Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von grundsätzlich fünf Minuten zur Verfügung. Soweit eine Fraktion die Redezeit von fünf Minuten überschreitet, erfolgt eine Anrechnung auf das Kontingent der Fraktion nach § 64 der Geschäftsordnung. Es beginnt die antragstellende Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Frau Kollegin Kapek hat das Wort. – Bitte schön! – Bitte Redepult runterfahren! Es sind alle gleich bedeutend im Haus, aber nicht alle gleich groß.
So hohe Schuhe hätte ich gar nicht anziehen können, um diesen Größenunterschied auszugleichen. Es ist vollbracht. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Votum der Berlinerinnen
und Berliner beim Volksentscheid vor anderthalb Wochen hätte eindeutiger gar nicht ausfallen können. In allen Berliner Bezirken hat „100 Prozent Tempelhofer Feld“ gewonnen. Deshalb gebührt ihnen an dieser Stelle unser ganz herzlicher Glückwunsch für ihre einmalige Leistung!
Der Ausgang des Volksentscheids hat aber auch ganz klar gezeigt, wie wenig die Berlinerinnen und Berliner den Ankündigungen des rot-schwarzen Senats trauen. Sie glauben Ihnen nicht. Sie glauben weder, dass Sie eine behutsame, noch, dass Sie eine soziale Bebauung geplant haben. Deshalb ist der Ausgang dieses Volksbegehrens auch ganz klar ein Misstrauensvotum gegen die Senatspolitik.
Von dem Regierenden Bürgermeister von Berlin hätte man folglich heute erwarten können, dass er uns und Ihnen erklärt, wie er das verlorengegangene Vertrauen der Stadt zurückgewinnen will. Aber lassen Sie mich auch sagen: Es verwundert mich nicht, dass er es nicht tut.
Und was machen Sie? – Sie versuchen, sich wegzuducken. Keine Rede vom BER, vom Volksentscheid oder von Ihrer eklatanten Koalitionskrise. Nein! Sie verziehen sich in die Schmollecke und wollen stattdessen über die BAföG-Reform reden. Das ist ohne Frage ein wichtiges Thema, aber eines, über das man auch in zwei, vier oder sechs Wochen noch hätte sprechen können. Sie haben noch vor Kurzem behauptet, sie würden Berlin verstehen. Die SPD regiert seit 25 Jahren in Berlin. Die SPD trägt das Wort „sozial“ sogar im Parteinamen, aber sozialen Wohnungsbau können Sie in Berlin nicht mehr glaubhaft vermitteln. Ich glaube, das sollte Ihnen langsam zu denken geben.
Denn Berlin gehört nicht der SPD, sondern den Bürgerinnen und Bürgern. Sie sind die eigentlichen Eigentümer dieser Stadt, und wir Politiker allesamt sind nur deren Auftragnehmer. Im Fall von Tempelhof muss man klar sagen: Der Auftrag wurde von Ihnen nicht richtig erfüllt, und deshalb wurde er abgelehnt.
Gestern im Ausschuss für Stadtentwicklung sprach Herr Buchholz überraschenderweise von einer klaren Klatsche gegen den Senat. Aber, lieber Herr Buchholz, das war nicht nur eine Klatsche für den Senat, sondern das war auch eine Klatsche für die Koalitionsfraktionen.
Denn Sie haben sich mit Ihrem Gesetzesentwurf nicht nur nicht durchgesetzt, sondern er wurde ganz klar abgeschmettert. Es ist Ihnen sogar gelungen – herzlichen Glückwunsch dafür! –, das Neinstimmen-Quorum zu erreichen. Und Ihre Antwort darauf: Sie wollen die direkte Demokratie fördern. – Interessante Idee! Ich würde aber sagen, wenn der 25. Mai eines gezeigt hat, dann das, dass die direkte Demokratie in Berlin ganz hervorragend funktioniert.
Was aber nicht funktioniert, das ist die konsultative oder sogenannte mitberatende Beteiligung. Denn wenn die Leute nicht so unzufrieden mit der Beteiligung an den Plänen zum Tempelhofer Feld gewesen wären, wäre es gar nicht erst zum Volksentscheid am 25. Mai gekommen. Das Problem war folglich nicht ein Mangel an direkter Demokratie, sondern das Problem war die Senatspolitik.
Wenn man das versteht und das akzeptiert, dann kann man auch endlich aufhören zu lamentieren, dass die bösen, bösen Bürger sich jetzt gegen jedes Bauprojekt stemmen würden. Setzen Sie sich doch endlich mal mit den Leuten an einen Tisch, statt sie ständig zu beleidigen! Mehr Akzeptanz und mehr Vertrauen gewinnt man nicht durch Jammern und Schimpfen, sondern durch einen Dialog auf Augenhöhe. Genau darüber müssen wir künftig reden – und das öffentlich und nicht, wie gehabt, im Hinterzimmer, auch nicht, wenn dieses Hinterzimmer dann das Büro von Herrn Saleh ist.
Die Koalition muss sich jetzt endlich mal von ihrer gescheiterten Politik der Großprojekte verabschieden, denn kaum einer traut Rot-Schwarz solche Projekte in Berlin noch zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU! Das gilt genauso für Sie, denn Sie tun dieser Tage ja geradezu so, als wären Sie nicht dabei gewesen. Herr Graf! Da muss ich Sie leider an Ihren Eiertanz von vor zwei Wochen erinnern, wo Sie keine klare Position zu der Frage: „Sind Sie für einen Neubau der ZLB auf dem Tempelhofer Feld – ja oder nein?“ beziehen wollten. Dass Sie klare Kante auch in dieser Koalition zeigen können, haben Sie ja gestern sehr eindrucksvoll im Vermögensausschuss unter Beweis gestellt. Also erzählen Sie uns nicht, Sie hätten das beim Tempelhofer Feld alles ganz anders gemeint und es sei nur die Schuld der einen Seite! Das haben Sie schon gemeinsam zu verantworten.
So oder so: Die Hauptbotschaft dieses gewonnen Volksentscheides bleibt, dass es ein „Weiter so“ nicht geben darf. Aber was machen Sie? Kaum ist das eine Groß
Wie Sie dafür innerhalb weniger Monate die Zustimmung der Berliner gewinnen wollen, müssen Sie uns bei Gelegenheit noch mal verraten.
Das erkläre ich Ihnen gleich noch, Herr Schneider! Gern auch noch mal im Anschluss, falls Sie mehr Zeit dafür brauchen.
Viel wichtiger ist es doch, eine Antwort auf die Frage zu finden, wohin sich Berlin grundsätzlich entwickeln soll. Ja, die Stadt wächst. Das heißt aber nicht nur, dass wir mehr Wohnungen für mehr Menschen brauchen. Nein! Das heißt auch, dass wir mehr Kitaplätze, mehr Schulen, mehr Grünflächen, mehr Radwege und vieles mehr brauchen. Und genau dafür brauchen wir endlich eine soziale, eine ökologische und vor allem eine demokratische Stadtentwicklung.
Das größte Bauvorhaben Berlins steht doch noch bevor, nämlich der soziale Wohnungsbau. Hier hat sich der Senat jahrelang aus der Verantwortung gestohlen, obwohl bereits seit Jahren klar ist, dass es diesen Bedarf gibt. Auch hier gilt: Keine Angst vor dem „bösen“ Bürger schüren, sondern sich endlich mal überlegen, wie man zu mehr Akzeptanz bei Neubauprojekten kommt!
Und ich sage Ihnen: Die Antwort ist ganz klar: Die Leute rechtzeitig und vor allem ernsthaft einbinden und das nicht mittels einer Volksbefragung, sondern über echte Beteiligungen!
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Aha!]
Denn sonst verschwindet der günstige Wohnraum, den es heute vielleicht noch gibt, schneller, als wir an anderer Stelle neuen bauen können.
Das gilt deshalb insbesondere in den Innenstadtbezirken für die ungebremste Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen.
Warum tun Sie nichts dagegen? Verwenden Sie doch mal darauf Ihre Energie, statt immer nur dazwischenzurufen!
Ich sage Ihnen eines: Allein durch die Rückführung der Ferienwohnungen könnte Berlin auf einen Schlag 12 000 neue Mietwohnungen gewinnen.
[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Torsten Schneider (SPD): Vor allem in Friedrichshain!]
Und das Flughafengebäude Tempelhof? – Auch hier – vielleicht interessant für die Haushälter – ist es höchste Eisenbahn, dass wir endlich über ein vernünftiges Sanierungs- und Nachnutzungskonzept reden, denn wenn wir bei dem heutigen Tempo bleiben, dann ist das Gebäude in 1 192 Jahren vollständig saniert. Ich vermute, bis dahin leben die meisten von uns nicht mehr.