Protocol of the Session on August 30, 2012

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Mir wurde zwischendurch mal der Eindruck vermittelt, ich müsste mich dafür rechtfertigen, dass wir heute überhaupt über diesen Antrag reden. Andererseits ist dieses Thema zu wichtig, um es ohne ordentliche erste Lesung in die Ausschüsse zu schicken. Das haben wir gerade an den Redebeiträgen, die bisher gehalten worden sind, gesehen. Wir sind doch auch alle von 1 Uhr als Sitzungsende ausgegangen, oder? Dann müssen wir doch nicht unbedingt um 21 Uhr fertig werden.

In Berlin findet ein hoher Anteil von über 10 Prozent der bundesweiten Tierversuche statt. Berlin wird gerade deswegen als „Hauptstadt der Tierversuche“ bezeichnet. Dieser Anteil Berlins an den bundesweiten Tierversuchen steigt seit Jahren. In Berlin gibt es 2012 70 Einrichtungen, in denen Tierversuche an Wirbeltieren durchgeführt werden. 2004, also acht Jahre vorher, waren es noch 16. – Herr Karge! Wo hören Sie da raus, dass die Tierversuchszahlen sinken? Wie heißt das Universum, in dem Sie leben? Das erzählen Sie mir gleich noch mal!

[Thorsten Karge (SPD): Nicht Piratenuniversum!]

In Berlin wird auch noch die Mehrzahl der Tierversuche auf dem Gebiet der Grundlagenforschung durchgeführt. Das sind rund 60 Prozent, fast zwei Drittel. Das sind also Versuche, wo man mal so ins Blaue hinein forscht, woraus vielleicht Theorien werden, vielleicht auch nicht. 80 Prozent der Versuchstiere sind Mäuse. In Berlin stellt die Arbeit mit gentechnisch veränderten Tieren einen besonderen Schwerpunkt dar. 50 Prozent der gemeldeten Mäuse, also die Hälfte, waren gentechnisch verändert. Insgesamt werden jeden Tag in diesem Land 1 000 Tiere „verbraucht“, wie es zynisch im Behördendeutsch heißt, und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Ein Großteil der Versuchstiere wird statistisch überhaupt nicht erfasst. Tiere z. B., die bei der Zucht und Vorratshaltung von Versuchstieren anfallen, bleiben völlig unberücksichtigt. Bei der Züchtung transgener Tiere werden nur die Tiere offiziell erfasst, an denen direkt Eingriffe oder Behandlungen vorgenommen wurden. Nicht erfasst wird hingegen die Zahl der Tiere, die verbraucht werden, um überhaupt ein transgenes Zuchtpaar zu erhalten. Hierfür können teilweise über 1 000 Tiere erforderlich sein. Wirbellose Tiere wie Tintenfische werden ebenfalls nicht offiziell erfasst.

Seit 2000 werden auch die zu wissenschaftlichen Zwecken sowie zur Aus-, Fort- und Weiterbildung getöteten Tiere erfasst, wodurch sich die Gesamtzahl im Bereich Grundlagenforschung eklatant erhöht hat. Das war dann wohl doch manchen Forschern ein bisschen zu viel, und deswegen wurde dann eine Extrakategorie für die zu wissenschaftlichen Zwecke getöteten Tiere eingerichtet. Die wurden von der Gesamtzahl abgezogen, sind nicht mehr genehmigungspflichtig, sondern müssen lediglich angezeigt werden.

Das Land Berlin fördert Tierversuche dadurch, dass die Einrichtungen, die Tierversuche durchführen, mitfinanziert werden, insbesondere Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Tierversuche bezahlt also letztlich der Steuerzahler. Außerdem zahlt der Steuerzahler die Kosten, die in der Verwaltung entstehen. Durch die für Tierversuche erhobenen Gebühren werden gerade einmal 2 Prozent der Genehmigungskosten gedeckt. Die Kontrolle der Tierversuche, die heute komplett aus der öffentlichen Hand finanziert wird, ist völlig unterbesetzt und brauchte dringend eine Aufstockung. – Herr Karge! Gerade das MDC tut sich besonders durch Tierschutzgesetzverstöße hervor. Es gab bisher keine Kontrolle ohne Beanstandung. Ich weiß nicht, wo Sie ihre Informationen herhaben. Aber ich werde es mir auch anschauen. Ich bin nächste Woche auch da. Mal gucken!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gerne!

Bitte, Herr Oberg!

Vielen Dank! – Wenn Sie da nächste Woche hingehen, um sich das anzuschauen, dann würde ich Sie gern vorab schon mal mit der Frage konfrontieren, ob Sie es für angemessen halten, dass ein Tierversuch, der auf 14 Tage angelegt ist, eine Versuchsreihe, die dann aufgrund von eindeutigen Ergebnissen nach zehn Tagen abgebrochen wird, damit die Tiere nicht 14, sondern nur zehn Tage dieser Situation ausgesetzt sind, als Ordnungswidrigkeit gewertet wird. Halten Sie das aus tierschutzpolitischer Perspektive für sinnvoll? Oder ist das total sinnlos?

Lassen Sie es mich so formulieren: Die Versuche werden mit einer bestimmten Versuchsanordnung beantragt. Wenn man den Forschern sagt: Wenn ihr zwischendurch anderer Meinung seid, dann ändert das nach Gutdün- ken –, dann geht das, glaube ich, in die falsche Richtung. Aber das ist eine sehr spezifische Frage.

[Lachen bei der SPD]

Ich möchte während meiner Redezeit noch auf den Antrag der Grünen eingehen. Die SPD Berlin, da sitzt sie, hat auf ihrem Landesparteitag am 26. Juni den Antrag angenommen, dass die sozialdemokratischen Mitglieder des Senats und des Abgeordnetenhauses aufgefordert werden, gemeinsam mit den Universitäten Initiativen zu ergreifen, damit spezielle Lehrangebote für Alternativen

zu Tierversuchen an den medizinischen Fakultäten eingerichtet werden, insbesondere eine Stiftungsprofessur, sowie Anreize und gegebenenfalls Förderungen zur verstärkten Entwicklung tierversuchsfreier Forschung in Berlin zu schaffen. – Das heißt, die Stimmen der SPDFraktion sind dem Antrag schon einmal sicher.

In der Koalitionsvereinbarung wird – das haben Sie auch gesagt, Frau Hämmerling – auch versprochen, die Anzahl der Tierversuche zu verringern. Also müsste auch die CDU dafür sein.

Leider geht der Antrag aber auch noch nicht weit genug. Gerade diese sinnlosen Tierversuche in der Grundlagenforschung werden davon nicht erfasst. Auch die vielen illegal gehaltenen und getöteten Tiere werden nicht erfasst. Ihre Zahl dürfte gerade durch die Abgabe noch steigen. Das heißt, dass es keinen Sinn macht, diesen Antrag zu beschließen, ohne nicht gleichzeitig für ausreichende Kontrollen zu sorgen und zwar für solche, die aus den Genehmigungsgebühren bezahlt werden und nicht aus den Taschen der Berliner Bürgerinnen und Bürger.

Zum Schluss der Forschungspreis – den haben wir auch angesprochen. 15 000 Euro, im Mai ausgeschrieben, aber es gibt immer noch keine Bewerbung. Herr Herrmann hat da offenbar den guten Draht und weiß das. Besteht da kein Anreiz für die Berliner Forscher? Fehlen positive und negative Anreize?

Auf jeden Fall unterstützen wir den Antrag und freuen uns auf die Diskussionen in den beiden Ausschüssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Kowalewski! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zu dem Antrag wird die Überweisung an den Ausschuss für Verfassung und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz und Geschäftsordnung federführend sowie mitberatend an den Ausschuss für Wirtschaft, Forschung und Technologie empfohlen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Ich komme zur

lfd. Nr. 34:

Musikschulen und Volkshochschulen sichern – Arbeitsbedingungen der Honorarkräfte an Musikschulen und Volkshochschulen verbessern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/0449

(Vizepräsident Andreas Gram)

Dieser Antrag soll heute vertagt werden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 35:

Anonymisierte Bewerbung

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0453

Auch dieser Antrag soll heute vertagt werden. – Ich höre keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 36 war die Priorität der Piratenfraktion unter Nummer 4.3.

Ich komme zur

lfd. Nr. 37:

Gesellschaftsvertragliche Verschwiegenheitspflichten von Aufsichtsratsmitgliedern

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0455

Dieser Antrag soll heute vertagt werden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch, dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 38 ist bereits mit der Aktuellen Stunde unter der lfd. Nr. 3 behandelt worden. Tagesordnungspunkt 39 steht auf der Konsensliste. Tagesordnungspunkt 40 war die Priorität der Fraktion Die Linke unter Nummer 4.2.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 41:

Faire Asylverfahren für alle – Flughafenverfahren abschaffen

Antrag der Fraktion Die Linke, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Piratenfraktion Drucksache 17/0463

Hier ist eine Redezeit von bis zu fünf Minuten pro Fraktion vorgesehen. Es beginnt für die Fraktion Die Linke der Kollege Taş. – Bitte, Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, um nicht zu sagen skandalös, dass kein Mensch weiß, wann der Großflughafen BER Willy Brandt in Betrieb genommen wird, dass aber der Flughafenknast für Menschen, die ein international anerkanntes Grundrecht in Anspruch nehmen wollen, fast schon fertiggestellt worden ist. Mir ist bekannt, dass die Befürworterinnen und Befürworter dieses Verfahrens sich über den Begriff „Flughafenknast“ aufregen und auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 ver

weisen, in dem das höchste Gericht bedauerlicherweise zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das Flughafenverfahren keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung darstellen würde. Das wird in der Begründung des gemeinsamen Antrags ausgeführt, genauso wie die menschenrechtliche Kritik am Flughafenasylverfahren. Ich verzichte darauf, dies zu wiederholen.

Ich erlaube mir aber, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli dieses Jahres zum Asylbewerberleistungsgesetz zu zitieren:

Auch migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbeberberinnen und Asylbewerber sowie Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.

Den letzten Satz möchte ich wiederholen:

Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.