, aus dem Sinn. Sie haben es versäumt, Personal und Räumlichkeiten des LAGeSo aufzustocken, Sie haben Container, Turnhallen, Traglufthallen bevorzugt, anstatt an nachhaltigen Lösungen für die Unterbringung zu arbeiten. Die lange Liste von landeseigenen Bundesimmobilien, die umgebaut und ertüchtigt hätten werden können, ist immer noch nicht bearbeitet worden. Jetzt haben Sie die Provisorien alle belegt, die Sie jetzt brauchen würden, um zusätzliche Spitzen abfangen zu können. Und immer noch hangeln Sie sich von Notprogramm zu Notprogramm.
Herr Müller! Ich habe es Ihnen schon vor vier Wochen gesagt, als Sie ins Rote Rathaus eingeladen haben: Sie müssen endlich von den Notprogrammen zu einem nachhaltigen Flüchtlingskonzept kommen.
Bürgermeister Hanke, SPD, hat es gesagt: Eine vernünftige Erstaufnahme und Unterbringung, eine vernünftige medizinische Versorgung sind kein Zauberkunststück. Das ist elementarstes Handwerk von öffentlicher Daseinsvorsorge.
Wenn Sie das nicht hinbekommen, muss man nicht den Katastrophenfall ausrufen, wie Herr Hanke gefordert hat, man muss einfach anfangen, seine Arbeit zu machen, und zwar systematisch und strukturiert.
Man darf auch Fehler machen. Man darf auch mal kurzfristig überfordert sein. Aber man muss dann auch lernen, handeln, und man muss auch wollen. Dass wirklich alle wollen, ist zu bezweifeln.
Herr Graf! Sie haben gerade eben die Ausweitung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten gelobt, damit man mehr Leute schneller abschieben kann. Sehen Sie sich doch mal wenigstens die Realität an! Informieren Sie sich doch mal wenigstens! Die Flüchtlingszahlen aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten sind nicht kleiner geworden. Ganz praktisch bedeutet das, Sie verlängern die Verfahren, in letzter Konsequenz schaffen Sie mehr Illegalisierte. Und wirklich wütend macht es einen, wenn jetzt in gute und schlechte Flüchtlinge eingeteilt wird.
Nein! Es gibt auch auf dem Westbalkan, in Serbien, in Albanien oder im Kosovo Menschen, die vor Gewalt, Hunger und Tod flüchten.
Die CSU kritisiert die Kanzlerin dafür, dass sie eine Ausnahme für die Flüchtlinge aus Budapest erlaubt hat, und jetzt erfahren wir, dass in Berlin, Herr Innensenator, alle so großzügig empfangenen Flüchtlinge aus Ungarn auch noch erkennungsdienstlich behandelt werden und alle eine Anzeige wegen illegalen Grenzübertritts bekommen. Mal abgesehen davon, dass Sie damit die Staatsanwaltschaften und Gerichte in den Wahnsinn treiben werden, was für eine Sorte Willkommenskultur ist das eigentlich?
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Die SPD im Bund macht den Unsinn mit der Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten mit. Jetzt will sie auch noch den CDU-Wunsch nach Sachleistungen statt Bargeld mit durchsetzen – dazu schnellere Abschiebung und eine Wiederbelebung der Residenzpflicht. Liebe SPDKollegen! Das ist kein humanitärer Umgang, das ist hochgefährliche Symbolpolitik.
Sie müssen sich dann doch entscheiden, ob Sie den Stammtisch bedienen oder wirklich etwas für Menschen in Not tun wollen.
Glauben Sie ehrlich, Sie könnten die Menschen mit Drohungen und Leistungskürzungen von der Flucht und damit auch von Deutschland fernhalten? Diese Menschen
Ja, da geht es auch um deutsche Außenpolitik. Es geht um Rüstungsexporte, es geht um Freihandelsabkommen, um Wirtschaftspolitik. Es geht um Entwicklungshilfen und Möglichkeiten legaler Einwanderung, wie sie schon angesprochen wurden.
Herr Regierender Bürgermeister! Ich weiß, wenn Sie zum Flüchtlingsgipfel gehen, steht das alles nicht auf der Tagesordnung. Ich weiß, es werden dort vor allem die sehr wichtigen Fragen der Ressourcenverteilung und Verantwortungsbereiche zwischen Bund, Ländern und Kommunen verhandelt. Natürlich muss der Bund die Kosten für die Erstaufnahme übernehmen, und zwar vollständig, wenn es nach uns geht. Aber ich sage Ihnen: Besser, Sie reden dort auch über das Thema Fluchtursachen, über die ökonomische und soziale Verantwortung Europas und über legale Einwanderungswege.
Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben versucht, seit Mitte des Sommers das von Ihrem Senat verschuldete Desaster einzudämmen – ganz offensichtlich zu spät. Sie haben den jetzt von Herrn Graf so gelobten Herrn Czaja quasi zur Bewährung zum Leiter des Krisenstabs gemacht, also denjenigen, der durch Nichtstun die jetzige Situation wesentlich mit herbeigeführt hat.
[Michael Dietmann (CDU): Frechheit! – Martin Delius (PIRATEN): Wahrheit! – Weitere Zurufe von der CDU]
Aber es wird nicht wirklich besser. Stattdessen wird die Krisenrhetorik verschärft, werden die Unterbringungsstandards abgesenkt. Aber wird an nachhaltigen Lösungen gearbeitet? Was ist mit der BIM- und BImA-Liste? Wann wird da endlich geprüft, geplant, umgebaut und für eine vernünftige Unterbringung ertüchtigt? Je länger Sie damit warten, umso schlimmer wird es.
Auch die Probleme bei der Gesundheitsversorgung sind nicht gelöst. Die Beschulung von Flüchtlingskindern ist Pflicht. Sie funktioniert bislang nicht wirklich. Der Innensenator ist verantwortlich für den Schutz der Flüchtlinge. Eine Schwerpunktsetzung beim Schutz von Flüchtlingsunterkünften ist bisher nicht erkennbar. Im Gegenteil: Zivilgesellschaftlicher Protest gegen Nazis wird noch behindert. Flüchtlinge, Flüchtlingshelfer und Journalisten werden von Neonazis angegriffen, bedroht und von der Polizei alleingelassen oder – schlimmer noch – kriminalisiert.
Wir können gern noch über die Einzelfälle reden. Herr Henkel! Auch Sie haben die gemeinsame Erklärung der Landesvorsitzenden unterzeichnet. Auch Sie sprechen von rechtem Terror, der in unserem Land wütet. Verste