Protocol of the Session on March 7, 2013

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Bei all diesen Menschen möchte ich mich heute bedanken. Ihr habt es möglich gemacht, die Abrissarbeiten zu stoppen, und ihr zwingt uns alle hier, uns heute noch mal neu mit diesem Thema zu beschäftigen. Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Dieser Protest bestätigt auch Willy Brandt, der bereits 1989, nur einen Tag nach dem Fall der Mauer, mahnte, man müsse auch in dieser Stunde über den Tag hinausdenken. Als hätte er geahnt, wie auch heute noch der Umgang mit der Mauer die Gemüter erhitzen würde,

[Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]

mahnte er damals vor dem Rathaus Schöneberg,

ein Stück von jenem scheußlichen Bauwerk … als Erinnerung an ein geschichtliches Monstrum stehen (zu) lassen. So wie wir seinerzeit nach heftigen Diskussionen in unserer Stadt uns bewusst dafür entschieden haben, die Ruine der Gedächtniskirche stehen zu lassen.

1989 riefen die Menschen vereint in friedlichem Protest: „Die Mauer muss weg!“ Damit auch künftige Generationen nachvollziehen können, wogegen sich die Menschen damals erfolgreich wehrten, muss dieses Stück Mauer als Mahnmal unbeschädigt bleiben;

[Zuruf von Sven Rissmann (CDU)]

denn das Besondere an der East-Side-Gallery ist im Vergleich zu allen anderen Mauerteilen in Berlin, dass wir hier das längste zusammenhängende Stück Mauer auf 1,3 km Länge bewahren konnten. Und nur wenn man sie in einem Stück erhält, wird die Monstrosität dieses Bauwerks und damit die deutsche Teilungsgeschichte auch wirklich sichtbar. Nur so bleibt sie ein einzigartiger Ort, der einen unverzichtbaren Beitrag zu der Auseinandersetzung mit der Geschichte Berlins als geteilter Stadt darstellt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Künstler aus aller Welt kamen 1989 nach Berlin und bemalten die East-Side-Gallery. Diese Kunstwerke sind weltweit zum Symbol für Freiheit und Demokratie geworden, und darauf können wir stolz sein.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

80 Prozent der Touristen, die nach Berlin kommen, kommen wegen unserer Geschichte, und fast alle BerlinBesucher, aber auch viele Berlinerinnen und Berliner stellen die Frage: Wo stand hier eigentlich die Mauer? Jährlich besuchen über 800 000 Menschen die East-SideGallery. In den letzten Jahren kamen Millionen – einige nur für den schnellen Schnappschuss vor der Mauer, aber andere, um wirklich etwas zu lernen. Sie kommen alle und bringen Geld nach Berlin. Sie gehen und nehmen

Hoffnung und Inspiration mit nach Hause. Die East-SideGallery ist damit nicht nur ein Ort von gesamtstädtischer Bedeutung, nein, sie ist ein Ort von internationaler Bedeutung.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Lassen Sie uns deshalb dafür Sorge tragen, dass die EastSide-Gallery auch künftig ein Ort der Hoffnung bleibt – auch für die Menschen in Israel, in Mexiko oder in Korea.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Dass sich das Engagement Einzelner auszahlt, zeigt auch das Beispiel der ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Michaele Schreyer, die sich 1990 über den Zeitgeist hinwegsetzte und damals das Stück Mauer in der Niederkirchnerstraße unter Denkmalschutz stellte. Damals wurde auch sie heftig angefeindet, und es hieß, die Grünen sind verrückt, die wollen die Mauer wieder aufbauen. Heute sind wir ihr alle dankbar, dass die authentischen Mauerreste direkt vor der Tür des Abgeordnetenhauses stehen. Deshalb sollte „Aus der Geschichte lernen“ das Motto der heutigen Sitzung sein.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE) und Philipp Magalski (PIRATEN)]

Der Umgang mit der Mauer und ihren Überresten ist wahrlich kein Ruhmesblatt für diese Stadt. Erst 2001 gelang es uns im gemeinsamen rot-grünen Übergangssenat, durch das Mauerschutzkonzept die noch nicht vernichteten Mauerreste in Berlin unter Denkmalschutz zu stellen. Es sollte aber noch weitere fünf Jahre dauern und viel öffentlichen und politischen Druck kosten, bis der Senat im Jahr 2006 endlich ein Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer beschloss. Denn die Parole der Zeit war, „Die Mauer muss weg“ – als könnte man die Geschichte einfach so ausradieren. Aber es gab damals wie heute ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement, das sich beispielsweise für den Erhalt der Wachtürme hier vor dem Abgeordnetenhaus einsetzte. Hätte man den Umgang der Mauerreste damals wie heute einzig der Politik überlassen – wir hätten keine mehr.

Das beste Beispiel für dieses Engagement ist die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße. Der Senat wollte dort eine sechsspurige Schnellstraße bauen. Nur durch massiven Bürgerprotest – Pfarrer Manfred Fischer sei Dank – wurde das verhindert. Erst dies sicherte die Bernauer Straße als Gedenk-, Informations- und Mahnort. Das Projekt Bernauer Straße war und ist wahrlich kein einfacher Prozess, aber ein Prozess, der sich lohnt. Denn Menschen aus aller Welt strömen zur Gedenkstätte, um sich ein Bild von der ehemaligen Grenzanlage zu machen und der Opfer der Teilung zu gedenken.

Die East-Side-Gallery ist ein Ort mit einer anderen Funktion als die Bernauer Straße. Sie ist mit ihrer Bemalung ein Dokument der Wende und damit auch der Freude über den Fall der Mauer. Gleichzeitig macht sie durch ihre Länge visuell erlebbar, wie das Bollwerk aussah, das DDR-Bürger einsperrte und für dessen Überwindung Flüchtlinge ihr Leben riskierten und zum Teil auch in der Spree lassen mussten. Deshalb ist es einmal mehr wichtig, sich auch daran zu erinnern, dass der Uferstreifen zwischen Hinterlandmauer und Wasser, also Spree, der Todesstreifen war. Mehr als 120 Menschen mussten dort ihr Leben lassen. Ich finde, dass wir es den Opfern der deutsch-deutschen Teilung schuldig sind, dieses Areal nicht als x-beliebiges Bauland und Investitionsobjekt zu behandeln.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Genau deshalb ist eine Bebauung – egal welcher Art – der Würde dieses Ortes nicht angemessen.

Wir sind heute zusammengekommen, um über Rettungsmöglichkeiten für dieses Mahnmal zu sprechen. Ich meine, was an der Bernauer Straße möglich war – auch dort gab es bereits geltendes Baurecht –, das muss auch an der East-Side-Gallery gelingen, wo sich ebenfalls mutige Berliner den Baggern in den Weg gestellt haben. Es ist bereits spät, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber nicht zu spät.

Stellen wir doch heute alle miteinander einmal selbstkritisch fest: Wir alle haben Fehler gemacht, und wir alle haben zu spät die Bedeutung der Mauer an diesem Ort erkannt. Aber wir sind uns heute glücklicherweise alle darin einig, dass wir die East-Side-Gallery in ihrer heutigen Form in Gänze erhalten wollen.

Wenn man aber wirklich die East-Side-Gallery in ihrer gesamten Wirkung als Bauwerk erhalten möchte, dann heißt das: keine Entfernung weiterer Mauersegmente und keine Bebauung an diesem historischen Ort.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Das geht nur, indem man die Mauer und das Gelände vor und hinter ihr für die Öffentlichkeit erhält, begehbar, erlebbar und als authentisches Zeitzeugnis, genau wie es an der Bernauer Straße gelungen ist. Hält man aber wie der Regierende Bürgermeister an den Bauprojekten auf dem Todesstreifen fest, dann ist die weitere Zerstückelung der Mauer vorprogrammiert, denn nach deutschem Recht hat jeder Grundstückseigentümer einen Anspruch auf Erschließung, für die Feuerwehr, die Müllabfuhr oder für die Anlieger.

Genau darauf besteht auch einer der beiden Grundstückseigentümer hier in diesem Fall, selbst vor Gericht. Es wundert mich deshalb auch nicht, dass uns heute ein

Verhandlungsergebnis präsentiert wird, das eine weitere Entnahme von Mauersegmenten beinhaltet. Denn selbst wenn man bereits bestehende Durchbrüche einfach nur verdoppelt, dann sind das trotzdem neue Durchbrüche.

Den Erhalt der East-Side-Gallery in ihrer jetzigen Gestalt, so wie es über 70 000 Menschen fordern, gibt es nur ganz oder gar nicht. Deshalb plädieren wir dafür, dass die Flächen rund um die East-Side-Gallery unbebaut bleiben und die Bauvorhaben an anderer Stelle, beispielsweise an der Spree, errichtet werden.

[Beifall bei den GRÜNEN – Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

Niemand in diesem Saal will Investitionen in der Stadt verhindern. Die Stadt soll wachsen, aber nicht auf dem Todesstreifen und auf Kosten ihrer Geschichte. Ausgerechnet ein prominenter Sozialdemokrat hat das erkannt und auf den Punkt gebracht – ich zitiere –:

Ich habe die Mauer wachsen sehen, ich habe die Mauer fallen sehen, ich habe sie gehasst, aber heute will ich, dass sie da stehen bleibt, wo sie steht. Baut anders oder kauft die Grundstücke zurück!

Herr Wowereit! Heinz Buschkowsky hat bestimmt nicht häufig recht, aber in diesem Punkt hat er es. Hören Sie auf ihn!

[Oh! von der SPD und den PIRATEN]

Und vor allem: Hören Sie auf die vielen Menschen in dieser Stadt! Die wollen die East-Side-Gallery, so wie sie heute da steht, und keine weiteren Lücken. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Frau Kapek! – Zu einer Kurzintervention hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Schneider. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck gewonnen, im falschen Film zu sein. Sie benutzen die East-Side-Gallery als Vehikel für Ihre Investitionsverhinderungspolitik in dieser Stadt!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN) und Heiko Herberg (PIRATEN)]

Und es ist schon bemerkenswert, wie wenig Sie hier über Verantwortung gesprochen haben, nachdem Sie uns ein Jahr lang mit Ihrer Neudefinition von Verantwortung belästigt haben. Der Regierende Bürgermeister ist für jedes Eichhörnchen auf einem Flughafen in Brandenburg verantwortlich, aber Sie haben sich zu Ihrer Verantwortung mitnichten bekannt. – Das stelle ich hier mal fest.

[Zuruf von Michael Schäfer (GRÜNE]

Ja, das können wir gern mal in Relation setzen, Herr Kollege Schäfer. Wenn man das, was Sie hier vorhaben und dem Haus vorschlagen, womit Sie völlig allein stehen – die beiden anderen Oppositionsfraktionen haben genau das nicht mitgemacht –, womit sie völlig isoliert sind, auf die Flughafenverhältnisse umrechnet, dann kommen Sie prozentual in eine Dimension, die das, was wir am Flughafen vorfinden, weit überschreitet, zumal diese 100 Millionen am Flughafen alle beklagt sind.

[Lachen bei den Grünen]

Ich hätte mir auch gewünscht, dass Sie zu Ihrer Kommunikation hier mal Stellung nehmen, denn das, was heute noch auf Ihrer Homepage zu lesen ist, ist eine Ungeheuerlichkeit. Da steht tatsächlich, von der Fraktionsvorsitzenden niedergeschrieben: Die SPD hat 1992 dieses Grundstück vertickert, verkauft oder veräußert – oder wie auch immer Sie das formuliert haben. Das ist unzutreffend! Es handelt sich hier um einen Restitutionsfall nach dem Bundesvermögensgesetz durch das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen.

[Andreas Gram (CDU): Aha!]

Hier sind also nach 1933 verfolgungsbedingt enteignete jüdische Vermögenswerte rückübertragen worden. Nichts ist von der SPD, nichts ist vom Bundesland Berlin vertickert worden, werte Frau Kapek. Das ist eine Frechheit!

[Beifall bei der SPD und der CDU]