Protocol of the Session on December 11, 2014

Wir müssen auch über eine weitere Gruppe reden, die eines Abschiebeschutzes bedarf. Das sind diejenigen aus den Ebola-Ländern. Mehrere Bundesländer, darunter Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Hamburg, haben die Abschiebungen nach Liberia, Sierra Leone, Guinea, Nigeria und in den Senegal ausgesetzt. In Westafrika sind laut WHO bereits mehr als 5 000 Menschen der EbolaEpidemie zum Opfer gefallen. Sogar das Bundesinnenministerium hält den Verzicht einiger Länder auf Abschiebungen nach Westafrika wegen des Gesundheitsrisikos für angemessen.

Wir haben hier auf Landesebene die Möglichkeit, einen Schritt zu einer humanitären Asylpolitik zu tun. Der Innensenator will das nicht. Er will die Menschen anscheinend so schnell wie möglich loswerden, egal, was ihnen im Herkunftsland droht. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, es hilft niemandem, das tolerante und weltoffene Berlin immer wieder in Sonntagsreden zu beschwören. Man muss dann auch einmal praktisch etwas tun.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Hier erwarte ich insbesondere von der SPD, dass sie sich bekennt. Sollen die Äußerungen von Herrn Wowereit nur warme Worte sein? Oder wollen Sie wirklich etwas für

die Menschen tun? Bodo Ramelow hat es vorgemacht. Wenn Herr Regierender Bürgermeister Müller unsere gemeinsame Erklärung im Abgeordnetenhaus ernst nehmen soll und wenn er die Worte seines Vorgängers ernst nimmt, sollte er seine Amtszeit mit dieser dringend notwendigen humanitären Geste beginnen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die SPD-Fraktion kommt jetzt Frau Kollegin Radziwill. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Meine Damen, meine Herren! Lieber Herr Taş! Selbstverständlich wollen und machen wir etwas Gutes für die Menschen.

[Hakan Taş (LINKE): Da bin ich gespannt, wie das aussieht!]

Uns liegt nun ein interessanter und auch wortgleicher Antrag wie letztes Jahr vor. Sie recyceln Ihre Anträge. Das ist eine interessante Form der Nachhaltigkeit, könnte man meinen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Steffen Zillich (LINKE): Winter kommt immer wieder!]

Liebe Opposition! Wir brauchen hier keinen förmlichen Abschiebestopp. Auch früher gab es nichts Vergleichbares in Berlin. Für meine Fraktion kann ich hier festhalten, dass wir einen sehr sensiblen Umgang mit Abzuschiebenden im Winter wollen. Wir bekennen uns auch zum Schutz von Flüchtlingen, Herr Taş.

[Hakan Taş (LINKE): Was tun Sie denn dafür?]

Für uns spielen humanitäre Gesichtspunkte und unzumutbare Härten im Einzelfall oder aber auch Gesundheitsaspekte oder -gefahren wie beispielsweise Ebola eine sehr wichtige Rolle. In diesen Fällen darf es auch aus unserer Sicht keine Abschiebung geben. Diese Gründe haben auch in der Vergangenheit zu einer äußerst zurückhaltenden Abschiebepraxis im Winter in Berlin geführt. Das ist Ihnen, liebe Opposition, auch bekannt. Daran wollen wir auch festhalten. Das ist für meine Fraktion sehr wichtig. Wir sind sicher, dass sich der Senat auch heute und in den kommenden Monaten an diesen Grundsätzen orientiert. Sollte in Einzelfällen keine dieser Kriterien wie humanitäre Gründe oder unzumutbare Härten im Einzelfall bei besonders schutzbedürftigen Personen einer Abschiebung im Wege stehen, liegt es in der Ressortverantwortung des Senators für Inneres zu entscheiden, ob abgeschoben werden muss oder nicht.

(Hakan Taş)

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Taş?

Vielen Dank, aber ich möchte in meiner Rede fortfahren. Wir erwarten von unserem Innensenator, im Winter einen besonders sensiblen und verantwortungsvollen Umgang mit Abzuschiebenden zu pflegen. Das bedeutet für uns, es muss sehr sorgsam geprüft werden, ob Personen besonders Schutzbedürftige gemäß Artikel 17 der EUAufnahmerichtlinien sind. Das muss selbstverständlich pflichtgemäß in jedem Einzelfall geprüft werden.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Wer macht das denn? Wer prüft das?]

Wir gehen davon aus, dass der Senat, aber besonders der Senator für Inneres, genau diese Einzelfallprüfung im Winter anordnet, um verhältnismäßige Härten für besonders schutzbedürftige Personen zu verhindern.

Sehr wohl stelle ich fest, dass aktuell zwei Bundesländer, nämlich Schleswig-Holstein und Thüringen, letztere unter einer neuen politischen Konstellation, einen Abschiebestopp bis Mitte März 2015 – meines Wissens für insgesamt 15 Länder – beschlossen haben. Andere politische Mehrheiten entscheiden hier anders.

[Steffen Zillich (LINKE): Warum das?]

Möglicherweise hängt es auch von der Anzahl der Fälle ab.

Festgehalten werden muss auch, dass neue rechtliche Rahmenbedingungen aktuell auch auf Bundesebene geschaffen worden sind. Es sind neue sichere Herkunftsländer politisch definitiv worden. Man kann selbstverständlich hierbei darüber debattieren, ob das in der einen oder anderen Form sinnvoll ist. Auch Vertreter der Grünen, wie Herr Kretschmann, haben diese neue Definition mitgetragen.

Frau Kollegin! Gestatten Sie Zwischenfragen der Kollegen Zillich und Delius?

Vielen Dank, für das rege Interesse an meiner Rede. Ich möchte aber gern zum Schluss kommen. – Der sensible Umgang mit besonders schutzbedürftigen Personen ist aus unserer Sicht sehr wichtig. Wir wollen keine Menschenleben aufs Spiel setzen. Wir sollten zusätzlich bedenken, dass es hier auch um den Ruf unseres Landes in der Welt geht. Deutschland hat einen weltweit anerkannten Ruf auch als Vermittler von Friedensprozessen oder Entwicklungsprozessen. Es geht also auch um das positive Ansehen in der Welt. Das wird auch selbstverständlich

bei den Entscheidungen des Berliner Senats entsprechend berücksichtigt werden.

Insgesamt kann ich festhalten, dass wir diesen recycelten Antrag aus verschiedenen Gründen heute ablehnen können, der Senat aber sehr wohl humanitäre Gründe und unverhältnismäßige Härten für die betroffenen Personen berücksichtigt und diese nicht zulassen wird. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank! – Für eine Zwischenbemerkung hat jetzt der Kollege Reinhardt das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Ich tue mich jetzt ein bisschen schwer, Frau Kollegin Radziwill, ob ich soll oder nicht. Sie sind für das Thema nicht einmal wirklich zuständig. Zuständig ist eigentlich der Kollege Zimmermann. Er hat sonst auch immer dazu gesprochen. Deswegen weiß ich gar nicht, was es für eine Ansage ist, dass Sie zu diesem Thema sprechen. Es ist aber schon in Ordnung.

Ich will noch einmal auf ein paar Punkte eingehen. Sie sagten, wir bringen jedes Jahr den gleichen Antrag ein. Das stimmt auch. Es war nicht nur im letzten Jahr so, sondern auch schon im Jahr davor. Schön, dass es Ihnen endlich einmal aufgefallen ist. Es war nämlich auch die Idee dabei, Ihnen jedes Mal neu zu verdeutlichen, dass dieser Winterabschiebestopp notwendig ist und deswegen auch dringend beschlossen werden muss.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es ist schön, dass Sie es auch schon gemerkt haben.

Ich möchte trotzdem noch einmal gern von Ihnen etwas wissen. Sie haben mehrere Länder beschrieben, die diesen Winterabschiebestopp erlassen haben. Nach meinen Informationen gab es in den letzten Jahren immer wieder Länder, die das beschlossen haben, unterschiedlicher Couleur, unterschiedlicher Regierungszusammensetzungen. Dazu gehörten sogar CDU-geführte Länder. Auch im Saarland gab es einmal einen Winterabschiebestopp. Insofern stellt sich die Frage, warum Berlin das nicht machen kann. Die Koalitionszusammensetzung sollte an der Stelle tatsächlich aus meiner Sicht nicht entscheidend sein.

Trotzdem möchte ich noch einmal die Frage stellen: Warum meinen Sie, dass mehr Flüchtlinge dazu führen, dass man eher einen Abschiebestopp vornimmt? Oder führen eher weniger Flüchtlinge dazu? Das ist aus Ihren Ausführungen nicht ganz klar geworden. Ich finde es sehr gut,

dass Sie der Meinung sind, dass man in Ebola-gefährdete Gebiete nicht abschieben sollte. Das Problem dabei ist, dass sich der Senat dazu schon geäußert hat. Er tat dies in seiner Antwort auf eine Anfrage von August, die ich gestellt habe. Ich habe die Frage entsprechend gestellt. Der Senat antwortete, es sei nicht geplant, Abschiebungen in die von Ebola betroffenen Staaten auszusetzen. Zur Begründung gab Innenstaatssekretär Krömer in dieser Antwort auf die Anfrage an,

dass für die ausreisepflichtigen Personen aus den betroffenen Staaten inländische Aufenthaltsalternativen

bestünden. Herr Krömer hat effektiv gesagt, dass es Ebola in den Staaten gibt, aber nicht überall. Es gibt auch noch gesunde Menschen und gesunde Regionen. Die Betroffenen sollten dorthin gehen.

Jetzt würde ich mich freuen, wenn Sie sich an der Stelle bei dem Wort nehmen ließen und sich mit uns gemeinsam dafür einsetzten, dass es zumindest einen Abschiebestopp für die von Ebola gefährdeten Regionen und Staaten gibt, damit sich zumindest an der Stelle einmal etwas in Bewegung setzen lässt. – Danke schön!

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Frau Radziwill! Sie bekommen auch noch einmal das Wort. – Bitte schön!

Herr Reinhardt! Auch für die anderen Kollegen und Kolleginnen kann ich festhalten, dass wir uns selbstverständlich in unserer Fraktion abgestimmt haben. Für uns ist dieser Aspekt sowohl innenpolitisch, aber auch sozialpolitisch sehr wichtig. Ich habe sehr klar formuliert, Herr Reinhardt, dass aus unserer Sicht erstens ein förmlicher Abschiebestopp, wie Sie ihn fordern, nicht notwendig ist und zweitens besonders wichtig ist zu prüfen, ob Personen nach Artikel 17 der EU-Aufnahmerichtlinie besonders schutzbedürftig sind. Das muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden. Das ist für uns die Basis, auf der wir stehen, und daran halten wir fest. Wir sind uns auch sehr sicher – und daran werden wir auch gemeinsam arbeiten –, dass die Innenverwaltung das auch so umsetzt. Da spielen sehr viele Aspekte eine Rolle. Ich denke, wir sind hier mehrheitlich auf derselben Seite, dass wir Menschen, die bei uns Schutz suchen, auch so weit unterstützen, dass humanitäre Aspekte eine wichtige Rolle spielen und unzumutbare Härten für diese besonders schutzbedürftigen Menschen nicht akzeptabel sind. Daran halten wir fest. – Ich danke nochmals für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion die Grünen jetzt die Kollegin Bayram! – Bitte schön!

Vielen Dank! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Radziwill! Sie haben natürlich recht, dass der Antrag jedes Jahr so wie der Winter wiederkommt. Sie könnten sich selbst und uns einen Gefallen tun, indem Sie einmal dem Antrag zustimmen, denn wir haben uns etwas dabei gedacht. Einmal zustimmen heißt, jedes Jahr gilt der Winterabschiebestopp, und Sie müssen über diesen Antrag nicht mehr reden. Denken Sie darüber nach!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Der Kollege Taş hat es schon gesagt: Abschiebung an sich ist ein Fehler, aber im Winter ist sie besonders schlimm. Deswegen muss manchmal über das rechtliche System hinaus, das wir, das Land Berlin allein, zugegebenermaßen nicht verändern können, auch das Gebot der Menschlichkeit betrachtet werden. Und das Gebot der Menschlichkeit sollte uns eigentlich sagen, dass wir die Menschen nicht in die Not und ins Elend abschieben dürfen. Deswegen der Winterabschiebestopp!

Abschiebung ist Folter, Abschiebung ist Mord. Das ist ein Satz, der immer wieder bei Demonstrationen für die Rechte von Flüchtlingen genannt wird. Wenn man sich die Zahlen anschaut, wie viele Menschen in der Abschiebehaft entweder Selbstmord verüben oder Suizidversuche begehen, dann wird einem deutlich, wie schlimm und einschneidend diese Maßnahme ist. Und wenn man sich dann noch anschaut, in welcher Art und Weise Abschiebungen durchgeführt werden, mit welchen Zwangsmaßnahmen, und wie viele Menschen dabei zu Tode gekommen sind, dann muss man auch sagen: Abschiebung führt sowohl in Deutschland als auch in den Ländern, in die die Menschen abgeschoben werden, zu Folter und Tod. Und das sollten wir auf keinen Fall zulassen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

In diesem Winter hat der Winterabschiebestopp noch mal eine andere Dimension erreicht, die wirklich nachdenklich macht. Die NPD stellt in Thüringen einen Strafantrag gegen den neuen Ministerpräsidenten, weil er einen Winterabschiebestopp verfügt. Man soll sich das mal vorstellen! Die Begründung, es gebe Untreue, und es sei Rechtsbeugung, macht letztlich deutlich, wo wir bei dem Thema stehen: Was heißt Menschlichkeit, und wie gehen wir mit Flüchtlingen um? – Das sollte uns alle nachdenklich machen, denn diese rigide, sanktions- und abwehrgesteuerte Flüchtlings-, Asyl- und Migrationspolitik gibt nur einem eine Stärke, nämlich dem Rassismus in unserem Land. Und dagegen sollten wir uns alle wehren.

(Fabio Reinhardt)