Protocol of the Session on May 10, 2012

Jetzt kann man natürlich sagen: Karitative Aufgaben und sonst irgendwas, das ist gut, dass die Kirche das macht. – Ich wundere mich, dass Sie das jetzt als Errungenschaft verteidigen, dass Sie jetzt sagen: Das ist seit hundertfünfzig Jahren so geregelt. – Ich wollte jetzt eigentlich nicht auf diese Schiene kommen, aber es gibt natürlich durchaus Ereignisse, wo sich z. B. die katholische Kirche zu dem Thema Abtreibung äußert, zum Thema Homosexualität äußert, wo man sich die Frage stellen muss: Na, ist das noch so zeitgemäß? Entspricht das den Dingen, die wir alle hier diskutiert haben?

Und noch mal: Bayern, Christlich-Soziale Union, selbst die kriegen es hin, das so zu regeln, und es scheint da ja auch ganz gut zu funktionieren. Sie können natürlich sagen: 2 bis 4,5 Prozent sind es, glaube ich, die die Kirchen dann dem Land Berlin bezahlen müssen. Dann können Sie jetzt argumentieren: Okay, das Land Berlin zieht die Kirchensteuern so effizient ein, dass es sich für das Land Berlin finanziell lohnt, für die Kirchen die Steuern einzuziehen, weil dann am Ende noch irgendwie ein Plus rauskommt. – Unserer Meinung nach ist es aber deutlich besser, das ganz strikt zu trennen, und unserer Meinung nach ist es deutlich besser zu sagen: Okay, wenn der Staat auch Geld ausgibt für Schulen, Kindererziehung, Seniorenheime oder sonst irgendwas, dann ist es natürlich erst mal vorzuziehen, wenn das mit keiner Konfession verbunden ist. Sie wissen, dass diese Menschen dann teilweise auch – wieder Thema Homosexualität – nicht eingestellt werden oder sonst irgendwas.

Das heißt, man kann durchaus die Frage stellen – oder die stellen wir nicht, sondern die beantworten wir im Grunde genommen dadurch. Wir sagen: Nein, wir wollen das hier auflösen und aufdröseln. Wie gesagt, es geht nicht darum, dass die Kirchen keine Steuern mehr einziehen sollen, sondern es geht einfach nur noch darum, dass das Land Berlin das nicht machen soll.

Es gibt durchaus auch bei freien Kirchengemeinden die Argumentation: Ja, wir würden das begrüßen, wenn sich

die Gemeinden selber darum kümmern müssen, weil dann im Grunde genommen die Gemeinden davon profitieren, die ein zeitgemäßes Programm haben, und die Gemeinden, die das eh so von der Gießkanne kriegen, müssen sich dann mal überlegen, was sie da ändern wollen.

Warum wir es machen? – Weil wir es können! Ich konnte nicht wissen, dass das mit dem Flughafen passiert, beim nächsten Mal sagen Sie das einfach früher, dann stellen wir uns darauf ein. – Danke!

[Beifall bei den PIRATEN]

Herr Kollege Verrycken, Sie haben die Möglichkeit zur Antwort. – Bitte schön!

Geschätzter Herr Kollege Lauer! Der Hintergrund Ihres Antrages ist mir zwar noch immer nicht ganz klar geworden, aber zumindest habe ich verstanden, dass es für Sie – wie für uns alle – nicht möglich gewesen ist, den Flughafen Schönefeld vorher mit einzuplanen, da gebe ich Ihnen recht.

Wir sollten uns aber darüber unterhalten, denn es scheint doch ein recht unterschiedliches Bild von kirchlichen Gemeinschaften – muslimische, jüdische, christliche – zu geben. Das sollten wir an gesonderter Stelle mal machen. Kirche ist aber sicher etwas mehr als das, was Sie gerade skizziert haben, was ein bisschen nach Opus Dei und „Ich peitsche mich nach der Rede selbst aus“ klingt. Hier sind wir sicher gemeinsam der Auffassung, dass in bestimmten Bereichen der Kirche natürlich weiterhin dafür gekämpft werden muss, dass Themen wie Homosexualität ganz offen angesprochen werden und nicht einfach verhuscht und verschämt zur Seite geschoben werden bzw. da eine Skandalisierung stattfindet – da bin ich ganz an Ihrer Seite.

Zurück zu Ihrem Antrag: Es ist in der Begründung enthalten, deshalb müssen Sie sich daran auch messen lassen – Trennung von Kirche und Staat wäre eine faszinierende philosophische Diskussion auf Basis der Aufklärung, von der wir politisch alle profitiert haben – unsere SPD ist seit 149 Jahren der Aufklärung verpflichtet, Sie seit zwei, drei Jahren wohl auch.

[Beifall bei der SPD – Martin Delius (PIRATEN): Ach!]

So können wir sicherlich mit Stolz auf eine gewisse Aufklärungssituation zurückblicken. Ich frage mich trotzdem, wieweit Sie gehen wollen. Zuwendungsempfänger wäre die eine Frage, eine andere wäre, inwieweit bestimmte handelnde Akteure einen kirchlichen Background haben – auch das gehört zur Trennung von Kirche und

Staat. Eingedenk der Tatsache, dass wir uns in einer Koalition mit der CDU befinden, wäre ich persönlich ein bisschen betrübt, würden wir unsere Bundeskanzlerin verlieren, die einer Pastorenfamilie entstammt, würden wir unseren Bundespräsidenten verlieren, der als Pastor tätig war.

[Martin Delius (PIRATEN): Was hat das denn mit dem Antrag zu tun?]

Trennung von Kirche und Staat, das war die Begründung. Das ist insofern ein Punkt, an dem Sie sich messen lassen müssen, meine lieben Damen und Herren von den Piraten!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Wolfgang Brauer (LINKE)]

Über die Begründung sollten wir vielleicht noch einmal nachdenken. Wenn die Begründung lautet, wir wollen Steuern straffen, wir wollen sie besser sortieren, dann kann ich das durchaus nachvollziehen. Die Begründung Trennung von Kirche und Staat bei dieser marginalen Frage ist für mich persönlich nicht ganz einleuchtend und überzeugend. Ich bleibe dabei, dass wir Ihren Antrag mit der etwas schalen Begründung zurückweisen müssen.

[Beifall bei der SPD – Zuruf von Martin Delius (PIRATEN)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Grünen folgt nun Frau Dr. Kahlefeld.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche noch mal, etwas Ernsthaftes zu dem Thema zu sagen. Die Piraten haben – mutig wie Piraten sind – einen Antrag eingebracht, in dem sie ihren Wunsch nach Trennung von Kirche und Staat Ausdruck geben. Mehr als Ausdruck dieses Wunsches ist es nicht, denn seine Umsetzung würde uns der Trennung kein Stück näherbringen. Er ist lediglich leicht zu kommunizieren, genauso wie es leicht war, zugunsten der freien Szene einfach die Schließung der Staatsoper zu fordern. Einziger Inhalt des Antrages ist die Forderung, dass die Kirchen eigene Finanzverwaltungen aufbauen sollen, um die Kirchensteuern einzuziehen. Diese Aufgabe, die bisher die Finanzämter für die Kirchen erledigen, für die die Kirchen auch bezahlen, sollen sie nach dem Willen der Piratenpartei in eigener Regie durchführen. Die Kirchensteuer ist nun aber kein Vereinsbeitrag, und die Erhebung von Steuern ist Teil hoheitlicher Tätigkeit. Diese gehört nach unserer Auffassung nicht in die Hand von Verwaltungsleuten der Kirchen. Wer garantiert da z. B. die Wahrung des Steuergeheimnisses? – So kann die Trennung nicht gemeint sein!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Bündnis 90/Die Grünen wollen eine wirkliche Trennung von Amtskirche und Staat

[Beifall von Dr. Gabriele Hiller (LINKE)]

und darüber hinaus den Abbau ihrer geschichtlich gewachsenen Privilegien. Eine Maßnahme nach dem Motto: Wir mögen euch nicht, können euch leider nichts, also ärgern wir euch!, ist der falsche Beginn dazu. Vielleicht kommen wir, da wir das gleiche Ziel haben, in der Verständigung über den Weg doch noch irgendwie zusammen.

Lassen wir erst einmal die Diskussion der Rechtslage beiseite. Das Land kann den Kirchenvertrag ohnehin nicht einseitig ändern, ohne ihn mit den Vertragspartnern nachzuverhandeln. Das ist genauso wie mit Ihrem Mietvertrag, also lassen wir das beiseite. Mir geht es um das Politikverständnis, das hinter diesem Antrag steht. Nach unserem grünen Verständnis von transparenter und partizipativer Politik müssen an dem Prozess der Trennung sowohl die Amtskirchen als auch kritische Kirchenmitglieder und kirchenkritische Christen und Christinnen beteiligt werden.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Wir haben als Grüne bei den Christen seit jeher Verbündete – wenn es um Flüchtlingspolitik geht, um soziale Fragen, Ökologie und weltweit in den Befreiungsbewegungen, die wir solidarisch unterstützen. Nicht zuletzt heißen wir Bündnis 90/Die Grünen – viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler kamen aus den Kirchen oder haben in ihnen Unterstützung gefunden.

[Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Die Trennung von Amtskirche und Staat ist grüne Beschlusslage, die Umsetzung entwickeln wir aber natürlich mit all denen, die davon betroffen sind. In anderen Ländern gibt es Modelle der Kooperation von Glaubensgemeinschaften, die für Deutschland vorbildhaft sein können. So wird in Italien eine Steuer erhoben, die an Kirchen, Weltanschauungsgemeinschaften, aber auch an soziale Einrichtungen gehen kann – je nachdem, was der Bürger oder die Bürgerin möchte. In Schweden haben die Kirchen von sich aus die alten Verträge gekündigt, und z. B. ein brasilianischer Katholik steht erstaunt vor unserem seltsamen Konstrukt einer Kirchenzugehörigkeit, die mit dem Finanzamt zu tun hat.

[Zuruf von Alexander Spies (PIRATEN)]

Auch in Deutschland gibt es mittlerweile gute Kooperationsformen zwischen Landesregierungen und Glaubensgemeinschaften. In NRW und Niedersachsen haben sich gerade die Moscheegemeinden und die Kultusministerien – in Niedersachsen übrigens CDU-geführt – auf Strukturen geeinigt, mit denen beide Seiten sehr zufrieden sind. Dort ging es um die Organisation des islamischen Religionsunterrichts. Diese Frage stellt sich in Berlin nicht, aber man sollte sich die beiden Modelle auf

ihre Übertragbarkeit hin ansehen, wenn wir eine Neugestaltung ernsthaft angehen wollen. In einem offenen und vielfältigen Land muss für alle Weltanschauungen und Glaubensgemeinschaften, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, Platz sein. Das geht nicht ohne neue Vereinbarungen – und zwar für alle!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Mindestens so ärgerlich wie das Recht auf eine Kirchensteuer finde ich, dass es die Amtskirchen waren, die in Deutschland jahrelang die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien geblockt haben, dass die Arbeitnehmerinnen in kirchlichen Einrichtungen immer noch weniger Rechte haben und dass man z. B. in katholischen Institutionen nach einer Hochzeit, die auf eine Scheidung folgt, automatisch den Job verliert. Vom Umgang mit Lesben, Schwulen und Transmenschen fange ich jetzt gar nicht erst an. Auch solche Probleme müssen im Kontext von Gleichstellung und Öffnung sowie des Abbaus von Diskriminierungen verhandelt werden.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Vielen Dank! – Herr Kollege Lauer folgt für eine Kurzintervention.

[Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Ich will aber recht haben! – Benedikt Lux (GRÜNE): Auf Dauer nervt der Lauer!]

Vielen lieben Dank, Herr Lux, ich hätte das nicht schöner sagen können. – Frau Kahlefeld! Es freut mich sehr, dass Sie immer dagegen waren und es noch besser wissen. Wir hätten uns alle sehr gefreut, hätten Sie im Vorfeld dieser Fraktionssitzung – –

[Heidi Kosche (GRÜNE): Welcher Fraktionssitzung?]

Sie haben ja recht, freuen Sie sich darüber, dass Sie auch einmal recht haben! – Sie hätten sich ein bisschen konstruktiv zeigen und sagen können: Die Grünen waren eh schon immer dagegen, wir haben es eh schon immer viel, viel besser gewusst, wir wollten eh immer weniger Kirche haben als die Piraten, weil wir ja auch schon älter als die Piratenpartei sind.

[Canan Bayram (GRÜNE): Was wollen Sie denn?]

Wo bleibt das bitte? – Nun sagen Sie, das könne man so einfach erklären wie die Streichung der Mittel für die Deutsche Oper. Sollen wir diesen Antrag für Sie noch etwas komplizierter machen, als er ist, damit man es dann nicht mehr erklären kann? – Es ist natürlich nicht die vollumfängliche Trennung von Amtskirche und Staat gemeint, sondern es ist das, was in diesem Antrag steht: dass das Land Berlin die Kirchensteuern für Kirchen nicht mehr einziehen soll – nicht mehr und nicht weniger!

[Beifall bei den PIRATEN – Zuruf von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Vielen Dank! – Frau Dr. Kahlefeld, bitte schön!

Ich wiederhole das noch einmal: Natürlich haben wir Ihr Anliegen verstanden. Das war ja auch nicht schwer.

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aber die Konsequenz daraus wäre, dass hoheitliche Aufgaben an die Kirche übertragen werden.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Quatsch!]

Genau das wollen wir nicht, weil es das Gegenteil von dem ist, was Sie intendieren, nämlich der Trennung von Amtskirche und Staat. Das ist die Übertragung hoheitlicher Aufgaben an die Kirchen. Das lehnen wir ab.