Protocol of the Session on February 19, 2015

(Katrin Möller)

haben. Familien sind zerrissen, Angehörige sind verlorengegangen. Dass diese Menschen verständlicherweise ein größeres Bedürfnis haben, erst mal zusammenzubleiben und nicht direkt und von Anfang an in eine Kita zu gehen, kann ich nachvollziehen. Wir sollten auch gucken, dass unsere Bemühungen darum, möglichst viele Kinder – und da sind wir uns einig – in die Kitas in Berlin zu integrieren, diese Menschen nicht Druck setzen.

Der Anspruch meiner Fraktion ist es, Flüchtlinge möglichst kurz in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Deshalb haben wir beschlossen, auch unter diesem Aspekt den Ausbau von Wohnungen für Flüchtlinge zu fokussieren. Die Menschen sollen schnellstmöglich in die einzelnen Quartiere der Stadt integriert werden und auch dort dann mit Kitaplätzen versorgt werden. Was ich persönlich nicht gut fände, wäre eine starke Konzentration direkt in der unmittelbaren Umgebung der Flüchtlingsunterkünfte und Sammelunterkünfte. Ich glaube nicht, dass es ein richtiger Schritt zur Integration ist, wenn es dann Kitas gibt, die speziell für Flüchtlingskinder oder vorrangig für Flüchtlingskinder da sind.

Der Antrag der Linken folgt dem altbekannten Prinzip. Wir hatten das vorhin schon in Bezug auf das Kinderschutznetzwerk. Man soll einen Bedarf vorfinanzieren, es soll eine Veränderung des Finanzierungssystems erfolgen – Kollege Simon hat das sehr gut ausgeführt –, um dadurch zu einer Änderung zu kommen. Die Begründung, warum ich das Finanzierungssystem ändere und nicht benutzte Kitaplätze vorfinanziere, ändert nichts daran, dass das die Logik des Kitasystems und seiner Finanzierung auf den Kopf stellt. Das wird es zumindest mit dieser Koalition so nicht geben. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Kollege Eggert! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich das Wort der Kollegin Bayram. – Bitte sehr, Frau Kollegin!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Eggert! Ich wundere mich schon ein bisschen, dass Sie versucht haben, die Dinge so zu verdrehen, dass Sie zu dem Ergebnis gekommen sind – wenn man das zusammenfassen will –: Es gibt nichts zu tun, weil es keinen Bedarf gibt. – Das ist falsch, und diese Einstellung, die Sie hier deutlich gemacht haben, geht zu Lasten der geflüchteten Kinder, und das wird es mit uns nicht geben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wenn man sich die Not anschaut, die zurzeit bei den Geflüchteten in Berlin besteht, dann fragt man sich auch

ein bisschen, warum wir heute über Kita- und Bezirksfinanzen reden, denn tatsächlich wird ja noch nicht mal das Fundamentale gewährleistet. Gestern war ein Treffen des Flüchtlingsrates, wo aus allen Bezirken berichtet wurde, dass in den Turnhallen und in der Traglufthalle die Menschen noch nicht mal das Nötigste haben – keine Krankenversorgung, kein Taschengeld, wochenlanges Warten auf einen Termin beim Landesamt für Gesundheit und Soziales. Es ist wirklich desolat, wie derzeit die Flüchtlinge in Berlin vom Senat betreut werden, und das muss sich ändern.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Wir haben dazu gefordert, dass es mehr gemeinsames Wirken innerhalb des Senats und zwischen Senat und Bezirken gibt, um tatsächlich Verbesserungen für die Menschen herbeizuführen. Mich ärgert es, dass es mehrere Task Forces in den verschiedenen Verwaltungen gibt, die vor sich hin wursteln und miteinander nicht richtig vernetzt wurden. Die Senatsklausur hatte ergeben, dass es einen Newsletter für den Rat der Bürgermeister geben soll. Aber das reicht nicht. Das reicht den Bezirken nicht, und das reicht uns als Bündnis 90/Die Grünen auch nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Katrin Möller (LINKE)]

Wir unterstützen auf jeden Fall die Anträge und insbesondere – das will ich herausstellen – den Antrag der Linken, mehr zu machen – auch mehr in die Verantwortung der Bezirke zu geben. Denn nicht erst die Container, die errichtet oder angekündigt wurden, haben dazu geführt, dass sich in der Nachbarschaft – eigentlich nur der Grundstücke, bevor die Container überhaupt bestanden – Nazis so organisiert haben, dass sie Stimmung gegen Geflüchtete in den Kiezen heraufbeschworen haben, und dass wir eine Situation haben, wo die Bezirke in der Not stehen, dass sie den Menschen Fragen beantworten müssen, die sie selbst nicht vom Senat beantwortet bekommen, und dass sie sowohl personell als auch finanziell weit über ihre Möglichkeiten beansprucht sind, um Antworten auf Fragen zu finden, bei denen für mich der Eindruck entsteht, dass der Senat die Antworten selbst noch nicht hat.

Deswegen ist es richtig und wichtig, die Bezirke stärker einzubeziehen, und zwar nicht nur bei der Kitafrage. Da haben wir ja eh ein Chaos der Zuständigkeiten und letztlich eine behördlich organisierte Unzuständigkeit. Es geht auch um die Willkommenskultur und die Willkommensinitiativen. In der Berliner Bevölkerung gibt es großes Engagement. Gestern beim Flüchtlingsrat waren auch wieder viele Initiativen, die in Zusammenhang mit den Unterkünften, Turnhallen und da, wo wir sonst noch Menschen unterbringen, aktiv werden und bürgerschaftliches Engagement an den Tag legen. Wir als Abgeordnete sollten auch darauf drängen, dass diese Menschen vom Senat nicht im Stich gelassen werden.

(Björn Eggert)

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Da braucht es mehr. Wer könnte diese Arbeit besser leisten als die Bezirke, die nahe daran sind. Ich will hier auch gern den Bezirksbürgermeister aus Marzahn-Hellersdorf zitieren, der bei unserem Besuch am Freitag sagte: „Hier im Bezirk denkt jeder, ich bin für alles zuständig.“ Ich brauche bessere Informationen vom Senat und vom LAGeSo, was eigentlich in der Flüchtlingspolitik im Land Berlin geschieht. Wir sollten alle einmal genauer hinhören und auch in die Bezirke gehen und die Leute, die in den Bezirken vor Ort die Arbeit leisten, unterstützen.

Ich könnte mir auch noch mehr bezirkliches Engagement vorstellen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das, was beispielsweise schon in Neukölln praktiziert wird, auch in anderen Bezirken durchgeführt wird, dass die Heimaufsicht der Bezirke tatsächlich in die Unterkünfte geht und die Missstände an das LAGeSo weitermeldet. Ob daraufhin dann tatsächlich etwas erfolgt oder nicht, das werden wir sehen. Wir haben aber auch das Grundübel, dass gegen die UN-Kinderrechtskonvention Kinder in Unterkünften unter Umständen leben müssen, die wir nicht weiter verantworten sollten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke schön, Frau Kollegin Bayram! – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Kollege Roman Simon. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem uns Frau Bayram geschildert hat, dass eigentlich alles ziemlich desolat im Land Berlin ist, will ich etwas mehr Sachlichkeit in die Debatte hineinbringen. Wir haben es nun etwas einfacher als bei der Rederunde vor einer halben Stunde. Wir reden zu drei statt wie vorher zu sechs Anträgen. Das ist immer noch eine stattliche Zahl, aber Frau Bayram, es kamen nicht alle drei von Ihrer Fraktion. Wenn Sie ein so dringendes Problem sehen, hätten Sie auch drei Anträge dazu schreiben können.

Thematisch dürfte diese Rederunde ebenfalls ein wenig einfacher zu bewältigen sein. Es geht um Flüchtlinge und Kita. Zunächst möchte ich zum Antrag „Bedarfsgerechte Kita-Versorgung für Flüchtlingskinder“ reden. Der Antrag kommt tatsächlich von Ihrer Fraktion. Zu diesem Antrag hatten wir Ende November im Plenum diskutiert, sodann im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie Ende Januar und nun heute wiederum im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses. Sie fordern den Senat auf, ein Konzept vorzulegen, wie er eine bedarfsgerechte Kita-Versorgung für alle Flüchtlingskinder gewährleisten möchte.

Ich betone: Sie unterstellen damit dem Senat, konzeptionslos mit steigenden Flüchtlingszahlen umzugehen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN) – Ja! von den GRÜNEN und von der LINKEN – Martin Delius (PIRATEN): Er hat es verstanden!]

Wunderbar! Es ist gut, wenn wir uns in der Plenardebatte gegenseitig verstehen. Ich hoffe, Sie verstehen auch meine jetzt folgende Aussage: Das weise ich ganz deutlich zurück!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Wunderbar! – Der Senat kümmert sich um alle Kinder, auch um Flüchtlingskinder.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Reinhardt von der Piratenfraktion?

Herr Reinhardt! Wenn ich ein bisschen weiter ausgeführt habe, melden Sie sich doch einfach noch einmal. Jetzt nicht! Danke schön! – Es gibt schriftliche Informationen. Der Kollege Eggert hat es gesagt. Es gibt einen Film über das Kitasystem im Land Berlin. Es gibt persönliche Beratungen auch und gerade durch das Personal in den Unterkünften, aber auch durch das Jugendamt. Es gibt in den zuständigen Senatsverwaltungen eine spezielle Arbeitsgruppe, die sich laufend und intensiv der Thematik der Schul- und Kitaplatzversorgung widmet. Folglich ist Ihr Antrag nicht notwendig. Der Senat muss nicht durch Beschluss des Parlaments zum Handeln bewegt werden. Er handelt,

[Martin Delius (PIRATEN): Von ganz allein!]

und er handelt richtig und konsequent.

Außerdem diskutieren wir heute zwei Anträge einer weiteren Oppositionsfraktion. Die waren ein bisschen fleißiger, Bündnis 90/Die Grünen: „Infrastruktur und Flüchtlingsarbeit in den Bezirken unterstützen sowie Kitaplätze für Flüchtlingskinder“.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Sie haben vergessen zu sagen, wie Sie handeln!]

Im ersten der beiden Anträge sprechen Sie sich für eine finanzielle Unterstützung der Bezirke für die Flüchtlingsarbeit in Höhe von 150 000 Euro je Bezirk aus. Hierzu ist festzustellen, dass bereits pro Jahr 150 000 Euro an die Stadtteilzentren für Flüchtlingsarbeit gegeben werden. Das ist zielgenauer, als das Geld an die Bezirke zu geben.

Im zweiten der beiden Anträge fordern Sie eine stärkere Berücksichtigung von Flüchtlingsunterkünften bei der Erstellung des Kitabedarfsatlasses. Ich kann aber nicht nachvollziehen, weshalb die potenzielle Nachfrage nach

(Canan Bayram)

Kitaplätzen durch Eltern von Flüchtlingskindern stärker gewichtet werden soll als die potenzielle Nachfrage nach Kitaplätzen durch Eltern, die nicht geflüchtet sind. Rechtsanspruch ist Rechtsanspruch, meine Damen und Herren. Der Rechtsanspruch gilt für alle.

Des Weiteren möchten Sie ein Kontingent von freien Kitaplätzen für Flüchtlingskinder. Die Finanzierung eines freien Kontingents widerspricht allerdings der aus meiner Sicht logischen und schlüssigen Finanzierungssystematik im Land Berlin. Finanziert werden belegte Plätze und nicht vorgehaltene Plätze.

Schließlich fordern Sie zusätzliche Personalmittel. Das passt zwar in die Logik des Antrags, der bei der vorletzten Rederunde abgelehnt worden ist. Da wir aber nun das Kriterium nichtdeutscher Herkunftsanteil beibehalten, deckt sich diese Forderung zumindest in Teilen mit der geltenden Rechtslage. – Vielen Dank!

Vielen Dank, auch! – Jetzt erteile ich dem Kollegen Reinhardt das Wort. Eine Zwischenfrage ist eine Zwischenfrage. Sie dürfen das jetzt gern ausführen. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Simon! Dann kann ich meine Zwischenfrage als Anfangsfrage einbauen. Ich würde jetzt noch etwas zur aktuellen Situation und dann zu den Anträgen sagen. Ich möchte mit einem kurzen Kommentar zu dem einsteigen, was Sie soeben gesagt haben. Wenn die Kollegen Ihnen bzw. dem Senat an der Stelle Konzeptlosigkeit vorwerfen, ist das gar nicht unbedingt böse gemeint. Es ist vielleicht auch eine Handreichung im Sinne von: Lassen Sie uns doch einmal ein Konzept entwickeln! Wenn Sie jetzt sagen: Das ist aber nicht richtig, dann muss ich leider zumindest darauf verweisen – neben allen anderen Indizien, die vielleicht für die Konzeptlosigkeit sprechen –, dass wir gestern im Hauptausschuss genau darüber gesprochen haben, wie wir mit den steigenden Flüchtlingszahlen umgehen. Herr Staatssekretär Gerstle sagte gestern, dass er von 20 000 Flüchtlingen allein in diesem Jahr ausgeht, die in Berlin ankommen und einen Antrag stellen werden. Er hat uns zugesagt, ein Konzept zu entwickeln. Das soll bis April vorliegen.

[Martin Delius (PIRATEN): Es gibt keines! Es ist noch nicht fertig!]

Jetzt bin ich durchaus aufgeschlossen zu sagen, ich lobe es auch ein Stück weit, dass ein Konzept entwickelt werden soll. Was steht aber vor dem Konzept? Es steht doch offensichtlich Konzeptlosigkeit davor. Das müssen Sie auch zugeben, oder?

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN) – Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielleicht sage ich noch einmal ganz kurz etwas zum aktuellen Stand. Ich finde es wirklich gut und richtig, dass wir auch immer wieder über das Thema Flüchtlingskinder in den Unterkünften sprechen. Wir haben in den letzten Jahren bei steigenden Flüchtlingszahlen immer wieder Kurzschlussreaktionen erlebt. Wir haben Mitarbeiter in der BUL im LAGeSo erlebt, die immer wieder versucht haben, sich neue Wege zu überlegen und Unterkünfte zu akquirieren. Sie haben versucht, Standards zu etablieren. Jetzt ist seit dem letzten Sommer dieser neue Weg gegangen worden, dass man in den verschiedenen Bezirken Containerlager errichtet. Dann gibt es noch die Traglufthallen und jetzt die Sporthallen.

Es bleibt festzustellen, dass wir von der Situation, die wir noch vor ein bis zwei Jahren hatten, als die Standards nicht in allen Unterkünften in angemessener Weise eingehalten wurden, jetzt ganz weit entfernt sind. Wir müssen gar nicht darauf eingehen, welches Senatsressort wie viel Schuld an welchem Aspekt hat. Fakt ist, dass es bei der Leistungsgewährung massive Defizite gibt. Darauf gehen wir auch gleich noch einmal ein, wenn wir über das Thema Gesundheitskarte sprechen. Fakt ist, dass nicht alle Flüchtlingskinder in Regelschulen gehen. Fakt ist, dass nur ein Bruchteil der Flüchtlingskinder im kitafähigen Alter in Kitas geht, und so weiter und so fort. Wir haben massive Defizite. Mit der Situation müssen wir uns jetzt auseinandersetzen.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Darauf aufgesetzt komme ich noch einmal zu den Anträgen. Wir haben die Anträge der Grünen und der Linken, mit denen wir uns hier beschäftigen. Dann gibt es noch den Antrag der Linken zum Thema Flüchtlingsarbeit in den Bezirken, wo die Unterstützung der Nachbarschaftszentren, Jugendzentren und so weiter gemeint ist. Beide Anträge zur Versorgung von Flüchtlingskindern mit Kitaplätzen fordern im Grunde die Gewährleistung des Rechtsanspruchs der Betroffenen ein. Dass dabei dringender Handlungsbedarf gesehen wird, lässt sich nicht verleugnen. Darauf bin ich eben eingegangen.

Ein umfassendes Konzept, wie es hier gefordert wird, ist neben den bisherigen Maßnahmen natürlich überfällig, wäre sinnvoll und sollte auf den Weg gebracht werden. Das Konzept fehlt tatsächlich. Daher sind die Anträge aus unserer Sicht auch durchaus zustimmungsfähig. Allerdings haben wir auch schon in der ersten Lesung des Antrags der Grünen im Fachausschuss klargemacht, dass wir uns hier im Parlament bei der Frage der Versorgung von Flüchtlingskindern mit Kitaplätzen nicht auf allgemeinen Forderungen ausruhen können. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, konkreter zu werden, konkretere Forderungen zu stellen, um den Senat auf konkrete Maßnahmen hinzuweisen, die dringend erforderlich sind.

(Roman Simon)