Protocol of the Session on October 24, 2013

in Verbindung mit

lfd. Nr. 33 B:

Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden ausweiten: Residenzpflicht für Berlin und Brandenburg aufheben

Dringlicher Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1237

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Für die Besprechung der Aktuellen Stunde bzw. die Beratung der drei Anträge steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion der CDU. Ich erteile das Wort dem Kollegen Krüger. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mir meine Redezeit mit dem Kollegen Wansner teilen und darf beginnen.

[Zurufe]

Nicht erst das Elend der Menschen in Seenot im Mittelmeer vor Lampedusa hat uns in der Berliner Politik darauf aufmerksam gemacht, die Thematik zu diskutieren. Sie wissen, dass wir die Asylbewerberproblematik hier in den letzten beiden Jahren regelmäßig und kontinuierlich auch in den Ausschüssen behandeln. Wir sind uns alle einig, dass wir dafür stehen, dass Menschen, die politisch, rassisch oder religiös verfolgt werden, in unserem Land Sicherheit genießen sollen. Das gilt natürlich auch für Berlin.

[Beifall bei der CDU]

Nun gibt es – das hat der Kollege, der vorhin für uns gesprochen hat, schon verdeutlicht – klare Regelungen zwischen den EU-Staaten, wie hier in der Aufnahme zu verfahren ist. Wir legen großen Wert darauf, dass diese auch angewandt werden. Heute Mittag hat gerade der migrationspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Herr Veit, betont, dass hier eine gerechtere Ver

teilung in Europa, in der EU, durchgesetzt werden muss, denn hier trägt Deutschland bisher schon sehr viel mehr Lasten als andere Staaten. An der Stelle ist nachzuarbeiten.

Zweitens ist Solidarität zwischen den Bundesländern zu üben. Wir werden im Ausschuss die Frage der Residenzpflicht diskutieren. Berlin und Brandenburg sind hier schon weit gegangen. Wir müssen ehrlicherweise aber auch sagen, dass das nicht dazu führen darf, dass wir letztlich eine ganz starke Konzentration in den großen Städten wie Berlin, München oder Hamburg haben und damit die Aufgaben dort besonders erschweren.

Der dritte Bereich betrifft die Aufgabenverteilung in Berlin, was den Umgang mit Asylbewerbern umgeht. Hier kann ich auf vieles verweisen, was wir schon diskutiert haben. Wir haben eine gute Arbeitsteilung, ein gutes Hand-in-Hand-Arbeiten zwischen den Bezirken, zwischen dem Landesamt für Gesundheit und Soziales sowie der Senatsverwaltung. Wir haben eine gute Kooperation mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, insbesondere, wenn es um die Unterbringung in Wohnungen geht.

Wir haben menschenwürdige Unterbringungssituationen in dieser Stadt. Wir können anders als in anderen Bundesländern – das muss immer wieder betont werden – von Containerstädten und Zeltdörfern absehen, die ich an dieser Stelle nicht für sinnvoll erachte. Mehr als die Hälfte der Menschen, um die es hier geht, sind in Wohnungen unterbracht. Es könnten noch mehr sein – das habe ich neulich schon einmal gesagt. Der Weg ist aber richtig. Wir werden ihn so auch weitergehen.

Nun gibt es, wie wir alle wissen, viele Millionen Menschen auf dieser Welt, denen es sehr viel schlechter geht als eigentlich uns allen in diesem Land. Ich darf aber Walter Momper aus der „BZ“ vom 19. Oktober zitieren:

Man kann nicht alle Wirtschaftsflüchtlinge dieser Welt nach Deutschland holen.

Er sagt wenig später in diesem kleinen Artikel – auch das kann ich voll unterstreichen –:

Es müssen die Verhältnisse in den Heimatländern der Flüchtlinge verbessert werden.

Berlin muss einmal wieder zu dem Punkt zurückfinden, den wir schon in den Siebzigerjahren diskutiert haben, sich als Bundesland in die Aktionen der Bundesrepublik Deutschland unter dem Aspekt Hilfe zur Selbsthilfe in Ländern der Dritten Welt einzumischen.

Was die Gewährung von Asyl angeht, brauchen wir – dabei bleiben wir auch als CDU – individuelle, klare gesetzlich festgelegte rechtsstaatlich abgesicherte Prüfungsverfahren. Nur wenn das so läuft, werden wir Akzeptanz für die Entscheidungen in breiten Kreisen der

Bevölkerung finden. Das ist die Voraussetzung für eine gute Integration.

Gestatten Sie eine kurze Zwischenfrage des Kollegen Lauer?

Nein! Eine solche gestatte ich nicht. Dazu haben wir im Ausschuss anschließend genügend Diskussionsmöglichkeiten. – Wenn man sich die Zahlen dieses Jahres anschaut – ich entnehme sie der „taz“, was Sie sicher auch akzeptieren –, haben wir bisher 55 000 Asylentscheidungen in der Bundesrepublik. Unter den 55 000 haben 602 eine Gewährung des Asyls bekommen. Dass aber hier die Menschen nicht rigoros über die Brechstange zurückgeschickt werden, was auch immer passiert, zeigt, dass 14 000 dieser Antragsteller aus humanitären Gründen in der Bundesrepublik Bleiberecht erhalten haben, weil menschenunwürdige Verhältnisse in dem Land, aus dem sie kommen, herrschen oder ihnen Gefahr für Leib und Leben dort erwächst. Das ist eine vernünftige Abstufung, wie wir innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin entsprechende Politik machen.

Bevor ich für den Abgeordneten Wansner hier meinen Platz räume, möchte ich noch eine Kleinigkeit ansprechen. Sie ist zwar heute nicht mit aufgerufen, aber auf der Tagesordnung stand – jetzt zurückgezogen – die Große Anfrage der Piraten „Bei Nacht und Nebel – Sammelabschiebungen aus Berlin“. Thematisch gehört das dazu. „Nacht und Nebel“, das ist ein französischer Film aus den Fünfzigerjahren unter der Regie von Alain Resnais, Musik Hanns Eisler, der den 7. Dezember 1941 aufgreift, den sogenannten Führererlass, eine geheime Richtlinie. Da ging es darum, in den besetzten Gebieten Zivilisten aufzuspüren, wenn man sie einer Straftat verdächtigte, sofort zu verurteilen und zu erschießen oder aber ins Reich zu bringen und dort in den KZs als sogenannte NN-Häftlinge zu inhaftieren, die weitestgehend isoliert leben mussten und vergast wurden. Ich halte es für unerträglich, wenn in einem Papier dieses Hauses eine solche Beziehung hergestellt wird durch die Benutzung eines – –

[Philipp Magalski (PIRATEN): Diesen Zusammenhang haben Sie jetzt hergestellt! Das hat mit dem Film gar nichts zu tun!]

Schreien Sie! Aber Ihr Geschrei wird nicht besser. – Es ist unparlamentarisch, solche Zusammenhänge herzustellen.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Ich möchte Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitten, solche unerträglichen Entgleisungen in diesem Haus – und wir stehen für Berlin, wir stehen für die Berliner Bevölkerung – nicht zuzulassen. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU – Philipp Magalski (PIRATEN): Unerhört, diesen Zusammenhang herzustellen!]

Vielen Dank, Kollege Krüger! – Der Kollege Wansner ist dann in der zweiten Rederunde dran. Nicht, dass da ein Missverständnis entsteht! – Ich erteile jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollegin Bayram das Wort. – Bitte schön!

Yes, Mr. President! – Ladies and Gentlemen! First I want to welcome the refugees from Oranienplatz. I want to say loud and clear that you refugees are welcome here in the Berlin Parliament and also in the whole city of Berlin. Welcome!

[Starker Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Meine Damen und Herren! Ich denke, die Flüchtlinge, die ihr Recht wahrnehmen, in einem demokratischen Land zuzuhören, wenn über ihre Anliegen und ihre Situation diskutiert wird, sollten uns auch disziplinieren. Wir sollten das, was wir vor einigen Wochen hier beschlossen haben, ernst nehmen und zeigen: Wir übernehmen Verantwortung im Land Berlin, egal, woher sie kommen. – Deswegen sollten wir die eine oder andere Debatte heute sachlich, nüchtern und nach vorne gerichtet führen.

Ich will damit beginnen, Ihnen die Situation zu schildern, wie sie sich am Oranienplatz, aber teilweise eben auch am Pariser Platz darstellt. Die Flüchtlinge am Oranienplatz sind größtenteils über Libyen nach Lampedusa gekommen. Die Menschen sind vom libyschen Militär in Schiffe gedrängt worden und in Lampedusa teilweise, weil es keine Einrichtungen gab, wo sie übernachten konnten, erfroren oder verhungert, jedenfalls ebenfalls zu Tode gekommen. Vom italienischen Staat schutzlos gestellt und letztlich außer Landes getrieben, strandeten sie hier am Oranienplatz. Dort wurden sie sehr lange Zeit einfach ignoriert. Das ist der Grund, warum wir heute darüber reden wollen, das ist auch der Grund, warum wir sagen, Sie sollten sich das anhören, damit Sie sich alle vergewissern können: Ja, Lampedusa ist in Berlin, die Menschen sind hier, und es ist unsere Verantwortung, uns mit ihren Anliegen zu beschäftigen und klarzumachen, wo ihre Chancen und unsere Möglichkeiten sind.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Wir sind ein sozialer Rechtsstaat, so steht es in unserer Verfassung. Aber was heißt das eigentlich für die Menschen, über die wir hier reden? – Das heißt: Menschenrechte und auch die Menschenwürde gelten für jeden, unabhängig davon, ob er Staatsbürger ist, ob er einen

Status hat oder nicht. Und daraus folgt: Wir als Land Berlin sind verantwortlich für den Schutz des Lebens und auch für die körperliche Unversehrtheit.

Dazu will ich kurz erwähnen: Am Brandenburger Tor waren Menschen, für die wir angeblich behördlich auch nicht zuständig sind, da sie ja aus dem Lande Bayern kamen. Aber letztlich war die Polizei 24 Stunden vor Ort, und die Beamten mussten auch mit der Situation umgehen, dass dort Menschen zu verhungern und zu verdursten drohten, weil sie nicht bereit waren, die in ihren Augen menschenunwürdige Asylpolitik hinzunehmen, die sie in Situationen zwingt, die ihnen als letztes verzweifeltes Kampfmittel nur ermöglicht haben, ihr eigenes Leben in die Waagschale zu werfen. Das ist die Zuständigkeit, die wir haben.

Auch im Bezirk sind Zuständige. Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg kann nicht sagen: Ich bin nicht zuständig; denn – die meisten von Ihnen wissen das selbst – die Politik am Bürger findet in den Bezirken statt. Was hat die Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann gemacht? – Sie hat das Gespräch gesucht, erst mit den Menschen, dann mit den politisch Verantwortlichen. Ehrlich gesagt, bin ich an der Stelle schon glücklich, dass zwischen den jeweils Zuständigen der Senatsverwaltung für Soziales und der Senatsverwaltung für Inneres Gespräche stattgefunden haben; denn eins sollten wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ganz klar sagen: Reden hilft, und reden ist auch der beste Weg zur Lösung von Situationen, die wir so nicht weiter haben wollen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Gestern hat die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg eine Resolution verabschiedet, in der sie sich eindeutig für die Flüchtlinge in ihrem Bezirk verantwortlich erklärt und auch ihre Solidarität sowohl mit den Menschen als auch mit den Anliegen ausgedrückt hat. Diese Menschen sowohl aus Lampedusa als auch aus allen anderen Ländern, die derzeit auf dem Oranienplatz, in der besetzten Schule oder in der Heilig-Kreuz-Kirche untergebracht sind, die Protestierenden vom Brandenburger Tor, diese Menschen brauchen Hilfe. Da hilft es überhaupt nicht, das in Deutschland so beliebte Pingpong-Spiel der Behörden zu machen, wo die eine Behörde sagt: Ich bin nicht zuständig, weil es diesen Paragrafen gibt, der mich für nicht zuständig erklärt. – und die andere Behörde das ebenso anwendet. Das Schlimme ist: Da kommt nicht raus, dass sie ihren Führerschein später bekommen, und da kommt auch nicht raus, dass sie ihre Papiere in anderen Zusammenhängen später bekommen, sondern es kommt raus, dass die Menschen verhungern und verdursten, weil sich niemand zuständig fühlt. In einem reichen Land, in einer reichen Stadt wie Berlin sollten und können wir uns so etwas nicht leisten!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich habe meine Anträge so konkret wie möglich geschrieben. Ich habe dort auch Vorschläge für rechtliche Lösungen gemacht. Aber das setzt voraus, dass der politische Wille zur Lösung da ist. Und der führt, wie gesagt, über das Gespräch. Lassen Sie uns reden, ob wir nicht über Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes einen Weg finden, dass die Menschen, die aus Lampedusa hier hergekommen sind und hier bleiben wollen, arbeiten dürfen, dass sie sich eine Wohnung nehmen dürfen und dass sie genauso wie alle anderen Berlinerinnen und Berliner hier leben dürfen. Lassen Sie uns darüber reden, den Menschen, die ihren Aufenthalt oder ihre Bleiberechtsperspektive verloren haben, weil sie fundamentale Menschenrechte, nämlich Demokratierechte, zum Protestieren genutzt haben, über § 25 Aufenthaltsgesetz einen Aufenthalt zu gewähren.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das sind die Dinge, die die Menschen von uns erwarten, weil wir politisch gewählte Vertreterinnen und Vertreter sind. Da will ich auch nur sagen: Es ist wirklich nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, wie unser Innensenator das gerne sagt, sondern es ist auch unsere Aufgabe, für die wir gewählt sind und für die wir bezahlt werden. Das sehe ich so. Deswegen verpflichtet uns dieses auch dazu.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Die Forderungen der Flüchtlinge nach Aufenthaltsrecht, nach Abschaffung der Arbeitsverbote und der Residenzpflicht, nach Abschaffung der Lager, nach Stoppen der Abschiebungen haben wir hier sehr ausführlich diskutiert. Das liegt daran, dass die Menschen seit über einem Jahr protestieren und eigentlich der Protest ungehört lief. Gestern haben die Refugees dem Regierenden Bürgermeister einen offenen Brief übergeben, in dem sie ihn um ein Gespräch baten. Sie wollen einerseits über ihre Situation reden und andererseits über die Verantwortung des Senats von Berlin gegenüber den Refugees. Diesem Gesprächsangebot sollte er sich stellen.

Da will ich nicht unerwähnt lassen, dass Frau Kolat gegenüber den hungerstreikenden Flüchtlingen am Brandenburger Tor zugesagt hat, sich auf der Bundesebene innerhalb ihrer Partei dafür einzusetzen, dass bei den Koalitionsverhandlungen die Forderungen der Flüchtlinge eingebracht und in der großen Koalition auf Bundesebene aufgenommen werden. Aber Frau Kolat,

[Zuruf von den GRÜNEN: Erst mal zuhören!]

jetzt mal ehrlich: Sie haben hier doch auch eine große Koalition, dann reden Sie doch mal hier mit ihren Kollegen von der CDU!