Protocol of the Session on August 30, 2012

Ja, Berlin braucht einen leistungsfähigen Flughafen. Aber kaum jemandem, der seine fünf Sinne beisammen hat, ist zu vermitteln, warum man den Bezirken notwendiges Personal vorenthält, bei den Kosten der Unterkunft spart, Seniorenfreizeitstätten dichtmacht, aber schnell mehr als 440 Millionen Euro mobilisieren kann, um die Fehler der Flughafengesellschaft zu bezahlen. Nein! Mindestens die Verschiebungskosten muss die Flughafengesellschaft in der Perspektive selbst wieder einspielen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Gegenüber dem Stand Mai sind wir in der Frage des Schallschutzes für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger im Südosten Berlins und in Brandenburg ein bisschen weiter. Wie wir von Anfang an gefordert haben, hat der Aufsichtsrat den Vorstand nun endlich dazu gedrängt, dass der sogenannte Klarstellungsantrag zum Planfeststellungsbeschluss wieder zurückgenommen wird. Es war eine ziemliche Frechheit, was die Flughafengesellschaft da versucht hat. Im Nachhinein sollten die Grenzwerte für die Lärmbelastung nach oben gesetzt werden. Das Land Berlin hat dieses Getrickse auf Kosten der Betroffenen auch noch unterstützt. Aber das Oberverwaltungsgericht hat dieses unschöne Treiben nun zum Glück gestoppt. Soweit ich weiß, hat das Land Brandenburg schon länger für die bürgerfreundlichere Lösung gestritten.

[Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Da hätte sich der Senat ein Beispiel an der rot-roten Regierung in Potsdam nehmen können.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Aber, wir haben es heute gesehen, es gibt bei diesem Thema auch sehr viel Geplapper. Noch bevor es einen Untersuchungsausschuss gibt, werden Rücktrittsforde

rungen gegen diesen oder jenen gestellt, weiß jeder einen, der gefeuert werden muss, und so weiter und so fort. Das wird auf Dauer ziemlich öde und bringt in der Sache wenig. Das bringt den Leuten, die weiter unter Tegel leiden müssen, nichts, es bringt den Leuten, die Klarheit über die Lärmschutzmaßnahmen in Treptow-Köpenick haben wollen, nichts, es bringt den Beschäftigten, die künftig auf dem BER arbeiten sollen, auch nichts.

[Torsten Schneider (SPD): Sagen Sie das den Grünen!]

Wer welche Verantwortung trägt und wer zu welchem Zeitpunkt was gewusst hat, das sind die Fragen, mit denen sich der Untersuchungsausschuss beschäftigen wird.

[Beifall bei der LINKEN – Torsten Schneider (SPD): Jawohl! Herr Delius, jetzt hören Sie einmal hin!]

Wie ich schon im Mai gesagt habe: Hals über Kopf Leute hinauszuwerfen, ohne zu wissen, wie es weitergehen soll – das ist schon passiert, Herr Schneider! –, ist nicht besonders schlau. Inzwischen ist der Bau zusätzlich ins Stocken geraten, weil sich neue Planer erst einarbeiten müssen. Das vordringlichste Ziel muss doch sein, dass der Flughafen BER endlich eröffnet wird, und das mit einem Maximum an Lärmschutz für die Anwohner. Mir scheint, dass einigen dieses Ziel verloren gegangen ist im Wettbewerb „Wer stellt die steilsten Forderungen?“.

[Torsten Schneider (SPD): Bravo!]

Wir sehen im Untersuchungsausschuss die Möglichkeit, die Verantwortlichkeiten zu klären, aber auch Chancen, noch etwas Geld zu retten. So muss im Untersuchungsausschuss unter anderem auch erörtert werden, ob weiterer Schadenersatz von Planungs- oder Baufirmen oder anderen gefordert werden kann. Zu klären ist auch – damit es in Zukunft besser läuft –, ob die Aufsichtsratmitglieder ausreichend professionelle Unterstützung erhalten haben. Mir wäre es recht, wenn wir heute diesen Untersuchungsausschuss endlich einrichten können. Die Fragen liegen auf dem Tisch. Alle wollen Aufklärung – angeblich. Dann können wir es heute auch machen.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner brauchen Klarheit, die Berliner Wirtschaft braucht Klarheit, die Airlines brauchen Klarheit, in welchem Quartal in welchem Jahr mit der Eröffnung des BER zu rechnen ist. Wann ist Schluss mit den zusätzlichen Belastungen im Umfeld von Tegel? Bis wann werden die Schallschutzmaßnahmen umgesetzt? Welche Kosten kommen auf das Land Berlin zu? Wie will die SPD-CDU-Koalition sie bezahlen? Sollen andere Projekte gekippt werden, und wenn ja, welche? Herr Wowereit! Herr Henkel! Sie sind in der Pflicht! Sie sollen den Flughafen nicht selbst zu Ende bauen, aber schaffen Sie endlich Klarheit! Das ist Ihre Aufgabe.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Wolf! – Für die Piratenfraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Höfinghoff das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr verehrte Damen und Herren! Frau Pop hat es eben schon erwähnt: In der Plenardebatte vom 8. Juni 2001, in der es um den Zusammenbruch der Bankgesellschaft ging, erklärte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit – nicht ganz ohne Pathos:

Wir brauchen einen Mentalitätswechsel der Politik in Berlin. Wir dürfen die Probleme weder ignorieren noch verharmlosen, wir müssen die Schwierigkeiten beim Namen nennen.

Heute, elf Jahre nach seiner großen historischen Rede können wir sehen, wie weit es mit dem versprochenen Mentalitätswechsel gekommen ist. Wieder war die SPD daran beteiligt, ein großes Prestigeprojekt in den Sand zu setzen. Wieder wurden alle Warnungen in den Wind geschlagen. Wieder schwatzt man lieber von Erfolgsgeschichten, anstatt die Probleme anzugehen. Und wieder steht ein beleidigter Politiker im Mittelpunkt der Affäre und gibt die Unschuld vom Lande. Er heißt dieses Mal Wowereit und nicht Landowsky.

[Beifall bei den PIRATEN]

Man kann zwar – das ist richtig – nicht den Senat allein für das Desaster an Europas größtem Flughafen der Welt, dem BER, verantwortlich machen. Der Bund und das Land Brandenburg sind ebenfalls im Aufsichtsrat vertreten. Die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft hat – so deutet es sich zumindest deutlich an – in vielen Punkten versagt, aber – und das ist ein großes Aber – Vertreter des Landes Berlin – Herr Wowereit als Aufsichtsratsvorsitzender, Herr Henkel und Herr Wolf als Mitglieder des Aufsichtsrats – haben die inkompetente Geschäftsführung offensichtlich nicht ausreichend kontrolliert. Was da genau schiefgelaufen ist, werden uns die genannten Herrn dann im Untersuchungsausschuss erläutern.

Dieses Herausreden, dass man sich auf die Aussagen von Vorständen und Wirtschaftsprüfern verlassen müsse, können wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Das ist übrigens auch eine Parallele zum Bankenskandal. Die Argumentation von damals gleicht der heutigen fast bis aufs Wort. Jetzt hören Sie einmal zu, Herr Friederici! Wenn man einfach in der Standardliteratur – hier z. B. Lutter/Krieger – zu den Pflichten des Aufsichtsrats nachschlägt, dann steht dort, dass sich der Aufsichtsrat über alle für seine Tätigkeit erforderlichen Angelegenheiten informieren muss.

Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten, Ihre Versäumnisse zu beurteilen: Entweder haben Sie sich eigenständig keine Informationen besorgt und der Flughafengesellschaft alles geglaubt. Dann haben Sie in Ihren Kontrollpflichten kläglich versagt. Oder – schlimmer – Sie hatten Informationen, die nicht zur angeblichen Erfolgsgeschichte passten, und haben diese dem Parlament und der Öffentlichkeit verschwiegen. Dann hätten Sie in Ihren politischen Pflichten kläglich versagt.

[Beifall bei den PIRATEN]

Beides spricht deutlich gegen Sie.

Zu diesem politischen und finanziellen Versagen gesellt sich außerdem noch eine katastrophale Informationspolitik seitens der Verantwortlichen. Im Haushaltsausschuss des Bundestages legte der Regierende Bürgermeister Ende Juni einen Sachstandsbericht BER vor. Diesem Bericht ist zu entnehmen, dass der Eröffnungstermin am 17. März 2013 gesichert sei. Heute wird über eine weitere Verschiebung des Eröffnungstermins spekuliert. Ihre Aussagen vom Juni erweisen sich als Makulatur. Heute wollen Sie sich schließlich nicht einmal mehr auf ein zumindest absehbares Datum festlegen.

Ähnliches gilt für ein Finanzierungskonzept. Laut Ihrem Sachstandsbericht beträgt der zusätzliche Kapitalbedarf – und das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen – 586 Millionen Euro plus 591 Millionen Euro für Schallschutzmaßnahmen. Diese angeblich so plötzlich aufgetauchten Mehrkosten sollen jetzt erst einmal von der Flughafengesellschaft selbst geprüft werden, und dann soll es irgendwann ein Finanzierungskonzept geben. Das erinnert ebenfalls an den Bankenskandal, denn die Berechnungen für die Risikoabschirmung haben Sie damals auch die Bank selbst machen lassen. Aber anstatt sich dem Problem wirklich zu widmen, haben Sie nichts Besseres zu tun, als über den „Tagesspiegel“ ausrichten zu lassen, dass Sie über die Veröffentlichung von Dokumenten durch die Piratenfraktion höchst verärgert seien.

[Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Ja, schlimmer noch:

[Martin Delius (PIRATEN): Enttäuscht!]

Sie fühlen sich sogar von den Piraten verraten.

[Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN) – Heiterkeit bei den PIRATEN]

Vor dem Hintergrund dieser sozialdemokratischen Albernheiten will ich hier für unsere Fraktion noch einmal klarstellen: Die Information der Öffentlichkeit, die das von Ihnen angerichtete Desaster schließlich bezahlen muss, wiegt für uns deutlich mehr als die Befindlichkeiten eines überforderten Provinzpolitikers.

[Beifall bei den PIRATEN]

Begründen Sie doch lieber mal in der Öffentlichkeit, wie Sie die Kosten wieder hereinholen wollen! Ist die Flug

hafengesellschaft überhaupt in der Lage, zukünftig einigermaßen wirtschaftlich zu arbeiten? – Die Senatskanzlei war noch nicht einmal fähig, auf unsere Anfrage hin mitzuteilen, mit welchem Umsatz pro Fluggast die Flughafengesellschaft kalkuliert. Die einfachsten Grundlagen zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit dieses Flughafens verschweigen Sie der Öffentlichkeit. Vielleicht erklären Sie bitte auch, wie es mit der hundertprozentigen Bürgschaft des Landes im Fall einer Pleite des Flughafens aussieht!

Herr Wowereit! Der Untersuchungsausschuss wird einberufen – ob die Koalition heute wieder verzögert oder nicht –, und dort werden wir ganz bestimmt herausfinden, ob es irgendwann ein tragfähiges Finanzierungskonzept gab. Wir werden herausfinden, ob der Aufsichtsrat und sein Vorsitzender gepennt haben, während Bürgerinnen und Bürger in den Lärmschutzgebieten um ihren Schlaf gebracht werden sollen. Wir werden herausfinden, welche Belastungen dem Berliner Trinkwasser bevorstehen, und wir werden auch herausfinden, warum Berlin 12 Jahre nach dem Bankenskandal bereits das nächste Milliardengrab vorgesetzt bekommt.

[Beifall bei den PIRATEN]

Herr Wowereit! Herr Nußbaum! Wenn Sie diese Kosten ebenfalls wieder den Berlinerinnen und Berlinern vom Mund absparen wollen, dann ziehen Sie sich schon einmal warm an! Ihre Leuchtturmprojekte machen niemanden satt und sorgen für keine günstige Wohnung – geschweige denn, dass sie die Bildungsprobleme lösen. Ich weiß gar nicht, wie Sie noch ruhig schlafen können. Aber demnächst werde ich – und mit mir Berlin und die Welt – zumindest wissen, wie unfähig Sie sind, ein Projekt zu kontrollieren.

Herr Wowereit! Sie werden sich gleich wieder hier vorn hinstellen und von der großen Erfolgsgeschichte reden, mit der Sie die Berliner beglückt haben. Die unterwürfigen Beiträge der Koalition waren schon eine Einstimmung in diese Richtung. Herr Wowereit und seine Koalition haben immer noch nicht verstanden, dass man in der jetzigen Situation mit Arroganz, Verzögerung und Vertuschung nicht weiterkommt. Herr Wowereit! Etwas Demut stünde Ihnen hier gut zu Gesicht, auch wenn das mit dem Selbstbildnis eines fröhlichen Sonnenkönigs schwer vereinbar scheint.

[Beifall bei den PIRATEN]

Für den Senat hat nun der Regierende Bürgermeister das Wort. – Herr Wowereit, bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist hier darauf hingewiesen worden, dass diese Stadt einen Mentalitätswechsel brauchte,

[Martin Delius (PIRATEN): Sie brauchen ihn!]

und ich bin der festen Überzeugung, dass wir heute – nach 2001, als diese Forderungen gestellt worden sind – im Jahr 2012 tatsächlich im Wesentlichen diesen Mentalitätswechsel in Berlin vollzogen haben – und zum Besseren dieser Stadt.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Özcan Mutlu (GRÜNE)]

Das bedeutet aber nicht, dass alle ihn mitvollzogen haben, und das bricht natürlich bei einzelnen Punkten auch immer wieder auf.

Es gibt heute selbstverständlich das Informationsrecht und -bedürfnis des Parlaments zum Thema Flughafen, und mit der Aktuellen Stunde ist auch der andere Punkt verbunden, die Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Selbstverständlich ist es das ureigenste Recht des Parlaments, diesen Untersuchungsausschuss einzusetzen, und ich kann Ihnen versichern, dass der Senat alles tun wird, um Ihre Arbeit positiv zu begleiten und dort konstruktiv mitzuarbeiten. Ich sage auch für den Senat: Wir haben nichts zu verheimlichen, sondern wir stehen zu unserer Verantwortung und zu unseren Tätigkeiten, und wir werden auch auf Ihre Fragen die passenden Antworten geben. Ich bin ganz sicher, dass das dann auch zu Ihrer Zufriedenheit geschieht, wenn Sie objektiv an die Materie herangehen.