Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt weiterentwickeln (I) – Vielfalt in der Pflege und im Alter
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziales vom 8. September 2014 Drucksache 17/1813
Änderungsantrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/1813-1
Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von grundsätzlich fünf Minuten zur Verfügung. Die Auswirkung einer Redezeitüberschreitung, die Anrechnung auf das Kontingent der Fraktion, ist Ihnen bekannt. Es beginnt die Fraktion der SPD. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schreiber. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ja, ich freue mich, dass wir vor der Sommerpause den ersten Antrag zur Initiative sexuelle Vielfalt mit dem Thema: „Vielfalt in der Pflege und im Alter“ angekündigt und ins Parlament eingebracht haben. Ich freue mich deswegen, weil wir es zum einen als Sozialdemokraten zusammen mit dem Koalitionspartner, der CDU, auf die Priorität gesetzt haben, zum anderen aber auch hier an einer sehr wichtigen Stelle ins Parlament einbringen und auch besprechen können.
Wir hatten am 8. September die Beratung im zuständigen Fachausschuss Soziales und Gesundheit. Ich fand es spannend in der Debatte in der fachlichen Auseinandersetzung, dass die Opposition überrascht war, dass es einen Änderungsantrag der Regierungsfraktionen gab bzw. dass wir als Regierungsfraktionen der Opposition ein Stück weit entgegenkamen. Man hatte fast den Eindruck – das galt den Grünen, Frau Villbrandt! –, das war schon fast wie eine küssende Umarmung im Ausschuss,
Nun kann man glauben und hoffen, wenn man so etwas tut, gibt es dann Zustimmung bei der Opposition. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Opposition hat keine Haltung. Sie hat sich einfach enthalten. Das macht deutlich, wie Sie arbeiten und argumentieren. Da, wo es dann richtig und wichtig ist, haben Sie keine Haltung und enthalten sich. Das muss man hier einmal deutlich sagen.
Wir haben in dem Antrag selbst viele Punkte – Herr Krüger wird sicherlich auch noch einmal darauf eingehen –, die sinnvoll sind, die wir im Ausschuss in der Fachdebatte beraten hatten. Das Diversity-Prinzip ist als Bestandteil von Altenhilfe und Pflegediensten weiterhin zu verankern. Wir wollen auch dranbleiben, dass sich da etwas tut und das weiter fortgesetzt wird. Das muss es auch ganz klar in der Ausbildung der Berliner Pflegekräfte, im Ausbau von Diversity in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Daran können Sie sehen, wir legen großen Wert darauf, dass dieses Thema gerade im Bereich der Pflege weit und breit gedacht wird. Wir machen auch deutlich, dass es uns ein politisches Anliegen ist.
Wir haben, was auch ganz klar ist, Prüfaufträge mit erteilt. Zum einen wollen wir, dass es ein Mitglied in dem Landesbeirat für Senioren gibt und ein Mitglied im Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen, weil wir glauben, gerade die Kompetenz aus dem Queerbereich ist dort wichtig. Gerade wenn man mit Hinblick auf das Thema Alter schaut, ist es ein ganz wesentlicher Impuls, das auch frühzeitig zu denken.
In einem weiteren Punkt haben wir ganz klar gesagt, die öffentlichen Angebote im Land Berlin – sei es auf der Bezirks- oder auf der Landesebene – gerade in Pflege- und Betreuungseinrichtungen müssen gewappnet und geschult sein. Es muss klare verbindliche Standards bei der Frage sexuelle Vielfalt im Alter und in der Pflege geben. Da tun wir auch etwas.
Ein wesentlich neuer Punkt ist dank der neuen Liegenschaftspolitik, dass wir auch daran denken, möglicherweise Grundstücke, die in dem Rahmen eine Rolle spielen, mit zu berücksichtigen und da weiterzudenken. Das haben wir nicht einfach so gemacht, dass wir gesagt haben, da soll der Senat irgendwann einmal berichten. Nein, wir haben in der Tat das Berichtsdatum aufgenommen bzw. gemeinsam deutlich gemacht, dass wir bis zum 31. März 2015 eine Rückmeldung wollen.
Das ist das, was wir beraten haben. Jetzt stellen sich alle die Frage, jedenfalls die Regierungsfraktionen und die Öffentlichkeit, was die Opposition eigentlich gemacht hat. Man kann klar sagen, die Piraten sind bei dem Thema mittlerweile offline, da passiert gar nichts mehr.
Bei der Linken ist es so, der Kollege Schatz hat am 8. September gleich eine Pressemitteilung herausgejagt, die wahrscheinlich schon im Sommer geschrieben wurde, nach dem Motto: Mit Stimmen der Koalition wurde gegen die Opposition der Antrag beschlossen – was in der Sache nicht stimmt, weil sich die Oppositionsfraktionen wie immer bei wichtigen Themen enthalten haben. Der nächste Punkt in der Pressemitteilung war, in fünf Minuten voller Angst habe man wichtige Anliegen von der Opposition übernommen, was nicht stimmt, weil wir sprach- und sprechfähig schon vor der Sommerpause waren. Es ist leider nicht mehr auf die Tagesordnung gekommen. Deswegen ist dieses Unterstellen, diese Unwahrheit nicht richtig. Das zeigt, wie Sie da aufgestellt sind.
Bei den Grünen finde ich es ganz spannend, das haben wir gestern rausgesucht: Am 10. April gab es hier einen Regenbogenempfang – Sie sind auch bekannt für das Schmücken mit fremden Federn –, wo dann stand, Sie hätten abwenden können, dass es Haushaltskürzungen gegeben habe. Das ist leider immer so ein Trauerspiel bei Ihnen. Ich fand einen Satz ganz bezeichnend, dann bin ich auch gleich am Ende und fertig mit meiner Rede. Sie haben auf der Seite von Frau Pop geschrieben:
Im Anschluss wurde der fünfte Geburtstag der ISV mit einem leckeren Buffet und lockerem Unterhaltungsprogramm ordentlich gefeiert.
Ja, das können Sie, feiern auf Kosten anderer. Das sieht man auch bei anderen politischen Themenfeldern. Da sind Sie dicke bei und bestellen fleißig, aber andere dürfen es bezahlen. Deswegen kurzum zur Opposition: Sie sind nicht mal Landesliga, sondern höchstens Kreisklasse. – Herzlichen Dank!
[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Anja Kofbinger (GRÜNE): Sie klatschen da nicht mit, irgendwas hat er falsch gemacht!]
Vielen Dank, Herr Schreiber! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Birk. – Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Tom Schreiber! Seit zweieinhalb Jahren liegt ein umfänglicher Antrag von uns zur Weiterentwicklung der Initiative sexuelle Vielfalt vor. Auch ein Antrag von Linken und Piraten liegt seit zwei Jahren vor. Ihr habt aus der Verwaltung schon lange eine Vorlage, die ihr nur umsetzen müsstet, und dann wollt ihr uns hier vorwerfen, wir wären abgetaucht? Das ist wirklich billig!
Auch der Änderungsantrag, aus dem ihr Teile übernommen habt, lag vor der Sommerpause, in der Sitzung, in der es vertagt wurde, vor. Insofern habt ihr natürlich von uns abgeschrieben. Das ist auch schön, ich komme darauf noch zurück.
Ich möchte zunächst eine Frage stellen: Was haben die Plenarsitzung am 22. Mai und die heutige gemeinsam? – Der Antrag zu sexueller Vielfalt bei Alter und Pflege war und ist Priorität der SPD-Fraktion. Weshalb war und ist das so? Nicht, weil Ihnen das Thema wirklich wichtig ist, das sieht man an den leeren Reihen bei Ihnen, sondern weil es kaum weitere Anträge von Ihnen auf der Tagesordnung gibt.
Insofern irrt Herr Zawatka-Gerlach in seinem „Tagesspiegel“-Artikel ein bisschen. Sie haben nicht erst seit Wowereits angekündigtem Rücktritt die Pausetaste gedrückt,
Sie waren schon im Mai in der gefühlten Sommerpause und haben nach den überlangen Parlamentsferien und nach der Entscheidung von Herrn Wowereit den Herbst der Entscheidungslosigkeit der Koalition ausgerufen.
Wohnungsnot, Personalengpässe, bröckelnde Infrastruktur, fehlende E-Governmentstrategie, um alles mogeln Sie sich herum und präsentieren uns zwei Jahre – ich sagte es eben –, nachdem wir als Opposition zwei komplette Anträge zur sexuellen Vielfalt vorgelegt haben, einen Beschlussvorschlag zu einem Teilaspekt dieses Themas, der seit 2005 Senatslinie ist. Na ja. Nun, wo Herr Wowereit in Rente geht, verstehe ich auch endlich, weshalb die Koalition die Reihe zur sexuellen Vielfalt ausgerechnet mit dem Thema Alter und Pflege beginnt. So gesehen macht es auch Sinn.
Noch ein Wort zu Herrn Wowereit: Ja, sein Coming-out und seine Präsenz in der Szene haben viel bewirkt,
aber wirklich etwas getan für queere Menschen in der Stadt aus den Reihen der Regierung hat ein anderer Klaus – da sitzt er –, denn dass wir heute überhaupt über eine Weiterentwicklung der Initiative sexuelle Vielfalt reden können, haben wir der Tatsache zu danken, dass statt unseren Grünen-Antrag gegen Homophobie damals abzulehnen – wie die SPD das nämlich wollte –, die Linke den Ball aufgegriffen hat und dieses Parlament zu einem einstimmigen Beschluss hat kommen lassen. Weil der
Beschluss einstimmig war und die Initiative von uns kam, konnten wir auch die fünf Jahre zusammen feiern.
Nun zum Antrag selbst: Ja, es ist die Einigkeit und mit dem Senat sind wir uns auch einig, dass sich sexuelle Vielfalt in Seniorenbeiräten und im Landespflegeausschuss inhaltlich und personell niederschlagen soll. Diversity und das Wissen über Lesben, Schwule und Transgender und Intersexuelle gehört in die Aus- und Fortbildung sowie in die Leitbilder und den gelebten Alltag von Pflegeeinrichtungen. Soweit herrscht hier Einigkeit. Sie haben die Erweiterungsvorschläge der Opposition übernommen, so zum Beispiel den Kooperationsvorschlag zwischen Seniorenangeboten bzw. den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und queeren Trägern und Projekten oder die Prüfung einer LSBTI-Vertretung im Landesbeirat für Menschen mit Behinderungen. Auch ein Berichtsdatum haben wir jetzt – wie schön. Aber den wichtigsten Vorschlag von uns, das Ganze zu evaluieren, haben Sie leider nicht übernommen. Deswegen haben wir hier heute einen entsprechenden Änderungsantrag – gemeinsam mit Linken und Piraten – vorliegen. Es liegt zwar schon eine Umfrage von 2011 vor, aber die war ernüchternd. Das Ergebnis hat gezeigt, dass nur die Hälfte der Träger und Einrichtungen, die geantwortet haben, die Leitlinien zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen kannten und nur 19 Prozent der Träger und 7 Prozent der stationären Einrichtungen entsprechende Fortbildungen wahrgenommen haben.
Ich kann gut damit leben, dass dieses Ergebnis möglicherweise erst 2016 im Rahmen des nächsten Doppelhaushalts überprüft wird, aber dann sollten wir es auch jetzt beschließen, damit diese Überprüfung dann auch in der Haushaltsanmeldung im Februar 2015 ihren Niederschlag findet. Anders wird das nicht geschehen.
Zum Schluss möchte ich gerade mit Blick auf den nächsten Doppelhaushalt die Koalition dringend auffordern: Sie haben zu allen Themenbereichen zur Initiative sexuelle Vielfalt die Vorschläge von uns, der Opposition, und aus Ihrer eigenen Verwaltung: Raufen Sie sich endlich zusammen und legen Sie uns die Anträge III bis X vor und lassen Sie die Jüngeren der queeren Community nicht so lange warten, bis sie nur von dem vorliegenden Beschlussvorschlag zu Alter und Pflege profitieren können. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Birk! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Krüger. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Birk! Lassen wir die Polemik ein bisschen beiseite und reden wieder mehr über die Sache. Die Vergangenheitsbewältigung bringt dabei aus meiner Sicht sehr wenig. Wenn nun schon auch mal nach einer intensiven Diskussion etwas von Ihnen übernommen wird, dann seien Sie zufrieden, dass dem so ist, und regen sich nicht darüber auf.
Bezüglich der Gestaltung von Vielfalt, also Diversity, unter ausdrücklichem Einschluss sexueller Vielfalt, die eine Querschnittsherausforderung für Politik- und Arbeitsfelder ist, ist das Land Berlin seit nunmehr zehn Jahren – ich kann das auch aufgrund der Verwaltungsarbeit in einem Bezirk beurteilen – mit Nachdruck auf dem Weg. Wir haben bisher nachweislich einen beachtlichen Stand auf diesem Feld erreicht, ohne uns bereits mit dem Erreichten zufrieden geben zu wollen. Diversity als Vielfalt und Inklusion bedingen einander. Mit der Inklusion unterschiedlicher Denk-, Glaubens- und Verhaltensmuster – zum Beispiel – kommt Vielfalt in der Mitte unserer Gesellschaft an und wird als wesentlicher Denk- und Handlungsgrundsatz anerkannt, durchgesetzt und gelebt.
Der hier vorgelegte Antrag – darauf ist eben schon hingewiesen worden – greift den Bereich des Alterns und des Alters auf. Er unterstützt, bestärkt und verstetigt die bisher bereits eingeleiteten Initiativen zu einer menschenwürdigen Pflege und zu menschenwürdigen Unterbringungs- und Lebensmöglichkeiten im Wissen um und unter Respekt vor der Vielfalt von Seniorinnen und Senioren, hier besonders bezüglich der von Ihnen gewählten sexuellen Lebensform in allen ihren Ausprägungen.
Wir stellen mit Genugtuung fest – das ist nichts Neues, was wir erst losbrechen müssen –, dass Lehrinhalte zur Vielfalt und speziell zur sexuellen Vielfalt seit Jahren fester Bestandteil der Ausbildung der Pflegekräfte im Land Berlin sind. Wir wollen mit diesem Antrag die Anwendung erworbener Kenntnisse – das ist das Entscheidende – im verantwortungsvollen Umgang der Altenpflege sowie der alltäglichen Arbeit in Seniorenclubs und in den Seniorentageseinrichtungen unterstützen und zu verstetigen helfen. Entscheidend ist es auch, dass es uns und allen Verantwortlichen ernsthaft und zunehmend gelingt, den toleranten, menschlichen, aber auch für eine erfolgreiche Pflege und den Alltagsumgang mit älteren Menschen nützlichen und hilfreichen Wert der Anwendung von Vielfalt – und eben auch von sexueller Vielfalt – dem Pflegepersonal nahe zu bringen. Hier bringen uns Überzeugungsarbeit nach meiner Ansicht und positive Erfahrungen viel mehr als nur das Anordnen oder gar Erzwingen.