Protocol of the Session on January 29, 2015

Viele Firmen wissen nicht, dass es staatliche Förderung gibt, befürchten aber, die könnten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit Schwerbehinderung nicht kündigen – eines der vielen Märchen, die Inklusion erschwert.

Liebe Koalitionsfraktionen! Vielleicht traut ihr euch noch nicht so ganz. Vielleicht wollt ihr dem Senat mit dem Antrag einmal gründlich in das Gewissen reden. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention betrifft viele Bereiche. Der Senat ist aufgefordert, überall darauf zu achten, dass die verbindlichen Bestimmungen der Behindertenrechtskonvention gefälligst berücksichtigt werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Spies! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Wir kommen zu den Abstimmungen, und hier bitte ich einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit. Es wird die Überweisung des Antrags der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 17/2019 federführend an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen und mitberatend an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Den höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Die antragstellende Fraktion beantragt zum Antrag 17/2071 die sofortige Abstimmung. Die Koalition hingegen beantragt die Überweisung federführend an den Ausschuss Bildung, Jugend und Familie, mitberatend an den Ausschuss Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen. Wir müssen hierzu also abstimmen. Ich frage: Wer ist für den Überweisungsantrag? Den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der SPD und der CDU und der fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Linksfraktion und die Piratenfraktion. Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen. Dann ist der Antrag überwiesen.

Zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/0798 empfehlen die Ausschüsse einstimmig – bei Enthaltung Linke – die Annahme in neuer Fassung. Wer dem Antrag in neuer Fassung im Wortlaut der Beschlussempfehlung, Drucksache 17/2043, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU, Bündnis 90/Die Grünen, die Piratenfraktion und der fraktionslose Abgeordnete. Gegenstimmen? – Keine. Enthaltungen? – Das ist die Linksfraktion. Dann ist dieser Antrag in neuer Fassung so angenommen.

Ich rufe auf

(Alexander Spies)

lfd. Nr. 3.5:

Priorität der Fraktion der CDU

Tagesordnungspunkt 22

Erhebung des 500. Reformationstages 2017 zum einmaligen gesetzlichen Feiertag

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/2065

In der Beratung beginnt die Fraktion der CDU. Das Wort hat Frau Abgeordnete Seibeld. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass es gelungen ist, auf Initiative der CDU-Fraktion auch in Berlin eine Mehrheit für die Einführung eines einmaligen Feiertags zum fünfhundertjährigen Jubiläum des Reformationstags im Jahr 2017 zu finden. Alle anderen Bundesländer haben am 31. Oktober entweder einen regulären Feiertag, oder sie haben sich bereits darauf verständigt, im Jahr 2017 einen einmaligen Feiertag einzuführen. Für Protestanten hat der 31. Oktober alljährlich eine besondere Bedeutung. Vor 500 Jahren hat Matin Luther mit dem Anschlag der 95 Thesen in Wittenberg die protestantische Reformation in Deutschland und Europa eingeleitet.

Neben der Reformation des katholischen Glaubens hatten die Reformation und Martin Luther auch kulturhistorisch erhebliche Bedeutung in Deutschland und Europa. Martin Luther hat sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass alle Gläubigen den Inhalt ihres Glaubens auch aus eigener Wahrnehmung erfahren können, nämlich mit der Lutherbibel. Allein für die Ausbreitung und Entwicklung der hochdeutschen Sprache dürfte die Lutherbibel eine erhebliche Bedeutung gehabt haben. Auch an der zunehmenden Alphabetisierung hat die Lutherbibel und ihre Verbreitung ihren Anteil. Martin Luther legte mit seiner Lehre den Grundstein für die Befreiung des Einzelnen aus dem unmündigen Kollektiv und etablierte die Vorstellung von Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit, nach der die Freiheit nicht nur im Sinne der Solidarität zu beschränken, sondern andererseits auch zu fördern ist – eine Vorstellung, die auch heute noch in unserer sozialen Marktwirtschaft ihren Niederschlag findet. Letztlich hat die reformatorische Lehre Martin Luthers der Aufklärung in Deutschland den Boden bereitet.

Allerdings auch in politischer Hinsicht kann Martin Luther heute noch Vorbild sein. Deshalb lohnt es sich, das fünfhundertjährige Jubiläum zu feiern und für alle Deutschen und Berlinerinnen und Berliner wahrnehmbar zu machen, indem es ein einmaliger Feiertag ist. Luthers Lehren machen Mut dazu, Missstände nicht einfach zu akzeptieren und hinzunehmen, sondern vielmehr kritisch zu hinterfragen, anzuprangern und ihre Lösung anzuge

hen. Letztlich sind das die Voraussetzungen, ohne die die freiheitlich-demokratische Grundordnung heute nicht möglich wäre.

Mit der Einführung des einmaligen Feiertags verbindet die CDU-Fraktion die Hoffnung, dass die Lehren und Vorstellungen von Martin Luther auch über die rein religiösen Fragen hinaus bei einem Großteil der Berlinerinnen und Berliner ins Gedächtnis gerufen werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Frau Seibeld! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Dr. Kahlefeld. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Reformationstag ist seit der Wiedervereinigung ein gesetzlicher Feiertag in den Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In diesem Antrag geht es jetzt darum, einmalig im Jahr 2017 den 31. Oktober auch in Berlin zum Feiertag zu erklären.

Warum war den Bürgerinnen und Bürgern der ehemaligen DDR der Tag des Thesenanschlags so wichtig, dass er in all diesen Bundesländern zum Feiertag erklärt wurde? Was bedeutet der Thesenanschlag – gleichgültig, ob er historisch so geschehen ist oder erfunden wurde, um etwas zu verbildlichen, was Epoche gemacht hat? Wir haben ja mittlerweile alle gelernt, was ein Narrativ ist. Der Thesenanschlag ist so etwas. Luther geht in die Öffentlichkeit, um seine kritischen Thesen diskutieren zu lassen, und das ist der Punkt. Er traut sich, er geht raus, er nimmt das persönliche Risiko auf sich, ohne autorisiert zu sein, und stößt die Debatte an. Genau das tut er auch, wenn er auf Deutsch publiziert. Deshalb werden später die Reden veröffentlicht, die er an seinem Tisch beim Essen mit Gästen gehalten hat. Seine Übersetzung machte die Bibel allen zugänglich, die lesen konnten. Und auch wenn er für die Bauernaufstände nicht verantwortlich gemacht werden wollte, so hat er den Aufständischen doch mit der deutschen Bibel einen Text geliefert, auf den sie sich berufen haben.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Das ist ja ein toller Typ gewesen!]

Luther war damals nicht der einzige. Damals ging es los mit Flugblättern, Zeitungen und politischen Karikaturen. Es entstand damit das, was wir heute Öffentlichkeit nennen. Die Deutungshoheit der religiösen und politischen Autoritäten wird infrage gestellt, weil viel mehr Menschen mitreden können und das auch tun. Die Karikaturen

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

spielen dabei eine große Rolle: immer wieder der Papst, so zum Beispiel auf seinen Thron mit Tiara und langen Eselsohren. Das sind Holzdrucke, schnell und billig hergestellt und einfach verteilt. Man kann sie sich heute im Internet ansehen.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Zur Sache!]

Es geht um die Freiheit des Wortes und um die Emanzipation des Individuums. Luther bricht mit dem Prozess der Reformation das Monopol der römischen Kirche und legt somit den Grundstein für religiöse Freiheit und Vielfalt. Er hat das vielleicht nicht so gewollt, aber die Reformation ist ein entscheidender Faktor für die heutige Glaubens- und Bekenntnisfreiheit. Dafür steht der berühmte Satz vor dem Wormser Reichstag: Hier stehe ich... usw. Sie kennen das. Dass es mit der Pressefreiheit in Deutschland dann noch lange gedauert hat, wissen wir alle. Danach haben noch viele in den deutschen Ländern in Gefängnissen gesessen oder mussten im Exil leben.

Innerreligiös geht es noch um etwas anderes. Luther kritisiert mit dem Ablasshandel eine Kirche, die sich anmaßt, die Gnade und Vergebung Gottes verkaufen zu können.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Ist doch geil!]

Luther hat den Menschen klargemacht, dass sie nicht reich sein müssen, um sich mit Ablassscheinen Eintrittskarten in den Himmel kaufen zu können. Auch von denen, die glauben, dass Religion sinnlos ist, kann man erwarten zu verstehen, dass das eine Emanzipation des Einzelnen bedeutet, die historisch nicht rückgängig zu machen war und aus der viele die Kraft zu politischem Widerstand und Mut gezogen haben.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Die Reformation ist ein großer Schritt in der europäischen Aufklärung – egal, wie man persönlich zu Religion steht. Ich verstehe die Freundinnen und Freunde aus den ostdeutschen Ländern, dass sie das feiern wollen.

Aber zur Freiheit des Wortes und dem Respekt vor der persönlichen Einstellung gehört es auch, dass wir in unserer Fraktion in religiösen Fragen keine Mehrheitsbeschlüsse fassen. Wir diskutieren den Antrag jetzt mit Ihnen im Innenausschuss. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Vielen Dank, Frau Dr. Kahlefeld! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort Frau Harant. – Bitte!

Sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wer kein Protestant ist, auch wer keiner christ

lichen Glaubensgemeinschaft angehört, kann die große, nachhaltige Bedeutung dieses Datums, das wir hier nach 500 Jahren feiern wollen, nicht abstreiten.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Doch!]

Deswegen kann ich auch nicht verstehen, dass man sich darüber auseinandersetzen muss, ob das gewürdigt werden soll oder nicht.

[Uwe Doering (LINKE): Sie haben doch die Debatte beantragt!]

Es ist ein ganz entscheidendes Datum in unserer Geschichte. Damit begann eine Entwicklung, ein Prozess hin zur Aufklärung, die uns heute noch wichtig ist und uns begleitet. Ich sage nur ein paar Stichworte. Man kann sich kurzfassen – was gesagt wurde, ist richtig, und ich kann es unterstützen –: Dieses Datum hat zur Befreiung des Individuums beigetragen, zur Trennung von Kirche und Staat, denn erstmals erschloss sich für die Gläubigen die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen. Ich nenne nur das Stichwort Bibelübersetzung. Erstmals gab es für viele Menschen die Chance, die Bibel in deutscher Sprache zu lesen. Kant mit seinem „Sapere aude!“, seinem „Wage es, selbst zu denken!“ stand auch auf diesen Schultern. Statt unkritisch alles von übergeordneten Autoritäten zu übernehmen, gab es die Aufforderung, sich selbst ein Bild zu machen. Individuelle Entscheidungen wurden so möglich. Es ist auch klar, dass Bildung und Wissen die Grundlagen für die Emanzipation des Einzelnen sind und damit auch deutlich wurden. Insofern kann ich nicht verstehen, warum wir uns hier auseinandersetzen müssen. Das Datum ist religionsgeschichtlich wichtig, es ist kulturgeschichtlich wichtig – allein durch die Übersetzung –, und es ist gesellschaftlich wichtig durch die Entwicklungen, die es angestoßen hat. Erstaunlicherweise wird dieser Feiertag in den ostdeutschen Bundesländern, wo eigentlich nur noch eine Minderheit der evangelischen Kirche angehört, jährlich gefeiert. Wir wollen nun einmal in 500 Jahren diesen arbeitsfreien Tag allen Bundesbürgern zugutekommen lassen,

[Lachen bei der LINKEN]

darüber werden sich alle freuen, egal wo sie stehen. Berlin soll da nicht abseits stehen und wird nicht abseits stehen. Insofern können wir diesen Beschluss, so hoffe ich, einheitlich fassen. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

Vielen Dank, Frau Harant! – Für die Linksfraktion hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Brauer. – Bitte!

(Dr. Susanna Kahlefeld)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Feiertage sind eine feine Sache, und Berlin hat viel zu wenige – das stellte gestern eine Boulevardzeitung fest.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]