Protocol of the Session on January 31, 2013

Der zweite mögliche Weg – das Gericht hat darauf hingewiesen –: Wenn ihr nicht bei dem bleiben wollt, was

ihr macht, passt doch an übliche Verfahren an, die wir kennen, die schon erprobt und durchgeklagt sind. – Demnach könnte eine weitere Variante die Entkopplung von Betrieb und Bestellung sein. Ich muss es noch einmal sagen – ich habe eben schon kurz darauf hingewiesen und Sie haben es an der Debatte gemerkt –: Dafür gibt es hier keine politische Mehrheit. Wir wollen diese Entkopplung nicht, wir wollen nicht, dass Finanzinvestoren eine Rolle spielen. Wir erleben doch gerade bei der Deutschen Bahn, was es heißt, wenn jemand im Bereich Mobilität auf Biegen und Brechen Gewinne machen will. Wir wollen nicht, dass die einen Fuß in die Tür bekommen und dass Finanzinvestoren kommen. Wir wollen diese Entkopplung nicht!

[Beifall bei der SPD]

Wir wollen sie auch aus anderen Gründen nicht. Ich habe ja schon gesagt, die Schnittstelle zwischen Betrieb und Bestellung soll geschlossen werden. Es ist Kompetenz vorhanden, die beim Anforderungsprofil für die Fahrzeuge von Anfang an in die Bestellung mit einfließen kann. Aus diesen Gründen sehen wir nicht, dass es ein gangbarer Weg ist, Betrieb und Bestellung zu trennen.

Diese Kompetenz spielt auch bei einem dritten möglichen Weg eine Rolle – Herr Wolf, Sie haben es angesprochen –, ein eigenes, ein kommunales Unternehmen. Das ist auch in der SPD-Fraktion klar beschlossen worden, ein Arbeitsauftrag an den Senat, den wir ernst nehmen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende hat völlig recht, es ist immer gut, auf zwei Beinen zu stehen, eine andere Variante zu haben. Insofern wird dieser Auftrag ernsthaft von der Verkehrs- und der Finanzverwaltung begleitet. Ein kommunales Unternehmen kommt nicht von irgendwo. Es muss aufgebaut werden, es kostet Geld, es beschäftigt also die Finanzverwaltung, auch den Finanzsenator aus seiner Rolle als Aufsichtsratvorsitzender der BVG heraus. Wir werden also auch die BVG beauftragen, einmal darzulegen, wie eine Variante bei der BVG oder einem landeseigenem Unternehmen – unter Einbeziehung der Kompetenzen der BVG – aussehen könnte. Personal, Investitionen, so etwas muss formuliert werden. Aber das werden wir auch in nächster Zeit haben.

Nur, auch an der Stelle muss man klar sagen: So etwas macht sich, wie gesagt, nicht von allein. Und auch da bewegen wir uns in einem Rechtsrahmen. Der übliche Vertragszeitraum zum Beispiel für kommunale Unternehmen, die eine Verkehrsleistung erbringen, ist nicht 15 Jahre, sondern zehn Jahre. Daraus ergibt sich auch schon wieder eine neue Schnittstelle, die man mitdenken muss, wenn man diesen Weg geht.

Die EU-Bekanntmachung ist ein weiterer Punkt, dass, selbst wenn wir uns heute alle einig werden, wir machen ab morgen das kommunale Unternehmen, es gar nicht geht, weil man mindestens ein Jahr Vorlauf hat durch die EU-Bekanntmachungs- und Vergabeverfahren, die auch bei einer Inhouselösung notwendig sind.

(Bürgermeister Michael Müller)

[Heiko Herberg (PIRATEN): Das ist doch ein Grund mehr, genau jetzt damit anzufangen!]

Deswegen will ich nur sagen: Es ist ein prüfenswerter Weg, eine gute zweite Option, die aber auch seriös durchgeprüft werden muss und nicht per se ein Selbstläufer ist.

Und vor diesem Hintergrund komme ich zu dem vierten möglichen Verfahrensweg, Verfahrensschritt, der nun durch das Gericht in Aussicht gestellt ist, und zwar indem man die Laufzeiten entsprechend anpasst, indem man wegkommt von dieser 30-Jahres-Garantie, was den Fahrzeugeinsatz anbelangt. Ein regulärer Verkehrsvertrag – ich habe schon darauf hingewiesen – endet also nach 15 Jahren. Dreh- und Angelpunkt ist daher die Frage, wie die Länder sicherstellen, dass die vom Betreiber neu beschafften Fahrzeuge dann auch in einem Folgevertrag weiterhin eingesetzt werden können. Dazu müssen die Fahrzeuge am Ende des Vertrages bewertet und an die Länder oder einen Folgebetreiber zu definierten Konditionen verkauft werden. Diese skizzierte verpflichtende Übergaberegelung ist erforderlich, damit nicht am Ende der Vertragslaufzeit oder auch nach einer außerordentlichen Kündigung – wir erleben es ja, es kann immer irgendwas passieren während der 15 Jahre – die Länder ohnmächtig dastehen und nur der ursprüngliche Erstbetreiber über einsatzfähige Fahrzeuge verfügt. Genau das wollen wir eben nicht. Positiv wirkt sich eine solche Übergangsregelung auch aus, indem sie die Kosten für die Übernahme der Fahrzeuge kalkulierbar macht – für die Länder, aber auch für den Betreiber, natürlich nur, wenn er auch entsprechend gute Leistungserfüllung sicherstellt. Dieses wird sich dann insgesamt positiv bei den Preisen der ersten Vertragsperiode bemerkbar machen.

Die Übergangsregelung braucht es aber auch, weil die Berliner S-Bahn eben keine Standardfahrzeuge hat, sondern Sonderanfertigungen, die nur hier fahren. Einen Marktpreis, so etwas wie einen Gebrauchswert, den ich irgendwo ablesen kann, gibt es nicht. Also muss diese Sondersituation auch zu Beginn einer Laufzeit, was die Übergabe anbelangt, verhandelt werden.

Daraus lässt sich ablesen, warum bei der Berechnung des Fahrzeugwerts vor allem die Laufzeit des Vertrags kritisch ist. Nach der Regelhöchstlaufzeit von 15 Jahren ist erst die Hälfte der wirtschaftlichen Nutzungsdauer erreicht; die Fahrzeuge haben noch einen relativ hohen Wert. Dieses kann schnell zu Streitigkeiten in der Bewertung führen und belastet entsprechend den Haushalt. Vorteilhafter wäre es möglicherweise – auch das prüfen wir innerhalb dieser vierten Variante –, wenn die Laufzeit des Vertrages bei 22,5 Jahren liegen würde. Da sagen manche: Wie kommst du jetzt darauf, ist das einfach nur der Zwischenweg zwischen den 30 und den 15 Jahren? – Nein, das Gericht selbst hat diese 22,5 Jahre thematisiert und hat gesagt: Auch das kann ein möglicher Schritt sein.

Durch die Verlängerung der Amortisationsphase auf 22,5 Jahre sinken die jährlichen zu bezahlenden Fahrzeugkapitalkosten. Der Wert der Fahrzeuge ist mit Ende des Vertrages niedriger zu bewerten, sodass auch kritische Fragen der Ausgestaltung von Bewertungskriterien an Relevanz verlieren. Es hat dazu jüngst auch erfolgreiche Vergaben gegeben mit dieser längeren Vertragslaufzeit. Man hätte in diesem Bereich wohl auch Sicherheit.

Das Kammergericht hat angekündigt, am 28. Februar über die Vorlage an den EuGH zu entscheiden. Der Senat wird die Zeit in Abstimmung mit dem Land Brandenburg intensiv nutzen, um eine Anpassung der laufenden Vergabe mit dem Ziel der Vermeidung einer EuGH-Vorlage im laufenden Verfahren zu erreichen. Wir haben in diesem Haus sehr oft alle miteinander über den richtigen Weg zur Beschaffung der Fahrzeuge diskutiert. Die bisher verfolgte Vergabekonzeption ist nicht leichtsinnig gestartet. Wir haben sehr wohl abgewogen: Was sind die Interessen des Landes, und wie kann man sie möglicherweise vertraglich umsetzen? Nach langen Erörterungen sind wir eben von den üblichen Regelungen abgewichen, um unsere Interessen zu sichern. Wir müssen nun zur Kenntnis nehmen, dass wir offensichtlich unser Verfahren anpassen müssen. Das werden wir auch tun, denn es geht uns darum, schnell und rechtssicher weiterhin die Beschaffung von neuen Fahrzeugen – das ist das A und O, die Beschaffung von neuen Fahrzeugen – unter weitestgehender Wahrung von Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsanforderungen sicherzustellen. Darum geht es, eine zügige Lösung für die S-Bahnkrise in Berlin zu finden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Senator Müller! – Wir treten jetzt in eine zweite Rederunde ein. Dazu liegt mir eine Wortmeldung vor. Das Wort hat der Abgeordnete Claus-Brunner für die Piratenfraktion. – Bitte sehr!

Ja, ich beginne mal. – Herr Senator Müller! Die Fahrzeugbeschaffung ist nur der Deckmantel für das Schlimmere, was sich darunter verbirgt, Sie wollen die S-Bahn zerschlagen und teilprivatisieren. Ich möchte Ihnen noch mal zu bedenken geben: Mobilität für jedermann ist Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge und ist ein strukturelles Monopol. Hier gibt es keinen Wettbewerb. Deswegen muss dieses der demokratischen Kontrolle unterliegen, und daraus folgt, dass das eine Anstalt öffentlichen Rechts oder ein landeseigener Betrieb sein muss.

Die Zuverlässigkeit der S-Bahn aktuell liegt unter anderem daran, dass die Zweckentfremdung der Regionalisierungsmittel stattfindet durch überhöhte Preise zwischen

Tochter S-Bahn Berlin GmbH und Mutterkonzern und anderen Töchtern des Mutterkonzerns Bahn AG. Die Gewinnorientierung der Bahn AG ist politisch gewollt, denn die DB AG, Herr Müller, ist zu 100 Prozent im Besitz der Bundesrepublik Deutschland, und da ist kein Privater drin.

Darf ich Sie kurz unterbrechen, Herr Abgeordneter? – Meine Damen und Herren! Der Lärmpegel ist gerade durchaus störend. Bitte verlagern Sie doch Ihre Gespräche nach draußen, wenn Sie zwingenderweise Nebengespräche führen müssen. – Bitte fahren Sie fort!

Herr Müller! Sie sprachen von einer Erpressungssituation durch einen Anbieter. In diese Erpressungssituation haben Sie sich im Prinzip selbst gebracht, indem Sie entsprechende Verträge abgeschlossen haben. Sie sprachen von läppischen Verträgen. Ich möchte sagen, dass der S-Bahnvertrag Land Berlin – S-Bahn Berlin GmbH auch dieses Prädikat verdient. Wollen Sie in Zukunft den neuen Vertrag so ähnlich umfangreich ausfallen lassen wie bei Toll-Collect mit 26 000 Seiten? Wer soll denn so ein Vertragswerk sinnvoll überprüfen und während der Vertragslaufzeit kontrollieren?

[Bürgermeister Michael Müller: Sie! Abgeordnete!]

Auch haben Sie außer Acht gelassen, dass ein Anbieter, den Sie von außen gewinnen, der sogenannte Drittanbieter, eine Infrastruktur zur Wartung und das nötige Personal braucht. Gerade bei Infrastruktur, sprich Werkstätten u. a., stellt sich die Eigentumsfrage, die wir auch bei einer Anstalt öffentlichen Rechts oder einem landeseigenen Betrieb stellen würden. Das heißt, um diese Frage kommen wir nicht herum und müssen eine Antwort finden. Deswegen verstehe ich Sie nicht, warum Sie nicht gleich auf die richtige Idee kommen und die stärkste Position des Landes Berlin wünschen, dass der Betrieb in kommunaler Hand ist. Da haben wir alles in unserer Hand, da haben wir die beste Position und müssen uns nicht durch irgendwelche Verträge gebunden Abstriche erlauben.

[Beifall bei den PIRATEN]

Die S-Bahn Berlin GmbH unter Ihren Gedanken zu Ende gesprochen würde für die Berliner S-Bahnkunden folgende Folgen haben: Der Fahrplan wird zerstückelt; es wird indirekt eine Fahrpreiserhöhung stattfinden, da über Steuerzahlung Zuschüsse zum Drittanbieter fließen werden. Die entsprechenden Verträge sind wahrscheinlich so abgeschlossen. Und es wird eine ungenügende Wartung der Fahrzeuge und des Fahrwegs stattfinden, da der Drittanbieter kein Interesse hat, diese tatsächlich in ausreichendem Maße durchzuführen. Daraus folgen Unfälle, und daraus folgen Verletzte und wahrscheinlich sogar Tote, wie man in Großbritannien sehen konnte. Die Anlagen und Fahrzeuge gehören in die Hand der Steuerzah

ler, da diese auch vom Steuerzahler seinerzeit finanziert wurden. Wie Sie da auf die Idee kommen und auch nur daran denken können, das an einen privaten Betreiber vergeben zu wollen, erschließt sich mir nicht. Ich unterstelle Ihnen Intelligenz. Deswegen unterstelle ich auch keinen Dilettantismus. Aber ich unterstelle in diesem Fall ganz klar und deutlich Veruntreuung und Vorteilsnahme im Amt, wenn Sie das so durchführen, wie Sie das geplant haben.

Herr Abgeordneter! Das geht nicht.

Der Senator kann mir mit entsprechenden anderen Handlungen das Gegenteil beweisen. Bis dahin behalte ich diese Auffassung.

Herr Abgeordneter! Das geht nicht. Ich rufe Sie zur Ordnung!

[Beifall bei der SPD]

Sie können hier nicht ohne jede Grundlage einem Mitglied des Senats strafrechtlich relevantes Handeln mit einer solchen Formulierung unterstellen.

Dann entschuldige ich mich dafür und wünsche mir, dass diese Behauptung dann auch nicht noch einmal aufgestellt werden muss, weil entsprechende Handlungen erfolgen.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist ja unglaublich!]

Mein letzter Satz: Ich bin der Meinung, dass in einem zu 100 Prozent aus Steuergeldern bestehenden Betrieb ein Privatbetreiber nichts zu suchen hat. Das möchte ich Ihnen noch einmal nahelegen, Herr Müller.

Vielen Dank, Herr Claus-Brunner! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Es wird die Überweisung an den Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr sowie an den Hauptausschuss empfohlen. Gibt es hiezu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Damit kommen wir zur

(Vizepräsidentin Anja Schillhaneck)

lfd. Nr. 4.1 und 4.2:

Priorität der Fraktion der SPD und Priorität der Fraktion der CDU

Tagesordnungspunkt 26

a) Spielhallen und Spielsucht eindämmen (I): Ansiedlung und Bestand von Café-Kasinos reduzieren

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/0777

b) Spielhallen und Spielsucht eindämmen (II): Spielhallen intensiver kontrollieren und weiterhin illegales Glücksspiel bekämpfen

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU Drucksache 17/0778

Für die Beratung steht den Fraktionen eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD. Das Wort hat der Abgeordnete Buchholz. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möchte diese Rederunde mit einer Schätzfrage beginnen: Wenn über 100 Polizisten, Finanzbeamte, Mitarbeiter von Bezirksämtern Spielstätten in Berlin kontrollieren, wo Automaten hängen, wie hoch ist die Beanstandungsquote? Was schätzen Sie? Wie oft wird in Form von Ordnungswidrigkeiten oder schweren Straftaten gegen Rechtsnormen verstoßen?

[Zurufe]

Ich höre 60, 40 Prozent. – Die Quote lag bei den Razzien im September 2012 bei exakt 93,3 Prozent. D. h., bei praktisch allen Spielstätten – egal, ob Spielhallen, Café-Kasinos oder Wettbüros – müssen wir erschreckenderweise feststellen, dass es dort ein nicht akzeptables Maß an Nichteinhaltung von Rechtsnormen und Vorschriften gibt. Deswegen sind die beiden Anträge, die die Koalition heute vorlegt, mehr als notwendig.