Die rote Karte ist ja wohl für Frau Remlinger, oder? – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Remlinger! Diese rote Karte, die möchte ich Ihnen mal erteilen aus verschiedenen Gründen.
Zum Ersten: Sie sind eine geistige Brandstifterin. Was sind Sie für ein Vorbild für Jugendliche, wenn Sie hier Begriffe „Molotowcocktails“ und „zündeln“ verwenden? Ich habe den Eindruck, dass Sie in Gedanken schon beim Ankiffen am 1. April im Görlitzer Park sind.
Und im Übrigen – der Parlamentspräsident hat eben darauf hingewiesen –: Michael Müller ist bei der Ministerpräsidentenkonferenz; auch ein weiterer Fehltritt; vielleicht das nächste Mal ein bisschen besser zuhören. Sie wissen doch ganz genau, dass der Regierende Bürgermeister in seiner Regierungserklärung und später auch in seinem Senatsbeschluss festgehalten hat, dass die Jugendberufsagentur eines der dringendsten Anliegen der Koalition ist. Das halte ich hiermit im Protokoll fest.
Die heutige Aktuelle Stunde befasst sich in der Tat mit dem wichtigen Thema, das in Berlin ein Dauerbrennerthema ist: die Jugendarbeitslosigkeit. Der erfreuliche Teil der Befassung ist dabei, dass wir Rezept und Lösung gleich mit präsentieren. Die Jugendberufsagentur Berlin – sie kommt. Unter einem Dach und aus einer Hand werden bestehende und gut funktionierende Teilsysteme zu einer Jugendberufsagentur gebündelt, damit der Übergang Schule – Beruf künftig besser als bislang gelingt. Die Senatsverwaltung für Bildung und die für Arbeit, die Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit und die zwölf Bezirke haben erkannt, dass
komplexe Politikziele nur gemeinsam und systemübergreifend umzusetzen sind. Das ist ein großer Erfolg.
Die Jugendberufsagentur orientiert sich an den Erwartungen, Bedürfnissen und Lebenslagen junger Berlinerinnen und Berliner. Sie stehen im Fokus und eben nicht die Maßnahmen. Auch das ist ein großer Erfolg. Die Jugendberufsagentur hat die Aufgabe, dass die Zahl der Schul- und Studienabbrecher verringert wird und weniger Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst werden. Unproduktive Wartezeiten in schulischen oder außerschulischen Angeboten sollen zugunsten einer wirksameren Landung in Ausbildung, Arbeit oder Studium erfolgen. Mehr Jugendliche sollen in duale Ausbildung gebracht werden.
Lassen Sie mich ein paar Punkte herausgreifen, sich ändern werden. Steigende Fallzahlen: Mit der Umsetzung der Jugendberufsagentur Berlin dürfte ein zunächst gewünschter Effekt verbunden sein, auf den ich heute bereits vorsorglich hinweisen will. Es wird zunächst zu einer Steigerung der Fallzahlen kommen. Das sollte kein Grund zur Panik oder Anlass fürs Schlechtreden der Jugendberufsagentur Berlin sein. Es handelt sich um einen gewollten Effekt, bei dem der Ist-Verbleib aller Jugendlichen stetig und gezielt erfasst wird. Das ist ganz im Sinne des Erfinders.
Die Schulen: Schulen nehmen künftig eine Schlüsselrolle ein. Unversorgte Jugendliche und solche, die einen Qualifizierungsplatz nach der 10. Klasse nicht antreten, werden systematisch von der Jugendberufsagentur kontaktiert. Niemand soll verlorengehen. Weiter werden an den integrierten Sekundarschulen Teams zusammengestellt, die ab dem kommenden Schuljahr Schülerinnen und Schüler rechtzeitig vor Ort an die Hand nehmen. Das Landeskonzept für Berufs- und Studienorientierung ist ein weiterer wichtiger Baustein, damit der Übergang Schule – Beruf aus einem Guss funktionieren kann. Alle allgemeinbildenden Schulen werden ein Berufs- und Studienorientierungskonzept entwickeln. Dazu gehören verbindliche Regeln, etwa wann und wie Schulen Praktika organisieren sollen. Wir werden darauf achten müssen, dass Unternehmen und Betriebe ausreichend und qualitativ gute Praktikumsplätze bereithalten.
Ich begrüße, dass sowohl integrierte Sekundarschulen wie Gymnasien nach festen Qualitätsmerkmalen eingebunden werden. Bei beiden Schultypen bekommen Schülerinnen und Schüler verbindlich geregelte Einblicke in die Arbeitswelt. Das ist gut. Die Einbindung der Gymnasien bei der Umsetzung der Jugendberufsagentur ist folgerichtig. Es zeigt sich doch gerade in Berlin, dass das Abitur eben nicht den Abschluss eines Studiums logisch vorzeichnet. Das beweisen die hohen vorzeitigen Abbruchquoten im Studium, für die vor allem drei Gründe typisch sind: die Anforderungen, denen man vielleicht nicht gewachsen ist, Finanzierungsprobleme – nein, keine Zwischenfrage – sowie mangelnde Motivation, die auf eine unzureichende
berufliche Orientierung zurückzuführen ist. Studium und Ausbildung sind gleichberechtigte mögliche Karrierewege. Dass dies nun auch an Gymnasien stärker vermittelt wird, entspricht der Lebenswirklichkeit und ist ein weiterer Erfolg.
Ich halte hier noch einmal fest, dass die Jugendberufsagentur kein weiteres Jobcenter ist, keine neue Behörde, sondern ein Ansatz, der eine andere, eine systemische und kollegiale Hilfekultur vorsieht. Ich appelliere an die Wirtschaft, mehr auszubilden. Das habe ich schon so oft gesagt. Wer heute nicht ausbildet, hat morgen keine Fachkräfte. Wir brauchen mehr denn je das Engagement der Berliner Wirtschaft und eine bessere Ausbildungs- und Ausbildungsbetriebsquote. Die Investition in eine qualitativ hochwertige duale Ausbildung sichert den eigenen Fachkräftebedarf. Jugendliche, die heute nicht ausgebildet werden, sind morgen arbeitslos, und sie bleiben es auch übermorgen. Ich bleibe zuversichtlich, dass wir das ohne eine Ausbildungsabgabe hinbekommen werden.
Ich komme nun zu den Bezirken, von denen die ersten vier im Spätsommer mit einer regionalen Jugendberufsagentur an den Start gehen. Es ist gut, dass das rasch passiert. Über die genaue Ausgestaltung und Einbindung regionaler Netzwerke entscheiden die Bezirke. Sie haben sich lediglich an vereinbarten Mindeststandards zu orientieren. Jugendliche können so berlinweit auf identische Qualitätsstandards zurückgreifen. Vorgesehen sind zunächst zwei Personalstellen pro Bezirk sowie die Sachmittel für die Qualifizierung von Beschäftigten. Die bezirklichen Jugendberufsagenturen werden nur funktionieren, wenn sie umfangreich ausgestattet sind. Das ist der Fall und zeigt, wie wichtig die Bezirke an dieser Schnittstelle sind und dass sie ernst genommen werden. Das ist aber auch höchst notwendig, schwankt die jugendliche Arbeitslosigkeit zwischen den Bezirken doch enorm.
Ab Spätsommer 2015 starten Spandau, Marzahn-Hellersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg sowie Tempelhof-Schöneberg in ersten eigenen Anlaufstellen mit ihrer Arbeit unter einem Dach. Dabei beraten, betreuen und vermitteln sie nicht nur, sondern bieten auch sozialintegrative Leistungen an. Bis Ende 2016 entstehen zwölf regionale Anlaufstellen. Es kommt entscheidend darauf an, dass die noch zurückhaltenden Bezirke, die es leider gibt, ausreichend unterstützt und ermutigt werden und dass das Personal gut qualifiziert wird. Das ist wichtig, weil die Teams gut zusammenarbeiten müssen, um komplizierte Fälle kollegial beraten zu können. Hier wird eine neue Form von rechtskreisübergreifender Arbeitskultur entstehen.
Junge Menschen mit Behinderung haben mit den schulischen Berufswegekonferenzen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt schon ein Verfahren für den Übergang Schule – Beruf, das in das Konzept der Jugend
berufsagentur eingebunden ist. Damit bleibt sichergestellt, dass Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderschwerpunkten mit an Bord sind. Senatorin Scheeres hat kürzlich darauf auch noch einmal hingewiesen. Wir als Koalition behalten ein Auge drauf.
An die Jugendberufsagentur Berlin sind Ziele und Hoffnungen geknüpft. Sie gelingt, wenn jedes Mitglied im System es schafft, die eigenen Interessen zugunsten des gemeinsamen Erfolgs zurückzustecken. Und sie gelingt, wenn wir sie an den Erwartungen und Bedürfnissen der Jugendlichen ausrichten und ihnen transparente und passende Wege aufzeigen. Ich bin sehr gespannt und hoffnungsvoll, dass diese sozialdemokratische Initiative auch in Berlin ein Erfolg wird.
Lassen Sie mich abschließend drei Dinge festhalten. Es ist ein gutes Zeichen, dass die Einrichtung der Jugendberufsagentur Berlin relativ wohlwollend und einvernehmlich von allen Fraktionen hier im Parlament begleitet wird; es zeigt, dass die Reform des Übergangssystems an der Schnittstelle Schule – Beruf überfällig ist. Lassen Sie mich hier auch einmal den Senat loben.
Sein Beschluss, die Jugendberufsagentur Berlin einzurichten, ist sowohl ein Ergebnis professioneller Zusammenarbeit zwischen der Bildungs- und der Arbeitsverwaltung als auch ein hervorragender Beweis für die Ernsthaftigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit – im Gegensatz zur Opposition – nachhaltig reduzieren zu wollen. Das stimmt mich für die folgende Phase der regionalen Umsetzung optimistisch.
Last but not least danke ich Herrn Ralf Jahnke aus der Bildungsverwaltung höchst ausdrücklich. Statt sich extern Rat einzuholen, hat er als Leiter der Projektstelle „Jugendberufsagentur in Berlin umsetzen!“ dieses Megaprojekt gesteuert, koordiniert und erfolgreich und rasch dorthin geführt, wo es jetzt steht: vor der Umsetzung. Das ist enorm und zeigt, wie stark und leistungsfähig die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserem öffentlichen Dienst sind. Darauf kann Berlin stolz sein. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Ich will auch mal versuchen, positiv an die Sache heranzugehen, obwohl ich in diesem Fall sogar nachvollziehen kann, dass sich die Reihen bei den Kolleginnen und Kollegen
Denn in Sachen Jugendberufsagentur reden wir nach wie vor, und zwar seit zwei Jahren, über ein theoretisches Konstrukt, von dem – nebenbei bemerkt – in der wirklichen Welt, also bei denen, die das in der Praxis umsetzen sollen, bisher kaum jemand etwas weiß.
Mit den Praktikern meine ich die Schulen, die den Hauptteil der Arbeit werden leisten müssen, die freien Träger der Berufsvorbereitung, die immer noch nicht im Boot sind oder denen zwischenzeitlich in vorauseilendem Gehorsam und aus Unkenntnis der Hahn abgedreht wurde – solche Beispiele gibt es in allen Bezirken –, dann die Bezirke selbst, die Jugendämter mit den fast auf null gefahrenen Jugendberufshilfen. Und wie Handwerk und Industrie dazu bewegt werden sollen, sich wirklich aller Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz anzunehmen, anstatt wie bisher auszulesen, und woher die fehlenden Ausbildungsplätze kommen sollen, ist bisher noch völlig unklar.
Der Senat hat wunderbar gearbeitet – an einem Papier. Erst Ende Januar haben wir hier im Plenum über die Jugendberufsagenturen gemutmaßt. Da war das Thema Priorität der Koalition und wurde zur Chefsache erklärt. Bahnbrechend Neues ist seitdem aber nicht passiert,
außer dass hinter den Kulissen Papiere erarbeitet wurden, außer dass die vier Bezirke, in denen im Oktober der Startschuss fallen soll, seit dem letzten Donnerstag feststehen. Wie die Jugendberufsagentur aber in Gestalt aussehen und funktionieren soll, wissen wir auch heute nicht, nur, dass dringender Handlungsbedarf besteht.
Vorgestern war ich bei einem der vielen Träger, der soziale Arbeit in Berlin verrichtet, der mit jungen Menschen arbeitet, die die Hauptzielgruppe einer Jugendberufsagentur sein soll. Der Träger bietet jungen Berlinerinnen und Berlinern in schwierigen Lebenslagen professionelle Hilfe an, wobei eine berufliche Perspektive jenseits von Hartz IV im Mittelpunkt steht. In den Einrichtungen, die ich besucht habe, habe ich Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter kennengelernt, die gut ausgebildet sind und ihre Arbeit gut machen wollen. Was sie beklagen, sind die unklaren Zuständigkeiten der Ämter. Klar ist meist: Da ist ein Mensch, der Hilfe braucht. Unklar ist: Wer bezahlt diese Hilfe, und wer ist zuständig? Welcher Paragraf, welches Gesetz sind ausschlaggebend? – Jugendamt, Arbeitsagentur, Jobcenter, Sozialamt, evtl. das Gesundheitsamt sind mögliche Ansprechpartner.
Aber dann erleben die Menschen, dass sie von hier nach dort geschickt werden und von dort wieder nach hier – ein Hin und Her zwischen den Ämtern und die ewige Frage: Wer ist zuständig? – oder, im Klartext: Wer muss die Hilfe bezahlen? – Pingpong nennen es die Sozialarbeiter. Dieses Pingpong ist für die Klientin, die nötig Hilfe braucht, die ein Recht darauf hat und der es egal ist, aus welchem der Töpfe sie schließlich finanziert wird, frustrierend, und die Sozialarbeiter macht das mürbe. Auch vor diesem Hintergrund und nicht nur vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel erwarte ich, dass die Jugendberufsagentur jenseits dieser bekannten und unguten Gewohnheiten hier tatsächlich Hilfe besser organisieren kann. Das Gerangel um Zuständigkeiten muss endlich weniger Energie verschleißen als bisher.
Dass durch ein ressortübergreifendes Arbeiten mit multiprofessionellen Teams Unterstützung direkter und schneller passieren muss, liegt auf der Hand. Wenn es aber nur darauf hinausläuft, dass die Jugendberufsagentur ein neuer Ort für alte Gewohnheiten wird, brauchen wir sie nicht.
Sinn ergeben diese neuen Einrichtungen nur dann, wenn in ihnen auch ein neuer Geist weht, ein Geist, der den Menschen in den Fokus stellt, ein Geist, der den jungen Menschen in seiner speziellen Situation zum Maßstab des Arbeitens macht. Bei allem Respekt vor all der Arbeit, die das unter Volldampf schnell gestrickte, seit Februar vorliegende Landeskonzept zur Berufs- und Studienorientierung Berlin gemacht hat – das den Mitgliedern des Bildungsausschusses im Übrigen gar nicht zugegangen ist, was, Frau Becker, auch einiges über die ressortübergreifende Kooperation aussagt –,
nach einem solchen neuen Geist sucht man in diesem Konzept vergebens. Auch wenn es lobenswert ist, dass der Regierende Bürgermeister die Leitung der SoKo Ausbildungsplatzsituation und Fachkräftebedarf übernommen hat, auch wenn es weiterhin lobenswert ist, dass – zumindest nach dem Papier – inzwischen alle jungen Menschen, auch die mit Behinderung, auch die in schwierigen Lebenslagen, dass also alle unter einem Dach künftig besser beraten werden sollen – ausschlaggebend muss sein, dass in der Jugendberufsagentur als ausführende Struktur des Landeskonzepts zur Berufs- und Studienorientierung tatsächlich alle Beteiligten auf Augenhöhe und im Sinne des individuellen Bedarfs des jungen Menschen agieren. Es geht um Passgenauigkeit, das zeigt auch die Differenz zwischen über 4 000 freien Ausbildungsplätzen, den 6 500 Ausbildungssuchenden und der Quote von
Das Konzept liest sich allerdings wie ein Handlungsleitfaden für stringente Verfolgungsbetreuung. Natürlich müssen junge Menschen früh erreicht werden, und es muss geschaut werden, ob und wo sie am Ende ankommen. Aber diese jungen Menschen haben ein Recht auf individuelle Lösungen und Entscheidungen. Es darf nicht um die Schönung der Statistik der Agentur für Arbeit gehen, die mittels der Jugendberufsagentur und kommunaler Ressourcen schneller und direkter auf die Daten der jungen Menschen zugreifen kann. Wenn die Jugendberufsagentur zukünftig für alle verpflichtend der Dreh- und Angelpunkt für den beruflichen Weg sein soll, muss sie bestens mit Ressourcen und mit qualifiziertem Personal aller Ressorts ausgestattet sein, und zwar von Anfang an.
Die besten Erfolge haben in der bisherigen Praxis im Übrigen solche Projekte, die mit großer Sensibilität, mit personeller Kontinuität und vor allem auf der Basis von Freiwilligkeit junge Menschen zu ihren beruflichen Perspektiven beraten. Wenn schon dieses Prinzip der Freiwilligkeit verlassen wird, wenn also die Jugendberufsagentur verpflichtend ist, muss sie so gut wie möglich funktionieren. Das wird uns die Praxis beweisen müssen. Bis dahin ist, finde ich, über die Jugendberufsagentur ausreichend geredet worden.