Protocol of the Session on January 15, 2015

[Evrim Sommer (LINKE): Aha!]

Die Erfahrungen zeigen: Viele von den Flüchtlingen, die heute zu uns kommen, werden in Berlin bleiben. Und die Politik muss den Mut haben, das auszusprechen.

[Udo Wolf (LINKE): Das müssen Sie in diese Richtung erklären; wir wissen das!]

Das ist die Erfahrung von Flüchtlingspolitik in den letzten 40 Jahren. Die meisten von ihnen werden bleiben. Deswegen muss man früh genug ansetzen, dass die Sprache gelernt wird, dass die Kinder von Anfang an zur Schule und in die Kita gehen. Wir wollen, dass anerkannte Flüchtlinge arbeiten dürfen. Die Flüchtlinge haben Talente. Sie haben Ausbildungen. Es sind Menschen, die zu uns kommen und arbeiten wollen

[Evrim Sommer (LINKE): Erst mal wollen sie ihr Leben retten!]

und ihre Rolle in der Gesellschaft suchen. Sie sind eine Chance für Berlin. Und sie werden Berlin stärker machen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Udo Wolf (LINKE): Wo ist das Konzept der Koalition? – Ramona Pop (GRÜNE): Dann macht mal und wollt nicht nur!]

Mir ist wichtig, dass wir die Vision einer Stadt für alle im Blick behalten.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Na, welche denn?]

Wir machen solide Finanzpolitik.

[Zuruf von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Wir investieren in notwendige Infrastrukturprojekte unserer Stadt und sichern zeitgleich durch unseren Schuldenabbau Spielräume für die Zukunft.

Mit der Rekommunalisierung machen wir ganz klar: Wir geben Berlin den Berlinerinnen und Berlinern zurück. Wir sorgen für eine sichere Stadt. Und wir sorgen dafür, dass Berlin eine Stadt für alle bleibt. Was gäbe es denn für ein schöneres Kompliment für uns, als dass die Kinder, die heute auf eine Brennpunktschule gehen,

[Evrim Sommer (LINKE): Brennpunktschule?]

ob in Marzahn oder Reinickendorf, in 20 Jahren selbst an Schulen unterrichten oder hier im Abgeordnetenhaus den Aufstieg für die nächste Generation sichern? – Vielen Dank!

[Starker Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke jetzt Herr Kollege Udo Wolf. – Bitte schön, Herr Kollege Wolf!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister! Wie Sie sind wir erschüttert über die Morde, zu denen religiöser Fanatismus in Paris geführt hat. Es ist entsetzlich, auf welch brutale Weise eine offene Gesellschaft, die Freiheit der Medien von Terroristen angegriffen wurde. Aber trotzdem bin ich froh, dass die Zivilgesellschaft, die großen Religionsgemeinschaften und die demokratischen Parteien in Berlin nach diesem abscheulichen Morden Solidarität demonstrierten. Es ist gut, dass keine im Abgeordnetenhaus vertretene Partei in der Bewertung der schrecklichen Ereignisse islamophobe Argumente bemüht hat oder Religion allgemein für diese Verbrechen in Haftung nimmt. Ich möchte an dieser Stelle aber auch sagen: Wir brauchen ganz sicher keine neue, populistische sicherheitspolitische Debatte.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Sie wissen, Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung, die Attentäter standen auf allen einschlägigen Listen der Sicherheitsbehörden, und dennoch ist es geschehen. Man darf den Menschen nicht vorgaukeln, es könnte absolute Sicherheit in einer offenen Gesellschaft geben. Wer in einer freien und offenen Gesellschaft auf Terror mit Einschränkungen der Freiheitsrechte reagiert, verliert in der Konsequenz den Kampf gegen den Terrorismus, denn – Herr Präsident, Sie haben es heute auch zu Beginn der Sitzung schon gesagt – Angst und Unfreiheit sind das, was diese Leute wollen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Was wir brauchen, ist sozialer Zusammenhalt in einer offenen, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft. Und was wir brauchen und in Ansätzen auch haben, ist eine starke und mutige Zivilgesellschaft. Deshalb möchte ich auch im Namen meiner Fraktion all denjenigen danken, die, egal bei welchem Wetter, auf der Straße waren, ob bei den Mahnwachen oder den Gegendemonstrationen zu Pegida, Bärgida oder den Nazi-Veranstaltungen vor Flüchtlingsunterkünften, also all denjenigen, die die Werte einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft verteidigt haben.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Und danke deshalb auch an Sie, Herr Regierender Bürgermeister, für Ihre Erklärung und Ihr Agieren in den letzten Tagen!

Womit ich dann aber auch überleiten muss zur Rubrik: Was sonst noch passierte. Oder anders gesagt: Stimmt es wirklich, dass die rot-schwarze Koalition in Berlin wieder arbeitet?

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Herr Müller! Ihre Regierungserklärung war die erste, und wenn jemand neu ist, gibt es üblicherweise 100 Tage Schonzeit, aber erstens – Frau Kapek hat es auch schon festgestellt – sind Sie hier nicht wirklich neu, und zweitens hat sich in der Koalition auch nichts geändert, also – haben Sie Verständnis! – gibt es auch keine Schonzeit.

Seit mehr als einem halben Jahr, seit Klaus Wowereit seinen Rücktritt erklärt hat, hat diese Koalition nicht mehr gearbeitet. Die SPD hatte ihre Castingshow, und die CDU hat zugeguckt. Das ist ja auch Herrn Müller aufgefallen, sonst hätte es die Schelte an Herrn Henkel nicht gegeben. Ich klammere hier mal aus, dass Sie auch davor schon nicht viel auf die Reihe gekriegt haben.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Heiterkeit bei der LINKEN]

Aber über ein halbes Jahr lang wurde kein wichtiges stadtpolitisches Thema angepackt. Es wurde immer nur gestritten, nichts, aber auch nichts mehr entschieden, ganz entgegen der Autosuggestion von Herrn Saleh. Und dann tagt diese Koalition in der ersten Woche des neuen Jahres mit Ihnen an der Spitze, Herr Müller, zwölf Stunden lang. Das muss man sich mal vorstellen, was das für Erwartungen weckt.

[Zuruf von der LINKEN]

Nach einem halben Jahr absoluter Untätigkeit sitzen alle Senatorinnen und Senatoren zwölf Stunden in Klausur. Nicht mal zur Nachrichtensendezeit wird das unterbrochen so wie sonst, um den Zuschauerinnen und Zuschauern des RBB mitzuteilen, was die Koalition künftig

(Raed Saleh)

kräftig anpacken will. Und dann endlich, aufgemerkt, diese Botschaft: Berlin kriegt eine Umwandlungsverordnung und mehr Mittel für die Sanierung von Schultoiletten. Wow!

[Martin Delius (PIRATEN): Ich bin beeindruckt!]

Dazu auf vier Seiten dürre Kompromisse, die man auch in der Mittagspause beim Espresso hätte zusammenschustern können!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Das, sehr geehrter Herr Müller, hat sogar Menschen wie mich, die bekanntlich an diese Koalition keine großen Erwartungen haben, sagen wir mal, enttäuscht. Natürlich ist gegen mehr Mittel für die Sanierung von Schultoiletten nichts zu sagen. Wir haben die unhaltbaren Zustände schon des Öfteren kritisiert. Ich gönne Ihnen auch die Freude über die gegen die CDU durchgesetzte Umwandlungsverordnung, wenngleich sich die Frage stellt, weshalb die SPD das nicht schon damals unterstützt hat, als wir das unter Rot-Rot gefordert haben.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE) und Philipp Magalski (PIRATEN)]

Da hätten Sie sich den kläglichen Widerstand der CDU auch ersparen können. Geschenkt!

Aber was dieser Senat hier als Programm für ein starkes, solidarisches Berlin vorgelegt hat, folgt keiner Idee. Nichts als stadtpolitisches Kleinklein, Prüfaufträge und weitere haltlose Versprechen! Da hat sich nichts geändert, es geht so weiter wie bisher. Ein bisschen Mieterschutz gegen etwas mehr Entscheidungsmöglichkeiten, wann Eltern ihre Kinder einschulen lassen können, das riecht nach sachfremdem Tauschgeschäft.

Beides sind Themen, bei denen es aus fachpolitischer Sicht durchaus Verbesserungsbedarf gibt. Nur, SPD und CDU ging es offensichtlich gar nicht um die Sache, wie übrigens in den letzten drei Jahren auch nicht, es ging doch nur darum, dass es beim anderen auch mal ordentlich wehtun muss. Das macht die Stadt nicht stärker, das macht sie nicht solidarischer, das machen zerrüttete Koalitionen so, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Das Rumdoktern am Einschulungstermin hat ein Problem verlagert. Wir werden künftig mehr Kinder haben, die länger einen Kitaplatz brauchen, das heißt, ein Großteil der angekündigten 10 000 Kitaplätze, vermutlich die Hälfte, wird darauf verwendet. Ein Problem der wachsenden Stadt löst das jedenfalls nicht.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Antje Kapek (GRÜNE)]

Lieber Herr Müller! Wir alle wissen, das Thema Stadtwerk war Ihnen mal wichtig. Dann hat eine Intrige von Finanzsenator Nußbaum zusammen mit der Union und gedeckt von Klaus Wowereit Ihnen die Zuständigkeit

entzogen. Sie wurde der Frau Yzer gegeben. Die ist eine erklärte Gegnerin von Rekommunalisierung. Wir alle haben den grotesken Streit zwischen Heilmann und Nußbaum zu den Energienetzen im letzten Jahr erlebt. Passiert jetzt was? Gibt es da noch irgendeine politische Ambition des neuen Regierenden Bürgermeisters außer einem versteckten Halbsatz heute in der Regierungserklärung? Da hätte man doch mal ein Zeichen setzen können. Stattdessen sieht es so aus, als ob statt neuer Energie mit Richtlinienkompetenz nur die fortgesetzte Moderation der Blockade im Senat stattfindet.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Zur Zukunft der S-Bahn nach der gescheiterten Teilausschreibung keinen Plan! Was ist mit neuen Waggons? Das hätte interessiert.

Oder das Ihnen so wichtige Thema Wohnungsbau, Herr Müller: Vor drei Tagen hat sich Ihr Nachfolger verplappert. Mit dem neuen Mietspiegel soll die durchschnittliche Nettokaltmiete weit über 6 Euro liegen. Zwar musste Herr Geisel schnell wieder zurückrudern, aber das klingt schon verdammt nach einem wohnungspolitischen Offenbarungseid. Das ewige Gerede von Neubau zur Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum hat offensichtlich nichts gebracht. Es werden in der Stadt ja überall neue Wohnungen gebaut. Man muss sich ja nur umgucken, nur bezahlbar sind die für Berlinerinnen und Berliner mit niedrigem oder mittlerem Einkommen nicht.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN – Zuruf von Dr. Manuel Heide (CDU)]

Neubau ohne Mietenpolitik dämpft keine Mietpreise in der Stadt, sondern treibt sie weiter in die Höhe. Sie haben heute wieder betont, dass es Ihnen wichtig ist, dass Sie das ändern wollen, aber einen Plan dafür legen Sie nicht vor. Wir werden nachher unter der Priorität noch über die Wohnungswirtschaft und damit über die Mietenpolitik in der Stadt diskutieren. Da werden Sie erfahren, was man tun könnte, wenn man nicht hasenfüßig wäre und nicht einfach nur der Baulobby vertraut.