Sie, liebe Opposition, sitzen aber auf drei verschiedenen Rädern. Sie können Ihre Lenker wild umherreißen, bremsen, beschleunigen, aber Sie können nicht die Fahrt des Tandems beschleunigen oder umlenken, das können nur die Akteure auf dem Tandem selbst.
Die aktuellen Schlachten müssen von den zwei Partnern auf Zeit auf dem Tandem, also zwischen SPD und CDU, geschlagen werden. Wir als SPD sollten meines Erachtens jede Narbe aus dem Schlagabtausch mit der CDU selbstbewusst tragen und nicht verstecken.
[Elke Breitenbach (LINKE): Na, denn man! – Christopher Lauer (PIRATEN): Dann muss die CDU schneller schlagen!]
Denn trotz aller Schläge und Rückschläge sind wir der Taktgeber und werden uns von Bremsmanövern jeder Art nicht von unserem Ziel abbringen lassen, reale Verbesserungen für das Leben der Mehrheit der Menschen in diesem Land zu erkämpfen.
Im Bundestag haben heute in namentlicher Abstimmung 535 Abgeordnete für das von der SPD initiierte Mindestlohngesetz gestimmt. 5 Abgeordnete stimmten dagegen. 61 Parlamentarier enthielten sich. Diese übergroße Zustimmung sollten wir auch hier im Abgeordnetenhaus von Berlin zur Kenntnis nehmen. Die SPD regiert, der Mindestlohn kommt.
Vielen Dank, Frau Monteiro! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bangert. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Monteiro! Vergessen Sie nicht, rechtzeitig abzuspringen, bevor Ihr Tandem gegen die Wand fährt!
[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Bei den Gewichtsunterschieden schwierig!]
Meine Damen und Herren! Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro begrüßen wir ausdrücklich.
Für dieses Ziel haben wir Grünen seit über zehn Jahren gekämpft. Ein flächendeckender Mindestlohn ist längst überfällig und ein großer Fortschritt. Wir brauchen den Mindestlohn als Haltelinie gegen Lohndumping, wir brauchen den Mindestlohn, um der Einkommens- und Altersarmut entgegenzuwirken, und wir brauchen den Mindestlohn für einen fairen Wettbewerb und für die Stabilität der Tarifbindung.
Vom Mindestlohn profitieren fünf Millionen Beschäftigte, vor allem viele Frauen. Positiv sind auch die Änderungen im Tarifvertragsgesetz und im Arbeitneh
merentsendegesetz. Sie tragen dazu bei, dass allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge und branchenspezifische Mindestlöhne leichter verabschiedet werden können. Damit kommen wir dem Ziel, das Tarifvertragssystem zu stärken und Tarifflucht zu stoppen, näher. Das hatten wir im Übrigen bereits 2010 mit unserem Antrag „Tarifvertragssystem stärken“ gefordert. So weit, so gut! Deshalb haben wir heute dem Gesetzentwurf im Bundestag auch zugestimmt. Aber meine Damen und Herren von der CDU! Was wir keinesfalls mittragen, sind die Ausnahmen, die die große Koalition im Bund gesetzlich festschreiben will.
Mit der sechsmonatigen Ausnahme von ehemals langzeiterwerbslosen Menschen werden über 1 Million Betroffene pauschal stigmatisiert. Schlimmer noch: Sie setzen Sie der Gefahr aus, in kurze, sechsmonatige Jobs gedrängt zu werden, wenn Arbeitgeber diese Regelung systematisch ausnutzen. Sie setzen langzeiterwerbslose Menschen bei dem für sie so immens wichtigen Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt Dumpinglöhnen aus, weil sie für diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf jegliche Lohnuntergrenze verzichten wollen. Sie stempeln langzeiterwerbslose Menschen zu Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zweiter Klasse ab, das ist unanständig. Und ich frage mich, wie die Sozialdemokratie so etwas mittragen kann.
Frau Monteiro! Pflegen Sie nicht Ihre Narben, sondern zeigen Sie endlich einmal Kante gegenüber der CDU und stoppen Sie diesen arbeitsmarktpolitischen und beschäftigungspolitischen Blindflug!
Ich weiß nicht, ob Sie realisiert haben, dass mit der Ausnahmeregelung auch noch Anreize zur Tarifflucht gesetzt werden. Von dieser Regelung sollen nur tarifungebundene Betriebe profitieren. Bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit können diese die Löhne von Langzeiterwerbslosen und jungen Menschen drücken. Dabei hat sich die Koalition doch zum Ziel gesteckt, die Tarifbindung in Deutschland zu stärken. Wie unglaubwürdig ist das denn!
Diese Ausnahme ist obendrein noch absurd, denn es gibt Lohnkostenzuschüsse für langzeiterwerbslose Menschen, die eine mögliche geminderte Leistungsfähigkeit ausgleichen sollen. Allem Anschein nach kennt Schwarz-Rot im Bund nicht einmal die arbeitsmarktpolitischen Instrumente des SGB II, die sie selbst beschlossen haben. Das ist ja nur noch peinlich!
Ebenso lehnen wir es ab, dass unter achtzehnjährige junge Menschen vom Mindestlohn ausgenommen werden. Schwarz-Rot im Bund unterstellt damit Jugendlichen, sie würden zugunsten eines Jobs auf eine Ausbildung verzichten. Ein Blick in die Zahlen genügt, um diese Unterstellung zu disqualifizieren. Bundesweit gehen über 90 Prozent der jungen Menschen in eine Ausbildung oder ins Studium. Dass Berlin diese Zahl nicht erreicht, liegt an Fehlsteuerung in der Berliner Arbeitsmarktpolitik und nicht an zu gut bezahlten Alternativen.
Aber zurück zu den Bundeszahlen. Lediglich 10 Prozent der Schulabgängerinnen haben Probleme mit einer Ausbildung. Wegen diesen 10 Prozent wollen CDU und SPD 90 Prozent der jungen Menschen diskriminieren und benachteiligen. Das ist absolut realitätsfremd. Auf welchem Stern leben Sie hier eigentlich? Oder handelt es sich hierbei um ein perfides Ablenkungsmanöver vom eigentlichen Problem, nämlich dass die Bundesregierung und große Koalition endlich realisieren muss, dass Ausnahmen beim Mindestlohn Investitionen in Bildung nicht ersetzen können? Wir brauchen eine Ausbildungsgarantie und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die bei den jungen Menschen auch ankommt.
Noch ein Wort zu den Übergangsregelungen: Für zahlreiche Beschäftigte kommt der Mindestlohn erst ab 2017, sofern allgemeinverbindliche tarifliche Einigungen über Löhne unterhalb von 8,50 Euro vorliegen. Nicht akzeptabel sind die zusätzlichen Sonderregelungen für die Zeitungsbranche und Saisonbeschäftigte. Die werden wir auch nicht mittragen. Ich denke, da muss man auch im Bundesrat noch mal für Änderungen sorgen.
Meine Damen und Herren von der Koalition! Bisher war ein Berliner Engagement in Sachen Mindestlohn im Bundesrat leider nicht vorhanden. Trotzdem die dringende Bitte in Sachen Mindestlohn: Werden Sie aktiv, und setzen sich im Bundesrat dafür ein, dass die Ausnahmen vom Mindestlohn gestrichen werden! Wir brauchen einen Mindestlohn, und zwar ausnahmslos. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Bangert! – Für die CDU-Fraktion hat nun das Wort der Abgeordnete Herr Dr. Korte. – Bitte!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Anderthalb Kilometer und vier Stunden: Vier Stunden ist es her, dass der Deutsche Bundestag gar nicht weit von hier entfernt das Gesetz zur Stärkung der
Tarifautonomie verabschiedet hat. Über den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, um den es dort ging und um den es auch hier und heute geht, haben wir schon oft und ausführlich gesprochen – hier im Plenum und in den Ausschüssen. Aber noch nie zuvor war ein Oppositionsantrag so schnell veraltet und lag auch noch nie so sehr neben der Sache wie dieser Ihr gemeinsamer Antrag heute.
[Martin Delius (PIRATEN): Ich werde Sie daran erin- nern, wenn Sie das nächste Mal genau so was sagen!]
Veraltet ist der Antrag, weil die von Ihnen kritisierten Ausnahmen soeben im Bundestag beschlossen wurden. Sie sind das Ergebnis sehr gründlicher und ernsthaft geführter Verhandlungen der großen Koalition im Bund, und Narben konnte ich dabei auch nicht beobachten von Berlin aus. Der Berliner Senat, getragen von der großen Koalition im Land, wird gegen dieses Gesetz und gegen diesen richtigen Kompromiss nicht den Vermittlungsausschuss anrufen lassen; das ist Ihnen genauso klar wie uns.
Und völlig neben der Sache liegt dieser dürftig begründete Schaufensterantrag auch. Was schreiben Sie? – Ausnahmeregelungen nicht hinnehmbar, gleicher Lohn für gleiche Arbeit ausgehöhlt, Ausnahmen darf es nicht geben. – Von Argumenten keine Spur.
Auskömmliche und faire Löhne – – Herr Lauer! Sie sind zwar der Herr Lauer, aber Ihre Argumentation ist nicht lauter, also seien Sie lieber leiser!
Auskömmliche und faire Löhne – Ja, da können Sie auch nichts daran ändern! – zu sichern, ist für die Union ein Herzensanliegen im Bund und im Land. Und wie immer man zu den Einzelheiten dieses Gesetzes, das heute verabschiedet worden ist, auch stehen mag, ist die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns auf jeden Fall ein historisches Ereignis. Und dass Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, dazu nichts Besseres einfällt, als dass Sie die von Ihnen angegriffenen Ausnahmen nicht mal nennen in Ihrem Antrag, dass Sie sich nicht mehr Mühe geben als diese drei hingeschmierten Sätze, die inhaltsleer und zu 100 Prozent argumentationsfrei sind, das ist eine Schande an einem solchen Tag.
Aber veralteter Antrag hin oder her – es hätte sich durchaus gelohnt, diesen inhaltlich zu diskutieren, über die Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn. Denn der
Mindestlohn wird die Lohnstrukturen vieler Branchen tiefgreifend verändern. Dieser Transformationsprozess benötigt Zeit. Zudem soll ab 2018 eine Kommission der Bundesregierung alle zwei Jahre einen Vorschlag unterbreiten, ob und wie der gesetzliche Mindestlohn verändert werden soll.