Protocol of the Session on November 24, 2011

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das erste wirtschaftspolitische Thema, das wir in der neuen Legislaturperiode hier im Plenum behandeln, ist wieder einmal das Vergaberecht. In der vergangenen Wahlperiode stand dieses Thema häufig auf der Tagesordnung. Es kam zu einer Novellierung des damaligen Vergabegesetzes im Frühjahr 2008, die aber schon wenige Wochen später durch das sogenannte Rüffert-Urteil des Europäischen Gerichtshofs de facto ausgesetzt werden musste. Mit dem neuen Ausschreibungs- und Vergabegesetz haben wir jedoch im Jahr 2010 den Mindestlohn und weitere wichtige Kriterien bei der Auftragsvergabe rechtssicher verankert.

Da zahlreiche Abgeordnete neu im Parlament sind und vielleicht die schon ritualisierten Schlagabtausche zu diesem Thema noch nicht verinnerlicht haben, lohnt es, die wesentlichen Punkte, um die es bei der öffentlichen Auftragsvergabe geht, noch einmal kurz zu skizzieren.

[Heiterkeit bei den PIRATEN – Fabio Reinhardt (PIRATEN): Danke!]

Erstens: Das Land Berlin, die Bezirke und die Unternehmen mit Landesbeteiligung vergeben Aufträge nicht als

Selbstzweck, sondern um Güter und Dienstleistungen zu erlangen, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben im öffentlichen Interesse benötigen.

[Martin Delius (PIRATEN): Ach!]

Zweitens: Hierbei generiert die öffentliche Hand ein Beschaffungsvolumen von 4 bis 5 Milliarden Euro jährlich, das einen durchaus bedeutsamen Wirtschaftsfaktor für die Region darstellt.

[Martin Delius (PIRATEN): Aha!]

Drittens: Es liegt im Interesse unserer Wirtschaftspolitik, dass insbesondere mittelständische Unternehmen in Berlin, die für die Zahl der Arbeits- und Ausbildungsplätze unserer Stadt eine entscheidende Rolle spielen, von diesem Beschaffungsvolumen profitieren.

Viertens: Die öffentliche Hand hat bei der Auftragsvergabe eine Vorbildfunktion und kann ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um soziale, ökologische und andere Gemeinwohlinteressen im Zuge der Leistungserbringung sicherzustellen.

Gerade die beiden letztgenannten Punkte stehen natürlich in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander. Um die Hürden für ein mittelständisches Unternehmen, sich an öffentlichen Ausschreibungen zu beteiligen, nicht zu hoch werden zu lassen, brauchen wir ein möglichst einfaches Vergaberecht. Zur Gewährleistung wichtiger Kriterien und eines transparenten Verfahrens bei ihrer Anwendung sind aber schon einige Regularien erforderlich. Im Ausschreibungs- und Vergabegesetz vom Sommer 2010 haben wir diese Gratwanderung, so meine ich, ganz gut bewerkstelligt, was natürlich nicht heißt, dass das Gesetz ein für allemal in Stein gemeißelt ist und keiner Anpassung bedarf. Beispielsweise haben wir bei der Höhe des Mindestlohns die mögliche Anpassung an veränderte wirtschaftliche und soziale Gegebenheiten bereits explizit im Gesetz geregelt. Es nimmt daher nicht wunder, wenn die Linksfraktion bereits in ihren ersten Anträgen als Oppositionspartei das Thema Vergabe aufgreift und Gesetzesänderungen vorschlägt – mit dem bisherigen Wirtschaftssenator als einem der Unterzeichner.

[Dr. Manuela Schmidt (LINKE): Er hat es ja auch gut vorbereitet! – Martina Michels (LINKE): Er war es, nicht die SPD!]

Wie ein Blick in die Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU zeigt, ist allerdings auch die neue Koalition auf diesem Gebiet nicht untätig. Da stehen überhaupt viele gute Sachen drin.

[Uwe Doering (LINKE): Ah, ja!]

Ich trage ja schon die rot-schwarze Koalitionskrawatte, so witzelte heute Morgen ein Kollege.

[Uwe Doering (LINKE): Mit einem dezenten Hellblau!]

Aber das stimmt ja nicht. Erstens ist es nicht schwarz, sondern anthrazit, und zweitens wäre die Farbverteilung auch nicht ganz richtig getroffen.

Die Partei, die das Vergabegesetz seinerzeit abschaffen wollte, weil sie dachte, der Markt regele alles, weilt deshalb aus gutem Grunde nicht mehr unter uns.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Richtig, da sitzen jetzt andere! – Würde der Markt nämlich alles zum Wohle der Menschen regeln, brauchten wir in der Tat keinen Mindestlohn im Vergabegesetz. Aber Niedriglöhne und auch Tariflöhne, die Niedriglöhne sind, sind leider die Realität – dass also Vollzeitarbeit nicht zum Leben reicht. Deshalb haben wir das aus gutem Grund in das Vergabegesetz hineingeschrieben.

Auch die CDU ist ins Umdenken gekommen. Die Bundesregierung braucht da noch etwas Zeit, aber wir haben hier mit der Berliner CDU die Forderung, dass diese 8,50 Euro in das Vergabegesetz aufgenommen werden sollen, in die Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben. Dass dabei die Sozialpartner gehört werden sollen, ist sicherlich richtig.

Auch bei den anderen Kriterien hat die CDU deutlich ihre Meinung geändert. Das dumme Wort von den „vergabefremden Kriterien“ führt sie nicht mehr im Munde. Dass das Gesetz, wie gesagt, insgesamt weiterentwickelt werden soll, entsprach auch schon der ursprünglichen Intention, die wir damals noch mit der Linksfraktion hineingeschrieben haben. Der Vergabebericht, der in anderen Ländern praktiziert wird, ist sicherlich auch für Berlin keine schlechte Idee.

Die von der Linkspartei angesprochenen Fragen der Kontrollkommission und der Struktur der Vergabestellen hat auch die Koalition auf dem Schirm, wie man auf Seite 7 der Koalitionsvereinbarung nachlesen kann. Wir werden die Anträge der Linksfraktion selbstverständlich im Wirtschaftsausschuss diskutieren, sobald sich dieser konstituiert hat. Herr Wolf! Ob nun eine gesetzlich verankerte Mindestpersonalstärke der Kontrollgruppe eine gute Idee ist, um deren Arbeitsfähigkeit zu garantieren und eine „stärkere Gesetzesbeachtung zu erreichen“, wie es in Ihrer Begründung heißt, möchte ich mal dahingestellt sein lassen. Das scheint mir doch sehr von planwirtschaftlichem Denken geprägt zu sein.

[Zuruf von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Aber ich freue mich, wenn wir im Ausschuss dieses Gesetz diskutieren werden. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Für die Grünen hat nun Kollege Esser das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 8,50 Euro Mindestlohn im Vergabegesetz halten wir für richtig, werden wir unterstützen, und ich stimme dem zu: Dass wir das überhaupt müssen und uns dann hier kleinlich über das Vergabegesetz streiten, liegt natürlich daran, dass es bisher nicht gelungen ist, bundesweit die Frage einer Lohnuntergrenze zu regeln. Im Blick auf die Kolleginnen und Kollegen der CDU kann ich sagen: Wenn Sie Lohnuntergrenzen suchen und einmal in die einschlägigen Tarifverträge schauen, die Ausreißer nach unten und oben einmal wegnehmen, und schauen, wo die Mindestlöhne liegen, dann ist durchaus alles im Bereich zwischen 8 Euro und 10 Euro berechtigt. Insofern dulden diese 8,50 Euro in unserem Vergabegesetz keinen Aufschub. Ansonsten rennt noch die Zeit davon, und dann müssen wir andere Beträge einsetzen.

Zu sagen, es sei Planwirtschaft, dass eine Kontrollgruppe eingerichtet wird, Herr Jahnke, kann ich überhaupt nicht verstehen. Wir haben immer wieder – auch an Ihrem alten Gesetz – kritisiert, dass man viel reinschreiben kann, aber keiner kontrolliert es. Das entspricht den Tatsachen und Tatbeständen. Frau Matuschek wird sich ähnlich wie ich zum Beispiel daran erinnern, dass wir vor Jahr und Tag im Vermögensausschuss einmal die CFM als Tochtergesellschaft der Charité beim Wickel hatten und erschrocken darüber waren, was sich dort bei verschiedenen Berufsgruppen alles abgebildet hatte. Dass man heute, wenn man auf das Gelände der Charité geht, streikende Kolleginnen und Kollegen der CFM sieht, ist kein Wunder. Es ist Ihnen in all den Jahren gar nicht gelungen, diese Vergaberegeln in der Verwaltung und erst recht nicht bei Unternehmen des Landes Berlin dahin gehend durchzusetzen, dass sie auch eingehalten werden.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das stimmt nicht, Herr Esser!]

Da kann man jetzt nur hoffen, dass sich diese Zeiten in Zukunft ändern werden.

Schwierig finde ich an dem Antrag – den kann man praktisch schlüsselfertig aus der Gewerkschaftsschublade ziehen, deshalb ist er auch so schnell da –, dass er sehr begrenzt ist. Es stehen in der Frage des Vergaberechts – Frau Matuschek, das müssten Sie auch wissen – auch noch andere Dinge an. Ich verstehe ja, Ihre Partei ist ja ein Restbestand einer Abspaltung von der Sozialdemokratie von 1918

[Heiterkeit – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Zurufe]

und um das soziale Anliegen zentriert, aber auch das sollte Sie doch eigentlich nicht daran hindern, mit uns zusammen über den Tellerrand zu gucken. – Werte Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie! Ihr seid da ja auch nicht besser. – Das beginnt damit, dass man auch in der Frage der Beschaffungen nicht ignorieren kann, dass zurzeit das größte Problem und die größte Herausforderung vor der die Menschheit steht, die ökologische Frage ist.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir stehen vor einer Situation, wo jeder weiß, dass der Lebensstil und die Produktionsweise, die wir haben, vielleicht für eine Minderheit in der Welt gangbar ist, aber nicht – das ist auch eine soziale Frage – für die Menschheit als ganze. Diese Dinge müssen sich ändern. Wie ändert man das?

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wir wollen jetzt bei 8,50 Euro anfangen und nicht in der ganzen Welt!]

Das ändert man nur vor Ort an jeder einzelnen Stelle, und deswegen stimme ich gern Ihren 8,50 Euro zu, Herr Albers, möchte aber einmal von Ihnen erleben, dass die ökologische Ausrichtung – die ist in diesem Vergabegesetz schwach ausgeprägt – geschärft wird. Ich wüsste gern – Sie haben das in eine Rechtsverordnung geschoben –, wo diese Rechtsverordnung eigentlich geblieben ist. Frau Lompscher hätte das machen müssen. Die liegt uns bis heute hier im Abgeordnetenhaus nicht vor.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie haben an dieser Stelle das Gesetz in den vergangenen Jahren nicht umgesetzt.

[Hä? – von der LINKEN – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wieso denn?]

Ich erwarte von der neuen Koalition, dass sie das nachholt, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie Ihre Haltung in der Frage ändern, meine Damen und Herren von der Linkspartei.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Herr Esser, wieso denn?]

Der dritte Punkt ist – das wissen wir alle –: Wir müssen die Korruptionsfrage hier verhandeln. Wir müssen hier verhandeln, wie Vergaben unterhalb der europäischen Schwellenwerte, da, wo das EU-Recht und das Gesetz zur Wettbewerbsbeschränkung nicht greifen, geregelt werden. Dazu hatten wir Ihnen auch hier einen Vorschlag gemacht, den Rot-Rot abgelehnt hat. Auch dies ist eine Sache, die man unbedingt im Vergaberecht ändern muss.

Wir werden dem Gesetz, so, wie Sie es vorlegen, zustimmen, aber ich fordere umgekehrt auf, falls wir hier in der Opposition etwas gemeinsam machen wollen: Gucken Sie über den Tellerrand, und lassen Sie uns dieses Haus dafür gewinnen, dass sich neben Mindestlohn auch die Aspekte ökologischer Beschaffungskriterien und Korruptionsfestigkeit im Vergaberecht ändert.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ansonsten greifen Sie mit Ihrem Ansatz auf immer nur diesen einen einzigen Punkt, Herr Albers, entschieden zu kurz.

Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Abgeordneter!

Da sind wir anders aufgestellt. Da unterscheiden wir uns von Ihnen.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Nur in der Lautstärke!)]