Protocol of the Session on November 27, 2014

Seitdem die Werbebranche entdeckt hat, dass gegendertes Marketing zu höheren Verkaufszahlen führt, gibt es in der Werbung keine Kinder mehr, sondern nur noch Mädchen und Jungen, die unterschiedliche Spielsachen und unterschiedliche Mathebücher bekommen. Es gibt auch keine Menschen mehr, sondern nur noch Männer und Frauen, die unterschiedliche Kartoffelchips essen und unterschiedliche Mobiltelefontarife nutzen. Was sich von der dauernd auf alle einprasselnden Werbeflut letztlich im Kopf festsetzt, ist das: Echte Männer sind so und tun dies, echte Frauen sind so und tun das. – Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist Gewalt. Menschen wird eingeredet, falsch zu leben, wenn sie ihre eigenen Wünsche ausleben, statt sich an völlig aus der Luft gegriffenen Rollenmodellen zu orientieren.

Parallel zum Tag gegen Gewalt gibt es in Berlin die Aktionswochen „Mobil gegen häusliche Gewalt“. Physische und psychische Gewalt sind an und für sich schon schlimm genug. Wenn aber aus dem Wunsch, ein anerkannter Teil der Gesellschaft zu bleiben, das Bedürfnis entsteht, den Schein, dass alles in Ordnung sei, zu wahren, begeben sich ganze Familien in einen Strudel aus Verstrickungen und Lügen. Gewalt wird schnell zum einzigen Lebensinhalt, ein Ausweg scheint unmöglich. Hier müssen wir alle unsere Augen aufhalten – auch im engen Verwandten- und Bekanntenkreis – und Betroffenen unsere Unterstützung anbieten, einen Ausweg aufzeigen, denn die Berliner Frauenhäuser sind überbelegt und unterfördert. Betroffene Frauen müssen in manchen Fällen entweder die Stadt verlassen oder in die Obdachlosigkeit gehen, wo sie dann ganz andere Erfahrungen mit Gewalt machen.

Seit 2012 wird der Antigewalttag im Frühling durch „One Billion Rising“ ergänzt. Das heißt so, weil nach der Statistik der Vereinten Nationen eine Milliarde Frauen weltweit in ihrem Leben Opfer sexualisierter Gewalt werden. Die beiden Veranstaltungen im letzten Jahr in Berlin

(Evrim Sommer)

waren sehr gut besucht, und international konnte sich der Aktionstag einer großen Öffentlichkeit erfreuen.

In dieser Hinsicht begrüßen wir auch den Beschluss der JMK, bisher in eine Strafbarkeitslücke fallende Vergewaltigungen in Zukunft ahnden zu wollen. Über die Details des Koalitionsantrags – das haben wir bereits gehört –, müssen wir uns im Ausschuss noch unterhalten.

Aber nicht alle großen Veranstaltungen in Berlin sind so positiv zu bewerten. Gewalt gegen Frauen ist es auch, wenn christliche Fundamentalistinnen und Fundamentalisten in großen Märschen das Bild vermitteln wollen, Frauen seien Gebärmaschinen, ohne eigenen Willen, und wer einmal eine Schwangerschaft abgebrochen hat, habe sich an der Schöpfung versündigt und müsse den Rest des Lebens darunter leiden.

Dieses Jahr haben wir die Louise-Schroeder-Medaille dem Verein Wildwasser verliehen, der seit mehr als 30 Jahren nicht nur Opfer sexualisierter Gewalt berät und unterstützt, sondern auch deren Bezugspersonen wie beispielsweise Eltern, Partnerinnen und Partner, Lehrerinnen und Lehrer. Diese Arbeit und die von allen anderen Unterstützungs- und Beratungsstellen – Frau Kollegin Czyborra hat sie bereits aufgezählt – ist unglaublich wichtig. Wir bedanken uns dafür, weil wir wissen, wie schwierig die Rahmenbedingungen in diesem Bereich sind – auch aufgrund der Finanzierung, die vorn und hinten nicht ausreicht.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Das zu ändern, werden wir auch nächstes Jahr wieder in den Haushaltsberatungen fordern.

Nachdem die Berliner Journalistin Laura Himmelreich letztes Jahr über einen sexualisierten Übergriff durch den FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle berichtet hatte, richtete die Berlinerin Anne Wizorek den Twitter „#aufschrei“ ein, unter dem Tausende Frauen von ihren persönlichen Erfahrungen mit sexualisierten Übergriffen berichteten und damit ein so großes Medienecho auslösten, dass der Hashtag sogar einen Grimme-Online-Award erhielt. Dass diese Art von Gewalt gegen Frauen so verbreitet ist, wollen viele nicht eingestehen. So sagte der frisch gekürte Berliner Ehrenbürger Joachim Gauck in einem Interview dazu, dass er – ich zitiere mit Ihrer Genehmigung –:

… eine besonders gravierende, flächendeckende Fehlhaltung von Männern gegenüber Frauen hierzulande nicht erkennen könne.

[Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Ja, genau, hüstel, hüstel.

Unter einem anderen Hashtag, der lautet „gamergate“, versuchen seit Monaten einige Videospieler, denen die Werbung jahrelang eingeredet hat, dass Videospiele ihr

Boys-Club seien, Themen wie Geschlechtergerechtigkeit oder sexualisierte Gewalt aus dem Medium herauszuhalten – unterstützt von großen Firmen wie zum Beispiel Intel. In dieser Springflut schrecken manche nicht davor zurück, Privatadressen von Spieleentwicklerinnen und -entwicklern und Journalistinnen und Journalisten zu veröffentlichen und sie mit Mord- und Vergewaltigungsdrohungen zu überziehen.

Medial kaum thematisiert wird auch der misogyne Hintergrund von Massenmorden von Winnenden bis Utøya. Dahinter standen und stehen toxische Vorstellungen von Männlichkeit. Wir können solche Tragödien in Zukunft nur verhindern, wenn wir uns als Gesellschaft geschlossen gegen toxische Männerbilder stellen, wofür aber zunächst anerkannt werden muss, dass es überhaupt ein Problem gibt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Vermittlung von Geschlechterbildern in Kita, Schule, Medien und Kulturbetrieb, aber auch die Status-quo-BacklashVeranstaltungen, wie die Vergewaltigungsseminare sich selbst so bezeichnender „Pick-up-Artists“ müssen mit allen Mitteln verhindert werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Danke schön, Herr Kollege! – Für den Senat hat jetzt Frau Senatorin Kolat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie dieses Thema heute in der Aktuellen Stunde aufgerufen haben. Es ist in der Tat so, dass das Thema Gewalt gegen Frauen und Kinder zwar ein uraltes ist, aber auch ein hoch aktuelles.

Gestatten Sie mir, dass ich meine Rede mit einer persönlichen Erfahrung beginne. Ich weiß nicht, ob Sie in Ihrem Leben, in Ihrer politischen Tätigkeit, je die Gelegenheit hatten, Frauen zu begegnen, die in Gewaltsituationen gekommen sind. Ich hatte die Chance. Während meiner Studienzeit hatte ich einen Dolmetscherjob in einem Berliner Frauenhaus. Dort habe ich erfahren, was es genau heißt, wenn eine Frau in solch eine Gewaltsituation kommt. Seitdem habe ich das Bild einer bestimmten Frau nicht mehr aus meinem Kopf bekommen. Eine Frau, die vor mir saß und schildern musste, was ihr passiert ist. Sie hat die Gewaltsituation geschildert, sie hat in der Tat viele Fragen gestellt, ob sie selber schuld ist, eine Frau, die der deutschen Sprache nicht mächtig war, sich im deutschen System überhaupt nicht ausgekannt hat und der Situation ausgeliefert war. Ganz kompliziert wurde es, weil die Tochter vom Vater sexuell misshandelt wurde.

(Simon Kowalewski)

Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, dass solche Frauen nicht alleingelassen werden. Seitdem weiß ich, wie wichtig es ist, was in den Frauenhäusern heute geleistet wird. Wir wissen alle, dass es kein Einzelfall ist, sondern tagtäglich in unserer Stadt vorkommt, von Frauen erfahren wird.

Ja, ich finde es nach wie vor furchtbar, dass der Internationale Tage gegen Gewalt an Frauen am 25. November das Thema immer wieder aufruft, aktuell hält und daran erinnert. Ich denke, es ist eine gute Gelegenheit, dass wir hier im Parlament alle zusammenstehen und die klare Botschaft in die Stadt senden, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder keinen Platz in unserer Stadt hat und vor allem gesellschaftlich geächtet gehört.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Hintergrund für die Entstehung des Aktionstages ist die Verschleppung, Vergewaltigung und Ermordung von drei Frauen im Jahr 1960 in der Dominikanischen Republik. 1981 hat die UNO den 25. November zum internationalen Tag zur Beseitigung jeder Form von Gewalt gegen Frauen erklärt. Wie wir heute merken, war das eine sehr richtige Entscheidung. Anlässlich dieses Tages finden in Berlin jedes Jahr zahlreiche Aktionen statt, mit denen auf diese Form der Menschenrechtsverachtung hingewiesen wird.

Die diesjährige Berliner Kampagne steht unter dem Motto „Mobil gegen häusliche Gewalt – 16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Sie hat am Montag mit der Hissung der Fahne von Terre des Femmes und einer Auftaktveranstaltung im Rathaus Schöneberg begonnen. Sie endet am 10. Dezember 2014, dem Internationalen Tag der Menschenrechte. In dieser Zeit, in diesen Tagen finden zahlreiche Aktivitäten in den Bezirken statt, initiiert durch die Landesgemeinschaft der bezirklichen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und in Kooperation mit Terre des Femmes, der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen, den Antigewaltprojekten der Polizei und meines Hauses und vielen anderen mehr in unserer Stadt. Es ist nicht selbstverständlich, dass der 25. November von vielen Akteurinnen und Akteuren in unserer Stadt so aufgegriffen wird, deswegen möchte ich mich an dieser Stelle bei den vielen Beteiligten bedanken, dass sie diesen Tag in Erinnerung rufen und viele Aktivitäten in Berlin starten. Das Schöne ist, es schließen sich jedes Jahr neue an. Viele Berliner Unternehmen, Wohnungsbaugesellschaften schließen sich mit Aktionen an und setzen ein wichtiges Signal gegen Gewalt an Frauen. Sie haben alle damit zur nachhaltigen Sensibilisierung der Berlinerinnen und Berliner beigetragen.

Gewalt gegen Frauen und Kinder ist die häufigste Form von Gewalt weltweit. Sie zieht sich entgegen manch landläufiger Vorstellung durch alle sozialen Schichten, auch sogenannte bildungsnahe oder wohlhabende Fami

lien sind betroffen. Diese Gewalt findet meist zu Hause statt, also gerade dort, wo Schutz und Geborgenheit gesucht wird. Es gibt körperliche Gewalt, es gibt sexualisierte Gewalt, aber auch seelische Gewalt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht weltweit von 800 000 Todesfällen jährlich durch häusliche Gewalt aus. In der Europäischen Union ist nach neuesten Erkenntnissen jede siebte Frau betroffen, in der Bundesrepublik Deutschland jede vierte. In Berlin wurden im Jahr 2013 insgesamt 15 971 Fälle häuslicher Gewalt bei der Polizei registriert. 76 Prozent der Opfer waren Frauen. Das bedeutet aber gleichzeitig – und das möchte ich an dieser Stelle auch unterstreichen –, dass auch Männer Opfer von häuslicher Gewalt sind und das auch Beachtung finden sollte.

Die Sicherstellung des Schutzes von Frauen und Kindern ist deshalb schon seit vielen Jahren ein zentrales politisches Anliegen des Berliner Senates. Wenn wir zurückblicken, gibt es hier schon seit über 30 Jahren eine ganz klare Akzentsetzung. Zentrales Anliegen des Senates heute ist es, gute und professionelle Hilfsangebote und Unterstützungsmöglichkeiten für Frauen und für Kinder sicherzustellen. Und ja: Ich bin stolz darauf, hier stehen und sagen zu können, dass wir in Berlin ein gut funktionierendes Hilfesystem haben. Gerade wenn man bundesweit unterwegs ist und mit anderen Bundesländern verglichen wird, sind wir in Berlin sehr gut aufgestellt.

Dennoch haben wir hier weitere Entwicklungsansätze, auch ganz neue. Ich möchte diese kurz hier darstellen, Frau Kofbinger. Sie haben von „Modellprojekten“ gesprochen. Ich glaube, es ist wirklich nicht angemessen, das, was wir hier in Berlin in den Hilfesystemen für diese betroffenen Frauen leisten, als Modellprojekte zu bezeichnen. Wir haben ein sehr fundiertes Hilfesystem, bestehend aus sechs Frauenhäusern mit 322 Plätzen. Wir haben diese noch einmal um fünf Plätze erweitert. Über 1 000 Frauen und Kinder finden Schutz in 41 dezentralen Zufluchtswohnungen. Auch dieses Angebot findet man in anderen Bundesländern nicht. Es gibt fünf Interventions- und Beratungsstellen für häusliche Gewalt und die BIGHotline, die inzwischen rund um die Uhr telefonisch Erstberatung macht, aber auch in die Frauenhäuser vermittelt. 51 Sprachen sind bei der BIG-Hotline vertreten.

Wir hatten eine Interventionslücke. Wir haben festgestellt, dass wir an den Wochenenden, Feiertagen und vor allem ab 18 Uhr, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Frauenhäusern nicht mehr da sind, eine Lücke haben. Auch diese Lücke haben wir mit einer Anlaufstelle, an die sich Frauen direkt wenden können, geschlossen. Dort gibt es zeitnah professionelle Unterstützung und Unterbringung für Frauen, die in Not sind.

An dieser Stelle möchte ich nicht nur unterstreichen, dass unser Hilfesystem wirklich beispielgebend ist, sondern ich möchte diesen Moment auch nutzen und mich bei den vielen Frauen bedanken, die sich tagtäglich in Frauen

(Senatorin Dilek Kolat)

häusern und Beratungseinrichtungen für die Frauen einsetzen. Ich weiß, es ist harte Arbeit, die sie tagtäglich leisten. Danke an dieser Stelle noch einmal an diese Frauen!

[Allgemeiner Beifall]

Für dieses Hilfsangebot haben wir – Senat und Abgeordnetenhaus – 6 Millionen Euro bereitgestellt. So habe ich die Kultur in diesem Hohen Haus in den letzten Jahren immer erlebt. Man war sich immer einig, auch fraktionsübergreifend, dass der Antigewaltbereich im Haushalt gut abgesichert wird. Auch in den schwierigen Zeiten, wo das Land Berlin drastische Einsparungen in vielen Bereichen, auch in politisch schmerzhaften, vornehmen musste, Entscheidungen getroffen, Kürzungen beschlossen hat, wurde der Antigewaltbereich immer geschützt. Wir haben im letzten Doppelhaushalt diesen Bereich mit 220 000 Euro noch einmal verstärken können. Seit 2011 haben wir ein Plus von über 6 Prozent. Ich glaube, das wird hier ganz deutlich, dass dieser Bereich nicht nur dem Senat, sondern auch dem Parlament sehr wichtig ist.

Wir wissen, dass zwar die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt in den letzten Jahren nicht gestiegen ist, wir können nicht von steigenden Zahlen der Gewalt hier berichten, aber das Niveau ist dennoch sehr hoch. 2011 waren es 16 100, 2012 knapp 15 800 und 2013 15 900. Die Zahl ist zwar nicht gestiegen, das ist richtig, aber wir wissen, dass es zeitweise zu Engpässen in Berlin kommt, deswegen haben wir im engen Dialog mit den Einrichtungen, die ich vorhin genannt habe, mit denen, die dort Verantwortung tragen und beschäftigt sind, genau analysiert, welchen Grund diese Engpässe haben.

Vielleicht noch eine Zahl zum Bundesvergleich: Wir sind in der Tat bundesweit auf Platz 2, was die Platzsituation angeht. Berlin hat 2,57 Plätze auf 10 000 Frauen. An erster Stelle ist Bremen. Und als Vergleich: In Bayern sind es 0,53 Plätze auf 10 000 Frauen. Anhand dieser Zahlen ist es deutlich abzulesen, dass Berlin hier, was das Hilfesystem angeht, sehr gut aufgestellt ist.

Es ist in den letzten Jahren viel aufgebaut worden, aber es ist nicht so, dass wir uns darauf ausgeruht haben, sondern wir haben unser Hilfesystem noch weiter ausdifferenziert. Wir haben neue Akzente gesetzt, Frau Sommer, ein Beispiel: Wir haben gemeinsam mit Terre des Femmes eine Workplace-Policy entwickelt. Erstmalig haben wir das Thema Gewalt an Frauen und Arbeitsplatz aufgerufen. Wir wissen, dass Frauen, die Gewalt erfahren, nicht so konzentriert und effektiv arbeiten können. Wir wissen, dass es zu Problemen am Arbeitsplatz führen kann und der Arbeitgeber, die Führungskräfte in einem Unternehmen, aber auch in einer Verwaltung hier sensibilisiert werden müssen, damit sie einen Blick darauf haben und wissen, dass diese Frau eben nicht weniger leistet, weil sie leistungsschwach ist, sondern weil sie einer Gewaltsituation ausgeliefert ist, und dass es hier auch Hilfsmöglichkeiten gibt. Um die Sensibilität zu stärken, haben wir

diese Leitlinien entwickelt und veröffentlicht. Meine Verwaltung hat diese auch in die eigene Dienstvereinbarung aufgenommen. Zwei Bezirke haben dies auch getan. Ich hoffe, dass viele andere Unternehmen, diese Leitlinien in ihrer Unternehmenskultur etablieren.

[Udo Wolf (LINKE): Steffel und der Sportsenator!]

Ich habe vorher von den Engpässen gesprochen. Wir haben das analysiert und festgestellt, dass sich die Verweildauer in den Frauenhäusern in den letzten Jahren gesteigert hat, obwohl die Belegungssituation insgesamt gleich geblieben ist. 2009 blieben noch knapp 12 Prozent der Frauen länger als drei Monate in einem Frauenhaus, 2013 waren es 22 Prozent. Warum verweilen die Frauen länger in den Frauenhäusern? – Ich möchte an dieser Stelle unterstreichen, dass der Aufenthalt in einem Frauenhaus erst einmal ein erster Schritt ist, aus der Notsituation herauszukommen. Wenn jemand in einem Frauenhaus war und erlebt hat, wie Frauen und Kinder in Frauenhäusern leben, dann ist auch ganz klar – und das muss man auch unterstreichen –, es ist kein Dauerzustand, sondern es ist natürlich Ziel, dass die Frauen so schnell wie möglich in ihre eigenen Wohnungen können, dass sie wieder selbstbestimmt in Sicherheit leben können. Es ist schlimm, wenn Frauen das Frauenhaus eigentlich verlassen könnten, aber es nicht können, weil sie keine Wohnung finden. Deswegen haben wir hier einen Schwerpunkt auf die Vermittlung für Wohnungen gelegt, haben dort die Stelle verstärkt. Und siehe da, es ist tatsächlich erfolgreich gewesen. 30 Prozent mehr Wohnungen konnten an Frauen vermittelt werden. Wir werden diesen Weg weitergehen – das heißt, die Wohnungsvermittlung in private Wohnungen –, damit die Plätze wieder frei werden für andere Frauen, die in Notsituationen kommen. Das heißt, die permanente Weiterentwicklung unseres Hilfesystems ist ein zentrales Anliegen im Senat.

Zwei weitere Schwerpunkte, die ich auch gerne nennen möchte: einmal Frauen mit Behinderung. Man muss ich vergegenwärtigen, dass Frauen mit Behinderung doppelt so häufig von häuslicher und dreimal so häufig von sexueller Gewalt betroffen sind. Deswegen haben wir hier auch einen Schwerpunkt gesetzt, was die Gehörlosentechnik und die Gebärdensprachkompetenz in Frauenhäusern angeht. Aber auch die barrierefreie Information, dass Frauen, die eine Behinderung haben, auch wissen, dass sie nicht alleingelassen sind, sondern Hilfe bekommen können, ist uns an dieser Stelle sehr wichtig.

Genauso auch das Thema Frauen mit Migrationshintergrund: Hier haben wir auch eine Sondersituation. Hier ist meist die Abhängigkeit vom Mann viel stärker. Fehlende Sprachkenntnisse, aber auch aufenthaltsrechtliche Problematiken machen die Sache noch komplizierter. Auch dort haben wir einen Schwerpunkt bei unserem Hilfesystem gesetzt.

Ich baue ein bisschen auf unsere gemeinsame Ausschussreise nach Rom. Auch dort hatten wir die Problematik,

(Senatorin Dilek Kolat)

dass Frauen wegen der Wohnungssituation nicht schnell ein Frauenhaus verlassen können. Dort wurden Zwischenlösungen entwickelt. Das haben wir in Berlin auch gemacht. Wir sind gerade dabei, den Ausbau weiterer Wohnungen in Berlin umzusetzen, damit die Frauen von dort schneller auch ihre eigene Wohnung suchen können. Ich denke, wir werden dann noch einen Schritt weitergehen und neue kombinierte Wohnungs- und Beratungsangebote in Berlin schaffen. Das heißt, Frauenhausplätze sind nicht das alleinige Merkmal, sondern wir müssen hier passgenaue Angebote finden und genau analysieren, wo das Problem liegt, und entsprechende Lösungen anbieten.

Der diesjährige Aktionstag ist für mich aber auch ein Anlass, auf das Thema sexuelle Gewalt und die aktuelle Kampagne „Lass dich nicht K.O.-Tropfen – K.O.Tropfen nein danke“ hinweisen. Das Vorgehen der Täter ist klar: K.-o.-Tropfen sind besonders perfide, weil die Opfer danach meist gar nicht wissen, was passiert ist. Der Tatablauf ist ihnen nicht in Erinnerung. Diese Ungewissheit führt zu zusätzlichen psychischen Belastungen. Wirksame Aufklärung über die Gefährlichkeit der K.-o.Tropfen ist ein wichtiger Schritt in der Gewaltprävention. Über Aufsteller und verschiedene Flyer haben wir versucht, das Thema auch in der Stadt sichtbar zu machen und Aufklärungsarbeit zu leisten.

Abschließend möchte ich gerne auf die beiden Anträge eingehen, die hier mitberaten werden. Anonymisierte Spurensicherung ist ein wichtiger Beitrag zum Opferschutz. Hierzu werden wir gemeinsam im Senat nach Möglichkeiten suchen und gucken, ob das wirklich flächendeckend in allen Krankenhäusern sein muss. Das bezweifle ich etwas. Aber dass hier etwas getan werden muss, ist klar. Zudem muss man klären, wo das angedockt sein soll.

Ein wichtiger Schritt – da sind wir uns einig –, was den § 177 angeht: Auch da sehe ich gesetzlichen Handlungsbedarf, denn nach bestehender Rechtslage wird eine sexuelle Nötigung, Vergewaltigung nach § 177 Strafgesetzbuch nur dann bestraft, wenn der Täter Nötigungsmittel, also z. B. Gewalt oder Androhung von Gefahr für Leib und Leben, einsetzt, um den Widerstand des Opfers zu brechen. Das heißt, Widerstand des Opfers ist hier maßgeblich. In Fällen, in denen das Opfer z. B. Nein sagt, es aber aus Angst nicht wagt, sich körperlich zu wehren, kommt in den meisten Fällen keine Bestrafung oder allenfalls eine solche als Vergehen in Betracht. Das wird der Schwere der Rechtsgutverletzung aus meiner Sicht nicht gerecht. Deswegen muss Nein auch Nein bedeuten. Berlin ist hier aktiv geworden. Es wurde schon häufig auf den Beschluss der Justizministerkonferenz verwiesen. Ich will Sie hier informieren, dass mein Haus hier im Rahmen der Gleichstellungsministerkonferenz aktiv geworden ist. Wir haben – auch als Signal an die Justizministerinnen und Justizminister – im Umlaufverfahren einen