Protocol of the Session on June 25, 2015

Luthers Hinweis auf die Qualität des jüdischen Blutes, sein Urteil über die erpresserische Wucherei, das vermeintliche Wissen um Giftmordanschläge und anderes mehr speiste sich aus allerlei trüben Rinnsalen eines spezifisch vormodernen Antisemitismus.

Deswegen ist für mich der 31. Oktober 2017 sicherlich die Möglichkeit, einen Feiertag zu begehen, so wie es in ganz Deutschland passiert, es ist für mich allerdings gleichzeitig Anlass, nicht hauptsächlich zu feiern, sondern gleichzeitig nachzudenken über das, was an Licht,

aber eben auch an Schatten in der Reformation und in den letzten 500 Jahren die deutsche Geschichte geprägt hat. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und den PIRATEN – Beifall von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Vielen Dank, Herr Verrycken! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort die Frau Abgeordnete Dr. Kahlefeld. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bedeutung der Reformation für Moderne und Aufklärung steht außer Zweifel. Gewissens- und Redefreiheit in Europa sind von den Reformatoren erkämpft worden. Auch und gerade die, die sich gegen diesen freien Tag im Jahr 2017 aussprechen, profitieren von den Auseinandersetzungen und Kämpfen, für die der Thesenanschlag steht. Damit ist klar, dass das 500-jährige Jubiläum des Thesenanschlags durch Martin Luther 2017 durchaus ein Tag ist, der berechtigterweise als allgemeiner Feiertag gelten kann. Das heißt, alle Berlinerinnen und Berliner haben frei, auch die, die nicht zur evangelischen Kirche gehören.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Ist ja unerhört!]

Im Gesetzentwurf werden – ganz so, wie es sein muss – auch die möglichen Kosten dargestellt, die so ein freier Tag verursachen könnte. Das ist in diesem Fall nicht ganz ohne Ironie, denn in der Kostenabschätzung kommt die säkulare Form eines protestantischen Arbeitsethos zum Ausdruck, über das man an diesem freien Tag ruhig mal nachdenken könnte.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE) – Heiterkeit bei den GRÜNEN und der LINKEN – Anja Kofbinger (GRÜNE): Bravo!]

Man hätte Zeit, um vielleicht Max Weber oder Calvin zu lesen.

[Martin Delius (PIRATEN): Gute Idee! Mit Max Weber in die Sommerferien!]

Wir brauchen Tage, an denen wir ohne „Schaffe“ und „Häusle bauen“ die Aufmerksamkeit darauf lenken können, uns mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich würde mir in der Vorbereitung darauf eine Diskussion über Ereignisse wünschen, die wir nicht oder zu sehr nebenbei begehen. Was ist mit dem Tag der AfrikaKonferenz und der Erinnerung an die Kolonialgeschichte Berlins? Was ist mit dem 27. Januar? Was ist mit großen religiösen Festen der nicht christlichen Religionen?

(Fréderic Verrycken)

[Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE) – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Das Iftar-Essen und das Kulturprogramm in den Nächten des Ramadan sind in den letzten Jahren zu einem festen Bestandteil der Festkultur Berlins geworden. Und das geht auch in die richtige Richtung.

Ein gutes Beispiel für die Erinnerungskultur in der globalisierten Einwanderungsgesellschaft war auch die diesjährige Debatte im Bundestag zum 100. Jahrestag des Genozids an den Armeniern. Ich wünsche mir in Berlin eine Entwicklung, in der sich die Vielfalt der Perspektiven auf die Stadt auch in der Vielfalt von Gedenken und Feiern abbildet, und wenn die Diskussion über diesen speziellen Feiertag uns in dieser Richtung weiterbringt, dann ist das ein Gewinn für alle.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Dr. Kahlefeld. – Für die CDUFraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Seibeld. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass uns heute ein Gesetzentwurf vorliegt, womit im Gesetz über die Sonn- und Feiertage der einmalige Feiertag zum Gedenken des historischen Ereignisses des Reformationstages vor 500 Jahren am 31. Oktober 2017 geregelt wird.

[Martin Delius (PIRATEN): Sie haben es ja nicht hingekriegt!]

Grundsätzlich ist der 31. Oktober, der Reformationstag, ein religiöser Feiertag für evangelische Christen, jedoch kein gesetzlicher Feiertag für die gesamte Bevölkerung. Es wird jedoch auch der kulturhistorischen Bedeutung des 500. Jahrestages des Reformationstages gerecht, wenn an diesem Tag die gesamte Bevölkerung die Möglichkeit erhält, das Reformationsjubiläum zu begehen. Auch unabhängig von der religiösen Bedeutung, die natürlich beim Reformationstag im Vordergrund steht, hat die in Deutschland durch Martin Luther eingeleitete Reformation gesellschaftlich und kulturell erheblichen Einfluss auf die Fortentwicklung Deutschlands genommen. In der Folge der Trennung der evangelischen Kirche von der katholischen Kirche musste man sich auch gesellschaftlich mit der Frage der Toleranz zwischen den Religionen auseinandersetzen. Dieser Problematik hat sich auch die Literatur wie z. B. Lessing in seiner Ringparabel häufig angenommen, und auch heutzutage schadet die lebendige Erinnerung daran, dass sich nicht nur die Religionen untereinander, sondern auch sämtliche weltanschaulichen Vereinigungen untereinander Akzeptanz und Toleranz schulden, im Zusammenleben einer pluralistischen Gesellschaft nichts.

Die Reformation schuf die Voraussetzungen für die Aufklärung in Deutschland und in Europa. Den Wert der Persönlichkeit des Einzelnen und dessen unumstößliche Freiheit und Individualität rückte erst die Aufklärung in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Eine weitere Folge der Aufklärung war auch die Trennung von Kirche und Staat, und an Beispielen wie dem sogenannten Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts, dem Berliner Neutralitätsgesetz und vielem mehr wird auch heutzutage immer wieder deutlich, wie wichtig die Grundgedanken von Reformation und Aufklärung für die christlich-abendländische Kultur auch heute noch sind.

In allen anderen Bundesländern wird der Jubiläumsreformationstag im Jahr 2017 durch einen gesetzlichen Feiertag begangen werden. Auch wenn uns durchaus bewusst ist, dass die Einführung dieses einmaligen Feiertages für den Einzelhandel zu Umsatzeinbußen führen könnte, so dürfte doch davon auszugehen sein, dass insgesamt durch das Reformationsjubiläum und auch den in Berlin stattfindenden Kirchentag etwaige Umsatzverluste zumindest aufgefangen, wenn nicht sogar wiedergutgemacht werden. Im Übrigen würde es auch komisch anmuten, wenn ausgerechnet Berlin mit seiner Nähe zur historischen Lutherstadt Wittenberg des 500-jährigen Jubiläums nicht angemessen gedenken würde. Ich freue mich daher sehr, dass diese Initiative der CDU zur Einführung des einmaligen Reformationstages eine breite Mehrheit gefunden hat.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Seibeld! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Brauer. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon ein bisschen merkwürdig. Mit weihevollem Pathos wird hier eine Gesetzesänderung beschworen. Die, die es inhaltlich angehen sollte, beispielsweise der christdemokratische Teil der Landesregierung, glänzen hier durch Abwesenheit. Die Reihen der CDU-Fraktion leeren sich auch sukzessive. Ich finde es immer toll, wie ernst Sie Ihre ureigensten Anliegen nehmen. Wenn Sie uns nicht hätten, meine Damen und Herren!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Ich bedauere es ein wenig, dass Sie die Diskussion, die wir hier in diesem Hohen Haus am 29. Januar dieses Jahres zu eben diesem Thema schon einmal geführt haben, nicht etwas verinnerlicht haben. Sie hätten dann vermutlich ein anderes Gesetz vorgelegt. Sie hätten beispielsweise – das ist von den Grünen angedeutet worden – die anderen Religionen berücksichtigt. Nun bin ich

(Dr. Susanna Kahlefeld)

nicht Mitglied der SPD-Fraktion und halte darum dieselbe Rede nicht zum wiederholten Mal, sondern versuche, es anders auszudrücken.

Sie schreiben hier in der Rechtsfolgenabschätzung, die derzeitige Regelung gebe nämlich gewissermaßen nur evangelischen Christen die Möglichkeit, das Reformationsjubiläum in einem zeitlich angemessenen Rahmen zu begehen. – Ja, mein Gott, was soll das? Warum sollen eigentlich katholische Christen das Reformationsjubiläum in einem angemessenen Rahmen begehen? So schlecht können Ihre Kirchengeschichtskenntnisse nicht sein, dass Sie nicht wüssten, dass sich Luthers Maßnahmen eigentlich gegen die katholische Kirche richteten.

Weshalb sollen Muslime das Reformationsjubiläum in einem angemessenen Rahmen begehen? Das ist mir irgendwie schleierhaft, wenn nicht gleichzeitig zumindest das Zuckerfest als gesetzlicher Feiertag in Berlin eingeführt wird.

[Heiterkeit bei den PIRATEN]

Dasselbe trifft für die Anhänger der mosaischen Religion, Hindus, Feueranbeter und was es sonst nicht alles noch gibt, zu. Das fällt bei Ihnen alles in dieser wunderschönen Multikultistadt gewissermaßen durch.

Ganz putzig wird es, wenn Sie uns hier stattdessen eine ökumenische Einheitssoße servieren, die ziemlich ungenießbar ist. Gut, Herr Verrycken: „Licht und Schatten der Reformation.“ Pardon! Hier steht etwas von seelischer Erhebung. Dort steht seelische Erhebung und nicht Diskussion von Licht und Schatten der Reformation.

Ganz verräterisch wird es, wenn wir dann auf die Kostenauswirkungen kommen. Frau Seibeld hat mit einer bemerkenswerten Offenheit schon das Problem der Umsatzeinbußen beschworen. Hier steht:

Handel und Tourismus werden von zusätzlichen Einnahmen durch zusätzliche Besucherinnen und Besucher in der Stadt zum Reformationsjubiläum profitieren.

Mir fällt sofort Johannes 2, Vers 13 bis 16 ein. Das ist die hübsche Geschichte, in der Jesus die Wechsler aus dem Tempel jagt,

[Heiterkeit bei den PIRATEN]

nämlich mit der Bemerkung: „Macht nicht meines Vaters Haus zum Kaufhause.“

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Genau das aber steht in Ihrem hundsmiserablen Gesetz. Sie machen das Haus des Herrn zu einem Kaufhaus und schauen zuerst auf Umsatz und Rendite. Pardon! Aber Sie geben den Berlinern und Berlinerinnen eine kleine Chance, Ihrem Kommerz und Ihrer Kommerzgier aus dem Weg zu gehen, indem wir nämlich gemeinsam in jeweils anderen Bundesländern diesem Jubiläum beiwohnen

dürfen – gut, ich räume ein, ich bin in Wittenberg –. Viele Berlinerinnen und Berliner werden die Wälder des Landes Brandenburg an diesem Jahr heimsuchen. Es ist Pilzsaison. Ich wünsche ihnen viel Glück! – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Vielen herzlichen Dank, Herr Brauer! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Lauer. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte noch auf folgendes Detail hinweisen, weil es im Zusammenhang mit der Diskussion, die wir heute Morgen über das Volksgesetz zu den Mieten geführt haben, anlässlich derer der Kollege Brauner von der CDU gesagt hat, es wäre alles voll mit Fehlern, sie würden sich nicht auskennen, steht. Der Grund, warum wir über dieses doch weltpolitisch sehr bewegende Thema zum zweiten Mal sprechen, ist, dass die Koalition nicht in der Lage war, einen Gesetzentwurf in dieses Parlament richtig einzubringen,

[Martin Delius (PIRATEN): Was?]

weil man der Meinung war – Was? Ich bin auch total entsetzt –, es reiche ein einfacher Antrag, mit dem der Senat mal eben einen Feiertag erlassen sollte, was natürlich nicht geht. Ich bin auch sehr entsetzt, und das geschieht von unseren Steuergeldern. – Es ehrt Sie alle sehr, wenn wir jetzt versuchen, diesen Tag religiös aufzuladen, und versuchen zu begründen, warum das jetzt so wichtig ist.

Ich möchte aus diesem zweiten Gesetzgebungsverfahren zwei Erkenntnisse herausarbeiten. Die erste Erkenntnis ist, dass wir als Land Berlin und als dieses Parlament Feiertage einführen können. Ich bin der Meinung, dass wir davon viel häufiger Gebrauch machen sollten.