Zu dem, was da jetzt seitens der Koalition auf dem Tisch liegt, fallen mir nur vier Substantive ein: Blindflug, Dilettantismus, Anmaßung und Kontrollverlust.
Ich begründe das wie folgt: Erstens, Blindflug: Die Fraktionen der CDU und der SPD wissen überhaupt nichts über das Vergabewesen im Land Berlin.
Das ist im Wirtschaftsausschuss sehr deutlich geworden. Man geht aus von geschätzten 120 000 Vergabefällen im Jahr. Man geht aus von einem geschätzten Auftragsvolumen von 4 bis 5 Milliarden. Man geht aus von schätzungsweise 2 500 Vergabestellen. Man weiß nichts darüber, wie sich das auf Beschaffungsvorgänge, Dienstleistungs-, Bauaufträge aufteilt. Handelt es sich um eine freihändige, eine direkte, eine beschränkte Vergabe? Darüber weiß man nichts.
Am Beispiel will ich es erläutern. Im Ausschuss wurde doch tatsächlich behauptet, dass das Toilettenpapier im
Land Berlin zentral beschafft werden würde, und dieser Auftrag sei ja so groß, dass er gar nicht unter die 10 000-Euro-Grenze fallen würde. Also, im Klartext: Alle Kitas, alle Schulen, BSR, BVG, alle Landesdienststellen bestellen gemeinsam Toilettenpapier, und das ist dann ökologisch richtig? Zeigen Sie mir die Stelle in der Verwaltung, die das macht, und dann glaube ich Ihnen, dass die Bestellung in Berlin ökologisch wäre. Gleiche Beispiele können wir aufführen, wenn es um Kaffeemaschinen, Glühbirnen oder Reinigungsmittel geht.
Zweitens, Dilettantismus: Wenn der Jurist Torsten Schneider mit Gesetzen jongliert und dealt, dann kann dabei nichts rauskommen.
Dem ist nicht einmal aufgefallen, dass er bei seiner Rolle hin und wieder rückwärts gleich auch noch jeden Bezug zu Tariftreue und dem Entsendegesetz gestrichen hat. – Prima! Toll, SPD! Toll, CDU! – Außerdem wird durch die vorgenommene Differenzierung nach Vergabebezug – je nach Mindestlohn oder Beschaffung unterschiedliche Grenzen – erheblich mehr Bürokratie geschaffen, nämlich bei den Auftragnehmern. Die müssen nun zum Beispiel beim Einbau eines Fensters – der Auftrag ist beispielsweise unter 8 000 Euro – nachweisen, dass der Tischler den Mindestlohn erhält. Ob das Fenster ökologischen Ansprüchen entspricht, ist völlig unerheblich, aber der Auftragnehmer müsse nun zwei Rechnungen ausstellen, damit das irgendwie nachvollziehbar ist.
Drittens, Anmaßung: Der Herr Senator Michael Müller hat nach langer, intensiver Arbeit eine Verwaltungsvorschrift – Herr Schäfer sprach davon – „Beschaffung und Umwelt“ vorgelegt, und diese knüpft direkt an das vorliegende, das geltende Vergabegesetz an. Die Gesetzesnovelle würde die Verwaltungsvorschrift allerdings ziemlich ihres Sinns entkleiden. Allerdings hat Senator Müller diese Verwaltungsvorschrift der EU-Kommission vorgelegt. Diese trägt das Gütesiegel der EU-Notifizierung. Nun kann es ja in der SPD üblich sein, trendy sein, Herrn Müller immer mal wieder ans Schienbein zu treten, aber ein EU-Notifizierungsverfahren schmeißt man nicht einfach so über den Haufen. Deswegen: Anhörung im Ausschuss, damit die tatsächlichen Erfahrungen, wie man mit Zertifikaten, mit Labels, mit entsprechenden Standardisierungen, Vergaben vereinfacht, Bürokratie tatsächlich abbaut und handhabbar für Auftragnehmer und Auftraggeber macht.
Zum Kontrollverlust ein Satz, und damit komme ich auch zum Ende: Sie von der SPD und CDU haben offensichtlich über das, was Sie tun, schon lange die Kontrolle verloren. Ob Sie sie je hatten, weiß ich nicht. Aber Sie von der CDU schädigen den Wirtschaftsstandort Berlin, denn es gibt in Berlin ganz viele kleine Firmen, die öko
logisch vorbildliche Produkte in der ganzen Welt verkaufen, aber in Berlin bei den Aufträgen unter 10 000 Euro auf der Strecke bleiben würden.
Da kommt mal wieder Ihre Wirtschaftsfreundlichkeit durch: Derjenige, der sich freiwillig ökologischen Standards unterwirft, der freiwillig, seinen Beschäftigten ordentlichen Lohn zahlt, bleibt bei einer Auftragsvergabe von unter 10 000 Euro auf der Strecke. Und Sie bekommen nicht einmal mit, dass Ihre ganze Ökobeschlusslage weniger wert ist als des Kaisers neue Kleider. Jeder weiß, die CDU ist der Kaiser.
Ja, der letzte Satz ist: Stimmen Sie der Rücküberweisung in den Umweltausschuss zu! Stimmen Sie zu, dass wir das ordentlich behandeln und entsprechende Erfahrungen und Anhörungen vornehmen können!
Danke schön, Frau Kollegin Matuschek! – Für die Fraktion der SPD hat der Kollege Jahnke jetzt das Wort. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fast zwei Jahre ist das neue Ausschreibungs- und Vergabegesetz nun in Kraft. Es hat sich gut bewährt,
und auch die Auswertung von Erfahrungen mit dem Gesetz ist ein ganz normaler Vorgang, und dies nehmen wir hiermit vor.
[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU – Uwe Doering (LINKE): Das macht man mit Verbesse- rungen und nicht Verschlechterungen!]
Herr Doering! Es ist gewiss eine Verbesserung auch in Ihrem Sinn, wenn der Mindestlohn im Gesetz auf 8,50 Euro angehoben wird. Das hat die Koalition vereinbart.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Und jetzt die ganze Wahrheit!]
Wir wollen – so steht es auch in der Begründung des Gesetzes –, dass die Strahlkraft dieses Gesetzes dann auch in die Privatwirtschaft reicht, und zwar sowohl hinsichtlich der gleichen Bezahlung von Mann und Frau als auch in Ost und West, was über 20 Jahre nach Mauerfall auch eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Torsten Schneider (SPD): Was sagt denn Die Linke dazu?]
Und wir haben auch den Vergabebericht, der schon in anderen Bundesländern mit Erfolg praktiziert wird, nun in unserer Gesetzesänderung drin. Dies dient auch der Gesetzeskontrolle: Wie arbeiten die Vergabestellen? Wie dient das Gesetz den Vergabestellen? Vereinfacht oder verkompliziert das ihre Arbeit? Schließlich wird dort auch beim Vergabebericht explizit die Kontrollgruppe erwähnt. Wird sie denn jetzt wirklich eingerichtet? Das stand ja von Anfang an im Gesetz, und zwar, Herr Wolf, als Vorschrift: Sie wird eingerichtet. –, nicht etwa, wie in Ihrem Antrag, dass dies eine Kann-Vorschrift war und man aus der Kann-Vorschrift eine Soll-Vorschrift machen soll. Nein! Das stand von Anfang an so drin. Und Sie als der zuständige Senator haben es jedenfalls in über einem Jahr Amtszeit nicht mehr hinbekommen, dass die Kontrollgruppe eingerichtet wurde.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das ist doch unanständig! Herr Jahnke! Sie wissen doch ganz genau, was mit der Kontrollgruppe war! – Weitere Zurufe]
Wir wollen, dass diese Kontrollgruppe die Arbeit aufnimmt. Darum wird sie dort explizit erwähnt. Und wir wollen auch gerne, dass zum Beispiel das Angebot aus dem Baubereich von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite, dass bewährte Strukturen wie die Soka dort möglicherweise Anwendung finden, geprüft wird. All dies ist denkbar, all dies soll passieren und im Vergabebericht und dann auch nach maximal zwei Jahren stehen. Und da kann nicht stehen: Es gibt noch immer keine Kontrollgruppe. – Das wäre dann ein Armutszeugnis!
Ich komme auf die Anhebung der Vergabeschwelle auf 10 000 Euro für alle Kriterien mit Ausnahme des Mindestlohns. Wir müssen hier darüber reden, dass wir vor zwei Jahren, als wir die Diskussion schon einmal führten, immerhin noch von der CDU und anderer Seite gehört haben: Vergabefremde Kriterien – und das ist jedes Kriterium, das ihrer Meinung nach nicht der Preis ist – gehören da nicht rein. Hierum geht es gar nicht mehr.
Es stehen nach wie vor ökologische Kriterien, es stehen ILO-Kernarbeitsnormen, es stehen Gleichstellungskriterien drinnen. Und die CDU spricht auch nicht mehr von vergabefremden Kriterien. Die Frage ist doch nur, ob tatsächlich durch die Anhebung der Vergabeschwelle diese Kriterien so außer Kraft gesetzt werden, wie es hier behauptet wird. Dies genau wird doch auch der Vergabebericht zutage fördern.
Natürlich sage ich: Diese Kriterien müssen nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, aber ich sage auch, sie müssen mehr bedeuten als nur das Ausfüllen eines Formulars, das Abheften,
Genau das wird der Vergabebericht dann hoffentlich nach zwei Jahren zeigen, ob dies ein Bürokratieabbau ist, wie erhofft, oder eben nicht, und dann kann man auch wieder über Gesetzesänderungen reden. Zunächst sind wir aber erst einmal als Koalition zu dieser Einigung gelangt.
Ich mache keinen Hehl daraus, dass die SPD-Fraktion gern die alte Schwelle bei 500 Euro beibehalten hätte,
aber dies ist auch ein Koalitionskompromiss. Auch mit Ihnen, Herr Wolf, haben wir damals Kompromisse machen müssen.