Protocol of the Session on April 23, 2015

Bundesregierung und die Europäische Union nun endlich einen flüchtlingsfreundlichen Kurs einschlagen! Alles andere wird für zahlreiche Flüchtlinge tödliche Folgen haben.

An Frau Radziwill und die SPD: Wie lange wollen Sie warten? Mit der CDU können Sie in der Frage nicht handeln. Handeln Sie jetzt!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Taş! – Herr Dregger, Sie möchten replizieren? – Bitte!

Sehr geehrter Herr Kollege Taş! Wenn Sie darauf Wert legen, dass das Haus zu einer gemeinsamen Resolution kommt, sollten Sie den Kollegen schon den nötigen Respekt entgegenbringen – auch in der Sache. Ich glaube, ich habe mich unmissverständlich dahin gehend geäußert, dass wir es unterstützen werden, dass die Seenotrettung ausgedehnt wird. Ich habe darauf hingewiesen, dass das nicht ausreichend ist. Mir ist völlig unbegreiflich, warum Sie es ablehnen, in eine Resolution weitere Maßnahmen aufzunehmen.

Wir sind auch bereit, über sicheren Zugang nach Europa für Asylbewerber zu diskutieren und Wege dafür zu suchen. Wir verschließen uns dem nicht. Aber wir müssen auch dafür Sorge tragen, dass unsere Asylgesetzgebung eingehalten wird. Wir haben die Situation, dass nicht alle, die um Asyl nachsuchen, asylberechtigt und schutzbedürftig sind. Es ist unsere gesetzliche Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass die, die schutzbedürftig sind, geschützt werden und die, die nicht schutzbedürftig sind, nicht geschützt werden. Diesen Minimalkompromiss sollten wir eigentlich in diesem Haus haben können. Denn wenn wir den nicht hinbekommen, erfüllen wir nicht unseren Auftrag, und dann sehe ich auch nicht, wie wir den Menschen außerhalb dieses schönen Gebäudes erklären wollen, dass wir uns nur auf die eine Sache konzentrieren und auf die andere Sache nicht. Ich glaube, beides bedingt einander.

[Martin Delius (PIRATEN): Bergpredigt!]

Wir haben schon sehr viel weitergehende Ideen entwickelt, wie wir den sicheren Zugang gewährleisten können. Aber das sind Themen, die der intensiven Erörterung bedürfen.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Euer einziger Vorschlag waren Internierungslager in Nordafrika!]

Ich lege Wert darauf, dass wir sie vernünftig erörtern und dass wir nicht nur hier laut rumblöken und uns gegenseitig vorwerfen, wir seien nicht willens, unsere humanitä

ren Pflichten zu erfüllen. Davon kann überhaupt keine Rede sein. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Dregger! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Reinhardt. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren! Anfang Oktober letzten Jahres reiste der Integrationsausschuss dieses Hauses nach Rom. Dort konnten wir uns in Gesprächen mit Flüchtlingsvertretern, italienischen Behörden und dem UNHCR ein Bild von der Situation vor Ort machen. Die Seenotrettungsmission Mare Nostrum war damals kurz vor der Einstellung. Hintergrund der Mission war, dass im Herbst 2013 binnen weniger Tage 400 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken waren und es allseits von Staatschefs und Kirchenoberhäuptern hieß: Das darf sich niemals wiederholen. – Daraufhin organisierte Italien die Operation. Am 31. Oktober 2014 endete Mare Nostrum ersatzlos.

[Unruhe]

Darf ich Sie kurz unterbrechen, Herr Kollege! – Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Sie haben auch den anderen Rednern und Rednerinnen aufmerksam gelauscht. Ich bitte Sie, dass das auch für diesen Kollegen gilt. Danke! – Fahren Sie bitte fort.

9 Millionen Euro hatte Italien pro Monat für die Mission gezahlt und verlangt, dass die EU sie gemeinsam finanziere, was von den Mitgliedsstaaten abgelehnt worden ist. 80 000 Menschen waren bis dahin gerettet worden.

Über 1 000 Menschen sind in den letzten Tagen in den Fluten des Mittelmeeres gestorben. Nun ist allseits die Trauer groß. Aber es ist wichtig zu betonen, dass diese Menschen keinen Unfall erlitten haben. Es ging bei der Einstellung von Mare Nostrum auch nicht vor allem ums Geld. Die Seenotrettung von Geflüchteten ist in Europa politisch nicht gewollt, da sie als Anreiz verstanden wird, über das Meer zu kommen. Der Tod vor der italienischen und griechischen Küste war gewollt und wurde absichtlich herbeigeführt durch Regierungen, die willentliche Entscheidungen getroffen haben, nämlich die Entscheidung, dass die Rettung von Menschen, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, nicht erwünscht ist. Ihr Tod sollte eine Warnung sein, eine Abschreckungsmaßnahme gegenüber allen, die erwägen, nach Europa zu kommen. Dies kommt öffentlichen

(Hakan Taş)

Massenhinrichtungen ohne Gerichtsverfahren gleich, denn dies sind die willentlich herbeigeführten Tode als Abschreckungseffekt aus politischen Motiven.

Zu Recht werden die USA regelmäßig kritisiert, weil dort noch die Todesstrafe praktiziert wird. Doch heute erleben wir: In Wahrheit ist die EU nicht besser. Denn auch hier wird sie praktiziert gegenüber Menschen, die kein Verbrechen begangen haben außer der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder. Diese EU hat den Friedensnobelpreis wahrlich nicht verdient.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Schon wieder heißt es: Dies darf sich nicht wiederholen. – Es wird sich getroffen, es werden Konferenzen abgehalten, es wird ein Zehn-Punkte-Plan vorgestellt, doch was umfasst dieser Plan eigentlich? – Mehr Überwachung durch Fingerabdruckscans, mehr Abschiebungen, mehr Zusammenarbeit mit korrupten nordafrikanischen Regimen, wie damals schon mit Gaddafi, mehr Gelder für unmenschliche Grenzschutzbehörden wie Frontex, kurz, die Gipfelergebnisse sind: mehr Abschottung. Genau das Gleiche, was wir bisher auch schon hatten.

Der Feind Nummer eins, der identifiziert wird, damit komme ich zum Kollegen Dregger: die sogenannten Schleuser. Dabei wird allseits ignoriert, dass die Fluchthelfer – dabei gibt es ebenso überzeugte Menschenretter und Humanisten wie verbrecherische Banden, wie die libyschen Milizen, die damit ihren Krieg finanzieren – ein Angebot bedienen, das die EU erst schafft, indem sie keine legalen Einreisewege ermöglicht,

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

indem sie keine Möglichkeiten bietet, von außerhalb der EU Asyl zu beantragen. Die Fixierung auf und die Bekämpfung von Schleusern soll nun dazu dienen, von der eigenen Verantwortung für die Tausenden von Toten abzulenken. Doch Migration wird es immer geben, mal weniger und mal mehr, bedingt durch aktuelle Bürgerkriege. Auch das Commitment auf die Bekämpfung von Fluchtursachen ist eine Farce und wird Migration nicht verhindern. Die sofortige Wiedereinführung einer dauerhaften Seenotrettungsmission wie Mare Nostrum – nicht zu verwechseln mit dem Versenken von mehr Geld in der Abschottung via Frontex, wie jetzt geplant ist – ist das Minimum, was geleistet werden muss.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Carsten Schatz (LINKE]

Doch das wird nicht reichen. Denn allzu bald wird es eine neue Katastrophe geben. Ein Flugzeug wird abstürzen, ein Land wird Fußballweltmeister sein, Alltag wird einziehen. Wieder wird sich plötzlich keine Regierung mehr an die verzweifelten Gesichter schwarzer Menschen erin

nern, die elendig krepiert sind, weil sie hier unerwünscht waren. Der Gewöhnungseffekt wird zu stark. Die Hunderte Menschen, die weiterhin sterben werden, so, wie auch bisher gestorben worden ist, werden die Medien nicht mehr ausreichend interessieren. Auch die Finanzierung der nächsten Seenotrettungsmission steht schon wieder infrage. Und es geht von vorne los. Woher ich das weiß? – Weil es schon einmal so war. Und weil für Tausende willentlich getöteter, mutwillig abgeschlachteter Menschen bisher kein einziger europäischer Politiker die Verantwortung übernommen hat und zurückgetreten ist. Und das auf einem Kontinent, auf dem Staatsoberhäupter wegen geschenkter Bobby-Cars zurückgetreten sind. Das ist eine Schande.

[Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Es wird allzu leicht sein, weiterzumachen wie bisher. Das stimmt traurig. Es brauchte ein Umdenken in Europa in Richtung eines Kontinents, auf dem Migration und die Suche nach einem besseren Leben als fundamentales Menschenrecht und als Bereicherung für die Gesellschaft und nicht als Verbrechen angesehen werden.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es brauchte ein Unter-Druck-Setzen und ein Abwählen der verantwortlichen Politiker, die diese inhumanen Maßnahmen betreiben, aber weiterhin Sündenböcke für etwas suchen, an dem sie selber schuld sind. Nur dann kann sich etwas ändern.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Dr. Klaus Lederer (LINKE) und Steffen Zillich (LINKE)]

Vielen Dank, Herr Reinhardt! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Zu dem Antrag haben die antragstellenden Fraktionen die sofortige Abstimmung beantragt. Die Koalitionsfraktionen hingegen beantragen die Überweisung an den Ausschuss für Europa- und Bundesangelegenheiten, Medien. Hierüber lasse ich zuerst abstimmen. Wer der Ausschussüberweisung zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU und der fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der Grünen, Linken und Piraten. Enthaltungen? – Enthaltungen sehe ich nicht. Dann ist der Antrag überwiesen.

Ich rufe auf

(Fabio Reinhardt)

lfd. Nr. 3.4:

Priorität der Piratenfraktion

Tagesordnungspunkt 27

Fernbusverkehr zukunftsfähig gestalten

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/2212

In der Beratung beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum. – Bitte!

Sehr geehrte Präsidentin! Geehrte Damen und Herren! Werte Gäste! Seit 1966 gibt es in Berlin den zentralen Omnibusbahnhof am Messedamm. Nach vielen Jahren, in denen er rote Zahlen schrieb, erlebt er mit der Freigabe des Busfernverkehrs einen regelrechten Boom. Die Anzahl der An- und Abfahrten stieg 2013 um 66 Prozent auf 100 000 und im Jahr 2014 noch mal um 75 Prozent auf 175 000 an. Ursprünglich war geplant für eine Kapazität von rund 60 000 An- und Abfahrten im Jahr. Wir stellen also fest, der Fernbusbahnhof wickelt derzeit rund die dreifache Menge des geplanten Fernbusverkehrs ab. Daraus folgt: Es besteht offensichtlicher Handlungsbedarf, das weitere Wachstum in geregelte Bahnen zu lenken.

Offensichtlich gibt es Bedarf an weiteren Haltepunkten in der Stadt. Gerade Fahrgäste aus dem Ostteil der Stadt wollen nicht eine Stunde quer durch die Stadt zum Messedamm fahren. Aus diesem Grund entsteht derzeit ein Wildwuchs an Haltepunkten. Acht Haltepunkte wurden bereits genehmigt, verteilt über die Stadt. Ein weiterer am Bahnhof Gesundbrunnen ist beantragt. Das ist aus verschiedenen Gründen ein Problem. Durch das Aufstellen eines Haltestellenschilds entsteht keine Entsorgungsmöglichkeit von Chemietoiletten der Busse. An- und Abreise sind problematisch. Busse erzeugen zusätzlichen Verkehr in der Innenstadt. Passagiere und Personal werden durch fließenden Verkehr gefährdet.

Aus diesem Grund fordern wir mit unserem Antrag, den aufgezeigten Problemen mit einem gesamtstädtischen Konzept zu begegnen. Dabei soll insbesondere Wert auf wenige zentrale Haltepunkte gelegt werden, die nach verkehrlichen und ökologischen Kriterien auszuwählen sind.

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Auch die Entwicklung eines zweiten zentralen Omnibusbahnhofs, beispielsweise am Ostkreuz, muss geprüft werden. Der Senat war in den Planungen eines zweiten Standorts am südlichen Tempelhofer Feld ja schon relativ weit, ist aber auch hier am Volksentscheid gescheitert. Seitdem ist nichts passiert. Warum ein zweiter Standort des ZOB heute weniger notwendig sein soll als vor zwei Jahren, ist mir völlig unklar.

Außerdem gehören Mindeststandards für Fernbushaltepunkte in das Konzept. Es ist eine ökologische Katastrophe, wenn beispielsweise der Inhalt von Chemietoiletten aus den Bussen in die Kanalisation gelangt, statt dass er fachgerecht entsorgt wird.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN) und Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

So ist es beispielsweise am ZOB am Messedamm in der Vergangenheit teilweise geschehen.