Protocol of the Session on May 30, 2013

Danke sehr, Herr Kollege Lauer! – Für die SPD hat jetzt der Kollege Verrycken das Wort. Wo ist er? – Da kommt er. – Ich wähnte Sie aus der anderen Ecke kommend. – Bitte schön!

[Lars Oberg (SPD): Er kommt immer von links!]

Aber ganz deutlich! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Wir haben in der Tat die Situation, dass ich mich nahtlos an Herrn Lauer anschließen kann. Wir haben vielleicht einen ganz kleinen Punkt zu korrigieren: Hier liegt kein Antrag der Koalition vor, sondern ein Gesetzesvorschlag des Berliner Senats, der jetzt in den Ausschüssen diskutiert wird, heute ist sozusagen die erste Lesung. Genau so wie Sie haben wir auch bei uns in der Fraktion die eine oder andere Frage, die damit zusammenhängt. Insofern würde ich mich freuen, wenn wir in den entsprechenden Ausschüssen – ich glaube, er geht in den Kulturausschuss, in den Hauptausschuss auf jeden Fall – diese offenen Fragen noch mal klären, denn das kann ja nicht Sinn und Zweck der Übung sein, dass wir am Ende die Dinge noch komplizierter machen, als sie es zum Teil eh schon sind. So viel zum Verfahren.

Es ist wichtig, dass wir uns in der Diskussion einfach an bestimmten Fakten orientieren müssen. Was mich an der öffentlichen Debatte, die es ja teilweise auch schon gegeben hat, teilweise auch von Parteienvertretern dieses Hauses, ein klein wenig verwundert hat, ist die Argumentationsebene. Es wird ganz häufig argumentiert – Sie haben es jetzt nicht gemacht; insofern, Herr Lauer: ein wirklich richtiger Blick auf die Dinge –: „30 Euro, das ist ja unmöglich, das ist ja horrend, das ist ja ein Beitrag, daran scheitern dann auch wirklich die Kirchenaustritte“, sodass wir als Koalition oder als Land Berlin, als Abgeordnetenhaus dadurch die Leute zwangsweise in den Kirchen belassen würden. Das ist natürlich völliger Quatsch. Wenn man überlegt, dass, glaube ich, jeder durchschnittliche Berliner, meine Wenigkeit eingeschlossen, 30 Euro durchaus auch für dreimal falsches Parken im Laufe eines Jahres einkalkuliert,

[Was? von den GRÜNEN und der LINKEN]

in der Tat, ich gebe es offen zu –, dann ist das kein Punkt zu sagen, deswegen verlasse ich die Kirche nicht. Es zeigt vielmehr einen bestimmten Blick bestimmter Menschen auf ihre Bürgerinnen und Bürger, muss ich an der Stelle mal ganz deutlich sagen. Wer allen Ernstes der Auffassung ist, dass 30 Euro davon abhalten, aus der Kirche auszutreten, der hat nicht verstanden, dass das, was Herr Lauer auch gerade gesagt hat, der eigentliche Grund ist: dass es Distanzierungsmöglichkeiten gibt, dass es Skandale gibt, dass es Fragen gibt, die von den Amtskirchen nicht mehr beantwortet werden, dass es moralische Fragen gibt, die letztendlich dazu führen, dass man sich – teilweise schweren Herzens – von der Kirche distanziert. Jemand, der allen Ernstes sagt, er tritt wegen 30 Euro nicht aus der Kirche aus, der sollte das relativ schnell mal durchrechnen und wird feststellen, dass selbst bei diesem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung – ich nehme mal an, dass das ein verschwindend geringer Prozentsatz sein dürfte – die Kosten-Nutzen-Variante erheblich sein dürfte, weil über das gesamte Leben natürlich erheblich Geld eingespart wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Behrendt?

Ja, gleich, ich freue mich darauf, ich würde nur gerne den einen Gedanken noch schnell zu Ende bringen. – Insofern würde ich ganz herzlich darum bitten, Ihr eigenes Menschenbild noch mal zu justieren und zu gucken, ob die Leute tatsächlich aus Geldgeilheit aus den Kirchen austreten oder ob nicht das, was Herr Lauer zu Recht gesagt hat, eher eine Ursache der derzeitigen Misere ist.

Fakt ist aber auch, dass es nicht unsere Aufgabe ist, die anhaltenden Kirchenaustritte im Land Berlin mit zu subventionieren. Insofern muss es dafür auch eine Antwort geben, zumal natürlich jeder Euro, den wir nicht einnehmen oder den wir zusätzlich ausgeben für Dinge, die uns letztendlich nicht weiterbringen, an anderer Stelle fehlt. Wir sind direkt vor den Haushaltsberatungen, insofern können wir den einen oder andern Euro, den wir nicht zusätzlich für die anfallenden Verwaltungsgebühren, für die anfallenden Verwaltungsaufgaben ausgeben, sinnvoll und richtig für andere Dinge einsetzen. Auch das ist sicherlich ein Argument.

Wir sollten uns in aller Ruhe und ohne Schaum vor dem Mund miteinander über die Frage des Wie und Ob und Wo unterhalten. Es gibt da auch keinen immensen Zeitdruck, insofern sollten wir nach einer sinnvollen Lösung suchen, die dazu führt, dass mit den Dingen, die dort geregelt worden sind, genau dieses Ziel auch erreicht wird und gleichzeitig bestimmte Dinge, die nicht beabsichtigt sind, ein Stück weit im Vorfeld mit abgeräumt werden können. Ich bin hoffnungsvoll, dass vielleicht

auch die anderen Fraktionen ohne Wahlkampf-Trara eine sachliche Debatte führen wollen. – Herr Behrendt, bitte schön!

Herr Kollege! Sind Sie mit mir der Meinung, dass wir vielleicht auf den Senat einwirken sollten, dass man über eine Gebühr für den Eintritt genauso nachdenken sollte – das Äquivalent zum Austritt ist ja der Eintritt –, man also für den Kircheneintritt 30 Euro verlangt und für den Austritt auch? Dann wäre das Ganze doch eine runde Sache.

[Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Im Augenblick sind wir in der Situation, dass wir uns nicht unbedingt vor massenhaften Kircheneintritten fürchten müssen, die die Ämter lahmlegen, sondern es ist, glaube ich, eher das Gegenteil der Fall. Insofern ist das eine sehr hypothetische Frage, die für eine philosophische Diskussion sicherlich sehr interessant ist, uns aber nicht wirklich weiterbringt. – Herr Lauer, bitte! Ach so, Entschuldigung! Es tut mir leid.

Das Wort erteile immer noch ich, Kollege Lauer, bei aller Berechtigung, und jetzt erteile ich es Ihnen auch überraschend. – Bitte!

Es kann vielleicht am Selbstverständnis von Menschen im Hauptausschuss in diesem Haus liegen – das ist nur so eine Vermutung. Aber, Herr Verrycken, ist Ihnen bekannt, dass die Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, die dann ja die Kirchenzugehörigkeit bei den Ämtern anmelden, da von Verwaltungsgebühren befreit sind?

Ja, ich denke, das sind genau die Dinge, die wir in den Ausschüssen auch diskutieren sollten. Die Frage ist, wie das tatsächlich korrekt organisiert wird, dass wir am Ende eben nicht 50 Extrageschichten irgendwie noch rantackern müssen an die bestehenden rechtlichen Regelungen, die wir haben, sondern das sind exakt eben auch die Fragen, die wir auch in der nächsten Zeit diskutieren müssen.

Insofern schließe ich auf jeden Fall mit den Worten, dass ich hoffe, dass wir eine produktive Diskussion haben. – Das rote Licht blinkt auch langsam bei mir. – Ich freue mich insbesondere natürlich auf die Diskussion im Hauptausschuss zu der Frage. Und ich freue mich auf jeden Fall, dass wir da die Frage vielleicht ein Stück weit

abgerüsteter diskutieren, und bin sehr gespannt, wie sich die anderen beiden Oppositionsparteien zu dem Antrag verhalten, genauso wie Herr Lauer oder komplett anders. – Herzlichen Dank!

Danke schön, Herr Kollege Verrycken! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Dr. Kahlefeld, Sie haben das Wort. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Senat beweist mit dem vorgelegten Gesetz, den Austritt aus der katholischen und evangelischen Kirche gebührenpflichtig zu machen, einen gesunden Geschäftssinn. Wenn die Nachfrage nach einem Produkt steigt, kann man den Preis erhöhen. In diesem Fall ist es so, dass die Kirchenaustritte zunehmen, mit guten Gründen, und der Senat eine Einnahmequelle entdeckt hat. Da auf der Ausgabenseite aber leider Flughäfen und Autobahnstummel stehen, der ökonomische Verstand also leider nicht gleichmäßig verteilt ist, wird uns auch diese Gebühr nicht retten.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Für die Bürgerinnen und Bürger ist es ärgerlich, wenn eine neue Verwaltungsgebühr eingeführt wird, wenn man also plötzlich für etwas bezahlen muss, was vorher kostenlos war. Wir halten es jedoch für angemessen, dass für die Dienstleistungen, die die Amtsgerichte erbringen, künftig gezahlt wird. Über die Höhe der Gebühr und ob sie angemessen ist, werden wir im Ausschuss noch zu diskutieren haben. Fünf Bundesländer verlangen ebenfalls 30 Euro. Sieben Bundesländer können die Leistung zum Teil erheblich günstiger anbieten. Da hier die Verhältnismäßigkeit zwischen Verwaltungsaufwand und nutzen der Amtshandlung für den Empfänger, die Empfängerin geboten ist, werden wir noch mal genau draufschauen.

Aus religionspolitischer Sicht ist zu sagen: Nein! Eine Gebühr wird niemanden abhalten, aus der evangelischen oder katholischen Amtskirche auszutreten, egal ob man aus Überzeugung austritt oder die Kirchensteuer nicht mehr bezahlen will. Sowohl der ideelle Wert, aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts auszutreten, als auch die künftige Ersparnis der Kirchensteuer sind den Austretenden mehr wert als eine angemessene Verwaltungsgebühr.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an Heinrich Böll erinnern, der in den Siebzigerjahren für den, wie er es nannte, modifizierten Austritt plädiert hat. Nach der bitteren Erfahrung, dass die Amtskirche – in Bölls Fall war das die katholische Amtskirche – den Widerstand gegen die Nazis im Stich gelassen und die Kooperation vorgezogen hat, war es für ihn unmöglich, Mitglied dieser

Organisation zu bleiben, zumal die Kumpanei der Kirchenfunktionäre mit den Diktatoren, z. B. im katholischen Südamerika, munter weiterging.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Aus der Weltgemeinschaft der katholisch Gläubigen ist er aber niemals ausgetreten, denn der Glaube und die Wärme dieser Gemeinschaft hatten ihn den Krieg und das Grauen überleben lassen. Gebühren, darüber hätte er nicht mal nachgedacht.

Noch ein anderer Punkt: Über mögliche Gebühren für Dienstleistungen, die die Kirchen erheben würden, wenn es die Staatsverträge nicht mehr gäbe, wenn die katholische und evangelische Kirche sich also finanzieren und organisieren würden, wie die Freikirchen und die Moscheegemeinden es derzeit schon tun, können wir nur spekulieren. Auch wenn wir als Bündnis 90/Die Grünen die Trennung von Kirche und Staat befürworten, würde das in diesem Fall nicht unbedingt zu einem anderen Ergebnis führen.

Über die Höhe der Gebühr werden wir in den Ausschüssen noch diskutieren müssen. Es hätte einen mehr als schlechten Beigeschmack, wenn der Senat aus den Gründen, die die Menschen derzeit vermehrt zum Kirchenaustritt bewegen, mangelhafte Aufklärung des sexuellen Missbrauchs, das kirchliche Arbeitsrecht, Rehabilitierung von Holocaustgegnern durch den Papst, einen finanziellen Gewinn erwirtschaften würde. Die Gebühr muss dem Aufwand angemessen sein, und sie darf niemandem den Austritt unmöglich machen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Danke sehr, Frau Dr. Kahlefeld! – Für die Fraktion der CDU hat das Wort der Kollege Schlede. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich plädiere mal dafür, dass wir die Kirche im Dorf lassen.

[Beifall bei der LINKEN – Zurufe von den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich freue mich ja über Ihre lebhafte Unterstützung. Ich helfe Ihnen gern bei der Interpretation meiner Aussage.

[Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt – ich komme auf den Punkt –, dass die Höhe der Gebühr absolut angemessen ist, und eine Erhebung einer Gebühr von 30 Euro in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008 für verfassungsgemäß erklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat

sich in dem Urteil von 2008 auch mit der Frage beschäftigt, ob eventuell jemand durch die Gebühr vom Kirchenaustritt abgehalten werden könnte oder würde, und hat darauf – ich zitiere – Folgendes gesagt:

Angesichts der noch als gering anzusehenden Höhe der Gebühr kann auch ausgeschlossen werden, dass von ihr eine nicht gewollte, objektiv verhaltenslenkende Wirkung ausgeht …

So viel zu Ihren Argumenten, Schweinereien in der Kirche beispielsweise, oder zur Frage, wie sich die Kirche zum Nationalsozialismus verhalten hat, oder zur Frage, wie sie sich beispielsweise darstellt oder verhält in der Frage des Missbrauchs. Das sind gar nicht die Fragen, die hier im Raum stehen.

Hier geht es um eine ganz einfache Einnahme, und zwar im Rahmen der Verwaltungspraxis. Für jeden Verwaltungsakt, der vorgenommen wird, wird in der Regel eine Gebühr genommen. Denken Sie doch einfach mal an den Führerschein! Denken Sie an eine Erneuerung des Ausweises und Ähnliches mehr! Nicht mehr und nicht weniger! Und warum sollte, da 13 von 16 Bundesländern entsprechende Gebühren erheben, ausgerechnet das klamme Land Berlin sich dieser Einnahme sozusagen entziehen. Da stehe ich völlig auf Ihrer Seite, Frau Dr. Kahlefeld. Es ist die Frage, die eigentlich vom Hauptausschuss ganz positiv gesehen wird, dass eine Einnahmequelle erschlossen wird, die bisher offensichtlich, nicht recht wissend warum, nicht erschlossen worden ist.

Kollege Schlede! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lauer?

Aber selbstverständlich, Herr Lauer!

Bitte, Herr Kollege Lauer!

Herr Schlede! Eine Verständnisfrage hätte ich: Wie kommen Sie vor dem Hintergrund, dass man bei der Erhebung der Praxisgebühr von 10 Euro festgestellt hat, dass gerade sozial schwächere Menschen, Menschen mit einem geringen Einkommen, durch diese 10 Euro nicht mehr so häufig zum Arzt gehen wie in dem Fall, als es diese Praxisgebühr nicht gab, zu der Aussage, dass es Menschen nicht abhalten würde, aus der Kirche auszutreten, bei einer Gebühr von – so wie geplant – 30 Euro?

Sehr verehrter Herr Lauer! Mir erschließt sich nicht die Logik Ihrer Nachfrage, nachdem ich Ihnen erklärt habe, dass das Bundesverfassungsgericht – und ich glaube, das hat die Bedenken, die Sie hier einstreuen wollen, mit in seine Betrachtung einbezogen – dieses ganz eindeutig als so unerheblich bezeichnet, dass deswegen von einer verhaltenslenkenden Wirkung nicht die Rede sein kann. Das Gleiche würde beispielsweise für die Praxisgebühr der Fall gewesen sein. Eine verhaltenslenkende Wirkung kann von ihr nicht ausgegangen sein. Ich sehe jedenfalls beim vorliegenden Thema die Frage als eindeutig geklärt seitens des Verfassungsgerichts.

Nun noch mal zur Frage der Gebühr an sich. Soweit mir bekannt ist, ist die Religionsmündigkeit bereits mit 14 Jahren gegeben und nicht mit 16 Jahren. Da kann man sich beispielsweise über die Eltern vom Religionsunterricht abmelden lassen. Wenn damit beispielsweise ein Kirchenaustritt verbunden ist, für den dann die Eltern haften müssten, kann ich vom Verfahren her nicht beurteilen, entzieht sich meiner Rechtskenntnis. Im Zweifelsfall müssten sie dieses als Erziehungsberechtigte tun, denke ich, aber über diese Fragen ist im Einzelfall, evtl. auch nach dem Beispiel anderer Bundesländer zu diskutieren. Alles andere ist ansonsten für mich ausdrücklich klar: eine Verwaltungsgebühr, die das Land aufgrund seiner Haushaltsnotwendigkeiten gut und gern erheben kann und auch erheben sollte. – Danke!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege Brauer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Also, Herr Schlede, eine Kirchenmitgliedschaft mit einem Führerscheinerwerb zu vergleichen, das würde mir nie in den Sinn kommen. – Pardon! –

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]