Protocol of the Session on September 12, 2013

Die eine vorgeschlagene Änderung des Schulgesetzes der Oppositionsfraktionen betrifft das Aufnahmeverfahren für die Grundschule. Möchten Erziehungsberechtigte ihr Kind an einer anderen Grundschule anmelden und besteht für die Wahlgrundschule eine Übernachfrage, erfolgt die Vergabe der noch freien Plätze in abgestufter Reihenfolge der Aufnahmegründe.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Sie reden zu einem falschen Antrag! Der ist nicht eingebracht!]

Der Antrag 17/1082 schlägt nun vor, einen weiteren Aufnahmegrund zu ergänzen. Künftig soll bei einer Kooperationsvereinbarung zwischen Kita und Grundschule auch dieser Umstand bei der Vergabe noch freier Plätze an Kinder, die nicht im Einschulungsbereich wohnen, Berücksichtigung finden. Aus pädagogischer Sicht wäre zu prüfen, ob es für ein Kind positiv ist, wenn es sowohl in der Kita als auch in der Schule stets dieselben sozialen Kontakte hat. Es wäre zu hinterfragen, ob es nicht besser wäre, dass sich Kinder auch auf neue soziale Kontakte einlassen müssen.

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Der Antrag ist nicht drauf! Sie reden zum falschen Antrag! – Martin Delius (PIRATEN): Schauen Sie zu Ihrem Fraktionsvorstand!]

Sie irren sich! Schauen Sie noch mal nach! – Der geltenden Aufnahmeregelung ist zu entnehmen, dass die Wohnortnähe von besonderer Bedeutung ist, zum einen, um altersangemessene Wege für Schulanfängerinnen und -anfänger sicherzustellen, und zum anderen, um soziale Strukturen weiter zu erhalten. Diesem Anliegen würde die vorgeschlagene Gesetzesänderung auch nicht Rechnung tragen.

Herr Kollege! Ich darf Sie kurz darauf aufmerksam machen, dass die Drucksache 17/1082 nicht aufgerufen ist für eine Debatte.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Martin Delius (PIRATEN): Hört, hört! Der eigene Fraktionsvorsitzende hat es ihm nicht gesagt! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Machen Sie ruhig weiter, es ist doch egal!]

Liebe Kollegen, die Sie sich jetzt hier voller Häme lustig machen: Schließen Sie für sich aus, dass Ihnen so ein Fehler mal passieren kann?

[Beifall bei der SPD, der CDU und den PIRATEN]

Aufgerufen war zu a und c.

Gut! Ich hoffe, dass Frau Bentele etwas dazu sagt. So verabschiede ich mich jetzt mal.

[Beifall bei der SPD]

Für die Fraktion Die Linke – Frau Kittler!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich spreche jetzt zu den Drucksachen 17/0588 und 17/1137. Wir haben ja schon mal über diese Thematik hier diskutiert, zumindest zu der ersten Drucksache. Auch dort habe ich schon bemerkt: Wir reden hier über ganz kleine Menschen, die in die Schule kommen, zum Teil eben auch fünfeinhalb Jahre alt, und nicht für alle von ihnen ist dieser Weg ins Leben erfolgreich und/oder nicht von Freude begleitet. Einige steigen schon nach kurzer Zeit aus, weil sie die Schule schlicht nicht schaffen oder mit den Strukturen einfach nicht klarkommen – und das, obwohl sie alle neugierig und stolz sind, wenn sie etwas Neues können. Andere Kinder hingegen langweilen sich vielleicht in der gleichen Klasse, in der andere sich hinter dem Vordermann abducken, weil sie Angst vor Versagen haben. Wieder andere konnten wahrscheinlich vieles schon, als sie endlich in die Schule durften. Wenn wir Pech haben, entwickeln sie jetzt ein Sozialverhalten, das ihren Mitmenschen ein Leben lang auf die Nerven gehen wird.

Warum ist das so? Ändert sich daran etwas, wenn die Kinder nun vielleicht ein halbes Jahr später in die Schule kommen, wie dies der Grünen-Antrag will? Ich zweifle das an. Der Einschulungszeitpunkt sollte nicht von einem Stichtag abhängig sein, sondern davon, ob ein Kind so weit ist, in die Schule gehen zu können. Das können

(İlkin Özışık)

Eltern und Erzieherinnen und Erzieher aus den Kitas ziemlich genau einschätzen.

Also bin ich bei der Piratenfraktion, die mehr Flexibilität fordert. Aber geben das geltende Schulgesetz und seine Handhabung hier nicht auch schon viel her? Darüber sollten wir auch im Ausschuss diskutieren.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich habe es hier schon einmal festgestellt: Es gibt in Berlin bisher keine gesicherten Erkenntnisse, wie sich das frühe Einschulen auf die Kinder auswirkt. Eine wissenschaftliche Begleitung erfolgte nicht, und die Frage, warum nicht, wurde mir auch auf Nachfrage im Bildungsausschuss nicht wirklich beantwortet. Auch mir sind keine Studien bekannt, die belegen, dass früheres Einschulen Lernprobleme abbaut. Ich denke, wir brauchen jetzt folgende Schritte, damit alle Kinder einen guten Schulstart haben – erstens die wissenschaftliche Begleitung, die versäumt wurde, zweitens, in den Köpfen der Eltern, aber auch mancher Pädagoginnen und Pädagogen, zu verankern, dass die Schulanfangsphase drei Jahre Zeit lässt, Ziele, die durch Rahmenlehrpläne festgelegt werden, zu erreichen, und dass auf dem Weg dorthin Defizite ausgeglichen werden können, ob nun in der Sprache oder in der Erziehung. Drittens – und ich denke, das ist das Wichtigste – müssen wir dringend die Bedingungen verändern, wie Kinder lernen können, und auch überdenken, was Kinder lernen müssen. Das kann von Kind zu Kind durchaus unterschiedlich sein. Wir müssen also die Schule verändern. Das wird auch die Herausforderung der inklusiven Schule sein.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Dass es besser geht als im Durchschnitt der Berliner Schulen, kann, wer will, schon an einigen Berliner Schulen wie z. B. in der von mir hier bereits genannten Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Prenzlauer Berg mit ihrem jahrgangsgemischten Unterricht sehen. Dass es besser geht, kann, wer will, auch vom Hirnforscher Gerald Hüther erfahren. Schule muss so sein, dass auch die Kleinsten mitkommen können und in ihrer Unterschiedlichkeit angenommen werden, unabhängig vom Einschulungsalter. Das ist das, was die Linksfraktion will, und ich hoffe, wir sind nicht die Einzigen hier.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Mal unabhängig von den Anträgen: Özcan! Falls wir uns nicht mehr hier sehen sollten, dann möchte ich dir noch sagen: Das Streiten mit dir hat meistens Spaß gemacht. Wenn wir uns einig waren, war es noch besser. Sollte es klappen, viel Spaß im Bundestag!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Für die Fraktion der CDU jetzt Frau Kollegin Bentele – bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Mutlu! Was soll man da sagen? Man könnte sagen, Sie können beruhigt in den Bundestag entschweben, denn die Piraten haben sich des Themas Einschulung in noch viel ausführlicherer Weise angenommen als Sie, wenn ich nicht gestern die ForsaUmfragewerte gesehen hätte, die die Grünen im einstelligen Bereich verorten.

[Beifall bei der CDU]

Ob sie nun entschweben oder nicht, zu Ihrem heute in zweiter Lesung vorliegenden Antrag und zu dem neuen Antrag der Piraten zum gleichen Thema kann man wohl sagen: Vorhang zu, und alle Fragen sind offen.

[Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Angesichts dieser Situation würde ich gern einmal rekapitulieren wollen, wo wir aus meiner Sicht mit der Diskussion stehen. Wir haben genug Gesprächsschleifen gedreht.

Zunächst einmal wurde klar, dass es in den fünf Fraktionen unterschiedliche Einschätzungen dazu gibt, ob die in Berlin praktizierte frühe Einschulung überhaupt ein Problem ist oder nicht. Ich kann für meine Fraktion sagen, dass die von den Grünen geschilderten Schwierigkeiten vieler Eltern mit der Früheinschulung auch mich in schriftlicher und mündlicher Form erreicht haben, ebenso wie die Bedenken von Medizinern. Insofern konnten wir dem Gedanken der Verlegung des Stichtags einiges abgewinnen, auch deshalb, weil ich glaube, dass bei diesem Thema ein bisschen Psychologie im Spiel ist, da in allen anderen Bundesländern mit sechs Jahren eingeschult wird und die Berliner Regelung manchen zugezogenen Eltern vielleicht etwas zu radikal vorkommt.

Die Diskussion im Bildungsausschuss hat aber auch zutage gefördert, was der eigentliche Grund für die Vorverlegung des Einschulungstermins in Berlin war. Staatssekretär Rackles hat es deutlich gesagt. Eine bestimmte kleine Gruppe, nämlich sogenannte bildungsferne Kinder, müsse so früh wie möglich in das Schulsystem hineingesogen werden. Dafür werden die Einschulungsregeln für alle Kinder geändert.

Die von Herrn Saleh angestoßene Debatte um eine Kitapflicht folgt der gleichen Logik. Weil eine sehr kleine Minderheit das Angebot der frühkindlichen Bildung nicht annimmt, sollen alle Kinder ab drei Jahren zum Kitabesuch verpflichtet werden. Das ist für uns nicht akzeptabel, weil dadurch grundsätzlich allen Eltern das Misstrauen ausgesprochen und ihnen bedeutet wird, sie wüssten

(Regina Kittler)

nicht, wann und wo sich ihr Kind am besten entwickelt und lernt.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Allerdings muss man dem Vorschlag von Herrn Saleh im Gegensatz zur Früheinschulung zugutehalten, dass belegt wurde, dass ein längerer Kitabesuch zu besseren Sprachkenntnissen führt, wohingegen es keine Belege dafür gibt, dass die frühere Einschulung in Berlin zu besseren Grundschulleistungen als in anderen Bundesländern führt, wo später eingeschult wird.

Ich finde, wir sollten, statt über die Verlegung des Stichtags um wenige Monate oder über staatliche Zwangsmaßnahmen zu diskutieren, uns viel stärker um die Qualität unserer Grundschulen und Kitas kümmern,

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den PIRATEN]

denn dann schicken Eltern ihre Kinder auch freiwillig und viel freudiger dort hin.

Da sollten wir vor allem etwas für die bessere Gestaltung des Übergangs von der Kita zur Schule tun. Die CDU hat hierzu konkrete Vorschläge gemacht: Wir schlagen eine stärkere Verbindlichmachung der Sprachstandsfeststellungstests vor, damit entsprechende Sprachförderung erfolgen kann, eine Weitergabe der von der Kita geführten Lerntagebücher an der Grundschule und die Wiedereinführung der Vorklassen, die aus meiner Sicht das richtige, gezielte Angebot für bildungsferne Kinder mit Lern- und Sprachproblemen und für zurückgestellte Kinder sind.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das ist doch viel zu spät! Sie widersprechen sich selbst!]

Außerdem sollten wir uns weniger mit der Frage des Einschulungsalters – da bin ich bei Ihnen, Frau Kittler –, sondern mit der Schulfähigkeit befassen sollten, also damit, welche Fähigkeiten Kinder mitbringen sollten, wenn sie eingeschult werden sollen. Der Antrag der Piraten greift dies auf.

Die allerwenigsten Eltern wissen, was in einer solchen Schulreifeuntersuchung und Sprachstandsfeststellung eigentlich geprüft wird. Dann trägt aus meiner Sicht die bis zu drei Jahren dauernde Schuleingangsphase auch noch dazu bei, dass immer unklarer wird, welche Lernfortschritte Berliner Grundschüler in den ersten Schuljahren eigentlich machen sollen. Der Presse war zu entnehmen, dass manche Grundschulen versucht haben, zur Orientierung der Eltern einen Fähigkeitenkatalog zu entwickeln. Vielleicht wäre das auch ein gangbarer Weg für Berlin.

Ich komme noch einmal zum derzeitigen Diskussionsstand zurück. Einigkeit bestand in ziemlich allen Fraktionen in dem Punkt, dass wir zu wenige Erkenntnisse über

die Schulkarrieren früh eingeschulter Kinder haben. Ich begrüße daher, dass sich die Senatsverwaltung bereit erklärt hat, diesem Zustand durch die Durchführung einer Evaluation abzuhelfen. Die Ergebnisse dieser Evaluation sollen Ende des Jahres vorliegen, sodass wir im Laufe des nächsten Jahres über eventuell zu treffende Neuregelungen hoffentlich auf fundierten Ergebnissen oder zumindest auf einer Basis beruhender Erkenntnisse sprechen können. Einig waren wir uns auch zwischen uns, der Senatorin, den Piraten und den Linken, dass Rückstellungen in Zukunft einfacher gemacht werden sollen. Hier ist die Senatorin aktiv geworden. Es soll in Zukunft ausreichen, dass die Eltern einfach nur angeben, dass sie ihr Kind zurückstellen lassen wollen, ohne weitere Gründe anführen zu müssen. Uns wäre es am liebsten gewesen, wenn die Rückstellungsentscheidung wirklich allein bei den Eltern liegen würde, da diese ihr Kind schließlich am besten kennen und neben dem Kind unter einer zu frühen Einschulung auch am meisten leiden, und nicht bei einem Amtsarzt, –

Frau Kollegin! Kommen Sie bitte zum Ende.

der das Kind 15 Minuten sieht, oder bei einem Schulaufsichtsbeamten, der das Kind gar nicht sieht oder kennt und aufgrund der Aktenlage entscheidet. Ein weitergehender Kompromiss scheint mir zwischen und Koalitionspartnern nicht machbar, sodass wir uns vorerst wohl mit dieser das Prozedere leicht erleichternden Prozedur zufrieden geben und den Grünen-Antrag endgültig ablehnen müssen.

[Beifall bei der CDU und der SPD]