Wir schließen uns da als Piratenfraktion dem auch an, was der Kollege Brauer schon in der „Berliner Zeitung“ gesagt hat:
100 Jahre nach Ausbruch des mörderischen Ersten Weltkriegs ist es überfällig, diesen Militaristen und Wegbereiter Hitlers aus der Galerie derer zu entfernen, auf die Berlin stolz sein kann.
Wilhelm Pieck, ehemaliger Sozialdemokrat und später Kommunist, der einzige Präsident der ehemaligen DDR, wurde nach der Wende als nicht mehr zeitgemäß und ehrenswert befunden – so weit, so gut. Aber es mutet schon ziemlich seltsam an, wenn gerade eines mörderischen Kriegsherrn und Kriegstreibers, der als Reichspräsident einen Diktator ins Amt hievte, der eben nicht nur Steigbügelhalter war, sondern Hitler auch noch Sattel und Zaumzeug für die restlose Beseitigung der parlamentarischen Demokratie mitgab, ehrenvoll gedacht werden soll.
Hindenburg war mitverantwortlich für die Notstandsverordnungen – haben wir auch schon gehört – wie die sogenannte Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes und die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, beides Verordnungen, die die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik zerschlugen. Auf ihnen wurden zwölf Jahre nationalsozialistische Diktatur unter Duldung von Hindenburg gegründet. Und das können wir nicht einfach mit Altersdemenz begründen.
In der Folge dieser Dekrete kam es zu Massenverhaftungen von Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, was Ihre Position umso lächerlicher macht.
Kurz noch was Formales: In den Richtlinien zur Verleihung des Ehrenbürgerrechts und der Ehrenbezeichnung „Stadtältester von Berlin“ vom 28. April 1953 steht als Begründung für die Aberkennung: „Erweist sich der Beliehene durch sein späteres Verhalten, insbesondere durch Begehung einer entehrenden Straftat oder durch Verletzung der demokratischen Staatsordnung der Auszeichnung unwürdig, wird ein solches Verhalten nachträglich bekannt oder wird nachträglich festgestellt, dass die Voraussetzungen der Verleihung im Zeitpunkte der Verleihung nicht vorgelegen haben“, ist die Aberkennung hinreichend begründet.
Ja, außerdem noch! – Diese Gründe sind eigentlich für jeden, der auch nur einen Funken Geschichtsverständnis hat und Verantwortung für die deutsche Geschichte zu übernehmen bereit ist, nur allzu offensichtlich. Warum nicht auch für den Berliner Senat und dieses Parlament? Bei einem Mann, der für die Abschaffung der Demokratie, die Abschaffung der Grundrechte und die Duldung und Förderung der nationalsozialistischen Diktatur steht, sollte es wirklich nicht schwer sein, die Ehrung zu verweigern. Das heißt im Klartext: Nehmt der kaisertreuen Pickelhaube, die Hitler ins Amt gehievt hat, endlich diese Ehrung weg! – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich mache es sehr kurz – drei Dinge. Erstens: Wir haben uns unsere abschließende Meinung zu diesem Vorgang noch nicht gebildet.
Wir haben heute eine erste Stellungnahme abgegeben. Allerdings erinnere ich mal an die Mechanismen, die hier ein bisschen nerven, ein CDU-Ministerpräsident, also Regierender Bürgermeister hat mal General Bersarin die Ehrenbürgerschaft aberkannt, und Rot-Rot hat sie dann wieder zuerkannt. So kommt es mir so vor, als würde das immer so eine retrospektive Spielerei nach jeweiligen Gepflogenheiten sein.
Zweiter Punkt – und das ist jetzt eigentlich die Gelegenheit, warum ich auf Sie reflektieren will; jetzt ist er leider nicht da, der Kollege der Piraten –:
Ich möchte Ihnen sagen, nach meiner Wahrnehmung – Noske, Bismarck und was Sie da alles wieder ins Feld geführt haben – haben Sie sich hier aufgeführt wie ein linksradikaler Spinner.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht.
Selbstverständlich! – Ja, aber Kinders, dann muss er auch das Signal geben. Ich habe gefragt. Ist vielleicht untergegangen. – Bitte schön!
Ich bitte vielmals um Verzeihung, Herr Präsident, für die späte Reaktion! – Herr Schneider! Ich glaube, Ihre Fraktion hat sich bereits in ihrer regulären Redezeit lächerlich genug gemacht. Dass Sie mir dann auch noch im Anschluss so kommen, ist tatsächlich der Gipfel der Frechheit.
Weitere Wortmeldungen liegen jetzt nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Mich freut das ja neben dem Trauerspiel, das so manche Rede eben abgegeben hat,
schon sehr, dass wir gerade auch über die Demokratie gesprochen haben, die Defizite der Demokratie, die Verteidigung der Demokratie, denn genau darum dreht sich auch unser Antrag, der heute vorliegt.
Mit unserem Antrag möchten wir darauf aufmerksam machen, dass das Abgeordnetenhaus von Berlin nicht einmal zwingend davon erfahren würde, wenn das Land Berlin von einem Schiedsgericht verurteilt würde. Unabhängig davon, wie gravierend die Folgen für den Haushalt oder die Belange der Berlinerinnen und Berliner sein würden, hätten wir Parlamentarier keinen Anspruch darauf zu erfahren, wer die Schiedsrichter waren, auf welcher Grundlage sie entschieden haben und wer das Land Berlin mit welcher Strategie vertreten hat. Sie erkennen den Demokratie- und den Transparenzaspekt.
Dies ist für uns der Gipfel der Intransparenz, der mit diesem ganzen Thema „Internationale Abkommen“ verbunden ist. Gerade wird das TTIP-Abkommen nach dem ACTA-Abkommen 2012 völlig intransparent verhandelt. Wir haben ja schon an mehreren Stellen darüber diskutiert. Auch dieses Abkommen droht zu scheitern, auch aufgrund des Misstrauens, das die Verhandlungen hervorgerufen haben. Das Gute an diesem Aspekt ist: Im Rahmen von TTIP wurde umfangreich begonnen zu diskutieren über das Thema Schiedsverfahren und deren Auswirkungen.
TTIP würde, falls es eingeführt wird, ermöglichen, dass Konzerne in Partnerschaftsländern nicht vor Gerichten den im Abkommen vereinbarten Investitionsschutz einfordern, sondern vor unabhängigen Schiedsstellen. Investor-Staat-Streitbeilegung heißt die umstrittene Maßnahme offiziell, kurz ISDS für die englische Bezeichnung Investor-to-State-Dispute-Settlement. ISDS besteht bereits in etlichen Investitionsverträgen zwischen zwei oder mehreren Ländern. Nach Angaben der EU-Kommission hat Deutschland bisher etwa 130 bi- oder multilaterale Investitionsabkommen unterzeichnet, in denen diese Schiedsverfahren festgeschrieben sind. In allen EU-Ländern insgesamt bestehen etwa 1 400 solcher Verträge und Verfahren. In wie vielen dieser Verträge es genau Schiedsgerichtsklauseln gibt, darüber gibt es keine exakten Angaben.
Die Funktion solcher Schiedsgerichte ist – eigentlich war es mal so –, dass ausländische Investoren, die ihre von den Handelsabkommen geschützten Interessen diskriminiert sehen, diese nicht extra vor den Gerichten einklagen wollen, sondern als Instrument der außergerichtlichen Einigkeit, z. B. für Situationen, in denen es eben kein funktionierendes Rechtssystem gibt oder deren Gesetze die Unternehmen nicht vor Enteignung schützen. Es gab z. B. Verträge zwischen EU-Mitgliedsländern und der ehemaligen Sowjetunion, und einige dieser Verträge bestehen auch noch fort. Also die Idee war zumindest ansatzweise mal nachvollziehbar.
Aber all dies rechtfertigt eben nicht die Intransparenz, denn wie auch immer man diese Schiedsverfahren und deren Sinnhaftigkeit und Wirkung bewerten mag, ganz klar ist, dass sie demokratischer Kontrolle unterliegen müssen. In Deutschland erhielten solche Schiedsgerichte bereits Aufmerksamkeit, als der schwedische Konzern Vattenfall wegen des Atomausstiegs Deutschland auf Schadenersatz in Höhe von 3,5 Milliarden Euro verklagte, und zwar nicht vor einem Gericht, sondern vor dem ICSID, dem International Centre for Settlement of Investment Disputes, das der Weltbank untergeordnet ist.
2009 zog Vattenfall vor das ICSID-Schiedsgericht, weil angeblich die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg zu strikt seien. Damals einigten sich dann Politik und Vattenfall außergerichtlich und
hinter verschlossenen Türen. Was man weiß: Die damaligen Umweltauflagen wurden gelockert. Viel mehr ist von dem Deal nicht bekannt. Fakt ist aber, dass die Grünen eines ihrer zentralen Wahlversprechen damals nicht wirklich umsetzen konnten und die Koalition kurz darauf gescheitert ist, möglicherweise auch auf Grundlage des gebrochenen Wahlversprechens. Das Problem ist eben, dass anders als vor Gericht, ein Verfahren vor dem ICSID nicht öffentlich ist, und damit nicht transparent. Anfragen zum Beispiel an das Wirtschaftsministerium werden dann einfach nicht beantwortet, auch Anfragen von Abgeordneten nicht.
Wegen dieser üblicherweise vertraglich zugesicherten Vertraulichkeit von Schiedsverfahren würde das Abgeordnetenhaus in einem vergleichbaren Fall nicht erfahren, wenn ein Schiedsverfahren gegen das Land betrieben wird, denn das Land Berlin würde in diesen Fällen allein von der Senatorin vertreten, die in ihrem Geschäftsbereich betroffen ist, Senatorin Yzer zum Beispiel. Im Ergebnis kann auch niemand wissen, wie viele solche Schiedsverfahren es unter Beteiligung des Landes Berlin es bereits gab. Wir wissen es nicht. Wir wissen nicht, wie viele solche Schiedsverfahren es gab, wir wissen nicht, wie viele solcher Verfahren momentan laufen, und wir wissen nicht, wie viele solcher Verfahren es noch geben wird. Bei dem „geben wird“ können wir schon einmal einhaken. Denn der Grundsatz der Gewaltenteilung, dessen Bedeutung in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsgewalt, gebietet, dass parlamentarische Kontrolle wirksam sein muss. Deshalb sind geheime Schiedsverfahren, soweit sie den Staat betreffen, mit dem parlamentarischen Regierungssystem unvereinbar.