Seit über 100 Jahren ist die Schwulen- und Lesbenbewegung in unserer Gesellschaft aktiv. Sie hat Opfer, viele Opfer gebracht, und sie hat sich an vielen Stellen durchgesetzt. Ich bin mir sicher: Auch die Ehe für alle wird über kurz oder lang Wirklichkeit werden. Das zeigt die Geschichte der Bundesrepublik an vielen Beispielen, ob beim § 175 zur Verfolgung Homosexueller, bei der rechtlichen Gleichstellung unehelich geborener Kinder oder beim § 218 zur Abtreibung: Die Geschichte unserer Republik zeigt, dass niemand die gesellschaftliche Wirklichkeit auf Dauer ignorieren kann. Dieser Versuch ist immer gescheitert, und er wird auch diesmal scheitern!
[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Aber leider nicht an uns!]
Ich habe in diesen Tagen viel an die Betroffenen gedacht – wie müssen sie sich fühlen während dieser unsäglichen Diskussion? Viele ältere Homosexuelle erinnern sich noch an die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung. Wir dürfen nicht vergessen: Viele berufliche und gesellschaftliche Existenzen wurden durch Intoleranz und Tabus vernichtet. Viele können sich noch an Zeiten erinnern, als die Polizei sie aufgegriffen hat. – Das ist eins der dunkelsten Kapitel unserer bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Wie lange sollen diese Betroffenen eigentlich noch warten? – Ich wünsche mir, dass diese Berlinerinnen und Berliner, die ihr Leben lang gelitten und gekämpft haben, die volle rechtliche Gleichstellung sehen werden.
Es wäre nicht nur eine späte Genugtuung – es wäre auch ein Zeichen dafür, dass sich die Werte unserer Verfassung, die Würde des Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz am Ende durchsetzen werden.
Nein! – Das katholische Spanien hat das seit 2005; Frankreich hat die Ehe für alle seit 2013. Nun hat sich sogar das konservative Irland dafür ausgesprochen. Hier in Berlin hat sich unser Bischof Markus Dröge klar für die Ehe für alle ausgesprochen. Dann werden die deutschen Christdemokraten das doch auch schaffen können!
Die Ehe für alle wird zur europäischen Normalität, weil Vielfalt die Normalität in Europa ist und weil der Kampf gegen Vorurteile und Diskriminierung eine der edelsten Traditionen der europäischen Aufklärung ist. Auch in Deutschland ist es längst so weit: Zwei Drittel der Deutschen unterstützen die Ehe für alle. Deshalb gilt – und das sieht man an den Wahlergebnissen der CDU in den Großstädten – der Satz von Michail Gorbatschow: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Für Berlin ist die Öffnung der Ehe natürlich ein besonders wichtiges Thema, denn wir sind unbestritten die Stadt der Vielfalt in Deutschland. Vielfalt ist der Motor dieser Stadt. Sie macht den Charme unserer Stadt aus. Menschen aus der ganzen Republik und aus der ganzen Welt sagen: In Berlin kann ich frei atmen; hier kann ich frei leben.
Hier in Berlin kann man frei leben, frei durchatmen. Hier ist die Entfaltung aller Lebensweisen und Kulturen möglich. Deshalb wäre es ein wichtiges Zeichen, wenn Berlin und übrigens auch das schwarz-grüne Hessen morgen im Bundesrat für die Anerkennung und Gleichberechtigung eintreten würden. Morgen haben Sie Gelegenheit zu diesem juristisch kleinen, aber politisch wichtigen Schritt.
Vielen Dank, Kollege Saleh! – Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt dem Kollegen Udo Wolf das Wort. – Bitte!
Danke, Herr Vorsitzender! – Lieber Kollege Raed Saleh! Jetzt mal das, wie ich finde, etwas unangemessene Pathos beiseitegelassen,
Und was ich absolut nicht verstehe, Kollege Saleh und auch lieber Michael Müller: Der Koalitionsvertrag – der Kollege Baum hat es Ihnen vorgelesen – ist eindeutig auf Ihrer Seite, wenn Sie das ernst meinen, was Sie öffentlich immer wieder beteuert haben.
Wir werden konsequent die rechtliche Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi‐ und Intersexuellen und transsexuellen Menschen vorantreiben und jegliche Form von Homo‐ und Transphobie aktiv bekämpfen.
Was bitte ist es anderes, als die rechtliche Gleichstellung voranzutreiben, wenn man jetzt für die Ehe für alle ist? – Das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Nicht Sie brechen den Koalitionsvertrag, wenn Sie im Bundesrat für die Ehe für alle stimmen, sondern Sie brechen den Koalitionsvertrag, wenn Sie gegen die Ehe für alle im Bundesrat stimmen.
Richtig! Das habe ich getan, nämlich auf das, was der Kollege Saleh gesagt hat, und dazu habe ich den Hinweis gegeben, wer hier gerade welchen Koalitionsvertrag wie bricht. – Es ist peinlich genug für die Opposition, dass sie darauf achten muss, dass Sie Ihren Koalitionsvertrag einhalten können.
Und eine zweite Passage im Koalitionsvertrag – und dann werden wir feststellen können, dass es 3:1 gegen die CDU in diesem Koalitionsvertrag steht – verweist in Bezug auf die Abstimmung im Bundesrat auf die Interessen des Landes und den Inhalt und Geist des Koalitionsvertrages. Die Interessen des Landes, Inhalt und Geist des Koalitionsvertrages und die konkrete Formulierung, die ich bereits vorgelesen habe: Das sind drei Punkte, die für die Abstimmung zugunsten der Ehe für alle im Bundesrat sprechen.
Noch eines: Wenn man sich uneinig ist – – Aber Sie wissen noch gar nicht, ob Sie sich uneinig sind. Wenn die CDU jetzt erst einen Mitgliederentscheid machen muss, nachdem sie den Koalitionsvertrag unterschrieben hat, in dem bereits drinsteht, was das Ergebnis dieses Entscheids sein müsste, macht sie sich lächerlich. Sie machen das Land Berlin lächerlich, und deswegen sage ich Ihnen: Sie brechen den Koalitionsvertrag nicht, wenn Sie im Bundesrat für die Ehe für alle stimmen. Darüber sollten Sie sich einfach noch mal klar werden.
Das ist ja erfreulicherweise eine sehr muntere Debatte. Ich habe mir das fast schon so gedacht, als ich sah, dass Herr Saleh heute zu diesem Thema reden wird. Das macht er ja normalerweise bei solchen Themen nicht. Das, was er gesagt hat, war auch richtig, aber der Kollege Wolf hat dankenswerterweise auch schon gesagt, was wir jetzt erwarten. Es ist so: Wenn man die Lippen spitzt, dann muss man pfeifen. – Das hier einfach nur zu annoncieren in der Angst, dass bald der CSD oder das Motzstraßenfest ist, das reicht natürlich nicht.
Ich glaube auch, dass die Bevölkerung, die Betroffenen in der Bevölkerung das sehr wohl wahrnehmen. Ein paar sitzen ja auch da oben auf der Zuschauertribüne und gucken sich das sehr genau an. Sie werden ja Gast beim Straßenfest sein, denke ich mal, dann können Sie auch gleich mit der Bevölkerung diskutieren, wie die das denn
Ich habe zum heutigen Thema auch eine eigene Geschichte, weil ich mich schon seit zweieinhalb Jahrzehnten damit beschäftige.
Fast auf den Tag genau vor 25 Jahren brachten die Grünen den Antrag für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in den Bundestag ein. Vor 15 Jahren, im November 2000, war ich live dabei, als der Bundestag das Lebenspartnerschaftsgesetz in der zweiten und dritten Lesung beschloss. Anschließend wurde gefeiert, und wir versicherten uns gegenseitig, dass es sich beim Lebenspartnerschaftsgesetz natürlich nur um eine Übergangstechnologie handeln kann. Wir wollten mehr.
Vor zwei Jahren, im März, gab es schon einmal eine Abstimmung im Bundesrat zum gleichen Thema. Auch da hatte sich Berlin bereits enthalten. Wowereit wollte oder konnte nicht zustimmen – konnte sich nicht durchsetzen. Damals galt übrigens der gleiche Koalitionsvertrag. Die Argumente kommen mir deshalb auch irgendwie bekannt vor. Sie werden dadurch aber nicht falsch, sondern sie bleiben ja richtig.
Herr Müller wird also morgen in einer sehr schlechten Tradition und ganz zerknirscht die Enthaltung verkünden. Inzwischen haben – wir haben es gehört – 20 Länder die Ehe geöffnet, und ich muss Ihnen ehrlich sagen – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht –: Mir ist nicht bekannt, dass es in diesen Ländern zu großen Verwerfungen gekommen wäre. Und was mich wirklich erschüttert hat: Noch nach Irland hat Grönland die Ehe für alle geöffnet. – Da dachte ich sehr spontan: Oh, my God! Wir werden jetzt von Eisbären überholt. Wie peinlich geht es denn noch?
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Die sind auch in Grönland nicht wahlberechtigt! – Philipp Magalski (PIRATEN): Diskriminierend!]
Aber das, was ich gestern lesen musste –verfasst von meiner geschätzten Kollegin und nachfolgenden Rednerin –, hat mich noch einmal sprachlos gemacht. Allen Ernstes hat sich eine – und ich betone das – profilierte Rechtspolitikerin der CDU geäußert, in einem längeren Artikel im „Tagesspiegel“. Die meisten haben ihn gelesen. Die wesentlichen Punkte waren – ich fasse das kurz zusammen – : Die Ehe ist seit der Antike eine exklusive Sache zwischen Mann und Frau. Eine so wichtige Entscheidung kann man nicht im Eiltempo über das Knie brechen. Den Kinderwunsch homosexueller Eltern kann man sowieso nicht durch Adoption erfüllen, weil es viel zu wenige gibt. – Mehr Realitätsverweigerung geht nicht. Was soll
uns das im Jahr 2015 eigentlich sagen? – In der Antike gab es auch die Todesstrafe, die Sklaverei und die völlige Rechtlosigkeit der Frauen. Außerdem dachten alle, die Erde sei eine Scheibe.