Protocol of the Session on January 31, 2013

Ich habe ab 2010 immer wieder vorgeschlagen, in die kommunale Fahrzeugbeschaffung zu gehen und dann die Streitfrage weiter zu diskutieren, ob man ausschreibt, ob man eine Inhousevergabe macht, die damals mit den Sozialdemokraten nicht zu entscheiden war und in die nächste Legislaturperiode vertagt wurde. Wäre diesem Vorschlag gefolgt worden, wären wir heute viel weiter, und wir könnten uns heute nur über die Frage auseinandersetzen, gehen wir in die Inhousevergabe oder nicht. Es ist alles nachlesbar, es ist alles dokumentiert.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Gerwald Claus-Brunner (PIRATEN)]

Lassen Sie uns insofern an dieser Stelle in aller Ruhe und jenseits irgendwelcher ideologischer Scheingefechte die Auseinandersetzung über die Frage führen, an welchem Punkt wir in diesem ganzen S-Bahndebakel stehen und was jetzt die schnellste, effektivste und die rechtssichere Lösung wäre! Ich glaube – und das habe ich auch den Worten des Kollegen Schneider entnommen, dass er eine ähnliche Auffassung hat –, die sauberste, schnellste und rechtssicherste Lösung ist die kommunale Lösung, sowohl für die Fahrzeugbeschaffung als auch für den Betrieb.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Wolf! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Claus-Brunner. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Senatorinnen beliebigen Geschlechts! Sehr geehrte Kolleginnen beliebigen Geschlechts! Und sehr verehrte Gäste!

[Bürgermeister Michael Müller: Beliebigen Geschlechts!]

Die Neunzigerjahre haben angerufen und wollen ihre Public-Private-Partnershipdiskussion zurück.

[Heiterkeit – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Kein Anschluss unter dieser Nummer!]

Die Teilausschreibung, die hier angedacht wird, entspricht in den wesentlichen Punkten der Bahnprivatisierung in Großbritannien der Achtzigerjahre und den bekannten damit verbundenen Risiken. Ich nenne da nur Beispiele: prekäre Beschäftigung, unzureichende bis ungenügende Angebotslieferung und schlussendlich Fremdverwendung der vom Staat zugeführten Kapitalmittel, zweckentfremdet.

Herr Friederici! Wenn Sie unser Liquid-Feedback-Tool angeguckt hätten, hätten Sie im Bereich Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr in der Initiative 1038 unsere Position zu diesem Punkt sehen können. Wir sind nämlich klar dafür, dass die sinnlose Zerschlagung des einheitlichen S-Bahnnetzes, das zu 100 Prozent von Steuergeldern geschaffen wurde, nicht mit uns zu machen ist.

[Torsten Schneider (SPD): 1038!]

Wir wollen und wünschen, dass der S-Bahnbetrieb langfristig in kommunale Hand überführt und auch von Berlin betrieben wird. Das Know-how ist da. Sie vergessen nämlich, dass z. B. die BVG von 1984 bis 1994 die damalige West-S-Bahn betrieben hat. Auch haben wir in der S-Bahn Berlin GmbH selbst genügend Fachkräfte, die dieses leisten können. Sie werden bloß aktuell daran gehindert, diese Aufgaben vernünftig auszuführen, weil sie einerseits das Geld dafür und andererseits die Anweisungen nicht bekommen, um diese Aufgaben zu erledigen. Hier liegt die Schuld beiderseitig beim Senat.

Die Ausschreibung des einheitlichen Netzes ist nicht mit uns zu machen. Das ist sinnlos. Das Einzige, das ausgeschrieben werden muss, ist die Beschaffung der Fahrzeuge. Hier kann man tatsächlich einen Anfangspunkt setzen. Wir gründen einen landeseigenen Betrieb, eine Anstalt öffentlichen Rechts. Da gelten, wie Herr Wolf schon angemerkt hatte, die entsprechenden EU-Richtlinien nicht. Die Fahrzeuge können da beschafft werden. Es ist hier auch nicht weiter Zeit zu verschwenden, indem ich erst einen privaten Anbieter hereinziehe, der seinerseits ausgeschrieben werden muss und erst in anderthalb Jahren von seinem Glück weiß und seinerseits mit der Beschaffung der Fahrzeuge beginnen muss.

Es ist seit 2009 hinreichend bekannt, dass die aktuelle Baureihe 481/482 am Ende der Haltbarkeit angekommen ist und 2019 ihre Bundesamtszulassung verliert. Das Bundesamt wird uns auch aufgrund der Probleme bei den Achsen und bei den Bremsanlagen keine weitere Zulassungsverlängerung geben. Dementsprechend ist es nicht dilettantisch, sondern böswillig, hier nicht schon gehandelt zu haben.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich unterstelle tatsächlich Böswilligkeit und nicht Dilettantismus, weil ich davon ausgehe, dass hier intelligente Menschen sitzen. Ich könnte sogar noch weiter gehen, wenn ich das im Sinn der Ausschreibung betrachte, dass hier unter Umständen auch Veruntreuung stattfindet und teilweise in Tateinheit mit Vorteilsnahme im Amt. Das müsste man noch nachträglich prüfen.

Was ist auch damit gewonnen, wenn ein Privatbetreiber kommt? – Ein Privatbetreiber ist erst einmal den marktwirtschaftlichen Richtlinien unterworfen, und er muss einen Gewinn erwirtschaften. Das heißt, wie ich schon angemerkt habe, es geht auf Kosten der Infrastruktur. Wir haben das jetzt schon gesehen: Schienenbruch zwischen

Potsdamer Platz und Brandenburger Tor. Das ist ein ganz klares Zeichen, dass hier die Wartung auf das Minimalmaß heruntergefahren wurde. Ein Schienenbruch ist bei normaler Netzwartung ein Ausnahmefall und nicht wie bei der S-Bahn Berlin GmbH schon fast ein Regelfall, keinen Bericht mehr wert.

[Oliver Friederici (CDU): Sie haben doch keine Ahnung!]

Wollen wir hier auch nicht die Trennung von Fahrweg und Betrieb machen, weil das Netz und der Fahrweg tatsächlich ein Verlustgeschäft sind. Das wollen Sie, liebe große Koalition, weiter in Staatshand behalten, während Sie den Betrieb zu privatisieren versuchen und die Gewinne durch Zuschüsse realisieren. Das ist ähnlich wie Sie es bei den Berliner Wasserbetrieben vornehmen und hier seit den Neunzigerjahren dem Grundsatz folgen: Verluste vergesellschaften, Gewinne privatisieren.

Der Senat muss auch handeln, indem er im Haushalt 2014/2014 im Eckwertebeschluss die entsprechenden Summen bereitstellt, die für die Wagenbeschaffung notwendig sind. Das ist hier noch einmal ganz wichtig. Das richte ich an Herrn Müller: Wirken Sie darauf ein, dass der Eckwertebeschluss in diesem Zusammenhang entsprechend verstärkt wird! Ich schlage einmal 100 Millionen Euro für 2014/2015 vor. Das ist erst mal ein Anfang, damit können die Leute arbeiten.

[Lachen von Lars Oberg (SPD) – Zuruf von der SPD]

Stellen Sie eine Zwischenfrage! Das Gemurmele verstehe ich sonst nicht. – Wie gesagt, seit 2009 ist es bekannt, ab 2017 enden die Zulassungsfristen für die ältesten Fahrzeuge. Es ist immer noch nichts gemacht worden. Deswegen müssen Sie sofort und unverzüglich die Ausschreibung für die Fahrzeuge starten, langfristig eine landeseigene Gesellschaft, die dazu dient, den Gesamtbetrieb in kommunaler Hand zu betreiben.

Hier komme ich erst einmal zum Ende und bin im Übrigen der Meinung, dass auch hier Veolia mit seiner Transportsparte nichts zu suchen hat.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Claus-Brunner! – Das Wort hat jetzt Senator Müller. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Millionen Menschen fahren mit unseren öffentlichen Verkehrsmitteln: Einheimische, Besucherinnen und Besucher unserer Stadt. Mobilität ist, ohne Frage, die Grundlage für eine

(Bürgermeister Michael Müller)

lebendige, für eine lebenswerte Großstadt. Und die S-Bahn in Berlin bildet genauso wie die U-Bahn das Rückgrat des Berliner Nahverkehrs. Diese Aussage hat die Leistungsfähigkeit des Berliner S-Bahnbetriebs lange Zeit auch zutreffend beschrieben. Seit 2009 allerdings müssen wir leider erleben, dass die Zuverlässigkeit der S-Bahn infrage steht. Schon geringste Schneefälle – das hat vorhin in der Fragestunde schon eine Rolle gespielt –, kleinste Probleme, die es auf der Strecke gibt, führen dazu, dass die Betriebsleistung wieder auf völlig inakzeptable 84 Prozent des vertraglich vereinbarten Niveaus absinkt.

Und ich will hier gleich zu Beginn noch einmal deutlich betonen, dass es nicht die Schuld der Aktiven, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner S-Bahn ist, die sich seit Jahren durch ihren Einsatz bemühen, wirklich den Betrieb so stabil wie möglich sicherzustellen.

Es ist auch hervorragend – das muss ich an dieser Stelle betonen –, was die BVG in diesem Zusammenhang leistet, dass sie nämlich das durch zusätzliche Leistungen auffängt, was eigentlich die S-Bahn erbringen müsste. So wird Mobilität durch den Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der Berliner BVG sichergestellt.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Nein, das Problem ist nach wie vor die Gewinnorientierung der Deutschen Bahn, dass versucht wird, auf Biegen und Brechen das aus dem System herauszuholen, was man nur herausholen kann, und damit Kasse zu machen.

Gravierend ist das Problem leider nicht nur bei den echten Altfahrzeugen, sondern auch bei den neueren Fahrzeugen, bei denen inzwischen auch Probleme auftreten. Die Fahrgäste haben in den letzten Jahren schmerzlich erfahren müssen, was es heißt, wenn man der Berliner S-Bahn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, wenn man auf Spezialfahrzeuge angewiesen ist. Ich betone hier: Wir reden nicht über irgendetwas, wir reden über Spezialfahrzeuge, die es nur in Berlin gibt, die nur hier fahren und nur hier eingesetzt werden können.

Ich betone das vorneweg so, um deutlich zu machen, weshalb wir zu dieser Ausschreibung, zu dieser Art der Vergabe gekommen sind. Wir wollten aus der Situation lernen, die wir seit Jahren bei der Berliner S-Bahn erleben. Es muss Konsequenzen haben. Herr Kollege Gelbhaar! Es ist kein läppischer oder einfacher Vertrag, bei dem es einfach mal eben um eine Ausschreibung geht. Schon wenn man das machen würde, was Sie wollen, eine völlig unambitionierte Ausschreibung für irgendeine Betriebs- und Beschaffungsleistung, ist es kein läppischer Vertrag. Aber wir haben uns hier etwas anderes vorgenommen. Wir wollen, wie gesagt, aus dieser Krise lernen und sehen, wie man für die nächsten Jahre und Jahrzehnte

dieses System durchbrechen kann, dass man einem Anbieter ausgeliefert ist.

Genau vor diesem Hintergrund haben wir einige Schlussfolgerungen gezogen: Ja, es ist richtig, wir wollen Betrieb und Bestellung nicht trennen. Darauf ist bereits mehrfach hingewiesen worden, dass wir uns einig sind, dass wir die Schnittstelle zwischen einem Beschaffer und einem Betreiber nicht haben wollen, die, wenn es Probleme gibt, sofort mit dem Finger auf den anderen zeigen und sagen: Der ist schuld. Du kannst nicht bestellen oder du kannst nicht fahren. – Wir sind dann wieder diejenigen, die zugucken und entsprechend eingreifen müssen. Das wollen wir nicht. Wir wollen diese Schnittstelle nicht. Wir wollen auch endlich aus der Situation herauskommen, dass uns einer, der uns den Betrieb sicherstellt, nur für 15 Jahre garantiert, dass er das mit einem ordentlich gewartetem Fuhrpark macht. Es muss die Möglichkeit geben – das wird bundesweit in den Ländern diskutiert –, dass die Länder sagen: Du bekommst für 15 Jahre den Verkehrsvertrag. Das ist die übliche Laufzeit eines Verkehrsvertrages. Aber wir ergeben uns nicht der Situation, dass du nur für diese 15 Jahre die Fahrzeuge wartest, sondern wir wollen, dass du uns darüber hinaus sicherstellst, dass wir am Ende der Vertragslaufzeit die Möglichkeit haben, immer noch mit einem gut geführten, gut gewartetem Fahrzeugbestand arbeiten zu können. Das kannst du sein – du kannst den Vertrag ein zweites Mal erhalten –, es kann sein, dass wir es mit den Fahrzeugen selbst machen wollen, oder auch ein Dritter. Aus dieser Erpressungssituation muss man doch einmal herauskommen, es muss eine Möglichkeit geben, das zu durchbrechen. Deswegen haben wir es so formuliert. Deswegen sind wir zu dieser Koppelung gekommen, einerseits Betrieb und Bestellung zusammenzufassen und es andererseits nicht nur mit der eigentlichen Verkehrsleistung in 15 Jahren zu verbinden, sondern der Sicherstellung für weitere 15 Jahre im Anschluss. Das bekommt natürlich derjenige, der die Fahrzeuge zur Verfügung stellt, auch entsprechend bezahlt. Hier geht es nicht darum, dass wir von einem Betreiber etwas geschenkt haben wollen. Es wird alles ordentlich abgerechnet. Aber wir wollen vertraglich festlegen, dass die Fahrzeuge, dass der Fuhrpark ordentlich gewartet werden muss.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Dann liefern Sie doch mal!]

Das ist der Hintergrund für diese Form der ungewöhnlichen, das sage ich ganz klar, Ausschreibung.

Das Gericht hat im Übrigen – einige haben das anklingen lassen – nicht gesagt, dass das nicht geht oder dass es falsch ist oder ein Desaster und alles verkehrt. Das hat das Gericht überhaupt nicht gesagt. In der ersten Instanz, der Vergabekammer, ist sogar die Klage der Deutschen Bahn abgewiesen worden.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Aus formalen Gründen!]

Das Kammergericht hat auch keineswegs gesagt: Es geht so nicht. Das Kammergericht hat gesagt: Wir sind un

(Bürgermeister Michael Müller)

sicher, ob es so geht. Es gibt eine EU-Verordnung, die klar sagt: Die übliche Vertragslaufzeit für diese Leistung, die wir hier abfragen, beträgt 15 Jahre. Dann gibt es einen Zusatz, in dem steht, dass bei erheblichen Investitionen – zum Beispiel im Verkehrsbereich – von den üblichen 15 Jahren abgewichen werden kann, dass es darüber hinaus längere Vertragslaufzeiten geben kann, die man verabredet und vereinbart. Sie sind sich beim Kammergericht nur nicht sicher, ob diese Verordnung für uns in diesem Fall anzuwenden ist. Das ist der Punkt. Nicht, dass irgendetwas nicht geht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, das will ich jetzt nicht! – Meine Damen und Herren! Es ist ganz klar: Ich bedaure es, dass das Kammergericht nicht die klare Einschätzung und Haltung hat, dass man mit dem, was wir formuliert haben, neues Terrain betritt, dass man versucht, als Land in eine stärkere Verhandlungsposition gegenüber Unternehmen zu kommen. Wie gesagt, das ist etwas, was bundesweit diskutiert wird. NRW macht die 30 Jahre, allerdings mit Entkopplung, andere machen die Kopplung zwischen Betrieb und Bestellung, wollen und können dann aber auch nicht die 30 Jahre verabreden. Die Hersteller garantieren 30 Jahre und darüber hinaus Lebensdauer für die Fahrzeuge. Es ist nicht so, dass wir irgendetwas völlig Absurdes erfunden haben, sondern es gibt eine gute Grundlage für das, was wir formuliert haben.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Dr. Michael Garmer (CDU)]

Nun muss man zur Kenntnis nehmen, dass das Kammergericht nicht die eindeutige Position vertritt, so kann man, so sollte man vorgehen, sondern aus der Unsicherheit heraus die Möglichkeit besteht, wenn man jetzt nicht entsprechende Anpassungen vornimmt – Herr Schneider hat darauf hingewiesen –, dass dem EuGH diese Frage zur Entscheidung vorgelegt wird. Jetzt ergeben sich für uns in der Verwaltung mehrere Varianten, wie wir mit dieser Situation umgehen.

Die erste Variante ist: Wir sind überzeugt von dem, was wir gemacht haben, wir sind überzeugt, dass das gut formuliert ist. Dann können wir gucken, ob wir nicht vor dem EuGH erfolgreich sind. Ich glaube, dass ist kein gangbarer Weg, weil wir sehen müssen, dass dem EuGH vorgelegte Entscheidungen in anderthalb bis zwei Jahren getroffen werden. Das sind, Herr Gelbhaar, Zeitabläufe, die wir uns nicht leisten können. Das muss man zur Kenntnis nehmen.