Protocol of the Session on January 15, 2015

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Solidarität ist Ihnen wichtig, Herr Regierender Bürgermeister! Besonders Flüchtlinge brauchen unsere Solidarität – richtig! Sie sagen wörtlich: Senat und Bezirke müssen jetzt sehr viel mehr Unterkünfte als erwartet bereitstellen. Nun gilt es, unsere Mitmenschlichkeit zu beweisen. – Aber, Herr Müller, wann beweist diese Koalition das? Sie lassen Senator Czaja weiter werkeln wie bisher. Die Situation der Flüchtlinge ist schlimm und einfach beschämend, so sehr, dass schon eine große Boulevardzeitung fragt: Will Berlin etwa so seine Flüchtlinge unterbringen? – Davon, dass Sie Containersiedlungen modulare Wohneinheiten nennen, wird die Sache nicht

besser. Wer sieht, wie in Turnhallen mehr als 200 Frauen, Männer, Junge und Alte dicht an dicht verpflegt, notfalls ärztlich versorgt, aber ohne jede Privatsphäre untergebracht sind, weiß, dass das kein akzeptabler Zustand ist.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Hier wird die Menschenwürde verletzt. Prüfen Sie, was immer Sie wollen, aber fangen Sie endlich an, verantwortlich zu handeln! Lassen Sie nicht zu, dass die grundsätzlich positive Haltung der Berlinerinnen und Berliner gegenüber Flüchtlingen zerrüttet wird! Die Probleme bei der Unterbringung sind ganz alleine durch die mangelnde Vorsorge seitens der Senatsverwaltung verursacht.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das ist nicht die Schuld der immer noch überschaubaren Anzahl von Flüchtlingen, die es trotz Schengen und Festung Europa bis nach Berlin geschafft haben. Was Berlin braucht – Frau Kapek hat es auch schon angesprochen –, ist ein modernes, ressortübergreifendes Flüchtlingskonzept, das neben der Unterbringung Flüchtlinge als künftige Mitbürger – als Bereicherung – begreift, denen der Weg in die Berliner Gesellschaft geöffnet werden muss und die nicht als Problem begriffen werden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Reden wir über die Berliner Verwaltung, über den öffentlichen Dienst. An keiner anderen Stelle verteilen Sie so regelmäßig Trostpflaster und reden gleichzeitig von Konsolidierung wie beim Personal. Es ist doch kein Zufall, dass am Tag Ihrer Klausur in verschiedenen Zeitungen die Rede davon ist, dass der öffentliche Dienst aufgrund von Pensionszahlungen immer teurer wird. Das ist so durchschaubar wie ärmlich, weil es darauf zielt, Stimmung zu machen: Da darf jetzt aber nicht noch mehr Geld gefordert werden!

Wenn Sie nicht wollen, dass der öffentliche Dienst über kurz oder lang zusammenbricht, geben Sie sich nicht damit zufrieden, dass die Bezirke, die kaum noch wissen, wie Sie die vielen Aufgaben der wachsenden Stadt bewältigen sollen, mit ein paar zusätzlichen Stellen für die Bürger- oder Sozialämtern abgespeist werden!

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Der öffentliche Dienst hat längst seinen Konsolidierungsbeitrag für einen ausgeglichenen Haushalt erbracht. Dass beim Personal in der Stadt nicht länger gespart werden darf, das wäre ein klares Signal gewesen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Herr Regierender Bürgermeister! Sie haben doch in Ihrer Neujahrsansprache speziell Polizei und Feuerwehr für

deren Einsatz gedankt – heute auch wieder. Herr Saleh hat es auch noch einmal gemacht. Wie kann diese Koalition nur wenige Tage später für diese Berufsgruppen wieder nur Bemühungszusagen machen? Wenn Umwandlungsverordnung und Zweckentfremdungsverbot keine leeren Hüllen sein sollen, brauchen Sie Personal. Dass Brücken und zugleich Investitionsmittel verfallen – Herr Müller, das wissen Sie genau –, passiert, weil Berlin nicht mal mehr Fachleute in der Verwaltung hat, die sich darum kümmern können. Jetzt könnten Sie die Weichen neu stellen. Aber von einem Personalkonzept, das Personalentwicklung und Personalbedarf zusammendenkt, ist wieder nichts zu sehen. Kein Wort zu Ihrer erbärmlichen roten Nummer zum Thema Personalbedarf und Personalkonzept aus dem letzten Jahr! Da hätten Sie mal bei Ihrer Klausur so richtig den Finger in die Wunde legen müssen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Warum machen Sie den öffentlichen Dienst nicht zur Chefsache? Warum siedeln Sie dafür nicht einen Ihrer vielen, vielen Staatssekretäre in der Senatskanzlei an? Selbst die IHK hat unsere Forderung mittlerweile aufgegriffen. Warum so verstockt? Man hat den Eindruck, als gäbe es zu Ihrem Koalitionsvertrag ein geheimes Zusatzprotokoll, in dem festgelegt ist, in dieser Legislaturperiode auf jeden politischen Gestaltungsanspruch zu verzichten.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Genauso wie beim Haushalt: Dass Ihr Finanzsenator seriöser mit Zahlen umgehen möchte als sein Vorgänger, ehrt ihn. Die Mehreinnahmen des Landes nicht länger zu verschleiern, ist ein richtiger Schritt hin zu mehr Haushaltswahrheit – von Klarheit sind wir allerdings noch weit entfernt. Erst mal haben Sie das dicke Plus an Mehreinnahmen nur für 2014 öffentlich gemacht, immerhin über 800 Millionen Euro. Da fällt auch dem Rechenschwächsten unter den Koalitionären auf, wie sehr die Haushaltsplanungen für 2014/2015 daneben liegen. Auch in diesem Jahr kann Berlin Überschüsse von gut einer Milliarde Euro erwarten. Damit könnte man doch richtig etwas machen.

Ein paar Beispiele: Mit 400 Millionen Euro könnte Berlin 40 000 belegungs- und preisgebundene Wohnungen dauerhaft aus dem Bestand den landeseigenen Gesellschaften zur Verfügung stellen. Oder mit 800 Millionen Euro die BVG entschulden. Gar nicht zu reden von dem großen Sanierungsbedarf bei Schwimmbädern und Sporthallen. Da ist Ihnen ja außer Preiserhöhung und Warmbadezuschlägen noch kein Konzept gegen rückläufige Besucherzahlen eingefallen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wir haben Ihnen das schon vor Weihnachten vorgerechnet und gefordert: Machen Sie sich endlich ehrlich! Sie reden heute hier immer wieder von Ihren 413 Millionen Euro Investitionen, die Sie planen wollen. Lassen Sie das Parlament entscheiden, wie die Mehreinnahmen sinnvoll ausgegeben werden! Legen Sie endlich einen Nachtragshaushalt vor!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Heiko Melzer (CDU): Das Parlament hat darüber ent- schieden! Es gibt ein Gesetz!]

Das wäre anständig, und das wäre Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die Überschüsse alleine über Ihre Konstruktion „Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt“ – kurz: SIWA – zu verbrauchen – wo übrigens die Frage steht, ob das, was Sie bei Personalinvestitionen ankündigen, darüber überhaupt zu verhandeln wäre –, indem Sie dann aber auch umstandslos die Hälfte in die Tilgung der Berliner Altschulden werfen,

[Heiko Melzer (CDU): Ja, bravo! Sparen und investieren!]

ist ökonomisch und politisch dumm! – Der Floskelgenerator ist schnell angeworfen, Herr Melzer, wenn man in der Sache nicht weiter weiß!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Nicht zu fragen, was die Stadt braucht, wenn man Überschüsse hat, sondern die Stadt in wichtigen Bereichen weiter auf Verschleiß zu fahren, ist nichts anderes als fortgesetzte verschleierte Verschuldungspolitik.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Denn der Sanierungsstau, die sozialen Folgekosten einer maroden baulichen und sozialen Infrastruktur eines nicht mehr leistungsfähigen öffentlichen Dienstes werden immer höher, je länger man das liegen lässt!

[Martin Delius (PIRATEN): Nein!]

Das ist doch kein so komplizierter Sachverhalt, dass ihn nicht auch diese Koalition verstehen könnte!

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Ich will es Ihnen noch einmal anders erklären: Beim jetzigen Schuldenstand und den aktuellen Zinssätzen bringen 400 Millionen Euro, ins Altschuldenloch gewor

fen, gegenwärtig gerade mal eine Zinsersparnis von etwa 8 Millionen Euro pro Jahr. Auf diese Weise, und wenn es immer so gut weiterliefe, hätte Berlin seine Altschulden in 100 Jahren noch nicht abgetragen. Aber entscheidender ist: Wenn wir zum Beispiel für diese 400 Millionen Euro die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Wohnungen und damit Werte für das Land beschaffen lassen würden, wäre das vermögensrechtlich das Gleiche wie Schuldentilgung. Der Unterschied wäre nur, dass die Berlinerinnen und Berliner davon etwas hätten.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Nach den dürren Ergebnissen Ihrer Senatsklausur ist deutlich geworden: Es gibt keinen Neustart. Es gibt keine neue Idee für diese Regierung. Sie haben sich entschieden, in der Koalition so weiterzuwursteln wie bisher. Hätten Sie wirklich etwas von den Themen umsetzen wollen, bei deren Umsetzung Sie in den vergangenen Jahren ausgebremst wurden, hätten Sie den Weg für Neuwahlen freimachen müssen. Denn um erfolgreich zu sein – das habe ich schon bei Ihrem Amtsantritt gesagt –, fehlt Ihnen einfach der richtige Koalitionspartner.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Und vielleicht dämmert Ihnen ja inzwischen auch, dass nicht allein die schlechten Umfragewerte von Klaus Wowereit das Problem der SPD waren, sondern vielmehr die Union. In dieser Koalition, in der zusammen regiert, was nicht zusammen gehört, gibt es keine einzige strategische Gemeinsamkeit, keine einigende Idee für die Menschen in dieser Stadt.

Und wie üblich in solchen Situationen, wie im alten Rom, werden Spiele ausgelobt. Olympia soll diese Koalition bis zum Wahltermin tragen. Echt jetzt, Michael Müller? Auch da keine Kurskorrektur? Das machen Sie mit? Es klang ja auch ausgesprochen überzeugend, wie Sie das noch einmal aufgesagt haben, was Ihnen da zu Olympia aufgeschrieben wurde. Aber ehrlich: Haushaltskonsolidierung weiter beschwören und Spiele mit Haushaltsrisiken in Milliardenhöhe planen: Ist die Verzweiflung mit dieser Koalition zu groß?

[Dr. Gabriele Hiller (LINKE): Ja!]

Also, wenn Sie dieses Projekt weiterverfolgen, sorgen Sie wenigstens dafür, dass das von Herrn Saleh nach der Tempelhof-Niederlage gemachte Versprechen eingelöst wird! Sorgen Sie dafür, dass die Berlinerinnen und Berliner auf der Grundlage der Berliner Verfassung verbindlich über dieses Großprojekt abstimmen können!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir haben wie die anderen Oppositionsfraktionen schon vor einiger Zeit Vorschläge dazu unterbreitet. Die Koalition hat abgelehnt, mit uns darüber zu diskutieren.

[Martin Delius (PIRATEN): So ist es! – Zuruf von der LINKEN: Pfui!]

Wenn Sie nun im Senat, ohne über eine Verfassungsänderung zu diskutieren, am 20. Januar 2015 ein OlympiaVolksbefragungsgesetz vorlegen, dann ist das eine ziemliche Frechheit. Die Verfassung zu respektieren, lieber Herr Müller, ist nicht kleinkariert!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Sie, Herr Henkel, haben hier vor dem Hause gesagt, Sie wollen keine Lex Olympia, die Verfassung müsse geändert werden. Sie, Herr Saleh, haben angekündigt, Bürgerbeteiligung künftig ernst zu nehmen, und jetzt tricksen Sie auf diese dreiste Art und Weise. Hier droht eine Volksbefragung von oben, die es nach der Verfassung von Berlin nicht gibt.