Protocol of the Session on September 10, 2015

Fünftens: Die Verordnung über die Satzung erschließt sich mir an dieser Stelle nicht – warum die Satzung vom Senat verordnet werden muss und sich die Stiftung diese nicht mehr selbst geben kann. – Dazu erwarte ich noch eine differenzierte rechtliche Erläuterung, Herr Senator!

Ich hoffe nun, dass wir es jetzt auf der Zielgeraden, aber gemeinsam schaffen werden, die verbliebenen Differenzen mindestens konsensual zu lösen. Dazu fordere ich sie auf, und ich freue mich auf die weitere Beratung. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke schön! – Es wird die Überweisung der Gesetzesvorlage an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich komme zu

lfd. Nr. 5:

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin – V-Leute abschaffen

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungsschutz vom 20. Mai 2015 Drucksache 17/2282

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1971

Zweite Lesung

Ich eröffne die zweite Lesung zum Gesetzesantrag und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden – und höre hierzu keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschrift, die Einleitung, sowie die beiden Artikel I und II Drucksache 17/1971.

Von nun an stehen den Fraktionen für alle weiteren Beratungen die Kontingente der Gesamtredezeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GO zu. In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Herrmann, Sie haben das Wort. – Bitte, Frau Kollegin!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn eine Maßnahme mehr schadet als nützt, dann braucht man sie nicht. Wer dieser Logik folgt, der muss einsehen: VLeute beim Verfassungsschutz haben dort nichts verloren.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Marion Platta (LINKE) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

(Philipp Magalski)

Es gibt seit der Gründung der Bundesrepublik zig Skandale rund um V-Leute, die das eindrucksvoll belegen. Das erste Beispiel: Der Mord am V-Mann Ulrich Schmücker sollte gerade Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, bekannt sein. Der Berliner Verfassungsschutz versteckte jahrelang die Mordwaffe im hauseigenen Tresor – mit Fingerabdrücken eines anderen V-Mannes und eines V-Mann-Führers darauf. Was passierte anschließend? – Der Verfassungsschutz manipulierte auch noch das Gerichtsverfahren. Oder das bereits hier angesprochene Thema erstes gescheitertes NPD-Verbotsverfahren: Woran scheiterte es? – Genau, an der V-Mann-Problematik. Das zweite NPDVerbotsverfahren droht nun auch genau an der V-MannProblematik zu scheitern. Oder der NSU-Skandal, wo jahrelang so lange V-Leute in rechtsterroristischen Kreisen geführt worden sind, dass man schon aufpassen muss, nicht den Überblick zu verlieren, bei „Corelli“, „Piatto“, „Tarif“ und wie sie alle heißen. Diese Fälle zeigen deutlich: Der Schaden, den V-Leute anrichten, ist in jedem Fall größer als der Nutzen, den sie unserem Rechtsstaat angeblich bringen sollen.

Die Bezeichnung dieses nachrichtendienstlichen Instruments ist an sich schon Ausdruck einer Irreführung: Vertrauensleute. Was soll man darunter eigentlich verstehen? Die sogenannten Vertrauensleute gehören doch zu genau der verfassungsfeindlichen Szene, die man gerade wegen ihrer Verfassungsfeindlichkeit beobachten will. Das heißt, im Ergebnis legt sich der Staat immer mit dem Staatsfeind unter eine Decke. Da das den Herren und wenigen Damen Verfassungsschützern wohl auch nicht ganz geheuer ist, verfahren sie nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – und überprüfen grundsätzlich alle von V-Leuten gemachten Angaben. Oder man sollte besser sagen: Sie versuchen es. Der Verfassungsschutz stößt hierbei nicht nur an seine Grenzen, sondern wird regelrecht vorgeführt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall des Thüringer V-Mannes Tino Brandt. Der spricht ganz offen mit einem anderen Neonazi über das lukrative Nebengeschäft mit dem Verfassungsschutz: Wenn man nicht will, dass überhaupt überprüft wird, was ein V-Mann dem Verfassungsschutz erzählt, oder nicht möchte, dass diese Informationen vom V-Mann-Führer weitergegeben werden, dann solle man einfach sagen, dass man der Einzige ist, der das weiß. – Nach diesem Prinzip finanziert der Geheimdienst überhaupt erst den Thüringer Heimatschutz oder die NPD. Man kann also sagen: Der Verfassungsschutz finanziert den Aufbau von Staatsfeinden. Es sind eben keine Unterstützer geheimdienstlicher Arbeit, sondern Nazis mit Nebeneinkünften – und zwar aus Steuergeldern.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Man muss auch deutlich sagen: V-Leute sind nicht das einzige nachrichtendienstliche Mittel, das der Verfassungsschutz einsetzen kann. Es gibt viele weitere, die hier bereits häufiger Thema waren.

Jetzt wäre der Zeitpunkt, um zu handeln. Die deutschen Geheimdienste stecken in einer tiefen Legitimationskrise: mit dem NSU-Skandal eine Mordserie nicht verhindert, unzählige V-Leute beteiligt, Totalversagen – oder auch das Totalversagen beim NSA-Skandal. Und was passiert nach dieser Legitimationskrise? – Es gibt Untersuchungsausschüsse. Aber was ist mit Konsequenzen? – Mehr Geld, mehr Eingriffsrechte für die Geheimdienste, und V-Leute dürfen künftig auch noch straffrei nach Hause gehen, wenn sie sich an einer strafbaren Vereinigung beteiligen oder szenetypische Straftaten begehen. Das heißt in der Konsequenz, trotz dieses Versagens bekommen Rechtsextreme und andere Staatsfeinde künftig auch noch einen Freibrief dafür, wenn sie Straftaten begehen. Dass die Geheimdienste pauschal gestärkt ohne jegliche Strukturreform aus diesen Skandalen hervorgehen, das ist ein weiterer Skandal.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Auch der Berliner Verfassungsschutz hat einschlägige Akten geschreddert. Was ist die Konsequenz? – Im letzten Doppelhaushalt knapp 30 Prozent mehr Geld und mit diesem Haushaltsentwurf eine 25-prozentige Personalsteigerung, alles nach dem Prinzip der Koalition „Viel hilft viel“. Auf der anderen Seite: nichts. Kein bisschen mehr Transparenz, kein bisschen mehr parlamentarische Kontrolle und keine wirklichen strukturellen Änderungen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie nicht Ihrer Verantwortung gerecht werden und bereit sind, aus offensichtlichem Versagen strukturelle Konsequenzen zu ziehen, dann stellen Sie sich selbst ins Abseits. Keine VLeute beim Verfassungsschutz wäre zwar nur ein Schritt, aber kein unbedeutender, und deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für unseren Antrag. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Kollege Schreiber das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte noch einmal die Gelegenheit nutzen, ein Zitat – sofern ich darf – vorzutragen, und zwar vom Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der zur Einbringung des Gesetzentwurfs im März 2015 gesagt hat:

Das waren nicht nur einzelne Ermittlungsfehler, die dafür gesorgt haben, dass diese Mordserie so lange unentdeckt bleiben konnte, nein, es waren

(Clara Herrmann)

auch Strukturen, es waren Haltungen von Sicherheitsbehörden und von Verantwortlichen.

Das hat der Bundesinnenminister im März 2015 im Deutschen Bundestag gesagt. Ich glaube, dem haben wir insgesamt, auch als Haus, nichts hinzuzufügen. Es beschreibt zumindest in Teilen das, was Frau Kollegin Herrmann vorgetragen hat.

Jetzt komme ich zu dem großen Aber: Wir sind in der Debatte schon ein Stück weiter. Ihr Antrag, um es deutlich zu sagen, ist leider Gottes ein totgerittenes Pferd. Die Realität hat diesen Antrag längst überholt. Ich sage mal: Das ist auch ganz gut, dass das so ist, denn der Deutsche Bundestag hat im Juli 2015 das Gesetz zur Reformierung des V-Mann-Wesens beschlossen.

Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen, das hier deutlich zu machen, weil Sie hier Beiträge gebracht haben, bei denen ich gedacht habe: Ja, die hätten vielleicht vor zwei, drei Jahren noch ihre Richtigkeit gehabt. Die Themen sind zum Glück anders. Zum einen gibt es eine Verpflichtung zwischen Bund und Ländern zum gemeinsamen Informationsaustausch gerade in diesem Bereich. Es gibt erstmalig in der Geschichte eine gesetzliche Regelung zum Einsatz von V-Personen. Es dürfen keine verurteilten Straftäter mehr geworben werden, es dürfen keine szenetypischen Straftaten mehr begangen werden, und es gibt eine klare Regelung für die Anwerbung von V-Personen, das bedeutet, keine Minderjährigen und niemand, der seinen Lebensunterhalt dadurch finanziert. Das ist das, was der Bund beschlossen hat. Das ist auch das, was uns hier begleiten wird, auch im Land Berlin, und heruntergebrochen wird. Ich will hier gleich noch einmal Werbung machen,

[Hakan Taş (LINKE): Arbeiten Sie beim Verfassungsschutz?]

wir sind ja hier im Berliner Abgeordnetenhaus, und wir haben die Einbringung des Abschlussberichts vom Berliner Senat zum Themenkomplex NSU und dessen Konsequenzen bekommen. Ich bin sehr dafür, dass wir hier im Haus entweder in den Ausschüssen oder in einer Aktuellen Stunde über das diskutieren, was die Konsequenzen sind. Wir sind zum Glück viel weiter, wie sind viel weiter als das, was Sie uns hier heute weismachen wollen. Zum anderen möchte ich deutlich machen

[Benedikt Lux (GRÜNE): Was steht denn da drin zum Verfassungsschutz?]

Herr Lux, Sie können sich ja einklinken –: Es entlässt uns nicht aus der Verantwortung. Natürlich müssen wir parlamentarisch kontrollieren, und natürlich muss das, was hier schriftlich niedergelegt ist und wurde, den Alltagstest bestehen. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Für die Fraktion Die Linke jetzt der Kollege Taş.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Was nach dem Bekanntwerden der NSU-Verbrechen zutage getreten ist, war ein Desaster für die Sicherheitsbehörden in ganz Deutschland. Und was an Kungelei und Verstrickungen zwischen Staat und der Neonazi-Szene zutage getreten ist, ist unerträglich, und zwar ganz besonders in Bezug auf die Polizei und die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Über die Praxis der V-Leute ist hier schon mehrmals diskutiert worden. Meine Fraktion hat dazu eine klare Haltung. Der Staat darf nicht mit Neonazis und Verbrechern paktieren und denen auch noch Geld zahlen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Die Praxis ist unkontrollierbar, auch für uns als Parlament. Missstände können sich ungestört ausbreiten und verfestigen, und die Aufklärung im Nachhinein wird systematisch durch die Mauer des Geheimschutzes verhindert. Kurz: Der Einsatz von V-Personen bringt keinen Nutzen, sondern schadet der Demokratie und muss deshalb beendet werden.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir jetzt, fast vier Jahr nach dem Auffliegen des NSU, erleben, ist nicht etwa eine selbstkritische Analyse der Sicherheitsstrukturen in Deutschland. Wir erleben, dass genau die Strukturen, die für das Versagen der Sicherheitsbehörden verantwortlich sind, auch noch gestärkt werden. SPD und CDU im Bund haben die Geheimdienste weiter aufgerüstet, die parlamentarische Kontrolle bleibt eine Farce. Das neue Verfassungsschutzgesetz sieht vor, dass auch weiterhin Schwerkriminelle als V-Personen angeworben werden dürfen. Es wird sogar geregelt, dass diese Straftaten begehen dürfen. Auch in Berlin ist es nicht anders.

Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiber?

Nein, ich möchte meine Rede erst weiter fortführen. – Mit dem neuen Haushalt wollen SPD und CDU den Verfassungsschutz massiv aufstocken, und sie wollen den Einsatz von V-Leuten ausweiten. Schaut man in den entsprechenden Titel beim Verfassungsschutz, liest man dort, dass es statt 530 000 Euro im Jahr jetzt 680 000 Euro im Jahr sein sollen. Bei der Polizei sieht es übrigens ähnlich aus. Wenn das so weitergeht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir einen neuen V-Leute-Skandal auch hier in Berlin haben.

(Tom Schreiber)

Nun zum Antrag der Grünen: Sie haben sich endlich dazu durchgerungen, die Abschaffung der V-Leute beim Verfassungsschutz zu fordern. Das hat eine Weile gedauert, aber es ist zu begrüßen. Allerdings geht es bei Ihnen nur um den Verfassungsschutz. Was ist mit der Polizei, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen? – Wir hatten hier in Berlin den großen Skandal um den V-Mann Thomas Starke, der vom LKA zehn Jahre lang geführt wurde. Dieser Mann ist dem engen Unterstützerkreis des NSU zuzurechnen und hat der Polizei sogar einen Hinweis auf das Trio gegeben. Dieser Mann war ein Neonazi und Verbrecher von der ganz schlimmen Sorte. Wir haben es hier gemeinsam erlebt: Alles, was Sie in Ihrem Antrag über V-Leute beim Verfassungsschutz schreiben, trifft auch auf die Polizei zu.

Das Land Berlin hat Herrn Starke Geld gezahlt und so die Umtriebe von Neonazis gefördert. Der Erkenntnisgewinn war übrigens zweifelhaft. Den Hinweisen von Herrn Starke ist man nicht nachgegangen. Die Machenschaften waren nicht kontrollierbar. Und auch im Nachhinein haben der Innensenator und die Polizei gemauert und immer wieder den Quellenschutz vorgeschoben. Also, liebe Grüne, wenn Sie sich auf den Verfassungsschutz beschränken, bleiben Sie auf halber Strecke stehen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob Sie nicht wieder umkehren und zurücklaufen. Ihr Antrag zeigt wieder einmal, dass Sie sich nicht entscheiden können, ob Sie staatstragend oder kritisch sein wollen.