Protocol of the Session on March 26, 2015

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die Piraten jetzt der Kollege Spies!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit meiner letzten Rede zu diesem Thema sind knapp zwei Monate vergangen. An sich könnte ich sie noch einmal halten, denn viel passiert ist in der Zwischenzeit nicht. Dabei ist die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen in Berlin weiter gestiegen. Sie liegt aktuell bei 10,3 Prozent. Nur noch 13,5 Prozent aller Betriebe in Berlin bilden aus. 33,6 Prozent der Auszubildenden in Berlin brechen ihre Ausbildung vorzeitig ab.

Trotz intensiver Nachfrage im Ausschuss für Berufliche Bildung hat uns der Senat noch immer nicht die inzwischen wohl unterschriebene Kooperationsvereinbarung zur Errichtung der Jugendberufsagentur vorgelegt. Auch eine aktuelle Vorlage des Senats zur Errichtung der Jugendberufsagentur liegt dem Abgeordnetenhaus bis heute nicht vor. Der Senat redet wohl lieber mit der Presse als

mit den Abgeordneten. Wir können uns dann aus den Pressemitteilungen und den Berichten der Tagespresse Informationsbrocken zusammenklauben.

In der Pressemitteilung des Senats vom 17. Dezember 2014 hieß es noch, Ende des ersten Halbjahres 2015 solle es in vier Bezirken die ersten regionalen Anlaufstellen geben. Am 19. März 2015 hießt es dann, vier Bezirke starteten in diesem Jahr mit der Jugendberufsagentur Berlin. Aber wann? – Im Herbst, steht irgendwo im Text. Wer auch den Link „Weitere Informationen“ anklickt, findet den Termin Oktober 2015. Mit dem Verschieben von Eröffnungsterminen kennt sich der Senat aus.

[Beifall bei den PIRATEN]

Immerhin sind vier Bezirke schon mal im Boot. Es liegen aber noch keine konkreten Umsetzungskriterien für die Anlaufstellen vor. Das neue Motto des Senats lautet: Erst mal beschließen, dann fragen, wie die Bezirke das umsetzen sollen.

Auch auf meine Frage, wie das alles im laufenden Haushaltsjahr finanziert werden soll, gab es vom Senat offiziell keine Antwort. Ich konnte der Tagespresse entnehmen, dass die Höhe der Haushaltsendsätze für die Jugendberufsagentur vom Senat offenbar bereits festgelegt wurde, ohne das Abgeordnetenhaus, den Haushaltsgesetzgeber, einzubeziehen.

[Peter Trapp (CDU): Ha!]

Der Senat stellt laut der „taz“ vom 20. März für das Projekt Jugendberufsagentur 2015 zusätzlich 1,6 Millionen Euro und 2016 weitere 5 Millionen Euro zur Verfügung. Im Nachtragshaushalt ist dazu nichts zu finden. Fraglich bleibt: Wo werden die Mittel für dieses Jahr eingestellt? Wie sollten die 1,6 Millionen Euro im laufenden Haushalt gegenfinanziert werden?

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Becker?

Ja, bitte!

Bitte schön, Frau Kollegin Becker!

Herr Spies! Haben Sie die Mitteilung – zur Kenntnisnahme – vom Senat an das Abgeordnetenhaus über „Jugenderwerbslosigkeit bekämpfen – Fachkräfte sichern: Einrichtung einer Jugendberufsagentur in Berlin“ zur Kenntnis genommen sowie die Vorlage – zur Kennt

(Katrin Möller)

nisnahme – über das Landeskonzept Berufs- und Studienorientierung?

[Uwe Doering (LINKE): Einfach Ja sagen! – Steffen Zillich (LINKE): Na klar! – Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

Die liegt uns noch nicht vor, Frau Becker! Vielleicht Ihnen, mir nicht!

[Zuruf von den GRÜNEN: Mir auch nicht!]

Das habe ich ja gerade kritisiert.

[Uwe Doering (LINKE): Peinlich! – Steffen Zillich (LINKE): Wie geht das denn? Hat die schon eine Drucksachennummer?]

Es ist löblich, dass der Senat eingesehen hat, dass es in Berlin keine Jugendberufsagentur zum Nulltarif geben kann. Die genannten Mittel reichen aber gerade einmal für die Finanzierung der zusätzlichen Personalkosten. Die Bezirke sollen dann wohl aus ihren knappen laufenden Mitteln die Kosten der Liegenschaften und der Infrastruktur der Anlaufstellen bezahlen. Seriöse Haushaltspolitik sieht anders aus.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Als Ergebnis unserer letzten Debatte hier im Plenum gibt es dann doch noch etwas Neues in der Pressemitteilung vom 19. März:

Junge Menschen mit Behinderung haben durch die erfolgreichen Berufswegekonferenzen in den Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt schon ein Verfahren zum Übergang Schule/Beruf …

Motto des Senats: Es bleibt so, wie es ist; wir tun nichts! – Schwerbehinderte Jugendliche sind damit wie bisher auf die stark verbesserungswürdigen Hilfsangebote der Arbeitsagentur oder der Reha-Träger angewiesen.

[Martin Delius (PIRATEN): Schweinerei!]

Von 1 381 Schulabgängerinnen und Schulabgängern mit Behinderung im vergangenen Schuljahr sind 810, also 60 Prozent – lernbehindert. Das geht aus der Antwort auf eine Schriftliche Anfrage hervor, die ich diese Woche erhalten habe. Wie ich bereits in meiner letzten Rede ausführte, sind diese Jugendlichen weder Schwerbehinderte noch Rehabilitanden. Sie werden dann eben von der Jugendberufsagentur keine zusätzliche Unterstützung bekommen, obwohl sie die dringend brauchen.

[Martin Delius (PIRATEN): Unerhört!]

Ein anderes Problem: Eine interkulturelle Ausrichtung und die optimale Einbindung der Jugendmigrationsdienste in die Prozessabläufe fand bisher nicht statt. In den Pressemitteilungen ist davon nichts zu lesen. Wie soll eigentlich die Integration junger Flüchtlinge in Ausbil

dungsbetriebe in der Jugendberufsagentur organisiert werden?

In einem Eckpunktepapier fordert der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit, die Jugendlichen sollen nicht nur auf den Einstieg in den Beruf vorbereitet werden, sondern auch auf das Erwachsenenleben im Grundsätzlichen: Wohnung, Lebenshaltungskosten, Sozialberatung, Lebensberatung. Aber wird sich die Arbeit der bezirklichen Jugendämter allein dadurch verbessern, dass sie künftig unter dem Dach der Jugendberufsagentur arbeiten? Wird das zum Beispiel wohnungslosen Jugendlichen in Berlin wirklich helfen? In der Beratungsarbeit der Jugendhilfe gibt es immer häufiger Schwierigkeiten bei der Wohnraumsuche. Hausverwaltungen lehnen junge Menschen aus der Jugendhilfe, junge Bezieherinnen von Arbeitslosengeld und Auszubildende zwischen 18 und 25 Jahren zunehmend ab. Hier braucht es grundsätzlich neue Konzepte wie zum Beispiel „Housing first“. Fraglich ist nur, ob die Jugendberufsagentur für solche Konzepte überhaupt offen ist.

[Zuruf von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Jugendliche sind Opfer eines Zuständigkeitskonflikts. Die Möglichkeit der Hilfegewährung auf der Basis von drei Sozialgesetzen – SGB II, VIII und XII – ist problematisch. Die Abgrenzung der Kostenträger und Hilfeanbieter gegeneinander führt in zahlreichen Fällen zu generellen und ungerechtfertigten Hilfeverweigerung- und Zuständigkeitsdiffusionen, insbesondere durch kommunale Kostenträger, Jugendämter und zur Verfestigung prekärer Wohn- und Lebenssituationen. Mit der Einführung des Sozialgesetzbuchs II, Hartz IV, hat sich die Kooperationsproblematik noch verschärft, denn die Regelungen im Sozialgesetzbuch XII und Sozialgesetzbuch VIII sind den neuen Normierungen zur Existenzsicherung im SGB II entgegengesetzt.

Zudem muss jetzt die Kooperationsproblematik mit einem weiteren Akteur Jobcenter zusammen mit Jugendamt und Diensten freier Träger gelöst werden. Die zahlreichen Schwächen des SGB II wirken sich insbesondere bei jungen Erwachsenen nachteilig aus. Insbesondere die Weigerung der Arbeitsagentur, im Rahmen der Jugendberufsagentur auch neue Angebote zu machen, ist kein gutes Omen. Was nützt es den Jugendlichen, wenn die Zuständigkeitskonflikte weiter bestehen und sie dann unter dem Dach der Jugendberufsagentur wie bisher von Tür zu Tür geschickt werden?

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Martin Delius (PIRATEN): Nichts!]

Ein kleiner Lichtblick ist die in Aussicht gestellte Intensivierung der Berufsorientierung, insbesondere auch die Einbeziehung der Gymnasien, die ich schon lange gefordert habe. Es ist aber wichtig, dass Berufspraktika, die ab der 7. Klasse möglich sein sollen, nicht nur auf Bezirksebene, sondern auch landesweit angeboten werden. Die

(Franziska Becker)

Jugendlichen müssen auf Praktika aus möglichst vielen der etwa 400 Berufsfelder zugreifen können. Mit Wirtschaft und Handwerk müssten eigentlich verbindliche Vereinbarungen über die bedarfsgerechte Bereitstellung von Praktikumsplätzen getroffen werden. In beiden Pressemitteilungen des Senats taucht aber kein Kooperationspartner aus Wirtschaft und Handwerk mehr auf. Die IHK und Handwerkskammer sind auffällig still. Welche Rolle spielen sie zurzeit überhaupt noch? Wie gelingt überhaupt die Anbindung der Unternehmen an die Jugendberufsagentur?

Nach dem Vorbild von Hamburg hat man sich auf die Fahnen geschrieben, kein Jugendlicher soll zurückbleiben, jeder mitgenommen werden. Das klingt fast wie eine Drohung. Und vor allem: Wohin soll die Reise eigentlich gehen? Beratung kann nur helfen, wenn sie auf freiwilliger Basis erfolgt, wenn sie so attraktiv ist, dass auch alle sie haben wollen. Eine Beratungsverfolgung von jungen Erwachsenen durch Jobcenter ist berühmt und berüchtigt, vor allem dann, wenn mit Sanktionen gedroht wird.

In einem Punkt sind sich wohl alle Fraktionen in diesem Haus einig. Eine Jugendberufsagentur könnte vielen Jugendlichen Zukunftsperspektiven bieten, die sie bisher nicht hatten. Ich möchte auch hier wieder das Beispiel von Marzahn-Hellersdorf erwähnen. Stadtrat Komoß hatte 2011 mit dem Jobcenter der Arbeitsagentur, Wirtschaftsverbänden, Schulen, bezirklichen Unternehmen und Bildungsträgern einen Masterplan vereinbart. Bisherige Förderungen wurden beibehalten und viele Neuerungen eingeführt. Will sich ein Jugendlicher arbeitslos melden, landet er inzwischen 30 Minuten später beim Vermittler. In anderen Bezirken dauert die Terminvergabe in der Regel drei bis vier Tage. Sind Jugendliche nicht leicht vermittelbar, erhalten sie über Träger Bewerbungstraining oder Qualifizierung, werden auch zuhause aufgesucht, wenn sie abbrechen wollen. Der Masterplan hatte teilweise Erfolg. Gab es Ende 2011 genau 2 656 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren ohne Arbeit, waren es zwei Jahre später nur noch 1 749. Das ist ein Rückgang in der Jugendarbeitslosigkeit von rund 34 Prozent.

Schön wäre es, wenn der Senat mit seinem Konzept auf solchen Erfahrungen aufbauen würde. Allein, mir fehlt der Glaube! Ansonsten wäre doch natürlicherweise Marzahn-Hellersdorf der erste Bezirk, in dem eine Anlaufstelle der geplanten Jugendberufsagentur bereits in diesem Frühjahr eröffnen könnte. Hat man dort vielleicht dankend abgelehnt, wohl wissend, dass der Senat mit Neuerungen und Innovationen wohl eher auf Kriegsfuß steht?

Ich fasse zusammen: Die Jugendberufsagentur kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie passgenaue Beratung und individuelle Hilfe bietet, auf jegliche Sanktionen verzichtet, sich wirklich an alle Jugendlichen richtet, das heißt,

inklusiv und interkulturell arbeitet, das Jobcenter endlich auch zielgruppenorientiert arbeitet, –

Herr Kollege! Sie kommen bitte zum Ende!

Angebote der Jugendsozialarbeit ausbaut und sich dabei mit bestehenden Initiativen und freien Trägern vernetzt, offen ist für neue Konzepte. Lieber Senat! Es wäre schön, wenn das alles zu Weihnachten geliefert würde. Die Jahreszahl lasse ich einmal vorsichtshalber offen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Für den Senat hat jetzt Frau Senatorin Scheeres das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Remlinger! Ja, das Thema Jugendarbeitslosigkeit brennt uns unter den Nägeln. 16 000 Jugendliche unter 25 sind in Berlin arbeitslos. Das brennt uns unter den Nägeln. 3 000 Jugendliche verlassen jährlich die Schule, ohne eine Vorstellung zu haben, welchen beruflichen Weg sie gehen werden. Das brennt uns unter den Nägeln, auch dem Regierenden Bürgermeister.

Sehr geehrte Frau Remlinger! Ich rede gerade mit Ihnen! Anscheinend interessiert Sie das Thema nicht so richtig.

[Zuruf von Uwe Doering (LINKE)]