Protocol of the Session on March 6, 2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 44. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter recht herzlich.

Am vergangenen Wochenende hat die Fraktion Die Linke Vorstandwahlen durchgeführt. Stellvertretend für alle gewählten Vorstandsmitglieder möchte ich dem Kollegen Udo Wolf zur Wiederwahl als Fraktionsvorsitzender gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege!

[Allgemeiner Beifall]

Als neuer parlamentarischer Geschäftsführer ist Herr Steffen Zillich gewählt worden. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Kollege! Auf gute Zusammenarbeit.

[Allgemeiner Beifall]

Dem bisherigen parlamentarischen Geschäftsführer, Uwe Doering, möchte ich ganz herzlich und auch persönlich Danke sagen für die gute Zusammenarbeit in den ganzen Jahren. – Vielen Dank, Herr Kollege!

[Allgemeiner Beifall]

Dann möchte ich noch dem Abgeordneten Christopher Lauer zur Wahl als neuem Landesvorsitzenden der Piratenpartei in Berlin gratulieren. – Er ist noch nicht da. Richten Sie es aus! – Herzlichen Glückwunsch!

[Allgemeiner Beifall]

Nun haben wir wieder Geschäftliches zur Tagesordnung mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Stand der Unterrichtsversorgung an Berliner Schulen – Maßnahmen zur Lehrerinnen- und Lehrereinstellung“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Stand der Unterrichtsversorgung an Berliner Schulen – Maßnahmen zur Lehrerinnen- und Lehrereinstellung“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „BER: Aufsicht versagt – Mehdorn außer Kontrolle“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Keine Ausflüchte mehr: SPD und CDU müssen Wasser- und Abwasserpreise dauerhaft senken!“

− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Gescheiterte Wohnungspolitik der Achtzigerjahre – was unternimmt der Senat gegen Armutsviertel am Berliner Stadtrand?“

Ich lasse nun abstimmen, und zwar zunächst über den Antrag der Piratenfraktion, für den sich im Ältestenrat eine Mehrheit abzeichnete. Wer diesem Thema zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! – Das

sind die Piraten, die Koalitionsfraktionen und der fraktionslose Kollege. Gegenstimmen? – Gegenstimmen bei den Grünen. Enthaltungen? – Bei der Linken.

Ich rufe das Thema für die Aktuelle Stunde dann unter Tagesordnungspunkt 1 auf. Die anderen Anträge für die Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Dann möchte ich Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Herr Zillich! Dazu? – Dann kommen Sie mal!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beziehe mich auf die lfd. Nr. 3 der Liste der Dringlichkeiten, die Drucksache 17/1499 – Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie –, die auf der Tagesordnung unter dem Top 3.5 c eingeordnet werden soll. Wir beantragen die Überweisung dieser Beschlussempfehlung an den Hauptausschuss. Gegenstand dieser Beschlussempfehlung ist unter anderem, dass verpflichtende Kurse erstens einen größeren Umfang haben und zweitens über einen längeren Zeitraum stattfinden sollen. Das ist ohne Zweifel finanzrelevant. § 37 der Geschäftsordnung und Artikel 90 der Verfassung von Berlin sind da eindeutig. Deswegen ist eine Beratung dieses Gegenstandes im Hauptausschuss zwingend.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Sie wollen die Rücküberweisung dieser Vorlage. Das würden wir dann bei dem Tagesordnungspunkt aufrufen, dann kann gegebenenfalls Widerspruch dazu erklärt werden, und dann wird darüber abgestimmt. Aber das machen wir bei dem Tagesordnungspunkt. Ansonsten gehen wir davon aus, dass die dringende Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um Mitteilung. Das kann ja auch noch weiterhin geschehen.

Nicht in der Dringlichkeitsliste aufgeführt, aber vom Hauptausschuss dringlich vorgelegt wird die Beschlussempfehlung Drucksache 17/1506, die Ihnen als Tischvorlage und von mir als Punkt 17 C der Tagesordnung aufgerufen wird.

Ich rufe nun auf die

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Gescheiterte Wohnungspolitik der Achtzigerjahre – was unternimmt der Senat gegen Armutsviertel am Berliner Stadtrand?

(auf Antrag der Piratenfraktion)

Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Piratenfraktion mit dem Kollegen Höfinghoff. – Bitte schön, Herr Kollege! Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin ist hip, angesagt und in, und die Mieten in den Citylagen steigen. Neue, schicke Quartiere entstehen, die Gentrifizierung arbeitet sich durch die Bezirke. Im Prenzlauer Berg ist sie schon durch, Friedrichshain ist gerade mittendrin, und in Nordneukölln geht es jetzt los. Moabit oder der Wedding stehen bereits in Wartestellung. Und der Stadtrand? – Der nimmt bezüglich der zunehmenden sozialen Spaltung unserer Stadt eine Funktion ein, die zu größter Besorgnis Anlass geben muss.

Am Montag konnten wir ein Portrait der Spandauer Großsiedlung Heerstraße Nord in der „Berliner Zeitung“ lesen. Es war das Bild eines Stadtviertels von Hoffnungslosigkeit, Verfall und Tristesse, welches hier gezeichnet wurde. Seit 2006 ist dort die Einwohnerzahl um 1 300 Menschen angestiegen. Die Arbeitslosenquote liegt doppelt so hoch wie im Berliner Durchschnitt. 80 Prozent der Kinder unter 15 Jahren in der Großsiedlung wachsen in Familien auf, die von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe leben müssen und den Schikanen des Jobcenters ausgesetzt sind. Da ist nichts hip oder in, da gilt nach wie vor der Buchtitel aus den Achtzigerjahren, der Entstehungszeit dieser Großsiedlung: Wohnst du sozial, hast du die Qual.

Das Viertel Heerstraße Nord ist aber nicht die einzige Großsiedlung am Stadtrand, die dieser Senat und auch schon sein rot-roter Vorgänger öffentlich aufgegeben haben. Das Falkenhagener Feld in Spandau, das Märkische Viertel in Reinickendorf, die Großwohnsiedlung Marzahn-Hellersdorf, die Gropiusstadt in Neukölln, den Tirschenreuther Ring – solche Viertel und ihre Bewohner lässt der Senat seit Jahren mit ihren Problemlagen allein.

Der aktuelle Sozialstrukturatlas Berlin hebt diese vom Senat aufgegebenen Großsiedlungen am Stadtrand farblich hervor – und zwar tiefrot. Wer hier wohnt, ist arm und hat meist weniger Bildung genossen, wird öfter krank und stirbt früher. Freiwillig zieht dort keiner hin. Dorthin ziehen die Verlierer der Gentrifizierung.

Am Rand von Spandau in der Hochhaussiedlung an der Heerstraße leben fast nur noch Menschen, die die Mieten

in der hippen Berliner Innenstadt nicht mehr bezahlen können.

[Burgunde Grosse (SPD): Eine Frechheit!]

In Berlin erhalten knapp 700 000 Menschen Grundsicherungsleistungen für Unterkunft und Heizung: Menschen, die Hartz IV, Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz beziehen. Einmal im Jahr erhöht der Sozialsenator Czaja die Richtwerte für die Leistungen der Kosten für Unterkunft und Heizung um ein paar mickrige Euro. Dafür lässt er sich öffentlich als sozialer Wohltäter abfeiern, doch das ist er mitnichten.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

In Wirklichkeit gehen diese Richtwerte an der Realität des Wohnungsmarktes vorbei und hinken den rasanten Mietsprüngen in Berlin um Jahre hinterher. Diese Minierhöhungen reichen vorne und hinten nicht, um die zunehmende räumliche Spaltung unserer Stadt in Arm und Reich zu verhindern. Wessen Wohnung in seinem angestammten Kiez für das Jobcenter zu teuer geworden ist, muss sich eine neue, günstigere Wohnung suchen, und die findet er, wenn überhaupt, in einer Großwohnsiedlung am Stadtrand.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Grosse?

Nein, danke! Am Ende!

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD) – Zuruf von Burgunde Grosse (SPD)]

So ergeht es

[Zurufe von der SPD]

bitte – nicht nur den Grundsicherungsbeziehern, sondern auch der Geringverdienern in unserer Stadt. – Einfach ein bisschen mehr zuhören und weniger pöbeln!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Zurufe von der SPD]

Blicken wir zurück: In Ost wie West suchte man seit den Achtzigerjahren verstärkt sein Heil bei der Lösung der Wohnungsfrage und der Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum im Bau von Großsiedlungen am Stadtrand. Bereits bei der Errichtung dieser Großsiedlungen wurden Menschen mit weniger Einkommen dorthin verdrängt. Man bot ihnen diese Wohnung zur Miete an – je nach Stadthälfte aus spekulativen oder politbürostrategischen Gründen – und siedelte sie aus zerfallenen Altbauquartieren der Gründerzeit um. In solchen Retortenstädten

(Präsident Ralf Wieland)

wuchsen bereits damals die sozialen Probleme schnell. Das Schicksal der Christiane F. steht als ein prominentes Beispiel für Tausende Namenlose für die Konsequenzen aus Entwurzelung und sozialer Kälte. Sie kam aus der Gropiusstadt – es hätte genauso das Märkische Viertel, der Tirschenreuther Ring oder Staaken sein können.

Gestatten Sie mir eine Zwischenbemerkung? – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre nett, wenn die Gespräche draußen geführt werden und hier ein bisschen mehr Ruhe einkehrt. Es ist schwierig hier – auch von der Akustik. Vielen Dank!