Protocol of the Session on November 8, 2012

[Özcan Mutlu (GRÜNE): Ich habe Sie nicht verstanden!]

sind andere Länder auch weit unten in der Auflistung, aber sie haben auch einen anderen Stichtag. Hinsichtlich der Ursache, ob es an einem ziemlich späten Stichtag liegt – vielleicht haben Sie geschaut, wie es in NordrheinWestfalen und Bayern aussieht –, kann ich darauf verweisen, dass aber die Länder Bremen und Hamburg auch einen späten Stichtag haben. Das bedeutet, dass wir die Ursache der nicht zufriedenstellenden Leistungen unserer Schüler nicht nur am Einschulungsalter festmachen können und dürfen.

Das haben Sie nicht verstanden? Warum legen Sie diesen Änderungsantrag des Schulgesetzes vor, wenn gerade dieser Stichtagsvorschlag in Berlin auch nicht evaluiert ist? Es ist absolut willkürlich, was Sie dort tun. Die Ergebnisse des IQB-Ländervergleichs können nicht als eine Evaluation der Früheinschulung bewertet werden. Das ist auch ein großer Fehler, den Sie begehen. Sie behaupten dies einfach in Ihrem Antrag.

Viele Faktoren sind verantwortlich für den Erfolg der Schülerinnen und Schüler in unseren Schulen. Da fallen mir einige Dinge ein.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?

Nein. Die habe ich noch nie zugelassen.

[Heiterkeit]

Damit ist alles klar. Bitte fahren Sie mit Ihrer Rede fort.

Studien über Effekte des Einschulungsalters auf die weiteren Bildungswege lassen kein einheitliches Bild erkennen. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Zurückstellungen keine Garantie für größeren Schulerfolg sind. Eine entscheidende Rolle spielt aber die frühe und spezifisch auf den Entwicklungsstand abgestimmte Förderung. Darum geht es nämlich.

Mir sind auch viele Studien aus anderen Bundesländern bekannt, die uns klar sagen, dass sogar eine Einschulung mit sieben Jahren einen Erfolg verspricht.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Oder zwölf Jahren!]

Oder zwölf! – Diese Studien besagen keineswegs, dass eine frühe Einschulung nicht empfehlenswert ist. Die Studien sagen an vielen Stellen, dass es hauptsächlich um die Unterrichtsqualität geht. Für die sechsjährige Grundschule ergeben sich besondere Fachlichkeitsansprüche an

die Lehrkräfte. Deshalb ist unsere Fraktion von der Richtigkeit der politischen Entscheidung, ein eigenes Grundschullehramt aufgrund der strukturellen Unterschiede in den Tätigkeitsanforderungen und dem spezifischen Tätigkeitsfeld einzurichten, überzeugt.

In Verbindung mit der flächendeckenden Ausgestaltung der Grundschulen zu Ganztagsschulen ist die Individualisierung der Lernzeit in der Anfangsphase die pädagogische Antwort auf die unterschiedlichen Voraussetzungen von Kindern. Dabei kommt der Anschlussfähigkeit von vorschulischer und schulischer Förderung eine entscheidende Bedeutung zu. Es gibt einige Maßnahmen, die jetzt schon greifen, das Berliner Bildungsprogramm, Rahmenlehrpläne und Kooperationsverpflichtungen zwischen Kita und Grundschulen. Das sind Instrumente, die zielführend untersetzt sind.

Ziel der geltenden Einführungsregelung ist es, jedem Kind in seinem Entwicklungsstand und seinen Lernbedürfnissen optimal gerecht zu werden. Deshalb erfolgt die Entscheidung über den bestmöglichen Förderort im Bedarfsfall im Zusammenwirken von mehreren Beteiligten. Dadurch werden wir auch jedem Kind gerecht und verhindern pauschale und undifferenzierte Entscheidungen, die der Individualität des Kindes nicht entsprechen.

Es gibt andere Prioritäten, um die Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler zu verbessern, als eine Änderung nur des Stichtages. Es ist absolut nicht bewiesen, dass diese Stichtagsänderung wirkungsvoll sein wird. Wir glauben, dass unter anderem eine bessere Lehrerausbildung und die Optimierung der vorhandenen Instrumente zukünftig die Voraussetzungen werden, um eine nachhaltige Leistungssteigerung der Schülerinnen und Schüler zu erreichen.

Sie müssen zum Schluss kommen.

Daran arbeiten wir. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wunderbar! Vielen Dank! – Das Wort zur Kurzintervention hat jetzt der Kollege Mutlu. – Bitte schön!

Herr Präsident! Lieber Herr Kollege Özışık! Ich habe einfach nicht verstanden, was Ihr Problem ist. Sie haben entweder meiner Rede nicht zugehört oder haben den Antrag nicht gelesen. Können Sie mir bitte sagen, wer die SPD, die seit 1995 in diesem Land die Bildungssena

torinnen oder Bildungssenatoren stellt, daran gehindert hat, eine solche Maßnahme zu evaluieren? Warum hat sich diese Senatsverwaltung oder haben Sie sich als Vertreter der Regierungskoalition bislang nicht die Mühe gemacht, sich die Entwicklung der Schülerschaft und derjenigen, die mit fünfeinhalb eingeschult worden sind, anzuschauen? Das ist ein ganz banaler Vorgang. Man muss sich nur die Statistiken anschauen und die Schülerakten auswerten, um zu sehen, welche Schüler mit fünfeinhalb eingeschult wurden, ob sie eine Gymnasialempfehlung erhielten, ob sie bei VERA 3 erfolgreich waren oder ein Jahr länger in der Schuleingangsphase geblieben sind. Man kann alle diese Daten kurzerhand erfassen und evaluieren. Dann wissen wir, ob diese Aussage, die Sie hier tätigen, richtig ist oder nicht. Aber warum tun Sie das nicht, gottverdammt?

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Warum tun Sie das nicht? Wer hindert Sie daran? Das ist Ihre Senatorin. Das ist Ihre Koalition. Im Übrigen müssen Sie noch Ihren Koalitionspartner überzeugen. Der ist auch nicht davon überzeugt, was Sie hier erzählen. Das, was Sie über die Ganztagsschule gesagt haben, haben wir seit Jahren gesagt. Es hat nur den Effekt, dass weiterhin die Zahl der Sitzenbleiber, Verweiler und Rücksteller steigt. Das muss doch irgendeine Ursache haben. Bevor Sie etwas abkanzeln, wissentlich oder unwissentlich, sollten Sie es sich genauer durchlesen und informieren. Dann können wir gern weiter darüber reden.

[Beifall bei den GRÜNEN – [Björn Eggert (SPD): Wir hoffen auf die Bundestagswahl und drücken die Daumen!]

Danke schön! – Ist eine Replik gewünscht? – Das ist nicht der Fall. – Frau Kollegin Kittler von der Linksfraktion! Jetzt erteile ich Ihnen das Wort. Bitte schön!

Ich dachte nur, dass die Herren vielleicht zuhören wollen. – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Kinder lernen nicht für PISA, sondern lernen für ihre Zukunft.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Lernen sie nun besser, wenn sie früher eingeschult werden? – Es gibt in Berlin bisher keine gesicherten Erkenntnisse, wie sich das frühere Einschulen auf die Kinder auswirkt. Wir haben es gerade gehört. Eine wissenschaftliche Begleitung erfolgt bisher nicht. Die Frage, warum eine solche nicht erfolgt, wurde nicht beantwortet. Sie richtet sich in die Vergangenheit. Wir haben nun aber gehört, dass wir eine solche bekommen werden.

Die Frage, warum wir in der Grundschule nicht die erwünschten Erfolge haben – was übrigens je nach Schule sehr unterschiedlich ist –, kann ich mir aber schon beantworten. Es sind offensichtlich nicht in jeder Schule die notwendigen Bedingungen vorhanden, damit sich die Kinder in der dreijährigen Schulstartphase an diesen neuen Abschnitt in ihrem Leben gewöhnen können, um sich den Aufgaben erfolgreich stellen zu können.

Es ist offensichtlich nicht gelungen, in den Köpfen der Eltern und auch einiger Pädagoginnen und Pädagogen klarzumachen, dass die Schulanfangsphase drei Jahre Zeit lässt, Ziele, die durch Rahmenlehrpläne gestellt werden, zu erreichen und auf dem Weg dorthin Defizite ausgleichen zu können, ob nun in der Sprache oder der Erziehung.

Es kommen ganz kleine Menschen in die Schule, zum Teil auch schon mit fünfeinhalb Jahren. Die Schule ist darauf offensichtlich nicht genug eingestellt. Ich zweifele an, dass sich daran etwas ändert, auch wenn die Kinder nun vielleicht ein halbes Jahr später in die Schule kommen. Eigentlich müssten wir den Einschulungszeitpunkt nicht von einem Stichtag abhängig machen, sondern davon, ob ein Kind so weit ist, in die Schule gehen zu können.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Das können Eltern, Erzieherinnen und Erzieher aus den Kitas ziemlich genau einschätzen. Schauen Sie sich in einer Kita einmal die Aufzeichnung zu jedem einzelnen Kind an, in denen akribisch erfasst wird, was das Kind schon besonders gut kann, was es im letzten Monat gelernt hat, wo seine Stärken und Schwächen sind und welche besondere Zuwendung es braucht. Diese Entwicklungsdiagnostik, die hier betrieben wird, gibt hervorragenden Aufschluss über den richtigen Zeitpunkt der Einschulung, der meines Erachtens durchaus auch ein halbes Jahr früher oder später als am Schuljahresanfang erfolgen könnte. Leider gehen diese Aufzeichnungen in der Regel verloren, wenn die Kinder die Kita verlassen. Die Frage ist, warum sie eigentlich verloren gehen. Warum gehen sie nicht mit den Kindern in die Hände der Pädagoginnen und Pädagogen in den Schulen? Das würde es leichter machen, auf jedes kleine Kind vom ersten Tag an individuell eingehen zu können.

Unabhängig davon ist es Zeit, dass wir neu darüber nachdenken, wie Kinder lernen. Spielerisches Lernen führt zum Forschen- und Entdeckenwollen. Das weckt Lust am Lernen. Dabei muss die Unterschiedlichkeit der Kinder beachtet und auch gewollt werden. Dass auch kleine Schulanfängerinnen und -anfänger mit der aufregend neuen Situation unabhängig vom Einschulungsalter gut zurecht kommen, ist gut im jahrgangsgemischten Unterricht an der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Prenzlauer Berg zu beobachten.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Jedes Kind hat einen individuellen Lernplan und folgt seinem eigenen Lerntempo. Es lernt mit und von Zweit- und Drittklässlern, oft in Projektgruppen, und wird so gleich von Anfang an in die Schulgemeinschaft aufgenommen. Vielen Kindern gefällt das so, dass sie am Nachmittag in Lernbüros, in der Experimentiergruppe oder in einer Kulturgruppe weitermachen wollen. So muss Schule gehen, damit auch die Kleinsten mitkommen können und in ihrer Unterschiedlichkeit angenommen werden, übrigens unanhängig vom Einschulungsalter. Da kommt eine bunte Kinderschar in die Schule. Wir dürfen eigentlich nicht wollen, dass sie alle einfarbig aus dieser Schule herauskommen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Für die Fraktion der CDU erteile ich der Kollegin Bentele das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Mutlu! Ihr Antrag ist kurz und knapp gefasst, deshalb möchte auch ich mich kurzfassen.

Sie wollen, dass der Stichtag, der in Berlin als einzigem Bundesland eine Einschulung mit fünfeinhalb Jahren bedeutet, wieder so gesetzt wird, dass die Berliner Kinder bei der Einschulung in der großen Mehrheit wieder sechs Jahre alt sind. Ich möchte mit der Frage beginnen: Was wissen wir denn eigentlich gesichert über die Einschulung mit fünfeinhalb Jahren? – Nicht besonders viel. Es gibt keine einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse, auf die wir unsere Einschätzung stützen könnten. Verweilen jüngere Kinder länger in der Schuleingangsphase? Wie wirkt sich eine zu frühe Einschulung auf die Psyche der Kinder aus? Haben früh eingeschulte Kinder die gleiche Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen? – Über all diese Fragen, die die Schullaufbahn eines mit fünfeinhalb Jahren eingeschulten Kindes betreffen, wissen wir eigentlich nichts.

Was wir wissen, ist, dass die Zahl der Rückstellungen steigend ist. Sie liegt je nach Bezirk derzeit bei rund 8 bis 13 Prozent. Das heißt, dass eine zunehmende Zahl von Eltern eine Einschulung mit fünfeinhalb Jahren für ihr Kind als nicht geeignet empfindet. Auch die Aussicht, dass ihr Kind in einer jahrgangsgemischten Klasse individuell gefördert werden und ein Jahr länger als vorgesehen verweilen kann, überzeugt diese Eltern nicht.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Mutlu?

Bitte schön!

Frau Kollegin! Sie haben aufgezählt, was wir alles wissen.

Was wir nicht wissen!

Was wir nicht wissen? Aber Sie wissen, was wir wissen, nämlich dass Berlin in verschiedenen Grundschuluntersuchungen wie IGLU oder VERA und auch jetzt bei der jüngsten IQB-Studie immer zu dem Schlusslicht der Bundesländer gehört hat. Das wissen wir, das sind Fakten. Meinen Sie nicht, dass all diese Fakten irgendwie mit dem Berliner Schulsystem und auch vielleicht ein wenig mit der Früheinschulung zu tun haben könnten?

[Lars Oberg (SPD): Könnten! Konjunktiv!]

Andere Bundesländer, die nicht mit fünfeinhalb Jahren einschulen – –