Protocol of the Session on June 19, 2014

Ich bin daher fest davon überzeugt, dass die Arbeit der Polizei in unserem Rechtsstaat keinen Anlass gibt, ihr gegenüber irgendwelche Gewalt zu rechtfertigen.

[Beifall bei der CDU]

Die Lösungen müssen daher woanders gesucht werden. Ich denke dabei an die Wertevermittlung und demokratische Erziehung. Wir müssen in jeder gesellschaftlichen Sphäre deutlich machen, dass dieses Land demokratische und soziale Partizipationsmöglichkeiten für jeden anbietet. Durch gute Bildung und Wertevermittlung müssen wir vermitteln, dass wir alle es sind, die den Staat und seine Organe bilden und ausmachen.

Genauso entscheidend ist es aber auch, der Gewalt als solcher abzuschwören. Es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Gewalt kein legitimes Mittel

bei der Durchsetzung von Individualinteressen darstellt. Für diese Erziehung sind die Familien entscheidend. Wir müssen sie ertüchtigen, aber auch in die Pflicht nehmen, dieser Aufgabe nachzukommen. Sie haben Vorbildcharakter. Nirgendwo kann dieses Vorbild besser gelebt werden als durch einen vernünftigen und gewaltfreien Diskurs im Kreis der Familie.

[Beifall bei der CDU]

Aber auch auf außerfamiliärer Ebene kann viel getan werden und wird viel getan. Ich verweise stellvertretend für unzählige Initiativen auf den Wertedialog des Innensenators, auf die Aktivitäten der Landeskommission Berlin gegen Gewalt oder auch auf den Berliner Präventionspreis, wo alljährlich erfolgreiche und beispielgebende Initiativen für ein friedliches Zusammenleben in Berlin ausgezeichnet werden. Das alles leistet einen wichtigen Beitrag, und man darf in den Bemühungen nicht nachlassen.

Dennoch stellen wir die eingangs beschriebenen Gewaltphänomene insbesondere gegenüber der Polizei fest. Daher gibt es hier konkreten Handlungsbedarf und auch konkrete Handlungen: Die Koalition hat vereinbart, erstmalig ein Landeslagebild über Gewalt gegen Polizeibeamte zu erstellen. Ziel ist es, das Phänomen der Gewalt gegen die Polizei in Berlin näher zu untersuchen und dann auf Basis der gesammelten Fakten zielorientiert zu handeln. Ebenso sollen im Dienst verletzte oder geschädigte Beamte Hilfestellung durch die Behörde zur Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche erhalten. Eine entsprechende Vorlage wird derzeit erarbeitet.

Darüber hinaus aber sollten wir auch prüfen, ob wir für die aktuell weiter gestiegenen Herausforderungen die richtigen strafrechtlichen Antworten bereithalten.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte zusammenhängend ausführen! – Der Bundestag hat § 113 des Strafgesetzbuchs verändert: Der Strafrahmen für Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte wurde von zwei auf drei Jahre angehoben. Auch der Geltungsbereich wurde auf Feuerwehr und Rettungsdienste ausgeweitet. Das war ein richtiger Schritt, vor allem auch im Hinblick auf die Herstellung von Gerechtigkeit bei der Strafandrohung bei vergleichbaren Straftatbeständen.

Die Höchststrafe ist jedoch nur eine Seite. Für diejenigen, die die nötige Reife noch nicht entwickelt haben, zu erkennen, dass ein Angriff auf Staatsdiener auch ein Angriff auf das Gemeinwesen insgesamt ist, sollte man weitere Anpassungen vornehmen. Man sollte entsprechende Vorschläge aufgreifen, diesem Phänomen mit einer Mindeststrafe zu Leibe zu rücken. Wir müssen

konsequent deutlich machen: Wer gegen unsere Polizei Gewalt anwendet, fährt ein!

[Beifall bei der CDU]

Neben diesem leider alltäglichen Grundrauschen ist eine konkrete Serie von Randalen im Bezirk KreuzbergFriedrichshain Anlass für diese Debatte. Wir mussten in den vergangenen Tagen zur Kenntnis nehmen, dass sich einige Hundert Personen insbesondere aus dem Umfeld der linksautonomen Szene in der Rigaer Straße durch Provokation und Straftaten negativ hervorgetan haben. Unter dem Deckmantel vermeintlich politischer Anliegen arteten die Zusammenkünfte regelmäßig in Tumulte und kleinere Straßenschlachten aus. Dabei trifft die Gewalt nicht nur die eingesetzten Polizeikräfte – nein, auch die Nachbarschaft wird systematisch terrorisiert. Brennende Barrikaden und Lärm bis in die Nacht sind in der Tat keine angenehme Umgebung, und man liest, dass manch einer schon die Koffer gepackt hat und sich nach einer anderen Wohngegend umsehen möchte. Solche Entwicklungen dürfen wir nicht hinnehmen. Ich sage ganz klar: Die Zeiten, in denen einzelne Gruppen bestimmen wollten, wer in der Nachbarschaft wohnt oder nicht, gehören in Berlin der Vergangenheit an.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Canan Bayram (GRÜNE): Sie haben doch keine Ahnung! – Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Die Polizei tut ihre Arbeit. Gegen die Störer und die Krawalle wird konsequent vorgegangen. Gleichwohl sind permanente Polizeieinsätze keine Lösung, und das Grundproblem ist damit auch nicht zu beheben. Hier ist die gesamte Stadt gefragt, und hier kommt auch das Parlament ins Spiel. Unsere Aufgabe ist es, jedem klar zu sagen, dass wir gesellschaftliche Fragen und politische Diskussionen nicht mit brennenden Einkaufswagen und Wurfgeschossen beantworten möchten.

Ich appelliere insbesondere an alle, die sich manch einer dort als Deckmantel für Gewalt vorgebrachten politischen Forderung anschließen können: Lassen Sie sich nicht blenden! Insbesondere hier gilt: Der Zweck heiligt nicht die Mittel.

Wir nehmen bei diesen Chaoten den offenbar tiefen Frust darüber zur Kenntnis, dass die Gewaltfantasien, die früher rund um den 1. Mai ausgelebt wurden, dort nicht mehr so zur Geltung kommen können, dank einer langen, guten Entwicklung, dank vieler Beteiligter und vor allem dank eines maßvoll konsequenten und professionellen Vorgehens der Berliner Polizei. In der Folge entlädt sich offenbar der Hass einiger Linksautonomer durch Molotow-Cocktails auf Polizeifahrzeuge und nächtliche Scharmützel. Ich bedanke mich daher ausdrücklich bei allen eingesetzten Beamtinnen und Beamten für ihren aufopferungsvollen und nicht ungefährlichen Einsatz.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Wir müssen hier deutlich machen, wir lassen die Polizei nicht allein. Unterstützen wir dieses Bemühen durch ein klares Signal des Berliner Parlaments in dieser Debatte: Berlin sagt Nein zu extremistischen Gewaltexzessen! – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Lux das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalt gegen Polizei ist ein Dauerthema und in einer weltoffenen und dynamischen Metropole wie Berlin leider nie hundertprozentig zu vermeiden. Trotzdem: Jeder Abgriff auf einen Beamten ist einer zu viel. So ein Angriff ist – da hat Kollege Juhnke recht – immer auch ein Angriff auf unseren Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und den PIRATEN]

Ich möchte hier noch mal daran erinnern: Es war ein langer und teils schmerzlicher Weg, bis sich aus unserer Gesellschaft ein Staat bildete, in dem Recht und Gesetz gelten sollen, in dem die Menschenwürde das höchste Gut ist und nicht das Recht des Stärkeren. Und eine demokratisch zu kontrollierende Polizei, über die man sich natürlich auch aufregen und beschweren darf und teils auch muss, die aus Fehlern lernen soll, diese Polizei schützt unsere weltoffene Gesellschaft.

[Beifall von Roman Simon (CDU)]

Und sie ist offen für Kritik. Deshalb sagen wir klar und unmissverständlich Nein zu jeder Form von Gewalt und Nein zu Gewalt gegen Polizei.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU und den PIRATEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

In Berlin bereiten die Ereignisse der letzten Wochen Sorgen. In der Tat, wir hatten zwar einen friedlichen 1. Mai, Angriffe auf die Polizei finden aber dennoch statt, und zwar in der ganzen Stadt. Allein im Mai: Am 5. und 11. wurden in Neukölln und Reinickendorf Polizeigelände und -autos mit Brandsätzen angegriffen, in Pankow haben zehn alkoholisierte Jugendliche fünf Beamte verletzt, am 12. Mai in Neukölln ist ein Beamter mit Knochenbruch nach einem Einsatz wegen Lärmbelästigung ins Krankenhaus gebracht worden, am 16. Mai in Wedding, eine Gruppe geht bei einer Festnahme auf die Polizei los, das Video machte im Internet die Runde, am 23. und 28. Mai wieder ein Brandsatz gegen ein Polizeiauto

(Dr. Robbin Juhnke)

in Prenzlauer Berg und eines in Neukölln, am 30. Mai ein verletzter Polizist am Alexanderplatz, auch bei einer Festnahme. Am 8. Juni wurde in Treptow ein Polizeifahrzeug mit Steinen beworfen, und am 15. Juni – wie schon erwähnt – bei der Langen Nacht der Rigaer Straße 26 verletzte Polizisten, von denen einer den Dienst nicht fortsetzen konnte.

Ich sage hier – und ich denke, ich kann im Namen des ganzen Hauses sprechen – allen verletzten Polizistinnen und Polizisten: Gute Genesung! Kommen Sie bald wieder heil in den Dienst!

[Allgemeiner Beifall]

An dieser viel zu langen Liste aus dem Berliner Alltag der Berliner Polizei sehen Sie: Das Problem betrifft die ganze Stadt, selbst in meinem bürgerlichen Bezirk Steglitz-Zehlendorf haben wir diese Probleme.

Und zu den Zahlen: 2013 wurden 1 130 Polizeibeamte Opfer einer auch versuchten Körperverletzung, 2012 waren es 1 151, im Jahr 2011 waren es noch 1 466. Bei der schweren Körperverletzung 345 letztes Jahr, 2012 400, 2011 auch etwas mehr, 449 Opfer. Das ist zwar leicht abnehmend, aber immer noch viel zu viel, und deswegen sind wir dringend aufgefordert, etwas gegen Gewalt gegen Polizei zu tun.

Aber ich möchte auch noch eines sagen: Immerhin wird Widerstand gegen die Staatsgewalt zu 95 Prozent aufgeklärt. In 95 Prozent aller Fälle werden Täter ermittelt. Deswegen geht diese Botschaft auch klar von diesem Haus aus, es ist eine Ansage an alle Menschen, die die Polizei angreifen würden: Tut es nicht! Ihr werdet bestraft.

Wir haben das Kriminologische Forschungsinstitut beauftragt. Die haben 21 000 Polizisten befragt und sind in einer Studie „Polizeibeamte als Opfer von Gewalt“ zu interessanten Schlüssen gekommen, denen wir uns hier auch seriös stellen müssen. Ich möchte deswegen Ihr Blickfeld erweitern, Herr Kollege von der CDU! Nur ein ganz geringer Teil der Gewalt gegen Polizei kommt aus Veranstaltungen – Sie nennen es exzessive Gewaltexzesse von Extremisten usw. – wie dem Rigaer Straßenfest. Gewalt bei Demonstrationen macht gerade 10 Prozent aller Gewalttaten gegen Polizei aus. Großveranstaltungen, Fußballspiele machen nach dieser Studie etwa 30 Prozent aus. Aber – so heißt der zentrale Satz in dieser Studie, ich bitte Sie, den mal zu vernehmen – es sind die alltäglichen Aktivitäten wie Festnahmen, Einsätze bei Streitigkeiten oder bei der Störung der öffentlichen Ordnung, bei denen am häufigsten Verletzungen mit nachfolgender Dienstunfähigkeit festzustellen sind.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN) und Christopher Lauer (PIRATEN)]

Und die Täter – fast alle Männer – zu 70 Prozent alkoholisiert! Die Forderungen aus der Studie lassen sich hören

und sind zum Teil auch bei den Grünen Programm: eine bessere Aus- und Fortbildung für die Eigensicherung, gerade in unscheinbaren Situationen, in denen man nicht damit rechnet, dass man angegriffen wird, absolut professionelles und deeskalierendes Vorverhalten von Anfang an, wozu auch mehr Frauen und Migranten bei der Polizei gehören, eine Botschaft, die lange gebraucht hat, bis sie in Berlin verstanden wurde, und eben auch mehr Hilfe bei der Bewältigung der Erfahrung von Übergriffen. Wir trauen uns ja kaum, darüber zu reden, wie ein Polizist damit umgeht, wenn er Opfer eines Angriffs geworden ist. Es braucht ein offenes Klima, um dieses anzusprechen und damit umzugehen, und dazu gehört auch mehr psychologische Betreuung und Rechtsschutz nach so einem Vorfall.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE) und Andreas Gram (CDU)]

Und – das sollte uns allen zu denken geben – fast jeder zweite Polizist wünscht sich eine bessere Fürsorge durch den Dienstherrn – da müssen doch hier die Alarmglocken schrillen –, damit auch in Fällen von Gewalt gegen Polizei besser damit umgegangen wird.

Sie von der CDU und auch die SPD, Innensenator Henkel, Dr. Juhnke, Sie glauben, höhere Strafen allein reichten aus. Mehr haben Sie aber nicht für die Polizei gemacht. Sie schaffen es auch nicht mal bis zum heutigen Tag, Ihren Koalitionsvertrag umzusetzen und dieses angekündigte Lagebild zur Gewalt gegen Polizei zu erstellen. Ich würde gerne solche Studien wie aus Niedersachsen lesen, die sich intensiver mit der Gewalt gegen Polizei in Berlin beschäftigen, damit wir nicht solche Ammenmärchen hören müssen, als wären das allein nur irgendwelche extrem-exzessiven Gewaltexzesse, Herr Kollege Juhnke!

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Habe ich nicht gesagt!]

In der Sache sollten Sie eben auch, um dem Thema seriös zu begegnen, bei jedem Polizisten, der angegriffen wird, keinen Unterschied machen. Es sind eben ganz überwiegend die alltäglichen Lagen, bei denen es zu Gewalt gegen Polizei kommt.

Darüber hinaus: Immer noch landet ein Besuch beim Polizeipsychologen in der Personalakte und kann zu Nachteilen auf dem weiteren Dienstweg führen. Herr Henkel! Ich weiß nicht, ob Sie es noch schaffen, wenigstens kleine Maßnahmen für einen besseren Schutz der Beamten zu treffen, aber es wäre vielleicht schon ein Fortschritt, wenn Sie sich mit Ihrem Kollegen in Hessen besprechen. Vielleicht schaffen Sie es da, noch ein paar gute Initiativen mit nach Berlin zu bringen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

In der Tat, die Koalition aus SPD und CDU – – Jetzt versteht Herr Henkel auch den Witz, da Herr Wowereit ihn darauf hingewiesen hat.

[Heiterkeit bei den GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der SPD]

In der Tat, die Koalition und auch die SPD machen es noch schlimmer. Mit diesem Titel „FriedrichshainKreuzberg – extreme Gewaltexzesse gegen die Polizei“ machen Sie es noch schlimmer. Sie zeigen, dass Sie das Problem nicht verstanden haben.