Protocol of the Session on June 25, 2015

[Torsten Schneider (SPD): Die den Antrag stellen!]

Auch die Piraten lade ich dazu ein. Die sind hier vor vier Jahren angetreten mit dem Anspruch, wir sind kein Block, einzelne von uns unterstützen auch Anträge, die wir richtig finden.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Das war früher!]

Da frage ich: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Finden sich denn von 15 Piraten nicht neun, die ebenso mutig sind,

[Zuruf von Sven Rissmann (CDU)]

diesen Antrag mit zu unterstützen?

[Martin Delius (PIRATEN): Die Antwort ist nein!]

Die Verantwortung für die Menschenrechte, für die Einhaltung der Verfassung, die tragen wir alle. Und Sie wollen doch nicht hilflos zusehen, wie dieser CDU-Senator Henkel Migrantenrechte mit Füßen tritt. Dann tun Sie etwas dagegen, und untersuchen Sie gemeinsam mit uns diesen Abschiebesumpf!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Evrim Sommer (LINKE) – Zurufe von der CDU]

Vielen Dank, Frau Bayram! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Zimmermann. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch uns ist die Sache sehr wichtig. Deswegen müssen wir hier wirklich sorgfältig und ernsthaft gucken, ob das, was Sie hier vortragen, Frau Bayram, für einen Untersuchungsausschuss reicht oder nicht. Das ist die Arbeit, die wir als Fraktion hier leisten müssen, jenseits der Frage, ob uns Menschenrechte wichtig sind. Die sind uns allen wichtig,

(Torsten Schneider)

das kann nicht das alleinige Ausschlagkriterium sein für einen Untersuchungsausschuss.

Wir sind also aufgerufen, sorgfältig zu prüfen, ob Anhaltspunkte für solche Missstände bestehen, die mit den ordentlichen Ausschüssen nicht mehr zu kontrollieren und aufzuklären sind, mit der Folge, dass wir Sie mit dem besonders scharfen Schwert des Untersuchungsausschusses sezieren müssen. Das muss unser Kriterium sein. Können wir in den zuständigen Ausschüssen alle relevanten Informationen beiziehen und bewerten? Brauchen wir dann noch ein weiteres Instrument, oder brauchen wir es nicht? Und ich will es ganz klar sagen, wenn wir es in den ordentlichen Ausschüssen können, dann sollten wir nicht ein weiteres Gremium und einen Untersuchungsausschuss einsetzen, weil wir dann Gefahr laufen, es zu entwerten.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und den PIRATEN]

Wir haben einen Monat lang im Innenausschuss ausschließlich dieses Thema behandelt, stundenlange, ausführliche Berichte gehört und bis ins Detail Direktabschiebungen und insbesondere die Frage des Umgangs mit Abschiebungshindernissen untersucht. Und diese umfangreichen Informationen haben keine Anhaltspunkte für untersuchungsausschusswürdige Missstände ergeben. Der ganze Sachverhalt rund um den Arzt, den Sie beschreiben, ist vollständig aufgeklärt.

[Canan Bayram (GRÜNE): Das stimmt doch nicht; das ist doch nicht wahr!]

Insbesondere war dessen Wirken nicht ursächlich für die Rechtswidrigkeit der Direktabschiebung, um die es hier geht.

Zweitens: Es gibt über einzelne Fälle von problematischem oder rechtswidrigem Handeln der Ausländerbehörde hinaus keine zureichenden Hinweise auf eine dauernde oder systematisch rechtswidrige oder, wie manchmal behauptet wird, rechtsstaatswidrige Praxis.

Drittens: Von allen angegriffenen Entscheidungen der Ausländerbehörde werden 93 Prozent von den Gerichten als rechtmäßig bestätigt, nur 7 Prozent als rechtsfehlerhaft. Das ist, vorsichtig gesagt, keine schlechte Quote.

Viertens: Wenn wir diesen Maßstab Ihres Antrags anlegen würden, müssten wir vielen Behörden mit einem Untersuchungsausschuss zu Leibe rücken, denn überall kommen rechtswidrige Verwaltungsakte vor, und das ist auch das Wesen in einem Rechtsstaat, dass gerade das durch Verwaltungsgerichtsbarkeit untersucht wird und dass die Rechtswidrigkeit dort festgestellt werden kann, um hinterher diese Dinge zu beheben.

Und schließlich als letzter Punkt: Der Leiter der Ausländerbehörde hat erklärt, dass seine Behörde eine lernende Organisation ist. Das unterstützen wir sehr.

[Canan Bayram (GRÜNE): Hat er doch nicht! Er hat gesagt, er macht so weiter! Schauen Sie ins Wortproto- koll! – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Und wir sehen, dass dort eine Fehlerkultur etabliert wird. Dieses Umsetzen von Kritik in ein rechtmäßiges Handeln, falls Rechtswidrigkeit vorgelegen hat, –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! Ich bin hier schon fertig. – und diese Fehler abzustellen, das werden wir auch mit den ordnungsgemäßen Gremien dieses Parlaments kontrollieren. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Zimmermann! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Taş! – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Abschiebung der jungen Frau Banu O. hat uns in den vergangenen Wochen immer und immer wieder beschäftigt. Durch das hartnäckige Nachhaken der Opposition sind immer neue Enthüllungen über die skandalöse Berliner Abschiebepraxis ans Tageslicht gekommen. – Herr Wansner! vielleicht könnten Sie sich hinsetzen und zuhören! Was halten Sie davon?

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU) – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Dabei wurde deutlich: Unter Führung der CDU ist es zu einem Kurswechsel in der Berliner Integrations- und Flüchtlingspolitik gekommen. Der Berliner Ausländerbehörde geht es unter Senator Henkel nur noch darum, möglichst viele Menschen abzuschieben – schließlich muss sie ja seine Zielvorgaben zu Abschiebungen erfüllen. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen: Es gibt im Land Berlin mittlerweile Zielvorgaben zu Abschiebungen, und das ist widerlich. Das haben Sie richtig gehört: Das ist widerlich!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Daher nimmt es die Ausländerbehörde mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien auch nicht so genau. So ist die Zahl der für die Betroffenen äußerst belastenden Direktabschiebungen in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Im Fall Banu O. hat die Berliner Ausländerbehörde falsche Tatsachen vorgespiegelt, um die Betroffene in die Ausländerbehörde zu locken und so schnell wie möglich außer Landes zu schaffen. Ein dubioser Mediziner, der uns allen inzwischen bekannt ist, hat sie im

(Frank Zimmermann)

Auftrag der Ausländerbehörde für reisetauglich erklärt, obwohl sie schwere Flugangst hatte und einen Nervenzusammenbruch erlitt. Doch alles dies war egal – der Flieger stand schließlich schon bereit und konnte nicht warten. Daher wurde sie mit Psychopharmaka ruhiggestellt.

Auch die Härtefallkommission ist unter Rot-Schwarz zu einer Institution ohne Gestaltungsrahmen verkümmert. Rund zwei Drittel aller Härtefälle werden von Senator Henkel abgelehnt, und zwar nach Gutsherrenart und ohne Begründung. Unter Rot-Rot hat der damalige SPDInnensenator Körting noch 70 Prozent aller Härtefälle stattgegeben. Es gibt großen Handlungsbedarf. Wir wollen eine Änderung der Berliner Integrations- und Flüchtlingspolitik. Wir wollen die Missstände in der Ausländerbehörde und bei der Abschiebepraxis abstellen, und zwar sofort. Dazu braucht es unserer Meinung nach keinen Untersuchungsausschuss, sondern andere politische Ziele. Deswegen werden wir uns zu Ihrem Antrag auch enthalten, liebe Frau Bayram.

Im Bereich der Rückführungen hat das Land Berlin große Spielräume. Diese müssen vollständig ausgeschöpft werden. Menschen muss in allererster Linie eine Bleiberechtsperspektive geboten werden. Sind alle Spielräume ausgeschöpft, muss der freiwilligen Ausreise Priorität vor der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht ausgeräumt werden.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, keine Zwischenfrage! Ich komme gleich zum Schluss. – Wir wollen fachärztliche Standards bei Abschiebungen sichern. Die Bundesärztekammer setzt sich seit Jahren für die Wahrung ethischer und medizinischer Grundsätze bei Abschiebungen ein. Die Reisefähigkeit der Betroffenen muss zweifelsfrei sichergestellt sein. Man darf diese medizinische Entscheidung nicht irgendwelchen dubiosen Honorarärzten im Auftrag der Ausländerbehörde und Polizei überlassen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Dazu brauchen wir unabhängige, fachlich qualifizierte Ärzte. Zahlreiche Innenministerien haben bereits Verwaltungsanweisungen mit dem Ziel erlassen, unnötige Härten bei Abschiebungen für die Betroffenen zu vermeiden und fachärztliche Standards bei Abschiebungen einzuhalten. Berlin muss seine Behörden ebenfalls dazu anweisen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Darüber hinaus muss die Praxis der Direktabschiebungen unverzüglich beendet werden.

[Zuruf]

Der Rechtschutz der Betroffenen bei Abschiebungen muss gestärkt werden. Dazu muss die Ausländerbehörde grundlegend neu aufgestellt werden. Der unter Rot-Rot eingeschlagene Reformprozess muss neu aufgenommen und verstärkt werden.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Dafür werden wir uns, lieber Benedikt Lux, in den kommenden Wochen und Monaten einsetzen und entsprechende Anträge einbringen.

[Zuruf von Canan Bayram (GRÜNE) – Weitere Zurufe von den GRÜNEN]

Ja, lieber Benedikt Lux! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen! Wir haben die Verantwortung, und die Verantwortung übernehmen wir gerne in diesem Fall. Deswegen stellen wir Anträge. Deswegen wollen wir in diesem Bereich auch sofort Änderungen erreichen und nicht die Ergebnisse eines Untersuchungsausschusses abwarten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Zurufe]